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Full text of "Rudolf Carnap Der Logische Aufbau Der Welt"

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RUDOLF CARNAP 
Der logische Aufbau der Welt 



FELIX MEINER VERLAG 
HAMBURG 



Erste Auflage 1928 

Zweite, unveränderte Auflage 1961 mit einem zusammenfassenden 
Vorwort von Rudolf Camap. Diese Auflage enthielt als Anhang 
die „Scheinprobleme in der Philosophie”, 

Dritte, unveränderte Auflage 1966 


© Felix Meiner, Hamburg 1961 
Alle Rechte Vorbehalten 
Herstellung: R. Himmelheber &. Co., Hamburg 
Printed in Germany 



INHALTSVERZEICHNIS 


BEMERKUNG zur dritten Auflage IX 

VORWORT zur zweiten Auflage X 

LITERATURVERZEICHNIS 1961 XVI 

I. EINLEITUNG: 

AUFGABE UND PLAN DER UNTERSUCHUNGEN 
A. Die Aufgabe i 


I. Das Ziel: Konstitutionssystem der Begriffe. 2. Was heißt 
„konstituieren“? 3. Der Weg: Wirklichkeitsanalyse mit Hülfe der 
Relationstheorie. 4. Die Einheit des Gegenstandsgebietes. 5. Begriff 
und Gegenstand. 

B. Plan der Untersuchungen. 7 

6. Die vorbereitenden Erörterungen (Abschn. II). 7. Die Formpro- 
bleme des Konstitutionssystems (Abschn. III). 8. Der Entwurf eines 
Konstitutionssystems (Abschn. IV). 9. Die Klärung einiger philo- 
sophischer Probleme (Abschn. V). 

II. VORBEREITENDE ERÖRTERUNGEN 

A. Über die Form wissenschaftlicher Aussagen 11 

10. Eigenschaftsbeschreibung und Beziehungsbeschreibung, ii. Der 
Begriff der Struktur. 12. Die Strukturbeschreibung. 13. Über 
Kennzeichnungen. 14. Beispiel einer rein strukturellen Kennzeichnung. 

15. Die allgemeine Möglichkeit der strukturellen Kennzeichnung. 16. 

Alle wissenschaftlichen Aussagen sind S trukturaussagen. 

B. Überblick über die Gegenstandsarten und ihre Beziehungen. . 22 

17. Die Bedeutung der Gegenstandsarten für die Konstitutionstheorie. 

18, DiephysischenimddiepsychischenGegenstände. 19. Psycho- 
physische Beziehung, Ausdrucksbeziehung und Zeichenbeziehung. 

20. Zuordnungsproblem und Wesensproblem einer Beziehung. 

21. Die Zuordnungsprobleme und die Wesensprobleme der darge- 
stellten Beziehungen. 22. Das psychophysische Problem als Zentral- 
problem der Metaphysik. 23. Die geistigen Gegenstände. 24. Die 
Manifestationen und Dokumentationen des Geistigen. 25. Die Vielheit 
selbständiger Gegenstandsarten. 

III. DIE FORMPROBLEME DES KONSTITUTIONSSYSTEMS 
A. Die Stufenformen 34 

26. Die vier Hauptprobleme der Konstitutionstheorie. 27. Die Qu asi- 
gegenstände. 28. Die Aussagefunktionen. 29. Sphärenverwandt- 


III 







schaft; Gegenstandssphären. 30. Die „Sphärenvermengung“ .als 
Fehlerquelle. 31. Anwendungsbeispiel. 32. Die Extension einer Aus- 
sagefunktion. 33- Die Klassen. 34- Die Relationen. 35* Zurück- 
führbarkeit; Konstitution. 36. Komplex und Ganzes. 37. Eine Klasse 
besteht nicht aus ihren Elementen. 38. Konstitution geschieht durch 
Definition. 39. Gebrauchsdefinition. 40. Die Stufenformen: Klasse 
und Relation. 41. Die Konstitutionsstufen. 42. Sein und Gelten. 
43. Ein Bedenken gegen die extensionale Methode der Konstitu- 
tion. 44. Unterscheidung zwischen Zeichenaussagen, Sinnaussagen, 
Bedeutungsaussagen. 45. Rechtfertigung der extensionalen Methode. 


B. Die Systemform 

1. Formale Untersuchungen 64 

46. Die Systemform bezieht sich auf die Zurückführbarkeit. 47. Kri- 
terium der Zurückführbarkeit in realistischer Sprache. 48. Der Grund- 
sachverhalt in bezug auf einen Gegenstand. 49. Kennzeichen und 
Bedingung. 50. Logischer Wert und Erkenntniswert. 51. Logi- 
sche Übersetzung und Sinnübersetzung. 52. Realistische und konstitu- 
tionale Sprache. 53. Zusammenfassung. Methode zur Lösung des 
Problems der Systemform. 

2. Materiale Untersuchungen 74 

54. Erkenntnismäßige Primarität. 55. Die geistigen Gegen- 
stände sind auf psychische zurückführbar. 56. Die Konstitution der 
geistigen Gegenstände aus psychischen. $j. Die physischen Gegen- 
stände sind auf psychische zurückführbar und umgekehrt. 58. Eigen- 
psychisches und Fremdpsychisches. 59. Die Systemform mit 
Basis im Physischen. 60. Die Systemformen mit Basis im Psychischen. 

C. Die Basis 

1. Die Grundelemente 83 

61. Zweiteilung des Basisproblems. Grundelemente und Grundrela- 
tionen. 62. Die Möglichkeiten der Basis im Physischen. 63. Die Mög- 
lichkeiten der Basis im Psychischen. 64.Die Wahl der eigenpsychi- 
schen Basis. 65. Das Gegebene ist subjektlos. 66. Das Problem der 
Objektivität bei eigenpsychischer Basis. 67. Die Wahl der Grund- 
elemente : die „Eie men t arerlebnisse “. 68. Die Elementarerlebnisse 
sind unzerlegbare Einheiten. 69* Die Aufgabe der Behandlung 
unzerlegbarer Einheiten, jo. Das Verfahren der .eigentlichen 
Analyse auf Grund einer Relationsbeschreibung, yi. Das Verfahren 

der Quasianalyse. 72. Quasianalyse auf Grund einer Teilähnlich- 
keitsrelation. 73. Quasianalyse auf Grund einer transitiven Relation. 

74. Über Analyse und Synthese. 

2. Die Gruudrelationen I0 4 

75. Die Grundrelationen als Grundbegriffe des Systems. 76- Die 
Teilgleichheit. 77- Die Teilähnlichkeit. 78. Die Ahnlichkeitserinnerung 



als Grundbeziehung. 79. Die Möglichkeit der weiteren Ableitungen. 

80. Die Ähnlichkeitskreise. 81. Die Qualitätsklassen. 82. Genügt 
6ine Grundrelation? 83. Die Grundrelationen als Kategorien. 

D. Die Gegenstandsformen 119 

84. Die Ableitungen als Vorbereitungen der Konstitutionen. 85. Die 
Sinnesklassen. 86. Die Kennzeichnung des Gesichtssinnes. 

87. Die Zeitordnung. 88. Ableitung der Sehfeldstellen. 89. Die räum- 
liche Ordnung des Sehfeldes. 90. Die Ordnung der Farben. 91. Be- 
denken gegen die gegebene Ableitung der Sehfeldordnung und der 
Farbordnung. 92. Andere Möglichkeiten der Ableitung des Seh- 
feldes. 93. Die „Empfindungen' 1 als individuelle Eriebnisbestandteile. 

94. Ausblick auf weitere Ableitungen., 

E. Die Darstellungsformen eines Konstitutionssystems 133 

95. Die vier Sprachen. 96. Die symbolische Sprache der Logistik. 

97. Erklärung einiger logistischer Zeichen. 98. Die Umschreibung in 
Wortsprache und die realistische Sprache. 99. Die Sprache der fiktiven 
Konstruktion. 100. Die Konstitution alsrationaleNachkonstruk- 
tion. 101. Die Fiktionen der Trennung und der Festhaltbarkeit des 
Gegebenen. 102. Die Fiktion der Grundrelationslisten. 103. Über die 
allgemeinen Regeln der Konstitution. 104. Versuch der Aufstellung 
einiger Konstitutionsregeln. 105. Das Problem der Deduktion der 
Konstitutionsregeln. 

IV. ENTWURF EINES KONSTITUTIONSSYSTEMS 

A. Die unteren Stufen: eigenpsychische Gegenstände 147 

106. Über Form, Inhalt und Zweck des Entwurfs. 107. Die logischen 
und die mathematischen Gegenstände. 108. Die Grundrelation (Er), 

109. Die Grundelemente (erl). 1 10. Die Teilähnlichkeit (Ae), in. Die 
Ahnlichkeitskreise (älrnl). 112. Die Qualitätsklassen (quäl). 

113. Die Teilgleichheit (Gl). 114.* Die Ähnlichkeit zwischen Quali- 
täten (Aq). 115, Die Sinnesklassen und der Gesichtssinn (sinn, 
gesicht). 116. Die Empfindungen (emp) und die Zerlegungen eines 
Elementarerlebnisses. 117. Die Sehfeldstellen und das Sehfeld 
(stelle, Glstell, Nbst). 1 18. Die F arben und der Farbkörper (Glfarbnb, 
GIfarb, färbe, Nbfarb). 119. Beispiel der Rückübersetzung einer 
Definition und einer Aussage. 120. Die vorläufige Zeitordnung. 121, 

Die Ableitungsrelation eines Gegenstandes. 122. Die dargestellten 
Konstitutionen sind nur Beispiele. 

B. Die mittleren Stufen: physische Gegenstände 163 

123. Über die Darstellung der weiteren Konstitutionsstufen. 124. Ver- 
schiedene Möglichkeiten zur Konstitution des physischen Raumes. 

125. Die Raum-Zeit-Weit. 126. Die Zuschreibung der Farben zu 
den Weltpunkten. 127. Die Sachverhalte in realistischer Sprache. 

128. Die Sehdinge. 129. „Mein Leib“. 130. Die Tast-Sehdinge. 

131. Kennzeichnung der übrigen Sinne. 132. Das Gebiet des Eigen- 


IV 


V 


psychischen. 133. Zuschreibung anderer Sinnesqualitäten. 134. Die 
Wahrnehmungsdinge. 135. Vervollständigung der W ahrnehmungs- 
w eit durch Analogie. 136. Die physikalische Welt. 137. Die bio- 
logischen Gegenstände; die Menschen. 138. Die Ausdrucksbeziehung. 

C. Die oberen Stufen: fremdpsychische und geistige Gegenstände 185 

139. Über die Darstellung der weiteren Konstitutionsstufen. 140. Das 
Gebiet des Fremdpsychischen. 141. Die Zeichengebung. 142. Die 
Angaben der anderen Menschen. 143. Intuitives Verstehen und funk- 
tionale Abhängigkeit. 144. Die Verwertung der Angaben der anderen 
Menschen. 145. Die Welt des Anderen. 146. Die intersubjektive Zu- 
ordnung. 147. Die intersubjektive Zuordnung gilt für alle Gegenstands- 
arten. 14S. Die intersubjektive Welt. 149. Die intersubjektive 
Welt als Welt der Wissenschaft. 1 50. Die primären geistigenGegen- 
stände. 15 1. Die höheren geistigen Gegenstände. 152. Das Gebiet der 
Werte 133. Das Problem der Eliminierung von Grundrelationen. 

154. „Fundierte“ Relationen. 155. Eliminierung der Grundrelation Er. 

156. Thesen über das Konstitutionssystem. 

V. KLÄRUNG EINIGER PHILOSOPHISCHER PROBLEME 
AUF GRUND DER KONSTITUTIONSTHEORIE 

157. Das Konstitutionssystem als Grundlage philosophischer Unter- 
suchungen 21 1 

A. Einige Wesensprobleme 213 

158. Über den Unterschied zwischen Individuaibegriffen und 
Allgemeinbegriffen. 159. Über die Identität. 160. Das Wesen 
der Gegenstandsarten des Psychischen, Physischen und Geistigen. 

161. Konstitutionales und metaphysisches Wesen. 162. Über den 
Leib -Seele-Dualismus. 163. Das Problem des Ich. 164. Das 
Wesen der intentionalen Beziehung. 165. Das Wesen der Kausalität. 

B. Das psychophysische Problem 2 3 x 

166. Formulierung des Problems. 167. Das psychophysische Problem 
geht nicht vom Fremdpsychischen aus. 168. Die Grundsituation des 
psychophysischen Problems. 169. Konstitutionales und metaphysi- 
sches Problem, 

C. Das konstimtionale oder empirische Wirklichkeitsproblem 237 

170. Wirkliche und unwirkliche physische Gegenstände. 171. Wirk- 
liche und unwirkliche Gegenstände psychischer und geistiger Art. 

172. Begriff der wirklichkeitsartigen Gegenstände. 173 * Die 
Grenze des Wirklichkeitsartigen in den Gebieten des Psychischen und 
des Geistigen. 

D. Das metaphysische Wirklichkeitsproblem 245 

175. Realismus, Idealismus und Phänomenalismus. 176. Der meta- 
physische Wirklichkeitsbegriff. 177. Die Konstitutions theorie steht 


VI 



nicht im Widerspruch zu Realismus, Idealismus oder Phänomenalis- 
mus. 178. Die drei Richtungen divergieren erst im Metaphysischen. 


E. Aufgabe und Grenzen der Wissenschaft 252 

179. Die Aufgabe der Wissenschaft. 180. Über die Grenzen der 
wissenschaftlichen Erkenntnis. 181. Glauben und Wissen. 182. Die 
intuitive Metaphysik. 183. Rationalismus? 

ZUSAMMENFASSUNG 262 

LITERATUR- UND NAMENREGISTER 274 

SACHREGISTER. 281 


VII 




BEMERKUNG ZUR DRITTEN AUFLAGE 

Die zweite Auflage dieses Buches enthielt auch einen Abdruck 
meiner Broschüre „Scheinprobleme in der Philosophie. Das Fremd- 
psychische und der Realismusstreit”, die im Jahre 1928 ungefähr 
gleichzeitig mit diesem Buch erschien. Sie ist für einen weiteren 
Leserkreis geschrieben und macht darum weniger Gebrauch von 
technischen Hilfsmitteln. In der vorliegenden Auflage ist die Bro- 
schüre nicht mehr abgedruckt, weil sie inzwischen im Suhrkamp 
Verlag als Lizenzausgabe in der Reihe „Theorie” gesonderterschienen 
ist, mit einer Einleitung von Günther Patzig. 

Juni 1966 

RUDOLF CARNAP 


VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE 

„Der logische Aufbau der Welt“ war mein erstes größeres Buch, 
der erste Versuch, meine früheren philosophischen Überlegungen in 
eine systematische Ordnung zu bringen. Die erste Fassung schrieb ich 
in den Jahren 1922 bis 1925. Wenn ich jetzt die alten Formulierungen 
lese, finde ich manche Stellen, die ich heute anders sagen oder auch 
ganz weglassen würde. Aber mit der philosophischen Einstellung, die 
dem Buche zugrunde liegt, stimme ich heute noch überein. Das gilt 
vor allem für die Problemstellung und für die wesentlichen Züge der 
angewendeten M.ethode. Das Hauptproblem betrifft die Möglichkeit 
der rationalen Nachkonstruktion von Begriffen aller Erkenntnis- 
gebiete auf der Grundlage von Begriffen, die sich auf das unmittelbar 
Gegebene beziehen. Unter rationaler Nachkonstruktion ist hier das 
Auf suchen neuer Bestimmungen für alte Begriffe verstanden. Die 
alten Begriffe sind gewöhnlich nicht durch überlegte Formung, son- 
dern durch spontane Entwicklung mehr oder weniger unbewußt ent- 
standen. Die neuen Bestimmungen sollen den alten in Klarheit und 
Exaktheit überlegen sein und sich vor allem besser in ein systemati- 
sches Begriffsgebäude einfügen. Eine solche Begriffsklärung, heute oft 
„Explikation“ genannt, scheint mir immer noch eine der wichtigsten 
Aufgaben der Philosophie zu sein, insbesondere, wenn sie sich auf die 
Hauptkategorien des menschlichen Denkens bezieht. 

Philosophen verschiedener Richtungen haben seit langem die 
Auffassung vertreten, daß alle Begriffe und Urteile aus der Zusam- 
menwirkung von Erfahrung und Vernunft hervorgehen. Im Grunde 
stimmen Empiristen und Rationalisten irl dieser Ansicht überein, 
wenn auch beide Seiten die Bedeutsamkeit dieser Faktoren verschie- 
den hoch einschätzen und oft durch die Überspitzung ihres Stand- 
punktes die wesentliche Übereinstimmung verdecken. Diese gemein- 
same These wird zuweilen vereinfachend so formuliert: die Sinne 
liefern das Material der Erkenntnis, die Vernunft verarbeitet das 
Material in ein geordnetes System der Erkenntnis. Somit besteht die 
Aufgabe darin, eine Synthese des alten Empirismus mit dem alten 
Rationalismus herzustellen. Der frühere Empirismus betonte mit 
Recht die Leistung der Sinne, aber erkannte nicht die Bedeutung und 
die Eigenart der logisch-mathematischen Formung. Der Rationalis- 
mus erfaßte zwar diese Bedeutung, aber glaubte, daß die Vernunft 
nicht nur Form geben, sondern auch aus sich selbst heraus („a priori“) 
neuen Gehalt erschaffen könne. Durch den Einfluß von Gottlob 



Frege, bei dem ich in Jena studierte, der aber erst nach seinem Tod 
allgemein als hervorragender Logiker erkannt wurde, und durch das 
Studium der Werke von Bertrand Russell war mir einerseits die 
grundlegende Bedeutung der Mathematik für den Aufbau des 
Systems der Erkenntnis klar geworden, andererseits aber auch der 
rein logische, formale Charakter der Mathematik, auf dem ihre Un- 
abhängigkeit von den Zufälligkeiten der wirklichen Welt beruht. 
Diese Einsichten lagen meinem Buch zugrunde. Sie haben sich später 
durch die Gespräche in Schlicks Kreis in Wien und durch die Einwir- 
kung der Ideen von Wittgenstein zu der Denkweise entwickelt, die 
den „Wiener Kreis“ charakterisierte. Dieser Richtung wird zuweilen 
der Name „logischer Empirismus“ (oder auch „logischer Positivis- 
mus“) gegeben, der die beiden Komponenten andeuten soll. 

In meinem Buch handelte es sich um die genannte These, daß es 
grundsätzlich möglich sei, alle Begriffe auf das unmittelbar Gegebene 
zurückzuführen. Die Aufgabe, die ich mir stellte, war aber nicht die, 
zu den zahlreichen allgemein-philosophischen Argumenten, die man 
bisher für diese These angegeben hatte, noch weitere hinzuzufügen. 
Vielmehr war meine Absicht, zum ersten Mal den Versuch zu unter- 
nehmen, ein Begriffssystem der behaupteten Art wirklich aufzubauen; 
also zunächst einige einfache Grundbegriffe zu wählen, etwa Sinnes- 
qualitäten und Beziehungen, die in den unverarbeiteten Erlebnissen 
vorzufinden sind, und dann auf dieser Grundlage Definitionen für 
weitere Begriffe verschiedener Arten aufzustellen. Um diese Aufgabe 
auch nur in gewissen beispielhaften Schritten wirklich durchzuführen, 
bedurfte es einer Logik, die der traditionellen wesentlich überlegen 
war, vor allem auf dem Gebiet der Logik der Beziehungen. Die 
Durchführung meiner Aufgabe war nur möglich dank der neuen 
Logik, die in den vorhergehenden Jahrzehnten entwickelt worden 
war, vor allem durch Frege, Whitehead and Russell. Diese Logik 
enthält eine umfassende Theorie der Beziehungen und ihrer struktu- 
rellen Eigenschaften; ferner machte sie, durch die Definition der 
Zahlen und der Zahlfunktionen auf der Basis von rein logischen Be- 
griffen, das ganze Begriffsgebäude der Mathematik als Teil der Logik 
verfügbar. Ich war stark beeindruckt von dem, was die neue Logik 
schon geleistet hatte, und ich erkannte die Möglichkeit weiterer 
fruchtbarer Anwendungen ihrer Methode für die Analyse und Neu- 
formung von Begriffen aller Gebiete, auch der Realwissenschaften. 
Die revolutionäre Bedeutung der neuen Logik für die Philosophie 
und die Grundlagenforschung der Wissenschaft wurde damals von 
den meisten Philosophen nicht einmal geahnt. ‘ 


X 


XI 


Das in dem Buch aufgestellte System nimmt als Grundelemente 
die Elementarerlebnisse (§ 67). Nur ein einziger Grundbegriff wird 
verwendet, nämlich eine bestimmte Relation zwischen Elementarer- 
lebnissen („Ahnlichkeitserinnerung“, § 78). Es wird dann gezeigt, 
daß die weiteren Begriffe, z. B. die verschiedenen Sinne, der Gesichts- 
sinn, die Sehfeldstellen und ihre räumlichen Beziehungen, die Farben 
und ihre Ähnlichkeitsbeziehungen, auf dieser Basis definiert werden 
können. Daß die Beschränkung auf einen einzigen Grundbegriff 
möglich ist, ist gewiß interessant. Aber heute erscheint mir ein solches 
Verfahren doch als zu künstlich. Ich würde vorziehen, eine etwas grö- 
ßere Anzahl von Grundbegriffen zu verwenden, zumal hierdurch auch 
gewisse in meiner früheren Konstruktion der Sinnesqualitäten auftre- 
tende Mängel (vgl. die Beispiele in § 70 und 72) vermieden werden 
können. Ich würde heute in Erwägung ziehen, als Grundelemente 
nicht Elementarerlebnisse zu nehmen (trotz der Gründe, die im Hin- 
blick auf die Gestaltpsychologie für diese Wahl sprechen, siehe § 67), 
sondern etwas den Machschen Elementen Ähnliches, etwa konkrete 
Sinnesdaten, wie z. B. „rot einer gewissen Art an einer gewissen Seh- 
feldstelle zu einer gewissen Zeit“. Als Grundbegriffe würde ich dann 
einige Beziehungen zwischen solchen Elementen wählen, etwa die 
Zeitbeziehung „x ist früher als y“, die Beziehung der räumlichen 
Nachbarschaft im Sehfeld und in anderen Sinnesfeldern, und die Be- 
ziehung der qualitativen Ähnlichkeit, z. B. Farbähnlichkeit. 

Ein System der soeben angegebenen Art hat, ebenso wie das in 
dem Buch dargestellte System, seine Basis in den eigenen Erlebnissen, 
im „Eigenpsychischen“. Ich habe aber im Buch auch schon die Mög- 
lichkeit einer anderen Systemform dargestellt, deren Basisbegriffe 
sich auf physische Gegenstände beziehen (§ 59). Außer den drei als 
Beispiele dort angegebenen Formen einer Basis im Physischen (§ 62) 
würde ich vor allem auch eine Form in Erwägung ziehen, die als 
Grundelemente physische Dinge enthält und als Grundbegriffe beob- 
achtbare Eigenschaften und Beziehungen solcher Dinge. Einer der 
Vorzüge dieser Basisform ist die Tatsache, daß in bezug auf Eigen- 
schaften und Beziehungen der genannten Art eine größere intersub- 
jektive Übereinstimmung besteht. Die von Wissenschaftlern in der 
vorsystematischen sprachlichen Verständigung verwendeten Begriffe 
sind von dieser Art. Daher erscheint mir ein Konstitutionssystem auf 
einer solchen Basis besonders geeignet für eine rationale Nachkon- 
struktion der Begriffssysteme der Real Wissenschaften. Zusammen mit 
Otto Neurath habe ich die Möglichkeit eines Gesamtsystems der Be- 
griffe auf physischer Basis in den Diskussionen des Wiener Kreises 



entwickelt. Dieser „Physikalismus“ ist in seiner ersten, ziemlich rohen 
Form in mehreren Aufsätzen von Neurath und mir in Band 2 bis 4 der 
„Erkenntnis“ (1931 — 34) dargestellt worden. In seiner weiteren Ent- 
wicklung ist er in mancher Hinsicht modifiziert und verfeinert 
worden. 

Ich möchte im folgenden auf verschiedene Punkte hinweisen, in 
denen sich die in meinem Buch dargestellten Auffassungen später ge- 
ändert haben. Ich beschränke mich hierbei auf die wichtigsten Punkte. 
Eine ausführliche Darstellung der Entwicklung meiner philoso- 
phischen Denkweise und Ansichten habe ich in der Selbstdarstellung 
meines Denkens [Autob.] gegeben. (Die Hinweise!] auf einige meiner 
späteren Veröffentlichungen und auf Schriften anderer Autoren be- 
ziehen sich auf das nachfolgende „Literaturverzeichnis 1961“.) 

Eine der wichtigsten Änderungen ist die Erkenntnis, daß die Zu- 
rückführung höherer Begriffe auf niedere nicht immer in der Form von 
expliziten Definitionen möglich ist; im allgemeinen müssen freiere 
Formen der Begriffseinführung verwendet werden. Ohne daß ich 
selbst mir dessen klar bewußt war, ging ich bei der Konstitution der 
physischen Welt tatsächlich schon über die Grenze der expliziten De- 
finitionen hinaus. Z. B. wurden für die Zuordnung von Farben zu den 
Raum-Zeit- Punkten (§ 127 f.) nur allgemeine Prinzipien angegeben, 
aber nicht eindeutige Operationsvorschriften. Dieses Verfahren ist ver- 
wandt mit der Methode der Einführung von Begriffen durch Postu- 
late, auf die ich später zurückkommen werde. Die positivistische 
These der Zurückführbarkeit der Dingbegriffe auf eigenpsychische 
Begriffe bleibt gültig; aber die Behauptung der Definierbarkeit jener 
Begriffe aus diesen muß aufgegeben werden, und daher auch die Be- 
hauptung der Übersetzbarkeit von Aussagen über Dinge in Aussa- 
gen über Sinnesdaten. Ganz Analoges gilt für die physikalistische These 
der Zurückführbarkeit von Wissenschaftsbegriffen auf Dingbegriffe 
und der Zurückführbarkeit der Begriffe des Fremdpsychischen auf 
Dingbegriffe. Diese Änderungen sind in [Test.] § 15 erklärt. In die- 
sem Artikel schlug ich die sog. Reduktionssätze als eine freiere Form 
der Begriffseinführung vor, die besonders geeignet ist für Dispositi- 
onsbegriffe. 

Später betrachtete ich die in der Wissenschaft, besonders in der 
theoretischen Physik, schon übliche Methode der Einführung von 
„theoretischen Begriffen“ durch theoretische Postulate und Zuord- 
nungsregeln und untersuchte den logischen und methodologischen 
Charakter dieser Begriffe (vgl. [Theor.]). Die Zuordnungsregeln ver- 
binden die theoretischen Terme mit denen, die sich auf Beobacht- 


XII 


XIII 


bares beziehen. Dadurch erhalten die theoretischen Terme eine Deu- 
tung, die aber immer unvollständig ist. Darin liegt der wesentliche 
Unterschied zwischen theoretischen Termen und explizit definierten 
Termen. Die Begriffe der theoretischen Physik und anderer weiter 
entwickelter Wissenschaftszweige sind sicherlich am besten als theo- 
retische Begriffe im angedeuteten Sinn aufzufassen. Ich neige heute zu 
der Ansicht, daß dasselbe auch für alle auf das Fremdpsychische be- 
zogenen Begriffe gilt, nicht nur für die der wissenschaftlichen Psycho- 
logie, sondern auch für die des täglichen Lebens. 

Eine umfassende Darstellung unserer gegenwärtigen Auffassung 
des Physikalismus ist von Feigl [Mental] gegeben worden; vgl. ferner 
seine Schrift [Phys.j und meine Erwiderungen [Feigl] und [Ayer]. 

Meine Erörterungen über die extensionale Methode (§ 43 bis 45 
des „Aufbaus“) scheinen heute nicht mehr befriedigend. Die These 
der Extensionalität in der früher üblichen Form, wie sie von Witt- 
genstein, Russell und mir (§ 43) vertreten wurde, besagte, daß alle 
Aussagen extensional sind. In dieser Form ist aber die These nicht 
richtig. Ich habe daher später eine schwächere Fassung vorgeschlagen, 
die besagt, daß jede nicht-extensionale Aussage in eine logisch äqui- 
valente Aussage in einer extensionalen Sprache übersetzbar ist. Es 
scheint, daß diese These für alle bisher bekannten Beispiele von 
nicht-extensionalen Aussagen zutrifft; aber sie ist noch nicht bewie- 
sen, wir können sie nur als Vermutung aufstellen (vgl. [Syntax] § 67 ; 
[Meaning] § 32, Method V). Die Methode, die ich in § 43 die „exten- 
sionale Methode“ genannt habe, besteht im Grunde genommen ein- 
fach darin, für das ganze Konstitutionssystem eine extensionale 
Sprache zu verwenden. Hiergegen besteht kein Einwand. Meine Be- 
schreibung der Methode ist aber in einigen Punkten nicht klar. Man 
könnte den Eindruck haben, als würde in meiner Methode angenom- 
men, daß es für die Gültigkeit der Nachkonstruktion eines gegebe- 
nen Begriffes A durch den Begriff B schon hinreichend sei, daß B den 
gleichen Umfang hat wie A. In Wirklichkeit muß jedoch die stärkere 
Bedingung erfüllt sein, daß die Umfangsgleichheit von B mit A nicht 
nur zufällig besteht, sondern mit Notwendigkeit, d. h. entweder auf 
Grund von logischen Regeln oder auf Grund von Naturgesetzen 
(vgl. meinen Beitrag [Goodman]). Diese Bedingung ist in meinem 
Buch nicht genannt. Aber meine Absicht war, die Nachkonstruktion 
so zu machen, daß die Umfarigsgleichheit für einen beliebigen Men- 
schen gilt (vorausgesetzt, daß er normale Sinne hat und daß keine 
„besonders ungünstigen Umstände“ vorliegen, § 70 und 72), also 
unabhängig von den Zufälligkeiten der Auswahl seiner Beobachtun- 



gen, bedingt durch seine Wanderung durch die Welt. Daher ist die 
genannte Bedingung bei den Definitionen meines Systems (soweit sie 
nicht als irrtümlich auszuschalten sind) erfüllt. Z. B. beruht die Kenn- 
zeichnung des Gesichtssinnes durch die Dimensionszahl 5 auf den 
biologisch-psychologischen Gesetzen, die besagen, daß der Gesichts- 
sinn jedes (normalen, nicht farbenblinden) Menschen der einzige 
Sinn ist, für den die Ordnung der Qualitäten fünfdimensional ist. 

Ich möchte kurz auf die wichtigsten Darstellungen und kritischen 
Würdigungen des „Aufbaus“ hinweisen. Nelson Goodman hat sich 
am gründlichsten mit den Problemen meines Buches beschäftigt. In 
seinem Buch [Structure] gibt er eine ausführliche Darstellung meiner 
Theorie und eine gründliche und scharfsinnige kritische Prüfung, die 
auch auf die technischen Fragen der Methode eingeht. Dann beschreibt 
er den Aufbau seines eigenen Systems, das im wesentlichen das gleiche 
Ziel hat wie mein System, aber in manchen Zügen erheblich abweicht. 
In seinem Beitrag [Aufbau] gibt Goodman eine kurze Darstellung 
seiner Ansicht über mein System; darauf habe ich in [Goodman] er- 
widert. Jeder, der den Aufbau eines ähnlichen Begriffssystems unter- 
nehmen will, wird aus Goodmans Arbeiten wertvolle Anregungen 
erhalten, auch wenn er nicht in allen Punkten mit ihm übereinstimmt. 
Victor Kraft und Jorgen Jorgensen besprechen den „Aufbau“ im 
Rahmen von Darstellungen der Auffassungen des Wiener Kreises 
und des logischen Empirismus. Eine noch umfassendere Darstellung 
gibt Francesco Barone in seinem Buch [Neopos]. Seine Broschüre 
[Carnap] ist eine kurze, weniger technische Zusammenfassung für 
einen weiteren Kreis; sie enthält auch eine Bibliographie von Schrif- 
ten anderer Autoren über verschiedene Aspekte meiner philoso- 
phischen Auffassungen. Wolfgang Stegmüller ([Gegenw.] Kap. IX, 
Abschnitt 5) gibt eine gute Darstellung und Besprechung der Haupt- 
ideen meines Buches, des Physikalismus und verwandter Probleme. 

Der „Logische Aufbau“ war seit dem Krieg nicht mehr erhältlich, 
da nicht nur die gedruckten Exemplare, sondern auch die Druck- 
platten im Krieg zerstört worden waren. Ich möchte dem Verleger, 
Herrn Dr. Felix Meiner, dafür danken, daß er das Buch jetzt wieder 
herausbringt. Bei dieser Gelegenheit spreche ich ihm auch meinen und 
meiner Freunde Dank dafür aus, daß er in den dreißiger Jahren trotz 
aller politischen Schwierigkeiten die Veröffentlichung unserer Zeit- 
schrift „Erkenntnis“ weiterführte, so lange es möglich war. 

University of California, 

Los Angeles, März 1961. RUDOLF CARNAP 


XIV 


XV 


LITERATURVERZEICHNIS 1961 

Hier sind diejenigen Veröffentlichungen von mir und anderen Philo- 
sophen angegeben, auf die in meinem Vorwort hingewiesen wird. 
Bibliographien über Carnap, den V/iener Kreis und den logischen 
Empirismus sind zu finden in: Ayer [Posit.] (66 Seiten), Barone 
[Carnap] (4 S.), Del Pra (17 S.), Feigl [Mental] (14 S.), Schilpp (54 S.): 

Ayer, Alfred J. (Hsg.) 

[Posit.] Logical positivism. Glencoe, Illinois, 1958. 

Barone, Francesco 

[Carnap] Rudolf Carnap. Torino, 1953. 

(Abdruck aus: Filosofia 4, 1953, 353 — 392.) 

[Neopos.] 11 neopositivismo logico. Torino, 1953. 

Carnap, Rudolf 

[Syntax] Logische Syntax der Sprache. Wien, 1934. 

[Test.] Testability and meaning. Phiiosophy of Science 3, 1936, 
419—471; 4, 1937, 1—40. Auch gesondert erschienen, New Haven, 
Conn., 1950. 

[Meaning] Meaning and necessity. A study in semantics and modal 
logic. Chicago (1947), 2. enw. Aufl. 1956. 

[Einf.] Einführung in die symbolische Logik, mit besonderer Be- 
rücksichtigung ihrer Anwendungen. Wien (1954), 2. neubearbei- 
tete und erw. Aufl. 1960, 

[Theor.] Theoretische Begriffe der Wissenschaft; eine logische und 
methodologische Untersuchung. Zeitschr. f. philos. Forschung 4, 
1960—61, 209—233 und 571 — 5%. (Übersetzt von A. Scheibal aus: 
Feigl [Minn.St.] Band 1, 38 — 76.) 

[Beob.] Beobachtungssprache und theoretische Sprache. Dialectica 
12, 1958, 236—248. Abgedruckt in: Logica: Studia Paul Bernays 
dedicata. (Bibliotheque, Scientifique, Band 34), Neuchätel 1959. 

[Autob.] Intellectual autobiography. In: Schilpp. 

[Replies] Replies and systematic expositions. In: Schilpp. 

[Feigl] Heibert Feigl on physicalism. [Replies] § 7. 

[Ayer] A. J. Ayer on other minds. [Replies] § 8. 

[Goodman] Nelson Goodman on „Der logische Aufbau der Welt“ 
[Replies] § 21. 

Del Pra, Mario (Hsg.) 

Rivista Critica della Storia di Filosofia 10, 1955, Fase. V— VI. (Ein 

Doppelheft über Rudolf Carnap.) 

Feigl, Herbert 

[Minn.St.] (Hsg., mit anderen) Minnesota Studies in Philos. of 
Science, Band 1, 1956, Band 2, 1958. 



[Mental] The “mental“ and the “physical“. In [Minn.St.] Bd. 2. 
[Phys.] Physicalism, unity of Science, and the foundations of 
psychology. In: Schilpp. 

Goodman, Nelson 

[Structure] The structure of appearance. Cambridge, Mass. 1951. 
[Aufbau] The significance of „Der logische Aufbau der Welt“. 
In: Schilpp, (Abgderuckt in: Sidney Hook (Hsg.), American 
philosophers at work. New York 1956.) 

Jorgensen, Jorgen 

The development of logical empiricism. Int, Encyclopedia of Uni'fied 
Science 1 1/9, Chicago 1951. 

Kraft, Victor 

Der Wiener. Kreis. Der Ursprung des Neupositivismus, Wien 1950. 
Schilpp, Paul A. (Hsg.) 

The phiiosophy of Rudolf Carnap. (The Library of Living Philo- 
sophers.) 1964. 

Stegmüller, Wolfgang 

[Gegenw.] Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, 2. Aufl. 
Stuttgart 1960, 


VORWORT ZUR ERSTEN AUFLAGE 

Was ist die Absicht eines wissenschaftlichen Buches ? Es stellt 
Gedanken dar und will den Leser von ihrer Gültigkeit überzeugen. 
Darüber hinaus aber will der Leser auch wissen: woher kommen 
diese Gedanken und wohin führen sie? Mit welchen Richtungen 
auf anderen Gebieten hängen sie zusammen? Die Begründung für 
die Richtigkeit der Gedanken kann nur das ganze Buch geben. 
Hier, außerhalb des Rahmens der Theorie, möge in kurzen An- 
deutungen eine Antwort auf die zweite Frage versucht werden: an 
welcher Stelle des Geschehens unserer Zeit in Philosophie und im 
Gesamtleben steht dieses Buch? — 

Die Mathematiker haben in den letzten Jahrzehnten eine neue 
Logik aufgebaut. Sie sind durch die Not, durch die Grundlagen- 
krisis der Mathematik dazu gezwungen worden, da die alte Logik in 
dieser Krisis vollständig versagte. Es wurde nicht etwa nur ihre Un- 
zulänglichkeit in dieser schwierigen Problemsituatioh festgestellt, son- 
dern weit Schlimmeres, das Schlimmste, was einer wissenschaftlichen 


XVI 


XVII 


Lehre zustoßen kann: sie führte zu Widersprüchen. Das gab den 
stärksten Antrieb zum Aufbau der neuen Logik. Diese vermeidet die 
Widersprüche der alten; aber über dieses bloß negative Verdienst 
hinaus hat sie auch schon den Beweis positiver Leistungsfähigkeit er- 
bracht; allerdings vorerst nur auf dem Felde der Nachprüfung und 
Neulegung der Grundlagen der Mathematik. 

Es ist historisch verständlich, daß die neue Logik zunächst nur 
im engeren Fachkreise der Mathematiker und Logiker Beachtung 
gefunden hat. Ihre hervorragende Bedeutung für die gesamte 
Philosophie wird nur von wenigen geahnt; ihre Auswertung auf 
diesem weiteren Felde hat kaum erst begonnen. Wenn die Philosophie 
willens ist, den Weg der Wissenschaft (im strengen Sinne) zu betreten, 
so wird sie auf dieses durchgreifend wirksame Mittel zur Klärung der 
Begriffe und zur Säuberung der Problemsituationen nicht verzichten 
können. Dies Buch will einen Schritt auf diesem Wege gehen und 
damit zu weiteren Schritten in dieser Richtung auffordern. 

Es handelt sich hier hauptsächlich um die Frage der Erkenntnis- 
lehre, also um die Frage der Zurückfuhrung der Erkenntnisse auf ein- 
ander. Die Fruchtbarkeit der neuen Methode erweist sich dadurch, 
daß die Antwort auf die Zurückführungsfrage zu einem einheitlichen, 
stammbaumartigen Zurückführungssystem der in der Wissenschaft 
behandelten Begriffe führt, das nur wenige Wurzelbegriffe benötigt. 
Man wird erwarten, daß durch solche Klärung des Verhältnisses der 
Wissenschaftsbegriffe zueinander auch manche allgemeineren Probleme 
der Philosophie in ein neues Licht rücken. Es wird sich zeigen, daß 
einige Probleme durch die gewonnenen erkenn tnis theoretischen Ein- 
sichten erheblich vereinfacht werden; andere enthüllen sich als bloße 
Scheinprobleme. Auf solche weitergehenden Folgerungen wird dies 
Buch nur kurz eingehen. Hier liegt noch ein weites, in großen Teilen 
unbebautes Feld, das der Bearbeitung harrt. — 

Die Grundeinstellung und die Gedankengänge dieses Buches 
sind nicht Eigentum und Sache des Verfassers allein, sondern gehören 
einer bestimmten wissenschaftlichen Atmosphäre an, die ein Einzelner 
weder erzeugt hat, noch umfassen kann. Die hier niedergeschriebenen 
Gedanken fühlen sich getragen von einer Schicht von tätig oder 
aufnehmend Mitarbeitenden. Gemeinsam ist dieser Schicht vor 
allem eine gewisse wissenschaftliche Grundeinstellung. Die 
Abkehr von der traditionellen Philosophie ist nur ein negatives Merk- 
mal. Wesentlicher sind die positiven Bestimmungen; sie sind nicht 
leicht zu umreißen, einige Andeutungen mögen versucht werden. Die 
neue Art des Philosophierens ist entstanden in enger Berührung mit 

XVIII 



der Arbeit in den Fachwissenschaften, besonders in Mathematik und 
Physik. Das hat zur Folge, daß die strenge und verantwortungsbewußte 
Grundhaltung des wissenschaftlichen Forschers auch als Grundhaltung 
des philosophisch Arbeitenden erstrebt wird, während die Haltung des 
Philosophen alter Art mehr der eines Dichtenden gleicht. Diese neue 
Haltung ändert nicht nur den Denkstil, sondern auch die Aufgabe- 
stellung; der Einzelne unternimmt nicht mehr, ein ganzes Gebäude der 
Philosophie in kühner Tat zu errichten. Sondern jeder arbeitet an sei- 
ner bestimmten Stelle innerhalb der einen Gesamtwissenschaft. Den 
Physikern und Historikern ist solche Einstellung selbstverständlich; 
in der Philosophie aber erlebten wir das Schauspiel (das auf Menschen 
wissenschaftlicher Gesinnung niederdrückend wirken muß), daß nach- 
einander und nebeneinander eine Vielzahl philosophischer Systeme er- 
richtet wurde, die mit einander unvereinbar sind. Wenn wir dem 
Einzelnen in der philosophischen Arbeit ebenso wie in der Fachwissen- 
schaft nur eineTeilaufgabe zumessen, so glauben wir, um so zuversicht- 
licher in die Zukunft blicken zu können: es wird in langsamem, vor- 
sichtigem Aufbau Erkenntnis nach Erkenntnis gewonnen; jeder trägt 
nur herbei, was er vor der Gesamtheit der Mitarbeitenden verant- 
worten und rechtfertigen kann. So wird sorgsam Stein zu Stein gefügt 
und ein sicherer Bau errichtet, an dem jede folgende Generation weiter- 
schaffen kann. 


Aus dieser Forderung zur Rechtfertigung und zwingenden Begrün- 
dung einer jeden These ergibt sich die Ausschaltung des spekulativen, 
dichterischen Arbeitens in der Philosophie. Als man begann, mit der 
Forderung wissenschaftlicher Strenge auch in der Philosophie Ernst 
zu machen, mußte man notwendig dahin kommen, die ganze Meta- 
physik aus der Philosophie zu verbannen, weil sich ihre Thesen 
nicht rational rechtfertigen lassen. Jede wissenschaftliche These muß 
sich rational begründen lassen; das bedeutet aber nicht, daß sie auch 
rational, durch verstandesmäßige Überlegung, gefunden werden müsse. 
Grundeinstellung und Interessenrichtung entstehen ja nicht durch Ge- 
danken, sondern sind bedingt durch Gefühl, Trieb, Anlage, Lebens- 
umstände. Das gilt nicht nur in der Philosophie, sondern auch in den 
rationalsten Wissenschaften: in Physik und Mathematik. Das Ent- 


scheidende aber ist: der Physiker beruft sich zur Begründung einer 
These nicht auf Irrationales, sondern gibt eine rein empirisch-rationale 
Begründung. Dasselbe verlangen wir von uns in der philosophischen 
Arbeit. Das praktische Umgehen mit philosophischen Problemen und 
das Finden neuer Lösungen muß nicht rein denkmäßig geschehen, son- 



■N.J 


XIX 


intuitive Mittel verwenden. Aber die Begründung hat vor dem 
Forum des Verstandes zu geschehen; da dürfen wir uns nicht auf eine 
erlebte Intuition oder auf Bedürfnisse des Gemütes berufen. Auch wir 
haben „Bedürfnisse des Gemütes“ in der Philosophie; aber die gehen 
auf Klarheit der Begriffe, Sauberkeit der Methoden, Verantwortlich- 
keit der Thesen, Leistung durch Zusammenarbeit, in die das Indi- 
viduum sich einordnet. 

Wir können uns nicht verhehlen, daß die Strömungen auf philo- 
sophisch-metaphysischem und auf religiösem Gebiet, die sich gegen 
eine solche Einstellung wehren, gerade heute wieder einen starken Ein- 
fluß ausüben. Was gibt uns trotzdem die Zuversicht, mit unserem Ruf 
nach Klarheit, nach metaphysikfreier Wissenschaft durchzudringen? 
Das ist die Einsicht, oder, um es vorsichtiger zu sagen, der Glaube, 
daß jene entgegenstehenden Mächte der Vergangenheit angehören. 
Wir spüren eine innere Verwandtschaft der Haltung, die unserer philo- 
sophischen Arbeit zugrundeliegt, mit der geistigen Haltung, die sich 
gegenwärtig auf ganz anderen Lebensgebieten auswirkt; wir spüren 
diese Haltung in Strömungen der Kunst, besonders der Architektur, 
und in den Bewegungen, die sich um eine sinnvolle Gestaltung des 
menschlichen Lebens bemühen: des persönlichen und gemeinschaft- 
lichen Lebens, der Erziehung, der äußeren Ordnungen im Großen. Hier 
überall spüren wir dieselbe Grundhaltung, denselben Stil des Denkens 
und Schaffens. Es ist die Gesinnung, die überall auf Klarheit geht und 
doch dabei die nie ganz durchschaubare Verflechtung des Lebens an- 
erkennt, die auf Sorgfalt in der Einzelgestaltung geht und zugleich auf 
Großlinigkeit im Ganzen, auf Verbundenheit der Menschen und zu- 
gleich auf freie Entfaltung des Einzelnen. Der Glaube, daß dieser 
Gesinnung die Zukunft gehört, trägt unsere Arbeit. 

WIEN, Mai 1928 


RUDOLF CARNAP 



I. EINLEITUNG 

AUFGABE UND PLAN DER UNTERSUCHUNGEN 
A. DIE AUFGABE 

The supreme maxim in scientific philosophising is this : 
Wherever possible, logical constructions are to be snb- 
stituted for inferred entities. RUSSELL 

1. Das Ziel: Konstitutionssystem der Begriffe 

Das Ziel der vorliegenden Untersuchungen ist die Aufstellung eines 1 
erkenntnismäßig-logischen Systems der Gegenstände oder der Begriffe, 
des „Konstitutionssystems“. Der Ausdruck „Gegenstand“ wird hier 
stets im weitesten Sinne gebraucht, nämlich für alles das, worüber eine 
Aussage gemacht werden kann. Danach zählen wir zu den Gegenstän- 
den nicht nur Dinge, sondern auch Eigenschaften und Beziehungen, 
Klassen und Relationen, Zustände und Vorgänge, ferner Wirkliches 
und Unwirkliches. 

Das Konstitutionssystem stellt sich nicht nur, wie andere Begriffs- 
systeme, die Aufgabe, die Begriffe in verschiedene Arten einzuteilen 
und die Unterschiede und gegenseitigen Beziehungen dieser Arten zu 
untersuchen. Sondern die Begriffe sollen aus gewissen Grundbegriffen 
stufenweise abgeleitet, „konstituiert“ werden,.so daß sich ein Stamm- 
baum der Begriffe ergibt, in dem jeder Begriff seinen bestimmten 
Platz findet. Daß eine solche Ableitung aller Begriffe aus einigen wenigen 
Grundbegriffen möglich ist, ist die Hauptthese der Konstitutions- 
theorie, durch die sie sich am meisten von anderen Gegenstands theorien 
unterscheidet. 

2. Was heißt „konstituieren“? 

Um den Sinn unseres Zieles, des „Konstitutionssystems“, deutlicher 2 
angeben zu können, seien gleich hier einige wichtige Begriffe der Kon- 
stitutionstheorie erläutert. Ein Gegenstand (oder Begriff) heißt auf 
einen oder mehrere andere Gegenstände „zurückführbar“, wenn alle 
Aussagen über ihn sich umformen lassen in Aussagen über diese anderen 
Gegenstände. (Diese Erklärung mit Hilfe des unstrengen Begriffs der 
„Umformung“ genügt einstweilen; die folgenden Beispiele machen sie 


XX 



2 hinreichend deutlich. Die strengen Definitionen der Zurückführbarkeit 
und der Konstitution werden später gegeben (§ 35); sie werden nicht 
auf Aussagen, sondern auf Aussagefunktionen Bezug nehmen). Ist 
a auf b zurückführbar und b auf c, so auch a auf c; die Zurückführ- 
barkeit ist also transitiv. 

BEISPIEL. Alle Brüche sind auf die natürlichen (d. h. positiven, ganzen) Zahlen 
zurückführbar; denn alle Aussagen über Brüche lassen sich umformen in Aussagen 
über natürliche Zahlen. So ist z. B. % auf 3 und 7 zurückführbar, 2 / 6 auf 2 und 5; 
und die Aussage „*/ 7 > 2 / 6 “ heißt, umgeformt als Aussage über natürliche Zahlen : 
„für beliebige natürliche Zahlen x und y ist 3X > 2y, wenn 7X = 5y“. 

Ferner sind alle reellenZahlen, auch die irrationalen, auf Brüche zurückführbar. 
Schließlich sind alle Gebilde der Arithmetik und Analysis auf natürliche 
Zahlen zurückführbar. 

Ist ein Gegenstand a auf die Gegenstände b, c zurückführbar, so 
sind nach der angegebenen Erklärung die Aussagen über a umformbar 
in Aussagen über b und c. „a auf b, c zurückführen“ oder „a aus b, c 
konstituieren“ soll bedeuten: eine allgemeine Regel aufstellen, die 
angibt, in welcher Weise man in jedem einzelnen Falle eine Aussage 
über a umformen muß, um eine Aussage über b, c zu erhalten. Diese 
Übersetzungsregel nennen wir „Konstitutionsregel“ oder „konstitu- 
tionale Definition“ (da sie die Form einer Definition hat, s. § 38). 

Unter einem „Konstitutionssystem“ verstehen wir eine stufen- 
weise Ordnung der Gegenstände derart, daß die Gegenstände einer jeden 
Stufe aus denen der niederen Stufen konstituiert werden. Wegen der 
Transitivität der Zurückführbarkeit werden dadurch indirekt alle 
Gegenstände des Konstitutionssystems aus den Gegenständen der ersten 
Stufe konstituier tj diese „Grundgegenstände“ bilden die „Basis“ 
des Systems. 

BEISPIEL. Ein Konstitutionssystem der arithmetischen Begriffe könnte 
z. B. dadurch aufgestellt werden, daß alle arithmetischen Begriffe schrittweise (in 
Kettendefinitionen) aus den Grundbegriffen der natürlichen Zahlen und des unmittel- 
baren Nachfolgers abgeleitet, „konstituiert“ werden. 

Die Axiomatisierung einer Theorie besteht darin, daß sämt- 
liche Aussagen der Theorie in ein Deduktionssystem eingeordnet wer- 
den, dessen Basis die Axiome bilden, und daß sämtliche Begriffe der 
Theorie in ein Konstitutionssystem eingeordnet werden, dessen Basis 
die Grundbegriffe bilden. Die Methodik dieser zweiten Aufgabe, der 
systematischen Konstitution der Begriffe, hat bisher gegenüber der 
ersten Aufgabe, der Deduktion der Aussagen aus den Axiomen, weniger 
Beachtung gefunden. Sie soll hier behandelt und auf das Begriffssystem 
der Wissenschaft, der einen Gesamtwissenschaft, angewendet werden. 
Nur wenn es gelingt, ein solches Einheitssystem aller Begriffe 


2 


aufzubauen, ist es möglich, den Zerfall der Gesamtwissenschaft 2 
in die einzelnen, beziehungslos nebeneinander stehenden Teilwissen- 
schaften zu überwinden. 

Obwohl der subjektive Ausgangspunkt aller Erkenntnis in den Er- 
lebnisinhalten und ihren Verflechtungen liegt, ist es doch möglich, wie 
der Aufbau des Konstitutionssystems zeigen soll, zu einer intersubjek- 
tiven, objektiven Welt zu gelangen, die begrifflich erfaßbar ist und 
zwar als eine identische für alle Subjekte. 

3. Der Weg: Wirklichkeitsanalyse mit Hilfe der 
Relationstheorie 

Die vorliegenden konstitutionstheoretischen Untersuchungen sind 3 
ihrer Methode nach hauptsächlich dadurch gekennzeichnet, daß in 
ihnen versucht wird, zwei bestimmte Wissenschaftszweige für einander 
fruchtbar zu machen, die bisher getrennt behandelt und auch schon 
weit gefordert worden sind, aber nach der hier vertretenen Auffassung 
nur vereint einen wesentlichen weiteren Fortschritt machen können. 
Die Logistik (symbolische Logik) ist durch Russell und Whitehead 
soweit ausgebaut worden, daß eine Relationstheorie vorliegt, die 
fast alle Probleme der reinen Ordnungslehre ohne weiteres zu behandeln 
gestattet. Andererseits ist die Zurückführung der „Wirklichkeit“ 
auf das „Gegebene“ in neuerer Zeit z. B. durch Avenarius, Mach, 
Poincare, Külpe und vor allem durch Ziehen und Driesch (um nur 
einige Namen zu nennen) gefordert und teilweise verwirklicht worden. 
Hier soll nun jene Relationstheorie auf diese Aufgabe der Wir k- 
Hchkeitsanalyse angewendet werden, um die logischen Form- 
bedingungen eines konstitutionalen Begriffesystems zu formulieren, die 
Basis des Systems schärfer zu fassen und zu versuchen, die Möglich- 
keit des Aufbaus des Systems auf dieser Basis und im Rahmen jener 
logischen Formen durch Darstellung des Systems (teilweise nur in gro- 
ben Umrissen) darzutun. 

LITERATUR. Die Grundgedanken der Relationstheorie gehen zurück auf die 
Leibniz sehen Ideen einer „tnathesis umversalis“ und einer »ars combinatoria j 
die Anwendung der Relationstheorie für den Aufbau des Konstitutionssystems berührt 
sich mit der Leibnizschen Idee einer „characteristica umversalis“ und einer „scientia 
generalis“. 

Logistik. Das umfassendste System der Logistik ist das von Whitehead und 
Russell. Es ist gegenwärtig das einzige, das eine ausgebautc Rclationstheorie enthält 
und daher das einzige, das als methodisches Hilfsmittel der Konstitutionstheorie in 
Betracht kommt. Es beruht auf den Vorarbeiten von Frege, Schröder, Peano u. a. 
Es ist im Ganzen dargestellt in [Princ. Math.]; einen Abriß des Systems mit An- 
wendungen gibt Carnap [Logistik]. Erläuterungen der Begriffe (ohne Symbolik): 


3 


Russell [Principles], [Math. Phil.], Dubislav [Wörterbuch]; mit anderer Symbolik: 

3 Behmann [Math.]. Eine geschichtliche Übersicht mit reichlichen Literaturangaben 

(bis 1917): Lewis [Survey]. , 

Angewandte Relationstheorie. Projekte zur Anwendung der Relations- 
theorie auf nichtlogische Gegenstände geben Whitehead und Russell (aber noch ohne 
logistische Durchführung): Whiteheads „Theorie der Ausdehnungsabstraktion« und 
Theorie der Vorgänge“ in [Space], [Nat. Knowledge], [Nature]; Russells Aufbau 
der Außenwelt in [Extemal W.], [Const. Matter], [Sense-Data]. In der Durchführung 
weicht die Konstitutionstheorie erheblich von Russell ab; sein methodisches Prinzip 
hegt jedoch auch ihr zugrunde: „die oberste Regel wissenschaftlichen Philosophierens 
lautet- wo immer es möglich ist, müssen an die Stelle erschlossener Wesenheiten 
logische Konstruktionen treten“ [Sense-Data] 155 • Dieses Prinzip soll hier noch 
radikaler als bei Russell angewendet werden (z. B. durch die Wahl der eigenpsychischen 
Basis (§ 64), in der Konstitution des Nichtgesehenen aus dem Gesehenen (§ 124) und 
in der Konstitution des Freradpsychischen (§ 140). Carnap [Logistik] Teil II enthält 
Beispiele der Anwendung der Relationstheorie auf verschiedene Gebiete (Mengen- 
lehre, Geometrie, Physik, Verwandtschaftslehre, Erkenntnisanalyse, Sprachanalyse). 

Konstitutionstheorie. Die wichtigsten Anregungen für die Lösung des 
Problems, wie die Wissens chaftiichen Begriffe auf das „Gegebene“ zurückzuführen smd, 
haben Mach und Avenarius gegeben. In der Gegenwart liegen drei verschiedene 
Versuche zu einem Begriffssystem vor: Ziehen [Erkth.], Driesch [Ordnungsl.] 
Dubislav [Wörterbuch]; sie haben jedoch keinerlei Zusammenhang miteinander. 
Nur der Versuch von Dubislav hat die Form eines Konstitutionssystems, indem 
Kettendefinitionen angegeben werden. Übereinstimmungen unseres Systems mit 
den genannten Systemen liegen an einzelnen Punkten vor und sollen dort angegeben 
werden; im Ganzen jedoch besteht ein wesentlicher Unterschied durch die hier ver- 
wendeten methodischen Hilfsmittel. . 

Berührungspunkte liegen ferner auch vor mit dem von Husserl als „mathesis 
der Erlebnisse“ angedeuteten Ziel [Phänomenol.] 141, und mit der Meinongschen 
Gegenstandstheorie. Entfernter stehen die klassifizierenden Begriffs- oder Wissen- 
schaftssysteme (z. B. die von Ostwald, Wundt, Kttlpe, Tillich), da diese keine Ab- 
leitung der Begriffe auseinander geben. 

4. Die Einheit des Gegenstandsgebietes 

4 Wenn ein Konstitutionssystem der Begriffe oder der Gegenstände 
(es kann in diesem und in jenem Sinne aufgefaßt werden, vgl. § 5) m 
der angedeuteten Art möglich ist, so folgt daraus: die Gegenstände 
zerfallen nicht in verschiedene, unzusammenhängende Gebiete, sondern 
es gibt nur ein Gebiet von Gegenständen und daher nur eine 
Wissenschaft. Trotzdem können freilich verschiedene Gegenstands- 
arten unterschieden werden, die charakterisiert sind durch die Zu- 
gehörigkeit zu verschiedenen Stufen des Könstitutionssystems und durch 
die verschiedene Konstitutionsform bei Gebilden gleicher Stufe. Später 
(in Abschnitt III A) werden wir zeigen, daß die Stufenformen, in denen 
sich die Konstitution der höheren Gebilde aus den Elementen vollzieht, 
nicht summative Verbindung, sondern „logischen Komplex“ bedeuten. 


4 


Der Gegenstand „Staat“ wird z. B. im Konstitutionssystem aus psychi- i 
sehen Vorgängen zu konstituieren sein; das bedeutet aber nicht etwa, 
daß er eine Summe psychischer Vorgänge sei. Wir werden zwischen 
„Ganzem“ und „logischem Komplex“ unterscheiden: das Ganze ist 
aus seinen Elementen zusammengesetzt, sie sind Teile von ihm; ein 
selbständiger logischer Komplex hat nicht dieses Verhältnis zu seinen 
Elementen, sondern ist dadurch charakterisiert, daß alle Aussagen über 
ihn umgeformt werden können in Aussagen über seine Elemente. 

BEISPIEL. Ein Gleichnis für die Einheit der Gegenstände und die Vielheit 
verschiedener Gebilde bietet die synthetische Geometrie. Sie geht von Punkten, 
Geraden und Ebenen als Elementen aus und konstituiert die höheren Gebilde als 
Komplexe dieser Elemente. Diese Konstitution geschieht in verschiedenen Stufen 
und die Gebilde verschiedener Stufen unterscheiden sich wesentlich von einander. 
Dabei sind aber alle Aussagen über diese Gebilde im Grunde Aussagen über die Ele- 
mente. Also auch hier verschiedene Gegenstands arten und trotzdem ein einheitliches 
Gegenstandsgebiet, aus dem alle hervorgehen. 

5. Begriff und Gegenstand 

Da wir den Ausdruck „Gegenstand“ hier stets im weitesten Sinne 
verwenden (§ 1), so gehört zu jedem Begriff ein und nur ein Gegenstand, 
„sein Gegenstand“ (nicht zu verwechseln mit den Gegenständen, die 
unter den Begriff fallen). Wir sprechen daher auch bei Allgemein- 
begriffen von ihrem „Gegenstand“, weil uns, im Gegensatz zur bis- 
herigen Begriffslehre, die Allgemeinheit eines Begriffes als relativ und 
damit die Grenze zwischen Allgemeinbegriffen und Individualbegriffen 
als je nach dem Gesichtspunkt verschiebbar erscheint (s. § 158). Ob 
ein bestimmtes Gegenstandszeichen den Begriff oder den Gegenstand 
bedeutet, ob ein Satz für Begriffe oder für Gegenstände gilt, das be- 
deutet keinen logischen Unterschied, sondern höchstens einen psycho- 
logischen, nämlich einen Unterschied der repräsentierenden Vor- 
stellungen. Es handelt sich im Grunde gar nicht um zwei verschiedene 
Auffassungen, sondern nur um zwei verschiedene Sprechweisen der 
Interpretation. Wir sprechen deshalb in der Konstitutionstheorie zu- 
I weilen von konstituierten Gegenständen, zuweilen von konstituierten 
Begriffen, ohne einen wesentlichen Unterschied zu machen. 

Diese beiden parallelen Sprachen, die von Gegenständen und von 
Begriffen sprechen und doch dasselbe aussagen, sind im Grunde die 
Sprachen des Realismus und des Idealismus. Werden die kon- 
stituierten Gebilde „vom Denken erzeugt“, wie die Marburger Schule 
lehrt, oder vom Denken „nur erkannt“, wie der Realismus behauptet? 
Die Konstitutionstheorie verwendet eine neutrale Sprache; nach ihr 
werden die Gebilde weder „erzeugt“ noch „erkannt“, sondern „kon- 


5 


5 stituiert“; und es sei schon jetzt nachdrücklich betont, daß dieses 
Wort „konstituieren“ hier stets völlig neutral gemeint ist. Vom Ge- 
sichtspunkt der Konstitutionstheorie aus ist daher der Streit, ob „er- 
zeugt“ oder „erkannt“ wird, ein müßiger Sprachstreit. 

Wir können aber (ohne das hier zu begründen) noch weiter gehen und geradezu 
sagen, daß der Begriff und sein Gegenstand dasselbe sind. Diese Identität bedeutet 
jedoch keine Substantialisierung des Begriffs, sondern eher umgekehrt eine „Funk- 
tionalisierung“ des Gegenstandes. 


6 



B. PLAN DER UNTERSUCHUNGEN 
6. Die vorbereitenden Erörterungen (Abschnitt II) 

Der zweite Abschnitt dient zur Vorbereitung der Konstitutions- 6 
theorie. Seine Erörterungen setzen also die Grundauffassung dieser 
Theorie von der Möglichkeit des einheitlichen Konstitutionssystems 
nicht voraus, sondern klären nur die wissenschaftliche oder genauer etwa 
gegenstandstheoretische Lage, wie sie heute vorliegt. 

Im ersten Teil des Abschnittes wird der wichtige Begriff der Struk- 
tur (im Sinne des r ei n Formalen einer Relation) erklärt und seine grund- 
legende Bedeutung für die Wissenschaft aufzuweisen versucht: es wird 
gezeigt, daß es grundsätzlich möglich ist, alle Gegenstände durch 
bloß strukturelle Eigenschaften (also gewisse formal-logische Eigen- 
schaften von Relationen oder Relationsgefugen) zu kennzeichnen und 
daher alle wissenschaftlichen Aussagen in reine Strukturaus- 
sagen umzuformen. 

Im zweiten Teil werden die wichtigsten Gegenstands arten, be- 
sonders die Arten des Physischen, des Psychischen und des Geistigen, 
nach ihren Merkmalen, Unterschieden und gegenseitigen Be- 
ziehungen kurz erörtert, und zwar nicht vom Gesichtspunkt und in 
der Sprache der Konstitutionstheorie, sondern in der üblichen Auf- 
fassung und in der (realistischen) Sprache der empirischen Wissen- 
schaften. Hierdurch erhalten wir in gewissem Sinne einen Überblick 
über das Material, das für den Bau des Konstitutionssystems dienen 
soll; und damit ergibt sich als Aufgabe dieses Systems nach der mate- 
rialen Seite hin die Forderung, all diesem aufgewiesenen Material 
einen Platz im System zuzuweisen. 

7. Die Farmprobleme des Konstitutionssystems 
(Abschn. III) 

Mit dem III. Abschnitt beginnt die Darstellung der Konstitutions- 7 
theorie. Im ersten Teil (A) wird der Begriff der Konstitution genauer 
erörtert und besonders sein Unterschied gegenüber der summativen 
Verbindung hervorgehoben. Es wird gezeigt, daß die Konstitution eines 
Gegenstandes in der logischen Form der Definition gegeben werden 
muß; und zwar wird jeder zu konstituierende Gegenstand durch seine 


7 


7 konstitutionale Definition entweder als Klasse oder als Relation ein- 
geführt. Durch jeden Schritt innerhalb des Konstitutionssystems wird 
also eine dieser beiden Formen gebildet. Klasse und Relation sind 
die „Stufenformen“ des Konstitutionssystems; weitere sind nicht 
erforderlich. 

T m zweiten Teil (B) werden logische und sachliche Untersuchungen 
über die „Gegenstandsformen“ und die „Systemform“ des Kon- 
stitutionssystems angestellt. Unter der Gegenstandsform eines kon- 
stituierten Gegenstandes wird die Reihe von Konstitutionsschritten ver- 
standen, die von den Grundgegenständen bis zu ihm führen. Es wird 
hier allgemein, noch nicht für die einzelnen, besonderen Gegenstände 
und Gegenstandsarten, gezeigt, wie die Gegenstandsform sich gewinnen 
läßt aus den realwissenschaftlichen Erkenntnissen über den betreffenden 
Gegenstand, insbesondere über seine Kennzeichen. Unter der „System- 
form“ wird die Gesamtform des Systems verstanden, im Sinne der An- 
ordnung der einzelnen Systemschritte und der durch sie konstituierten 
Gegenstände. Unter den verschiedenen, logisch und sachlich möglichen 
Systemformen wird eine bestimmte ausgewählt, weil sie das erkenntnis- 
mäßige Verhältnis der Gegenstände zueinander am besten darstellt. 

Im dritten Teil (C) wird das Problem der „B asis“ des Konstitutions- 
systems behandelt, d. h. der Grundgegenstände zweier wesentlich ver- 
schiedener Arten: nämlich der „Grundelemente“ und der „Grund- 
relationen“, die die ersten Ordnungssetzungen zwischen den Grund- 
elementen bedeuten. Als Grundelemente des Systems werden „meine 
Erlebnisse“ gewählt (genauer: die zunächst namen- und beschaffen- 
heitslosen, erst später nach gewissen Konstitutionen so bezeichneten 
Relationsterme). Es wird also die Systemform mit „eigenpsychischer 
Basis“ gewählt. Dann wird gezeigt, wie es möglich ist, diese Grund- 
elemente als unzerlegbare Einheiten aufzufassen, und trotzdem durch 
ein eigentlich synthetisches, aber die Sprachform einer Analyse an- 
nehmendes Verfahren (die „Quasianalyse“) diejenigen Gegenstände zu 
konstituieren, die dann später „Merkmale“ oder „Bestandteile der 
Erlebnisse heißen. 

Die eigentlichen Grundbegriffe des Konstitutionssystems, also 
diejenigen Begriffe, auf die alle Begriffe der Wissenschaft zurückgeführt 
werden sollen, sind jedoch nicht die Grundelemente, sondern die 
Grundrelationen. Das entspricht einer grundsätzlichen Auffassung 
der Konstitutionstheorie, daß nämlich ein Beziehungsgefüge seinen 
Gliedern gegenüber primär ist. Für die Auswahl der Grund- 
relationen des Konstitutionssystems werden sachliche Untersuchungen 
angestellt, die die unteren Stufen des Systems schon vorbereiten, indem 


8 


sie die Frage behandeln, in welcher Reihenfolge und in welcher Art die 7 
Gegenstände der unteren Stufen konstituiert werden könnten und welche 
Grundrelationen dazu erforderlich wären. Als Ergebnis findet sich, daß 
jedenfalls eine sehr kleine Anzahl von Grundrelationen, vielleicht sogar 
eine einzige, ausreicht. 

Im vierten Teil (D) wird erläutert, in welcher Weise und zu welchem 
Zwecke die Konstitutionen des Systementwurfs (im darauffolgenden 
Abschnitt IV) in vier Sprachen gegeben werden sollen: in der eigent- 
lichen Systemsprache, nämlich der logistischen; ferner in drei Über- 
setzungen, die das Verständnis der einzelnen Konstitutionen und die 
Nachprüfung der Erfüllung gewisser formaler Forderungen erleichtern 
sollen. Diese drei Übersetzungen bestehen in einer Wiedergabe der 
konstitutionalen Definition in Wortsprache; in einer Umformung der 
Definition in eine Sachverhaltsangabe in realistischer Sprache; und in 
einer Umformung der Definition in eine Operationsvorschrift („kon- 
struktive Sprache“) auf Grund gewisser Fiktionen, die eine An- 
schauungshilfe geben sollen. 

8. Der Entwurf eines Konstitutionssystems (Abschn. IV) 

Im vierten Abschnitt kommen die Ergebnisse der vorhergegangenen 8 
Untersuchungen zur praktischen Anwendung: es wird der Entwurf 
eines Konstitutionssystems in den Hauptzügen dargestellt Die 
unteren Stufen des Systems werden ausführlich angegeben (Teil A), 
indem die einzelnen Konstitutionen in symbolischer Form dargestellt 
und in die drei Hilfssprachen übersetzt werden (vgl. § 7)- Dieser Teil 
des Systems wird nicht deshalb so ausführlich dargestellt, weil er etwa 
schon seinem Inhalte nach feststände. Es soff damit nur ein möglichst 
deutliches Beispiel für den Sinn der ganzen Untersuchungen gegeben 
und darüber hinaus auch eine erste Vorarbeit für das Problem der 
zweckmäßigsten Gestaltung der unteren Stufen geleistet werden. In 
diesem Teil werden, unter Zugrundelegung nur einer Grundrelation, 
unter anderem die Sinnesqualitäten, die Sinnesgebiete, der Gesichts- 
sinn, die räumliche Ordnung des Sehfeldes, die qualitative Ordnung des 
Farbkörpers und eine vorläufige Zeitordnung konstituiert. 

Im zweiten Teil (B) werden die Konstitutionen nur mehr m Wort- 
sprache und nicht mehr mit der vorherigen Genauigkeit angegeben, je- 
doch die einzelnen Stufen noch deutlich beschrieben. Hier wird die 
Raum-Zeit-Weit und in ihr die Sehdinge konstituiert; ferner „mein 
Leib“ als eins dieser Sehdinge, die übrigen Sinne (neben dem Gesichts- 
sinn) und die sonstigen „eigenpsychischen“ Gebilde, Komponenten und 
Zustände. Die Seh-Welt wird mit Hilfe der übrigen Sinne zur Wahr- 



9 


8 nehmungswelt vervollständigt und dieser die physikalische Welt, die 
es nicht mehr mit Sinnesqualitäten zu tun hat, gegenübergestellt. 

Im dritten Teil (C) werden die weiteren Konstitutionen nur soweit 
in groben Zügen angedeutet, als es erforderlich ist, um die Möglichkeit 
ihrer Durchführung erkennen zu lassen. Die Konstitution des „Fremd- 
psychischen” auf Grund der „anderen Menschen“ (als physischer 
Dinge) mit Hilfe der Ausdrucksbeziehung; die Konstitution der „Welt 
des Andern“ und der „inter subjektiven Welt“; schließlich die der 
geistigen Gegenstände und der Werte werden so in Kürze umrissen. 

9. DieKlärung einigerphilosophischer Probleme (Abschn. V) 

9 Im fünften Abschnitt wird an einigen der herkömmlichen philo- 
sophischen Probleme gezeigt, wie die Konstitutionstheorie zur Klärung 
der Problemsituation verwertet werden kann, soweit diese Situation sich 
innerhalb des Gebietes der (rationalen) Wissenschaft befindet. Die be- 
handelten Probleme sollen dabei nur als Beispiele zur Methode 
dienen, ohne daß ausführlicher auf sie eingegangen wird. 

Zunächst (Teil A) werden einige Wesensprobleme behandelt, be- 
sonders die Probleme der Identität, des Dualismus von Phy- 
sischem und Psychischem, der Intentionalität und der Kau- 
salität. 

In Teil B wird versucht, eine Klärung der Problemsituation der 
psychophysischen Parallelität zu geben. 

Darauf wird (C, D) das Wirklichkeitsproblem erörtert. Es wird 
gezeigt, daß die Konstitutionstheorie die gemeinsame Basis der philo- 
sophischen Richtungen ist, die eine Antwort auf dieses Problem geben 
wollen: des Realismus, des Idealismus und des Phänomenalismus, und 
daß diese Richtungen erst jenseits der Konstitutionstheorie, im Ge- 
biete des Metaphysischen, divergieren. 

Im letzten Teil (E) werden Aufgabe und Grenzen der Wissen- 
schaft erörtert und ihre deutliche Trennung von der Metaphysik 
verlangt. 



II. VORBEREITENDE ERÖRTERUNGEN 


A. ÜBER DIE FORM WISSENSCHAFTLICHER AUSSAGEN 


10. Eigenschaftsbeschreibung und Beziehungs- 
beschreibuüg 


Es soll im Folgenden die These vertreten und in den weiteren Unter- 10 
suchungen begründet werden, daß die Wissenschaft nur die S truk- 
tureigenschaften der Gegenstände behandelt. Zunächst soll 
der Begriff der Struktur definiert werden. Zur Begründung der These 
folgen dann Untersuchungen über die Möglichkeit und Bedeutung 
struktureller Kennzeichnungen. Der eigentliche Nachweis der These 
liegt aber erst in dem Nachweis der Möglichkeit eines formalen und 
doch (grundsätzlich, wenn auch nicht praktisch) alle Gegenstände ent- 
haltenden Konstitutionssystems. Diesen Nachweis zu erbringen, soll 
der später (in Abschn. IV) dargestellte Entwurf eines Konstitutions- 
systems versuchen. „ 

Um den für die Konstitutionstheorie grundlegenden Begriö der 

Struktur zu entwickeln, gehen wir von dem Unterschied zweier Arten 
der Beschreibung der Gegenstände irgendeines Gebietes aus. Wir be- 
zeichnen diese Arten als Eigenschaftsbeschreibung und Beziehungs- 
beschreibung. Die Eigenschaftsbeschreibung gibt an, welche 
Eigenschaften den einzelnen Gegenständen des Gebietes zukommen, 
die Beziehungsbeschreibung gibt an, welche Beziehungen zwischen 
den Gegenständen bestehen, ohne über die einzelnen Gegenstände für 
sich etwas auszusagen. Die Eigenschaftsbeschreibung macht also indi- 
viduelle, in gewissem Sinne absolute Angaben, die Beziehungsbeschrei- 


bung relative Angaben. 

BEISPIELE. Eine Eigenschaftsbeschreibung sieht etwa so aus: zu dem 
Gebiet gehören die Gegenstände a, b, c; alle drei sind Menschen, a ist 20 Jahre alt 
und groß, b 21 Jahre alt, klein und dünn, c ist dick. Eine Beziehungsbeschrei- 
bung sieht etwa so aus : zu dem Gebiet gehören die Gegenstände a, b, Ci a ist Vater 
von b, b Mutter von c, c Sohn von b, a ist 60 Jahre älter als c. 

So mannigfaltige Form auch jede der beiden Beschreibungsarten an- 
nehmen mag, so sind sie selbst doch grundsätzlich voneinander ver- 


11 


10 


io auf Beziehungen geschlossen werden (im ersten Beispiel: b ist ein Jahr 
älter als a) und auch umgekehrt aus der Beziehungsbeschreibung auf 
Eigenschaften der Gegenstände (im zweiten Beispiel: a und c sind 
männlich, b ist weiblich); aber das Erschlossene ist dann nicht gleich- 
bedeutend (äquivalent) mit dem Gegebenen, sondern inhaltsarmer : der 
Schluß kann nicht rückwärts gemacht werden. So bleibt der grund- 
sätzliche Unterschied bestehen. Häufig treten die beiden Arten auch 
gemischt auf. 

BEISPIELE. Eigenschaftsbeschreibungen: Beschreibung der Menge der 
Kegelschnitte durch Angabe der Merkmale der einzelnen. Beschreibung einer Kurve 
durch Angabe der Koordinatengleichung, also der Ordinate des zu jeder einzelnen 
Abszisse gehörigen Punktes. Zeittafel historischer Personen mit Angabe von Geburts- 
und Todesjahr einer jeden. 

Beziehungsbe Schreibungen: Beschreibung einer aus Punkten und Geraden 
bestehenden geometrischen Figur durch Angabe der Inzidenzverhältmsse. Beschrei- 
bung einer Kurve durch Angabe ihrer natürlichen Gleichung, also der Lagebezeihung 
jedes Linienelementes zur Menge der vorhergehenden. Beschreibung einer Personen- 
menge durch einen Stammbahm, also durch Angabe der Verwandtschaftsbeziehungen, 
die jede Person zu den anderen hat. 

Der Unterschied zwischen den beiden Beschreibungsarten wird hier 
deshalb so stark betont, weil die Auffassung vertreten werden soll, daß 
die beiden Arten nicht gleichwertig nebeneinander stehen. Die Be- 
ziehungsbeschreibung steht am Beginn des ganzen Konstitutions- 
systems und bildet damit die Basis der Gesamtwissenschaft. Ferner 
ist das Ziel jeder wissenschaftlichen Theorie, ihrem Inhalt nach zu einer 
reinen Beziehungsbeschreibung zu werden. Diese kann dann freilich — 
und das wird häufig zweckmäßig sein — - die sprachliche Form einer 
Eigenschaftsbeschreibung annehmen, die sich aber von den echten 
Eigenschaftsbeschreibungen dadurch unterscheidet, daß sie bei Be- 
darf in jedem ihrer Teile verlustfrei in eine Beziehungsbeschreibung 
umgeformt werden kann. Die Eigenschaftsbeschreibung spielt in 
der Wissenschaft entweder diese Rolle der bequemeren Form der 
Beziehungsbeschreibung, oder sie zeigt dort, wo die Umformung 
noch nicht möglich ist, einen vorläufigen Zustand der betreffenden 
Theorie an. 

BEISPIEL. Bei der Verwendung von Farbnamen („blau“, „rot“ usw.) in der 
Physik liegt offenbar eine Eigenschaftsbeschreibung vor. Gegenwärtig bedeutet diese 
Beschreibungsart nur eine sprachliche Vereinfachung, da die Schwingung stheorie zu- 
grunde liegt und die Farbnamen in Ausdrücke dieser Theorie (nämlich in Schwingungs- 
zahlen) übersetzt werden können. Früher dagegen zeigte diese Eigenschaftsbeschrei- 
bung den unvollkommenen Charakter der Lichttheorie dadurch an, daß sie nicht in 
eine Beziehungsbeschreibung umformbar war. 



ii. Der Begriff der Struktur 

Eine besondere Art von Beziehungsbeschreibungen bezeichnen wir ii 
als Strukturbeschreibungen. Diese lassen nicht nur, wie jede Be- 
ziehungsbeschreibung, die Eigenschaften der einzelnen Glieder des Be- 
reiches ungenannt, sondern auch noch die Beziehungen selbst, die 
zwischen diesen Gliedern bestehen. In einer Strukturbeschreibung wird 
nur die „Struktur“ der Beziehungen angegeben, d. h. ein Inbegriff 
aller ihrer formalen Eigenschaften (die genauere Definition der Struk- 
tur wird nachher gegeben). Unter den formalen Eigenschaften einer 
Beziehung verstehen wir solche, die sich ohne Bezugnahme auf den 
inhaltlichen Sinn der Beziehung und auf die Art der Gegenstände, 
zwischen denen sie besteht, formulieren lassen. Sie bilden den Gegen- 
stand der Relationstheorie. Die formalen Eigenschaften einer Be- 
ziehung lassen sich ausschließlich mit Hilfe logistischer Zeichen de- 
finieren, schließlich also mit Hilfe der wenigen Grundzeichen, die die 
Basis der Logistik (symbolischen Logik) bilden; (es sind also nicht 
spezifisch relationstheoretische Zeichen, sondern solche, die die Grund- 
lage für den Aufbau der ganzen Logik — Aussagentheorie, Theorie 
der Aussagefunktionen (Begriffe), Klassentheorie und Relationstheorie 
— bilden). 

Einige der wichtigsten formalen Eigenschaften seien aufgeführt. 

Eine Beziehung heißt symmetrisch, wenn sie mit ihrer Konversen (Umkehrung) 
identisch ist (z. B. Gleichaltrigkeit), andernfalls nicht-symmetrisch (z.B. Bruder); 
eine nicht-symmetrische Beziehung heißt asymmetrisch, wenn sie ihre Konverse 
ausschließt (z. B. Vater). Eine Beziehung heißt reflexiv, wenn sie bei Identität 
(innerhalb ihres Feldes) stets erfüllt ist (z. B. Gleichaltrigkeit), andernfalls nicht- 
reflexiv (z.B. Lehrer); eine nicht-reflexive Beziehung heißt ir reflexiv, wenn sie die 
Identität ausschließt (z. B. Vater). Eine Beziehung heißt transitiv, wenn sie stets 
auch zum übernächsten Glied gilt (z. B. Vorfahre), andernfalls nicht-transitiv (z. B. 
Freund); eine nicht- transitive Beziehung heißt intransitiv, wenn sie nie zum über- 
nächsten Glied gilt (z. B. Vater). Eine Beziehung heißt zusammenhängend, wenn 
zwischen zwei verschiedenen Gliedern ihres Feldes stets entweder sie selbst oder 
ihre Konverse besteht (z. B. für eine Tischgesellschaft von sechs Personen die Be- 
ziehung „ein, zwei oder drei Plätze weiter links“). Eine Beziehung heißt eine Reihe, 
wenn sie irreflexiv und transitiv (daher asymmetrisch) und zusammenhängend ist 
(z. B. „kleiner als“ für relle Zahlen). Eine Beziehung heißt eine „Ähnlich ke i t“, wenn 
sie symmetrisch und reflexiv ist; eine „Gleichheit“, wenn sie außerdem transitiv 
ist (vgl. § 71, 73). 

Andere formale Eigenschaften von Beziehungen sind: Einmehrdeutigkeit, Mehr- 
eindeutigkeit, Eineindeutigkeit, bestimmte Anzahl der Glieder des Feldes, der Glieder 
des Vorbereichs, der Glieder des Nachbereichs, der Anfangsglieder, der Endglieder u. a. 

Um uns anschaulich zu machen, was unter der Struktur der Be- 
ziehungen verstanden werden soll, denken wir uns für jede Beziehung 
die „Pfeilfigur“ gezeichnet: alle Beziehungsglieder werden durch 


12 


13 


3I Punkte dargestellt, von jedem Punkt geht ein Pfeil zu denjenigen an- 
deren Punkten, zu denen der erste in der darzustellenden Beziehung 
steht Ein Doppelpfeil bezeichnet ein Gliederpaar, für das die Be- 
ziehung in beiden Richtungen gilt; ein Rückkehrpfeil bezeichnet ein 
Glied, das die darzustellende Beziehung zu sich selbst hat. Haben 
zwei Beziehungen nun dieselbe Pfeilfigur, so heißen sie „von gleicher 
Struktur“ oder „isomorph“. Die Pfeilfigur ist gewissermaßen die 
symbolische Darstellung der Struktur. Die Pfeilfiguren zweier isomor- 
pher Beziehungen brauchen natürlich nicht kongruent zu sein Wir 
nennen zwei Pfeilfiguren auch gleich, wenn die eine von ihnen durch 
Verzerrung (ohne Zusammenhangsstörung) in die andere ubergefuhrt 
werden kann (topologische Äquivalenz). 

12. Die Strukturbeschreibung 

12 Gleichbedeutend mit der Angabe der (nicht mit Gliedemamen ver- 
sehenen) Pfeilfigur einer Beziehung ist eine in Worten gegebene e- 
schreibung dann, wenn sie alle Paare, für die die Beziehung gilt, auf- 
zählt, aber dabei für die einzelnen Glieder nicht solche Bezeichnungen 
benutzt, die auch außerhalb dieser Aufzählung einen Sinn habe* son- 
dern z B eine für diese Aufzählung erst vorgenommene, willkürliche 
Numerierung. Denn eine solche Aufzählung kann aus der Figur ent- 
nommen werden, enthält also nicht mehr als diese Andererseits laßt 
sich aber auch rückwärts aus der Paaraufzahlung die Pfeilfigur zeich- 
nen. Die Nummernpaarliste gibt daher, wie die Pfeilfigur, die voll- 
ständige Strukturbeschreibung. . . .. 

Haben zwei Beziehungen dieselbe Struktur, so stimmen sie in en 
formalen Eigenschaften überein. Wird also die Struktur einer Beziehung 
angegeben, so sind damit alle formalen Eigenschaften festgelegt. 
Welche formalen Eigenschaften umgekehrt genügen, um die Struktur 
einer bestimmten Beziehung festzulegen, kann mcht allgemein gesagt 
werden; das im einzelnen zu untersuchen, ist Aufgabe der Nation - 
theorie. Die bildliche Darstellung der Struktur durch eine Pfeilfigur 
ist natürlich nur bei endlicher Gliederzahl ausführbar. Die genaue . e- 
finition des Begriffs der Struktur im allgemeinen und die Angabe einer 
einzelnen Struktur muß auch ohne figürliche Hilfe gegeben werden 
können. Doch dürfen wir uns für unseren Zweck ruhig der Veranschau- 
lichung durch die Pfeilfigur bedienen, da diese in allen Fällen, wo sie 
gezeichnet werden kann, die Struktur genau wiedergibt, und alles 
Grundsätzliche auch des allgemeinen Strukturbegriffs sich an ihr fandet. 

Während die Beziehungsbeschreibung im allgemeinen, wie wir 
früher sahen, noch Schlüsse auf individuelle Eigenschaften der Glieder 

14 


möglich macht, ist dies bei einer Strukturbeschreibung nicht mehr 12 
der Fall. Sie bildet die höchste Stufe der Formalisierung und 
Entmaterialisierung. Ist uns eine Pfeilfigur gegeben, die lauter Doppel- 
pfeile enthält, so wissen wir, daß sie die Struktur einer symmetrischen 
Beziehung darstellt; es ist aber nicht zu ersehen, ob es sich etwa um 
Personen und die Beziehung der Bekanntschaft handelt, oder um Ort- 
schaften und die Beziehung der unmittelbaren Fernsprechverbindung 
usw. Die Behauptung unserer These, daß wissenschaftliche Aussagen 
sich nur auf Struktureigenschaften beziehen, würde also bedeuten, daß 
wissenschaftliche Anssagen von bloßen Formen sprechen, 
ohne zu sagen, was die Glieder und die Beziehungen dieser 
Formen sind. Diese Behauptung erscheint zunächst paradox. Daß 
die Mathematik, und zwar nicht nur die Arithmetik und die Analysis, 
sondern auch die Geometrie, nur solche Strukturaussagen macht, ist 
von Whitehead und Russell durch die Ableitung der mathematischen 
Disziplinen aus der Logistik in aller Strenge nachgewiesen worden. 
Dagegen scheint es sich mit den Realwissenschaften völlig anders zu 
verhalten: eine Realwissenschaft muß doch wissen, ob sie von Per- 
sonen oder Dörfern spricht. Hier ist der entscheidende Punkt: die 
Realwissenschaft muß zwar solche verschiedenen Gebilde 
unterscheiden können; das tut sie zunächst meist durch Kenn- 
zeichnung mit Hilfe anderer Gebilde, schließlich aber geschie t 
die Kennzeichnung durch bloße Strukturbeschreibung. Das 
soll im Folgenden näher erörtert werden. 

LITERATUR. Die relationstheoretische Ableitung des Begriffs der Struktur 
(oder der „Relationszahl“) findet sich bei Russell [Princ. Math.] II 303 ff. Russell 
gibt Erläuterungen hierzu ([Math. Phil.] 53 ff-) und Hinweise auf die allgemem-wissen 
schaf tliche und philosophische Wichtigkeit des Begriffs ([Math. Phil.] 61 ff.). Vgl. 
Camap [Logistik] § 22. 

Neuerdings ist mehrfach (im Anschluß an Gedanken von Dilthey, Windelband, 
Rickert) die Forderung nach einer „Logik der Individualität“ erhoben worden, 
d. h. nach einer Methode begrifflicher Bearbeitung, die der Besonderheit in dividuellcr 
Gegebenheiten gerecht wird und nicht versucht, diese durch schrittweise Einengung 
in Gattungsbegriffe (Klassen) zu fassen. Eine solche Methode würde für die Individua - 
rsychologie und für alle Kulturwissenschaften, besonders für die Geschichte, große 
Bedeutung besitzen (vgl. z. B. Freyer [Ob], Geist.] 108 f.). Es sei hier darauf hinge- 
wiesen, daß der relationstheoretische Strukturbegriff eine geeignete Basis für eine solche 
Methode bildet. Die Methode müßte durch Anpassung rclationstheoreuscher Mittel 
an das jeweils zu bearbeitende Gebiet entwickelt werden. Vgl. auch Cassircrs Theorie 
der Relationsbegriffe [Substanzbegr.], bes. 299, und die Beispiele der Anwendung der 
Relationstheorie (aber noch nicht auf kulturelle Gegenstände) in: Camap [Logistik] 

Teil II. 


15 


13* Über Kennzeichnungen 
13 Eine wissenschaftliche Aussage hat nur dann q 

g TT t tr ™ rko “ en 

kann Hierfür grbt es zwei verschiedene Möglichkeiten 

nehmbar gLai“ und* dufch T S h meinte ? genStand wird ™hr- 
Z; B.: „dafdort ist 

bgen Umschreibung, die wir „Kennzeichn“ 2 “enT 
Zeichnung gibt nicht etwa alle Eigenschaften del r 7 K 

daß de/gemein te'oe^“ T kennz «ahnende Eigenschaften, 
g meinte (-Gegenstand anffesichr« c-» . 

gpHSS 

Kennzeichnung etwas kennzeichnet, und was sie kennzeifw, b T 
das Problem derGere 7” TjT’ aIS W " dC durch iede Kennzeichnung 

Äs““ 

grundsätzlich die ^dgd C h^iT^r^e^^ tt ^^^ 0 ^y^^^^ k ^^ w ^ den> 


16 


LITERATUR. Über die Kennzeichnungen (dort „descriptions“ und „Be- 13 
Schreibungen“ genannt, welchen Terminus wir jedoch für andere Zwecke brauchen), 
vgl. RusseU [Princ.Math.] 69 ff., [Math. Phil.], i68ff.; Camap [Logistikl 

§ 7 , 14 - 

14. Beispiel einer rein strukturellen Kennzeichnung 

Wie ist es möglich, innerhalb eines bestimmten Gegenstandsgebietes 14 
alle Gegenstände eindeutig zu kennzeichnen, ohne irgendeinen der 
Gegenstände durch Aufweisung zu bezeichnen und ohne irgendeinen 
Gegenstand außerhalb des Bereiches zu Hilfe zu nehmen? Diese Mög- 
lichkeit kann am leichtesten an einem konkreten Beispiel erkannt wer- 
den, das wir wegen der Wichtigkeit des Allgemeinen, das es erläutern 
soll, ausführlich darstellen wollen. 

BEISPIEL. Wir betrachten die Eisenbahnkarte etwa des europäisch-asia- 
tischen Bahnnetzes. Diese Karte möge nicht maßstabgerecht gezeichnet, sondern 
verzerrt sein, wie es in Kursbüchern üblich ist, oder in beliebigem, noch stärkerem 
Grade. Sie gibt dann nicht die Entfernungen, aber doch die Zusammenhangsver- 
hältnisse des Bahnnetzes richtig wieder, (in geometrischen Ausdrücken:) nicht die 
metrischen, sondern die topologischen Eigenschaften des Netzes. Man hat das Beispiel 
der Balmkarte auch benutzt, tim den Begriff der topologischen Eigenschaften klar zii 
machen; es ist ebenso geeignet zur Verdeutlichung des damit nah verwandten, aber 
allgemeineren, logischen Begriffes der Struktureigenschaften. Wir nehmen nun weiter 
an, daß alle Bahnstationen durch Punkte markiert seien, aber die Karte soll keinen 
Namen enthalten und auch keine anderen Einzeichnungen als die Bahnlinien. Die 
Frage ist nun: können wir durch Anschauen des wirklichen Bahnnetzes feststellen, 
welches die Namen der Punkte unserer Karte sind? An Stelle des wirklichen Bahn- 
netzes, das ja schwierig zu betrachten ist, mag uns auch eine zweite, mit allen Namen 
versehene Karte dienen. Da unsere (erste) Karte viel schlimmer verzerrt sein kann, 
als es die üblichen Kursbuchkarten sind, so wird uns das Suchen nach charakteristischen 
Gestalten, etwa nach der langen sibirischen Linie, nichts helfen. Aber auf einem 
anderen Wege kommen wir weiter. Wir suchen die Knotenpunkte höchster Ordnung 
auf, d. h. solche, in denen die größte Anzahl von Linien zusammenläuft. Von diesen 
gibt es nur eine kleine Anzahl. Angenommen, wir fänden, daß es zwanzig Knoten- 
punkte gibt, von denen je acht Strecken ausgehen. Wenn wir dann bei jedem Punkt 
die Anzahl der Stationen bis zu den nächsten Knotenpunkten auf jeder der achtLinien 
zählen, so werden wohl kaum zwei von diesen zwanzig Punkten in allen acht Zahlen 
übereinstimmen; damit wären dann die zwanzig Punkte identifiziert. Sollten aber doch 
noch zwei oder gar alle zwanzig hierin übereinstimmen, so brauchten wir nur die Ver- 
bindungen der je acht Nachbarknotenpunkte unter einander ins Auge zu fassen: ob 
sie direkte Verbindungen mit einander haben oder nicht, und wieviele Stationen da- 
zwischen liegen, wieviele Strecken von jedem Nachbarknotenpunkt ausgehen usw., 
um ganz gewiß im heutigen, wirklichen Bahnnetz keine Übereinstimmung mehr zu 
finden. Hätten wir es aber mit einem Bahnnetz zu tun, bei dem auch die genannten 
Merkmale noch keine Unterscheidung ergäben, so müßten wir Schritt für Schritt 
weitergehen von den Nachbarknotenpunkten zu ihren Nachbarknotenpunkten usf., 
um immer weitere Charakteristika für die Hauptknotenpunkte zu finden. Wir gehen 
weiter, bis wir solche Charakteristika finden, die nicht mehr übereinstimmen, auch 


17 



wenn wir dabei daa ganze Netz durchmustcm müßten. Ist erst für einen Punkt unserer 
Karte der Name gefunden, so ergeben sich die übrigen leicht, da für die benachbarten 
Punkte immer nur wenige in Betracht kommen. 

Wie nun aber, wenn sich für zwei Knotenpunkte auch nach Durchmusterung des 
ganzen Netzes keine Unterschiede ergäben ? Dann gäbe es eben zwei Punkte gleicher 
$tru frfrirfe <t " n7pir bniing (j,homo tope“ Punkte) in bezug auf die Beziehung benach- 
barter Bahnstationen. Diese Beziehung, so würden wir daraus ersehen, genügt nicht 
zur eindeutigen Kennzeichnung ; wir müßten darauf verzichten, die Gegenstände des 
vorliegenden Gegenstandsgebietes allein durch strukturelle Kennzeichnungen ohne 
Aufweisung zu bezeichnen, oder aber wir müßten noch eine oder mehrere andere Be- 
ziehungen zu Hilfe nehmen. Zunächst würden wir Beziehungen ähnlicher Art 
wählen: Nachbarschaft durch Straßen Verbindung, durch Fernsprechverbindung 
und dergl. Dabei dürften wir aber, um streng innerhalb der Grenzen der Strukturaus- 
sagen zu bleiben, diese Beziehungen nicht mit Namen nennen, sondern sie nur durch 
Angabe der Pfeilfigur ihres Gesamtnetzes bezeichnen. Wir müßten voraussetzen, daß 
sich durch Anschauung der geographischen Wirklichkeit eindeutig ergäbe, daß 
das vorgelegte Netz das der europäisch-asiatischen Straßenverbindungen, das 
der Fernsprechverbindungen usw. wäre. Durch jede dieser weiteren Verbindungen 
würden wir ganz analog, wie anfangs durch die Beziehung der Bahnverbindung, erst 
einzelne und dann alle Punkte zu kennzeichnen suchen. Niemand wird annehmen, 
daß d ann noch zwei Punkte homotop sind in bezug auf alle angewandten Beziehungen. 
Aber da ein solcher Fall doch nur unseren Vorstellungen von der Wirklichkeit wider- 
spricht, aber nicht undenkbar ist, so müssen wir um des grundsätzlichen Problems 
willen weiter fragen: wie steht es mit der eindeutigen Kennzeichnung, wenn alle diese 
Beziehungen noch nicht genügen ? Wir haben bisher nur räumliche Beziehungen ver- 
wendet, weil deren Darstellung im räumlichen S chem a durch Landkarten üblich und 
am leichtesten verständlich ist. Nun können wir aber alle anderen geographischen Be- 
ziehungen noch zu Hilfe nehmen und die Orte durch Einwohnerzahlenverhältnisse 
(nicht durch die Einwohnerzahlen selbst), durch Wirtschaftsvorgänge, klimatische Be- 
ziehungen usw. iii Verbindung setzen. Wenn dann immer noch zwei Glieder des Gegen- 
standsbereiches homotop sind, so haben wir es eben mit zwei geographisch nicht unter- 
scheidbaren Orten zu tun. Gehen wir dann zu einer neuen Art von Beziehungen über 
und berücksichtigen auch ebenso etwa alle historischen Beziehungen zwischen den 
Orten usf., so werden wir schließlich alle realwissenschaftlichen Begriffe, die physischen 
und die kulturellen, benutzt haben. Sollte nun nach Erschöpfung sämtlicher zu Gebote 
stehenden wissenschaftlichen Beziehungen sich noch kein Unterschied zwischen den 
beiden Orten ergeben haben, so sind sie eben nicht nur für die Geographie, sondern 
überhaupt für die Wissenschaft ununterscheidbar. Daß sie subjektiv verschieden sind, 
indem etwa ich mich an dem einen Orte befinde, an dem anderen nicht, bedeutet 
objektiv keine Unterscheidung; an dem anderen Orte wird ja dann ein genau gleich 
beschaffener Mensch sich befinden, der ebenso sagt: ich bin hier und nicht dort. 

15. Die allgemeine Möglichkeit der strukturellen 
Kennzeichnung 

Aus dem dargestellten Beispiel ersehen wir Folgendes. Auf Grund 
einer Stmkturbeschreibung durch eine oder mehrere, nur strukturell 
angegebene Relationen inn erhalb eines bestimmten Gegenstandsgebietes 


iS 


wird, wenn das Gegenstandsgebiet nicht zu eng ist und die Relation 15 
oder die Relationen eine hinreichend mannigfaltige Struktur haben, 
vielfach die Kennzeichnung einzelner Gegenstände durch bloße Struk- 
turaussagen ohne Aufweisung möglich sein. Wo sie noch nicht ein- 
deutig möglich ist, muß das Gebiet erweitert oder noch andere Relatio- 
nen zu Hilfe geno mm en werden. Findet sich auch nach Benutzung aller 
wissenschaftlich verfügbaren Beziehungen kein Unterschied zwischen 
zwei bestimmten Gegenständen eines Gegenstandsgebietes, so sind sie 
für die Wissenschaft völlig gleich, mögen sie auch subjektiv als ver- 
schieden angesehen werden. (Daß die beiden Gegenstände, wenn die ge- 
nannten Voraussetzungen völlig erfüllt wären, nicht nur als gleich, son- 
dern als im strengen Sinne identisch zu gelten hätten, sei nur angedeu- 
tet; auf die Begründung dieser zunächst paradox erscheinenden Be- 
hauptung kann hier nicht eingegangen werden.) Das Ergebnis ist also, 
daß die eindeutige Kennzeichnung durch bloße Struktur- 
angaben allgemein möglich ist, soweit überhaupt wissen- 
schaftliche Unterscheidung möglich ist: jene Kennzeichnung 
versagt nur dann für zwei Gegenstände, wenn sie überhaupt nicht mit 
wissenschaftlichen Mitteln unterscheidbar sind. 

Durch die Methode der strukturellen Kennzeichnung wird es nun 
möglirhj den empirischen Gegenständen eindeutig Zeichen zuzuordnen 
und sie damit der begrifflichen Bearbeitung zugänglich zu machen, 
obwohl andererseits die empirischen Gegenstände überhaupt erst durch 
diese Zeichenzuordnung einzeln bestimmt werden können. In dieser 
Methode liegt somit die Erklärung für die „merkwürdige Tatsache, daß 
wir in der Erkenntnis eine Zuordnung zweier Mengen vollziehen, deren 
eine ... in ihren Elementen erst durch die Zuordnung definiert wird“ 
(Reichenbach [Erk.] 38). 

Die beschriebene, rein strukturelle Kennzeichnung ist verwandt mit der impli- 
ziten Definition, wie sie von Hilbert für seine Axiomatik der Geometrie [Grund- 
lagen] angewandt und von Schlick [Erkenntnisl.] 29ff. in ihrer allgemeinen Methode 
und wissenschaftlichen Bedeutung dargestellt worden ist. Die implizite Definition 
oder Definition durch Axiome besteht darin, daß ein oder mehrere Begriffe dadurch 
genau bestimmt werden, daß man festsetzt, daß gewisse Axiome für sie gelten sollen. 

Von den Axiomen wird nichts weiter verlangt als Widerspruchslosigkeit, eine formal- 
logische Eigenschaft, die durch rein logische Untersuchung geprüft werden kann. Die 
Aussagen, die dann von einem in dieser Weise implizit definierten Gegenstand gemacht 
werden, ergeben sich deduktiv aus den Axiomen, also auch durch rein logisches Ver- 
fahren. Genau genommen ist es nicht ein bestimmter Gegenstand (Begriff), der durch 
die Axiome implizit definiert wird, sondern eine Klasse von solchen oder, wenn man 
so will, ein „unbestimmter Gegenstand“ oder „uneigentlicher Begriff“; vgl. Camap 
[Uneigen tl.]. 

Im Unterschied zur impliziten Definition kennzeichnet (oder definiert) die struk- 

19 


2 * 


T < turelle Kennzeichnung nur einen einzigen Gegenstand, und zwar einen Gegen- 

3 stand eines empirischen, außerlogischen Gebietes (im Beispiel des § 14: im Gebiete 
der Bahnstationen eine einzige Bahnstation). Zur Gültigkeit einer solchen Kennzeich- 
nung ist also nicht nur Widerspruchsfreiheit der kennzeichnenden Strukturaussagen 
erforderlich, sondern darüber hinaus noch die empirischen Tatbestände, daß m dem 
betreffenden Gebiet mindestens ein Gegenstand der gekennzeichneten Art vorhanden 
ist und daß nicht mehr als einer vorhanden ist. Die weiteren Aussagen über den so 
gekennzeichneten Gegenstand sind dann nicht, wie bei dem implizit definierten Gegen- 
stand, sämtlich analytisch, d. h. aus den definierenden Aussagen deduzierbar, sondern 
zum Teil auch synthetisch, nämlich empirische Befunde in dem betreffenden Gegen- 
standsgebiet. 

16. Alle wissenschaftlichen Aussagen sind 
Strukturaussagen 

16 Aus den angestellten Untersuchungen über die strukturelle Kenn- 
zeichnung geht hervor, daß jeder Gegenstandsname, der in einer wissen- 
schaftlichen Aussage vorkommt, grundsätzlich (d. h. wenn die erforder- 
lichen Kenntnisse vorliegen) ersetzt werden kann durch eine strukturelle 
Kennzeichnung des Gegenstandes, verbunden mit der Angabe des 
Gegenstandsgebietes, auf das die Kennzeichnung sich bezieht. Das gilt 
nicht nur für individuelle Gegenstandsnamen, sondern auch für all- 
gemeine, also für Namen von Begriffen, Klassen, Relationen (wie wir 
es im Beispiel des § 14 für die Relationen der Straßenverbindungen 
und der gl. gesehen haben). Somit kann jede wissenschaftliche Aussage 
grundsätzlich umgeformt werden in eine Aussage, die nur Struktur- 
eigenschaften und die Angabe eines oder mehrerer Gegenstandsgebiete 
enthält. Nun besagt eine Grundthese der Konstitutionstheorie (vgl. 

§ 4), deren Nachweis in den folgenden Untersuchungen erbracht werden 
soll, daß es im Grunde nur ein Gegenstandsgebiet gibt, von dessen Ge- 
genständen jede wissenschaftliche Aussage handelt. Damit fällt die 
Notwendigkeit der Angabe des Gegenstandsgebietes in jeder Aussage 
fort, und wir erhalten das Ergebnis, daß jede wissenschaftliche Aus 
sage grundsätzlich so umgeformt werden kann, daß sie nur 
noch eine Strukturaussage ist. Diese Umformung ist aber nicht 
nur möglich, sondern gefordert. Denn die Wissenschaft will vom Ob- 
jektiven sprechen; alles jedoch, was nicht zur Struktur, sondern zum 
Materialen gehört, alles, was konkret aufgewiesen wird, ist letzten 
Endes subjektiv. In der Physik bemerken wir leicht diese Entsubjekti- 
vierung, die schon fast alle physikalischen Begriffe in reine Struktur- 
begriffe übergeführt hat. 

Zunächst sind alle mathematischen Begriffe auf relationstheoretische zurückführ- 
bar; vier dimensionales Tensor- oder Vektorfeld sind Strukturschemata; das Weltlimen- 
geflecht mit den Beziehungen der Koinzidenz und der Eigenzeit ist ein Struktur- 



schema, bei dem nur noch eine oder zwei Beziehungen mit Namen genannt werden, die 16 
aber auch schon durch die Art des Schemas eindeutig bestimmt sind. 

In der Betrachtungsweise der Konstitutionstheorie ist der Sach- 
verhalt in folgender Weise auszudrücken. Die Reihe der Erlebnisse ist 
für jedes Subjekt verschieden. Soll trotzdem Übereinstimmung in der 
Namengebung erzielt werden für die Gebilde, die auf Grund der Er- 
lebnisse konstituiert werden, so kann das nicht durch Bezugnahme auf 
das gänzlich divergierende Materiale geschehen, sondern nur durch for- 
male Kennzeic hnun g der Gebildestrukturen. Freilich bleibt es noch 
ein Problem, wie aus den so ungeheuer verschiedenen Erlebnisreihen 
sich bei Anwendung übereinstimmender formaler Konstitutionsregeln 
Gebilde von einer für alle Subjekte übereinstimmenden Struktur er- 
geben: das Problem der intersubjektiven Wirklichkeit. Das wird spater 
noch zu erörtern sein. Zunächst halten wir fest, daß es für die Wissen- 
schaft möglich und zugleich notwendigist, sich auf Struktur- 
aussagen zu beschränken. Das war die Behauptung unserer These. 
Daß trotzdem die wissenschaftlichen Aussagen die sprachliche Form 
einer materialen Beziehungsbescbreibung oder sogar einer Eigenschafts- 
beschreibung haben können, geht aus den früheren Überlegungen her- 
vor (§ io). 

LITERATUR. Aus ähnlichen Überlegungen wie den hier angestellten heraus ist 
zuweilen die Auffassung vertreten worden, daß nicht das Gegebene selbst, etwa die 
Empfindungen, sondern „allein die Beziehungen zwischen den Empfindungen einen 
objektiven Wert haben können“ (Poincari [Wert] 198). Diese Auffassung geht 
offenbar in die richtige Richtung, bleibt aber einen Schritt zu früh stehen: von den 
Beziehungen müssen wir weitergehen zu den Beziehungsstrukturen, wenn wir zu völlig 
formalisierten Gebilden kommen wollen; die Beziehungen selbst in ihrer qualitativen 
Eigenart sind noch nicht intersubjektiv übertragbar. Erst Ru s s eil ([Math. Phil.] 62 f.) 
hat Hinweise auf die Wichtigkeit der Struktur für die Gewinnung der Objektivität 
gegeben. 


21 


20 


B. ÜBERBLICK ÜBER DIE GEGENSTANDSARTEN UND 
IHRE BEZIEHUNGEN 

17. Die Bedeutung der Gegenstandsarten für die 
Konstitutionstheorie 

17 In diesem Abschnitt (II B) werden keine neuen Untersuchungen an- 
gestellt, sondern nur eine Übersicht über die verschiedenen, selbstän- 
digen Gegenstandsarten nach ihren bekannten, charakteristischen Eigen- 
schaften, und eine Erörterung einiger Beziehungen zwischen diesen 
Arten gegeben, die entweder zur Entstehung metaphysischer Probleme 
Anlaß gegeben haben (wie z. B. die psychophysische Beziehung) oder 
für das logisch-erkenntnismäßige Verhältnis zwischen den Gegenstands- 
arten und damit auch für die Konstitutionsprobleme bedeutungsvoll 
sind (wie z. B. die Ausdrucksbeziehung). 

Das Problem der Gegenstandsarten und ihrer gegenseitigen Beziehun- 
gen ist für die Konstitutionstheorie deshalb so wichtig, weil ihr Ziel 
ein System der Gegenstände ist. Die hier aufzuweisenden Unterschiede 
und Beziehungen und besonders die Verschiedenheit der „Gegenstands- 
sphären“ müssen sich schließlich in dem aufzubauenden System vor- 
weisen lassen. Die Prüfung, die darin liegt, ist besonders bedeutungs- 
voll für unsere Form der Konstitutionstheorie, weil hier die These auf- 
gestellt wird, daß die Begriffe aller Gegenstände aus einer einzigen, 
gemeinsamen Basis abgeleitet werden können 

Die später darzustellende Konstitutionstheorie wird nicht von den 
in diesem Abschnitt darzulegenden Tatbeständen und Problemen aus- 
gehen, sondern den Aufbau ganz von vorn beginnen. Nur auf gewissen 
Stufen des Systemaufbaues wird sie Rücksicht auf gewisse dieser Tat- 
bestände nehmen und für die Beurteilung ihres schließlichen Re- 
sultates diese Tatbestände zum wichtigsten Prüfstein nehmen. An- 
dererseits aber wird sie zu dem Ergebnis kommen, daß die hier zu schil- 
dernde Problemsituation in dem neugebauten System der Gegen- 
stände überhaupt nicht auf tritt; denn diese Situation verdankt ihre 
Verwickeltheit und Schiefheit nicht so sehr der Verwickeltheit der Tat- 
bestände selbst, als vielmehr gewissen traditionellen Begriflfsverwicke- 
lungen, die eher historisch als sachlich zu verstehen sind. (Einwände 



gegen Behauptungen dieses Abschnittes sind daher zweckmäßigerweise 17 
bis zu dem Punkte zurückzustellen, wo diese Behauptungen später beim 
Aufbau verwertet werden.) 

Da somit dieser Ab schnitt in noch höherem Grade als der vorher- 
gegangene (II A) der bloßen Vorbereitung dient, so kann er über- 
schlagen werden, ohne daß die in den späteren Hauptabschnitten 
darzustellende Konstitutionstheorie dadurch ihren Zusammenhang 
verliert; eine Ausnahme bilden einige grundsätzliche Erörterungen: 

§ 20, 22, 25. 

18. Die physischen und die psychischen Gegenstände 

Da die Begriffe des Physischen und des Psychischen hier 18 
im üblichen Sinne genommen werden sollen, werden wir keine ausführ- 
liche Erläuterung oder gar Definition für sie geben, um so mehr als beides 
nach gewisser Seite hin vage und außerdem „logisch unreine“ Begriffe 
sind (§ 29), 

Als Repräsentanten der physischen Gegenstände nehmen wir zu- 
nächst ihre wichtigste Art, die physischen Dinge. Diese sind vor 
allem dadurch gekennzeichnet, daß sie zu einer bestimmten Zeit einen 
bestimmten Raum einnehmen, und zwar ein ausgedehntes Raumstück. 

Ort, Gestalt, Größe und Lage gehören^ damit zu den Bestimmungs- 
stücken eines jeden physischen Dinges. Ferner gehört zu diesen Be- 
stimmungsstücken noch mindestens eine Sinnesqualität, z. B. Farbe, 
Gewicht, Temperatur usw. 

Da wir das Wort „Gegenstand“ hier stets im weitesten Sinne nehmen : 
als etwas, worüber eine Aussage gemacht werden kann, so machen wir 
keinen Unterschied zwischen Vorgängen und Gegenständen. Zu den 
psychischen Gegenständen gehören zunächst die Bewußtseins- 
vorgänge: Wahrnehmungen, Vorstellungen, Gefühle, Gedanken, Wol- 
lungen und dergl. Ferner rechnen wir dazu die unbewußten Vorgänge, 
soweit sie den Bewußtseinsvorgängen analog angenommen werden, 
z. B. unbewußte Vorstellungen. 

Die psychischen Gegenstände stimmen mit den physischen darin 
überein, daß ihnen eine Zeitbestimmung zukommt. Im übrigen 
aber sind sie scharf getrennt von diesen. Ein psychischer Gegenstand 
hat keine Farbe oder sonstige Sinnesqualität; ferner keine räumliche 
Bestimmung. Zu diesen negativen Merkmalen der psychischen Gegen- 
stände kommt als positives Merkmal die Zugehörigkeit zu je einem be- 
stimmten, individuellen Subjekt hinzu. 


22 


23 



zg, Psychophysische Beziehung, Ausdrucksbeziehung 
und Zeichenbeziehung 

Die psychophysische Beziehung besteht zwischen je einem 
psychischen Vorgang und dem „entsprechenden“ oder „parallelen“ 
Vorgang des Zentralnervensystems. Nach der meist vertretenen Auf- 
fassung gehören zum Vorbereich dieser Beziehung sämtliche psychischen 
Gegenstände, zum Nachbereich dagegen nur ein sehr kleiner Aus- 
schnitt aus den physischen Gegenständen, nämlich nur die Vorgänge 
im Nervensystem des lebenden tierischen (oder auch nur des mensch- 
lichen) Leibes. 

Wir vermögen aus Stimme, Mienen und anderen Bewegungen eines 
Menschen zu erkennen, was „in ihm vorgeht“, also aus physischen Vor- 
gängen einen Schluß auf Psychisches zu ziehen. Die hier zugrunde 
liegende Beziehung zwischen einer Bewegung usw. und dem psychischen 
Vorgang, dessen „Ausdruck“ sie ist, nennen wir „Ausdrucksbe- 
ziehung“. Zu ihrem Vor bereich gehören fast alle Bewegungen des 
Leibes und seiner Glieder, besonders auch die unwillkürlichen. Zum 
Nachbereich gehört ein Teil der psychischen Gegenstände, insbesondere 
die Gefühle. 

Viele physische Gegenstände, die wir zum Verstehen anderer Menschen verwerten 
und von denen wir sagen, daß sie Psychisches „aus drücken , stehen zu dem von ihnen 
Ausgedrückten nicht in der erklärten, direkten Ausdrucksbeziehung, sondern in einer 
zusammengesetzten. Das gilt für alle physischen Gegenstände, die nicht Vorgänge am 
Leibe des anderen Menschen sind, z. B. für Geschriebenes, Geformtes, Gesprochenes 
(die Schallwellen der Luft) usw. Diese physischen Gegenstände gehen physisch-kausal 
zurück auf Vorderglieder der eigentlichen Ausdrucksbeziehung, d. h. auf Körper- 
bewegungen. Und zwar ist hierbei die Kausalveiknüpfung so beschaffen, daß der den 
Avisdruckswert tragende Gestaltcharakter dabei erhalten bleibt. Nur dadurch, daß 
die Schriftzüge in einem gewissen Gestaltcharakter mit den Bewegungen der Hand 
beim Schreiben übereinstimmen, können sie graphologisch zur Deutung von Psychi- 
schem verwendet werden. Es liegt also auch hierbei stets ein Rückgang auf die eigent- 
liche Ausdrucksbeziehung vor, die zwischen den Handbewegungen (nicht aber den 
Schriftzügen) und dem Psychischen besteht. 

Die Ausdrucksbeziehung muß wohl unterschieden werden von der 
Zeichenbeziehung. Diese besteht zwischen denjenigen physischen 
Gegenständen, die etwas „bedeuten“, und dem, was sie bedeuten, z. B. 
zwischen dem Schriftzeichen „Rom“ und der Stadt Rom. Da alle 
Gegenstände, sofern sie Gegenstände begrifflicher Erkenntnis sind, 
irgendwie bezeichnet sind oder doch grundsätzlich bezeichnet werden 
können, so gehören zum Nachbereich der Zeichenbeziehung die Gegen- 
stände aller Gegenstandsarten. 

In manchen Fällen steht derselbe physische Gegenstand zugleich 
in einer Ausdrucksbeziehung und in einer Zeichenbeziehung zu Psychi- 

24 



m • 

schem. Dabei können und müssen die Beziehungen aber sehr wohl aus- 19 
einander gehalten werden. Gesprochene Worte sind z. B. in jedem FaU 
Ausdruck für etwas Psychisches, mögen sie inhaltlich betreffen, was sie 
wollen; denn durch Klang der Stimme, Tempo, Rhythmus usw., aber 
auch durch Wahl der einzelnen Worte und des Stils verraten sie etwas 
von dem augenblicklichen psychischen Zustand des Sprechenden. 
Außerdem aber haben die Worte eine Bedeutung; der Unterschied ihres 
Ausdrucksgehaltes und ihres Bedeutungsgehaltes ist besonders dann 
leicht zu erkennen, wenn die Bedeutung Anderes betrifft als psychische 
Vorgänge im Sprechenden. 

20. Zuordnungsproblem und Wesensproblemeiner Beziehung 

Mit jeder Beziehung sind zwei Probleme verschiedener Art ver- 20 
knüpft, deren Unterschied besonders bedeutungsvoll wird, wenn es sich 
um eine Beziehung zwischen Gegenständen verschiedener Gegenstands- 
artenhandelt. Als „Zuordnungsproblem bezeichnen wir die Frage . 
in welchen Gegenstandspaaren besteht die Beziehung? genauer: wie 
lautet das allgemeine Gesetz der Zuordnung der zu untersuchenden Be- 
ziehung? Die Antwort hat dann folgende Form: hat das Vorderglied 
die und die Beschaffenheit, so hat das Hinterglied die und die Be- 
schaffenheit (oder umgekehrt). 

BEISPIEL. Betrachten wir die Zeichenbeziehung, und zwar die zwischen 
Schriftwörtem und ihren Bedeutungen. Da es für die natürlichen Sprachen kein 
Funktionsgesetz der Bedeutung der Wörter gibt, d. h. keine allgemeine Regel, die 
aus der Form eines Wortes seine Bedeutung abzuleiten gestatten würde, so besteht 
in diesem Falle die einzige Möglichkeit für die Angabe des Umfanges der Beziehung in 
der Aufzählung aller Gliederpaare. Das geschieht durch ein Wörterbuch, wenn eine 
Grundsprache als schon bekannt vorausgesetzt wird; andernfalls muß <jhe Antwort 
die Gestalt etwa eines botanischen Gartens annehmen, d. h. einer Saihmlung von 
Gegenständen, deren jedem sein Name beigeschxieben ist. Sind die Bedeutungen der 
Wörter be kann t, so kann die Antwort auf das Zuordnungsproblem der Zeichen- 
beziehung für die S ätze durch eine allgemeine Funktion angegeben werden, die freilich 
meist eine sehr verwickelte Gestalt hat. Sie ist nämlich die Syntax der betreffenden 
Sprache, in die Form eines Bedeutungsgesetzes gebracht. Ein Bedeutungsgesetz hat 
z. B. (für einen elementaren FaU) folgende Form: besteht ein Satz aus drei Worten, 
einem Substantiv im Nominativ, einem Verbum in der 3- Person Sing. Präs. Akt. 
und einem Substantiv im Akkusativ, so bedeutet er den Sachverhalt, daß der Gegen- 
stand, dessen Zeichen das erste Wort ist, zu dem Gegenstand, dessen Zeichen das dritte 
Wort ist, in der Beziehung steht, deren Zeichen das Verbum ist. 

Vom Zuordnungsproblem einer Beziehung zu unterscheiden ist das 
Wesensproblem. Hier wird nicht einfach gefragt, zwischen was 
für Gegenständen die Beziehung bestehe, sondern: was denn 
eigentlich zwischen den jeweils zugeordneten Gliedern bestehe, wodurch 


25 



20 sie verknüpft seien; die Frage geht nicht auf die Beschaffenheit der be- 
zogenen Gegenstände, sondern auf das Wesen der Beziehung selbst. 
Später werden wir auf Grund der Konstitutionstheorie den Unterschied 
zwischen Wissenschaft und Metaphysik feststellen (§ 182) und er- 
kennen, daß die Wesensprobleme zur Metaphysik gehören (§ 161, 
165, 169). 

BEISPIEL. Der Sinn des Wesensproblems im Unterschied zum Zuordnungs- 
problem und die Vetteilung der durch beide gestellten Aufgaben zwischen Fachwissen- 
schaft und Metaphysik ist deutlich zu erkennen am Beispiel der Kausalbeziehung, 
d. h. der Beziehung zwischen Ursache und Wirkung (hier nur innerhalb der Physik 
gemeint). Die Frage, welche Ursache mit welcher Wirkung kausal verknüpft sei, also 
das Zuordnungsproblem, wird von der Physik behandelt. Und zwar besteht ihre Auf- 
gabe darin, die Antwort auf diese Frage durch ein allgemeines Funktionsgesetz zu 
geben, also in der Form : wenn die Ursache so und so beschaffen ist, so ist die Wirkung 
so und so beschaffen. Die Antwort in dieser Form wird von der Physik in den Natur- 
gesetzen gegeben. Dagegen gibt die Physik keinerlei Antwort auf die Frage, welcher 
Art denn nun eigentlich die Kausalbeziehung zwischen den so und so beschaffenen Vor- 
gängen sei, die sich wie Ursache und Wirkung zu einander verhalten; was das Wesen 
ihrer Verknüpfung, des „Bewirkens‘% sei. 

Die Probleme der Kausalität werden im letzten Abschnitt im Anschluß an die 
Konstitutionstheorie noch genauer formuliert und erörtert werden (§ 165). 

Der Sinn des Wesensproblems hängt eng zusammen mit dem Be- 
griff der Wesensbeziehung, womit das gemeint ist, was die Be- 
ziehungsglieder „wesentlich“ oder „wirklich“ oder „eigentlich“ ver- 
bindet, im Unterschied zu der Beziehung als bloßer Zuordnung, die die 
korrelativen Glieder einander nur zuweist. Später wird sich zeigen 
(§ 161), daß das Problem der Wesensbeziehung ebenso wie das Wesens- 
problem einer Beziehung innerhalb der (rationalen) Wissenschaft weder 
gelöst, noch überhaupt gestellt werden kann. Es gehört zur Metaphysik. 

BEISPIEL. Der Begriff der Wesensbeziehung spielt auch gerade beim Kau- 
salitätsproblem eine wichtige Rolle, In den Diskussionen über die Grundlagen der 
Physik wird gegenüber gewissen positivistischen oder „mathematisierenden“ Auf- 
fassungen immer wieder (irrtümlich) betont, daß die Kausalität als Zentralbegriff der 
Physik nicht nur Zuordnung, also mathematische Funktion bedeute, sondern auch 
eine Wesensbeziehung zwischen den zugeordneten Vorgängen, nämlich die „Wirkung“ 
im eigentlichen Sinne von dem einen Vorgang auf den anderen. 

21. Die Zuordnungsprobleme und die Wesensprobleme der 
dargestellten Beziehungen 

21 Beim Beispiel der Kausalität zeigte sich, daß die Behandlung des 
Zuordnungsproblems Aufgabe der Fachwissenschaft ist. Das- 
selbe gilt nun auch für die Zuordnungsprobleme der vorher genan n ten 
Beziehungen. Das Zuordnungsproblem der psychophysischen Be- 
ziehung wird von Gehimphysiologie, Psychologie und Psychopatho- 


26 



logie behandelt. Es wird versucht, festzustellen, welcher Art der einem 21 
bestimmten psychischen Vorgang entsprechende physiologische Vorgang 
im Zentralnervensystem ist, und umgekehrt. Hier ist fast die ganze 
Aufgabe noch imgelöst. Die technischen Schwierigkeiten dieser Unter- 
suchungen sind offenbar; grundsätzliche Hindernisse dagegen* d. h. 
etwa absolute Schranken unserer Erkenntnis, bestehen hier keineswegs. 
Die Ausdrucksbeziehung ist verhältnismäßig wenig untersucht, ob- 
wohl sie doch für das praktische Leben sehr bedeutsam ist. Denn von 
ihrer Kenntnis hängt ja alles Verstehen der anderen Menschen ab. Wir 
besitzen und verwerten diese Kenntnis aber nicht theoretisch-explizit, 
sondern nur intuitiv („Einfühlung“). Das ist die Ursache für die ver- 
hältnismäßig mangelhafte Lösung des Zuordnungsproblems dieser Be- 
ziehung. I mmerhin gibt es heute aussichtsreiche Ansätze zu Theo- 
rien der Physiognomik, Mimik, Graphologie, Charakterologie. Das 
Zuordnungsproblem der überaus umfangreichen und mannigfaltigen 
Zeichenbeziehung ist wohl kaum durch ein einziges theoretisches 
System zu beantworten. Trotz des fast unübersehbaren Umfanges der 
Zeichenbeziehung (Schriftzeichen, Signale, Abzeichen usw.) sind hier 
am wenigsten von allen erörterten Beziehungen Schwierigkeiten zur 
Lösung des Zuordnungsproblems vorhanden, jedenfalls keine von grund- 
sätzlicher Art. 

Wir sehen somit, daß die Zuordnungsprobleme der genannten Be- 
ziehungen ihre Lösung von bestimmten Fachwissenschaften zu erwarten 
haben und dabei keinerlei grundsätzliche Schwierigkeiten bieten. Ganz 
anders steht es nun mit den Wesensproblemen dieser Beziehungen. 

Da es sich hierbei nicht um Feststellung, sondern um Deutung von 
Tatsachen handelt, so können diese Fragen nicht empirisch beantwortet 
werden. Ihre Behandlung gehört daher nicht zur Aufgabe der Fach- 
wissenschaften. 

Wo bei den Zuordnungsproblemen noch verschiedene Hypo- 
thesen unentschieden nebeneinander stehen, kann doch wenigstens an- 
gegeben werden, welcher empirische, bisher noch nicht festzustellende 
Befund zug uns ten der einen oder anderen Seite entscheiden würde. Bei 
den Wesensproblemen dagegen stehen die bis auf den Grund ver- 
schiedenen Antworten einander nicht nur unentschieden, sondern an- 
scheinend unentscheidbar gegenüber; ein hoffnungsloser Anblick für 
den unparteiischen Zuschauer, da selbst bei kühnster Erwartung auf 
künftigen Erkenntnisfortschritt nicht abzusehen ist, welche empirische 
oder sonstwie zu gewinnende Erkenntnis die Entscheidung sollte bringen 
können. 

Die Frage nach dem Wesen der Ausdrucksbeziehung hat ver- 


27 


21 schiedene, voneinander abweichende und teils einander widersprechende 
Antworten erhalten. Die Ausdrucksbewegung ist vielfach als Wirkung 
des ausgedrückten Psychischen gedeutet worden (wodurch das Problem 
auf das Wesensproblem der Kausalbeziehung zurückgeschoben ist), 
andererseits aber auch als seine Ursache oder als mit ihm identisch. 
Zuweilen sollte das ausgedrückte Gefühl in einer besonderen, nicht 
analysierbaren Weise dem körperlichen Ausdruck „innewohnen“. So 
werden hier die verschiedensten Wesensbeziehungen gesehen. Bei der 
Zeichenbeziehung ist das Problem dadurch vereinfacht, daß die 
Verknüpfung zwischen Zeichen und Bezeichnetem stets ein konven- 
tionelles Moment enthält, d. h. irgendwie willensmäßig gestiftet ist. 
Nur selten wird hier eine besondere Wesensbeziehung des „Symboli- 
sieren“ angenommen. 

22. Das psychophysische Problem als Zentralproblem der 

Metaphysik 

22 Das Wesensproblem der psychophysischen Beziehung kann als „das 
psychophysische Problem“ schlechthin bezeichnet werden. Es ist 
nicht nur dasjenige unter den historisch vorliegenden philosophischen 
Problemen, das das engste Verhältnis zur psychophysischen Beziehung 
hat, sondern es hat sich allmählich zum Hauptproblem der Metaphysik 
entwickelt. 

Die Frage lautet : vorausgesetzt, daß allen oder einigen Arten psychi- 
scher Vorgänge stets gleichzeitige Vorgänge im Zentralnervensystem 
entsprechen, was verbindet die entsprechenden Vorgänge miteinander? 
Selbst wenn das Zuordnungsproblem der psychophysischen Beziehung, 
zu dessen Lösung ja kaum die ersten Schritte getan sind, vollständig 
gelöst wäre, wir also stets aus der Beschaffenheit eines psychischen 
Vorganges die des entsprechenden Gehirnvorganges erschließen könnten 
und umgekehrt, so wäre damit zur Lösung jenes Wesensproblems, des 
„psychophysischen Problems“, noch nichts getan. Denn es fragt nicht 
nach der Zuordnung, sondern nach der Wesen sbeziehung, nach dem, 
was „dem Wesen nach“ oder „im Grunde“ von dem einen Vorgang 
zu dem anderen führt oder beide aus einer gemeinsamen Wurzel her- 
leitet. 

Die Lösung sv ersuche sind bekannt und auch ihr unversöhnlicher Widerspruch - 
gegeneinander. Die Theorie des Okkasionalismus und die der prästabilierten Harmo- 
nie sind wohl nur noch historisch zu bewerten. Für die heutige Problemsituation 
kommen dann vor allem drei Hypothesen in Betracht; die der Wechselwirkung, die des 
Parallelismus und die der Identität im Sänne der Zweiseitentheorie. Die Hypothese der 
We c hselwirkung nimmt eine Wesensbeziehung zwischen den beiden Seiten an, und 
zwar als Kausalwirkung in beiden Richtungen. Die Hypothese des Parallelismus 



(im engeren Sinne, unter Ausschluß der Identitätsphilosophie) leugnet das Bestehen 2 2 
einer Wesensbeziehung und nimmt eine nur funktionale Zuordnung zwischen den 
beiden Gegenstandsarten (Arten von Vorgängen) an. Die Identitätsphilosophie 
schließlich erkennt die Zweiheit der Gegenstandsarten überhaupt nicht an, sondern 
faßt Physisches und Psychisches als die beiden „Seiten („Äußeres und „Inneres ) 
desselben Zugrundeliegenden auf. Die gegen jede dieser Hypothesen von ihrenGegnern 
vorgebrachten Gegenargumente erscheinen triftig; der sonst in der Wissenschaft an- 
genommene, geschlossene Kausalzusammenhang aller räumlichen Vorgänge ist bei 
Annahme einer psychophysischen Wechselwirkung nicht aufrecht zu erhalten; anderer- 
seits ist nicht einzusehen, wie bei bloß funktionaler Zuordnung, also einer logischen 
und nicht realen Beziehung, eine Wahrnehmung zustande kommen sollte, die der Be- 
schaffenheit der Sinnesreize entspricht; und Identität zweier so verschiedener Gegen- 
standsarten, wie es das Physische und das Psychische sind, bleibt ein leeres Wort, 
solange nicht angegeben werden kann, was unter den bildlichen Ausdrücken des „Zu- 
grundeliegens“, der „inneren und äußeren Seite“ eigentlich zu verstehen ist. (Gegen 
den Parallelismus oder auch die Wechselwirkungshypothese als bloß heuristische 
Arbeitshypothesen für die Psychologie ist hiermit nichts gesagt; hier handelt es sich 
um metaphysische Auffassungen). 

Drei einander widersprechende und gleicherweise unbefriedigende 
Antworten, und keine Möglichkeit, einen erfahrungsniäßigen Sach- 
verhalt, der hier entscheiden könnte, zu finden, ja auch nur sich vorzu- 
stellen: eine trostlosere Problemsituation ist wohl kaum zu denken. Sie 
mag uns auf die Vermutung bringen, ob nicht vielleicht die Fragen der 
Wesensprobleme, insbesondere die des psychophysischen Problems, 
falsch gestellt sind. Die Konstitutionstheorie wird zu der Ansicht füh- 
ren, daß dies tatsächlich der Fall ist. Wenn die Konstitutionsformen 
der Gegenstände und Gegenstandsarten gefunden und damit ihre 
logischen Orte im Konstitutionssystem bekannt sind, und wenn ferner 
noch das Zuordnungsproblem einer jener Beziehungen gelöst ist, dann 
ist alles gegeben, was die (rationale) Wissenschaft über die Beziehung 
aussagen kann. Eine darüber hinausgehende Frage nach dem „Wesen 
der Beziehung würde des Sinnes entbehren; sie kann in wissenschaft- 
lichen Ausdrücken überhaupt nicht formuliert werden. Das werden 
die Darlegungen im V. Abschnitt genauer zeigen (§ 157 ff.). 

23. Die geistigen Gegenstände 
Außer den beiden behandelten Arten von Gegenständen, den physi- 23 
sehen und den psychischen, ist die fiir die Philosophie wichtigste Gegen- 
standsart die der „geistigen Gegenstände“ im Sinne der „kultu- 
rellen“, „historischen“, „soziologischen“ Gegenstände. Sie gehören 
zum Gegenstandsgebiet der Geisteswissenschaften, und gerade im Hin- 
blick auf den Namen dieser Wissenschaften erscheint es als zweckmäßig, 
sie als „geistige“ Gegenstände zu bezeichnen. Die Verwendung der 
Ausdrücke „geistig“ und „Geist“ für das Psychische und die Subjekts- 

29 


28 


23 einheit des Psychischen, die „Psyche“, oder für bestimmte Teilgebiete 
des Psychischen ist ja immer seltener geworden und wird am besten 
ganz vermieden. Zu den geistigen Gegenständen gehören Einzelereig- 
nisse und umfassende Vorgänge, soziologische Gruppen, Einrichtungen, 
Strömungen auf allen Kulturgebieten; ferner auch Eigenschaften und 
Beziehungen solcher Vorgänge und Gebilde. 

Die Selbständigkeit der Gegenstandsart des Geistigen ist 
von der Philosophie des 19. Jahrhunderts nicht genügend beachtet 
worden. Die Ursache hierfür liegt darin, daß besonders die erkenntnis- 
theoretischen und logischen Untersuchungen ihr Augenmerk über- 
wiegend auf Physik und Psychologie als paradigmatische Sachgebiete 
richteten. Erst die neuere Geschichtsphilosophie (seit Dilthey) hat die 
methodische und gegenstandstheoretische Eigenart des Gebietes der 
Geisteswissenschaften herausgearbeitet. ... 

Die geistigen Gegenstände stimmen zwar mit den psychischen darm 
überein, daß auch sie subjektgebunden sind: ihre „Träger“ sind jeweils 
die Personen eines bestimmten Kreises. Aber in scharfem Gegensatz 
zu den psychischen Gegenständen können die Träger wechseln: ein 
Staat, eine Sitte kann bestehen bleiben, während die tragenden Sub- 
jekte vergehen und andere an ihre Stelle treten. Die geistigen Gegen- 
stände sind auch nicht aus psychischen (und etwa physischen) zu- 
sammengesetzt. Es handelt sich um völlig disparate Gegenstands- 
arten; die geistigen Gegenstände gehören anderen „Gegenstands- 
sphären“ (in einem später zu erläuternden Sinne, § 29) an als die 
physischen und die psychischen Gegenstände. Das besagt, daß kein 
geistiger Gegenstand in eine Aussage über einen physischen oder einen 
psychischen Gegenstand mit Sinn eingesetzt werden kann. 

Später wird im Zusammenhang der Konstitutionstheorie dargelegt 
werden, wie die Behauptung der Einheitlichkeit des gesamten Gebietes 
der Erkenntnisgegenstände den Sinn einer Ableitung („Konstitution ) 
aller Gegenstände auf Grund ein und derselben Basis hat, und die 
Behauptung der getrennten Gegenstandssphären den Sinn verschie- 
dener Konstitutionsstufen und -formen; ?o werden dann die 
beiden scheinbar widerstreitenden Auffassungen vereinbar (vgl. § 4 U- 

24. DieManifestationenundDokumentationen des Geistigen 

24 Von den Beziehungen zwischen geistigen und anderen Gegenständen 
seien hier nur die beiden wichtigsten erörtert, weil die Erkennung der 
geistigen Gegenstände und damit auch ihre Konstitution ganz auf 
diesen Beziehungen beruht. Wir bezeichnen diese beiden Beziehungen 
als „Manifestation“ und „Dokumentation“. 


30 



Ein geistiger Gegenstand, der während einer gewissen Zeit existiert, 24 
braucht nicht zu allen Zeitpunkten dieser Zeitstrecke aktuell zu sein, 
d. h. in Erscheinung zu treten. Die psychischen Vorgänge, in denen 
er jeweils in Erscheinung tritt oder „manifest“ wird, nennen wir seine 
„(psychischen) Manifestationen“. Die Beziehung der (psychi- 
schen) Manifestationen eines geistigen Gegenstandes zu diesem Gegen- 
stände beze ichn en wir als „Manifestationsbeziehung“ (genauer: 
psychisch-geistige oder kurz psychische Manifestationsbeziehung). 

BEISPIEL. Diese Beziehung besteht z. B. zwischen dem augenblicklichen Ent- 
schluß eines Mannes, seinen Hut vor einem anderen abzunehmen, und der Sitt e des 
Hutabnehmens. Diese Sitte besteht nicht nur in den Augenblicken, in denen gerade 
irgendwo irgend jemand sie manifestiert, sondern auch während der Zwischenzeiten, 
solange überhaupt Personen leben, die die psychische Disposition haben, auf bestimmte 
Wahrnehmungen durch Abnehmen des Hutes im Sinne eines Grußes zu reagieren; nur 
ist in den Zwischenzeiten die Sitte „latent“. 

Auch ein physischer Gegenstand kann Manifestation eines geisti- 
gen sein. So manifestiert sich z. B. die Sitte des Hutabnehmens in der 
augenblicklichen, entsprechenden Körperbewegung eines bestimmten 
Mannes. Eine nähere Untersuchung zeigt aber, daß auch hierbei die 
psychische Manifestationsbeziehung grundlegend bleibt; sie soll des- 
halb gemeint sein, wenn von „Manifestationsbeziehung“ schlechtweg 

gesprochen wird. ‘ 

Als Dokumentationen eines geistigen Gegenstandes bezeichnen 
wir dauernde physische Gebilde, in denen das geistige Leben ge- 
wissermaßen erstarrt ist, Produkte, dingliche Zeugen und Dokumente 
des Geistigen. 

BEISPIELE. Die Dokumentationen oder Verkörperungen eines Kunststiles be- 
stehen in den Gebäuden, Gemälden, Plastiken usw., die zu diesem Stil gehören; die 
Dokumentationen des gegenwärtigen Eisenbahnsystems in allem festen und rollenden 
Babnmaterial und den Schriftstücken des Bahnbetriebes. 

Die Behandlung der Zuordnungsprobleme der Manifestations- 
und der Dokumentationsbeziehung gehört zu den Aufgaben der 
Geis tes Wissenschaften. Denn diese haben festzustellen, in welchen 
Handlungen (im physischen und im psychischen Sinne) sich die einzelnen 
geistigen Gegenstände äußern, manifestieren. Darin besteht gewisser- 
maßen die Definition einer jeden Bezeichnung für irgendeinen geistigen 
Gegenstand. Andererseits ist die Dokumentationsbeziehung dadurch 
von ganz besonderer Bedeutung für die Geisteswissenschaften, daß die 
Erforschung nicht mehr bestehender geistiger Gegenstände (und diese 
machen ja den größeren Teil des Gebietes aus) fast ausschließlich auf 
Rückschlüssen aus Dokumentationen beruht, nämlich aus schriftlichen 
Aufzeichnungen, Abbildungen, gebauten oder geformten Dingen oder 




24 dergl. Für die Schlüsse muß aber die Dokumentationszuordnung, 
also die Antwort auf das Zuordnungsproblem der Dokumentations- 
beziehung, als bekannt vorausgesetzt werden. In den beiden Zu- 
ordnungsproblemen liegen also für die Geisteswissenschaften die Auf- 
gaben der Begriffsbestimmung und der Erkennungskriterien ihrer 
Forschungsobjekte. 

Wie bei den früher betrachteten Beziehungen (§21, 22), so gehört 
auch hier wieder die Behandlung der Zuordnungsprobleme zur Aufgabe 
der Fachwissenschaft, die Behandlung der Wesensprobleme dagegen 
zur Aufgabe der Metaphysik. Die Lösungs versuche (z. B. Emana- 
tionstheorie, Inkarnationstheorie, psychologistische, materialistische 
Deutung) sollen hier nicht näher erörtert werden. Ihre Betrachtung 
zeigt eine ähnliche Problemsituation wie bei den früheren Wesens- 
problemen : ein Widerstreit verschiedener Auffassungen, ohne daß eine 
Möglichkeit abzusehen wäre, wie die Entscheidung durch irgendwelche 
empirisch zu gewinnenden Erkenntnisse herbeigeführt werden könnte, 

25. Die Vielheit selbständiger Gegenstandsarten 

25 Nach den Gegenstandsarten des Physischen, des Psychischen und 
des Geistigen sollen noch Beispiele einiger weiterer, selbständi- 
ger Gegenstandsarten angeführt werden. Die Aussage, daß eine 
jede dieser Gegenstandsarten „selbständig“ ist, werden wir später ge- 
nauer dahin formulieren können, daß sie verschiedenen „Gegenstands- 
sphären“ angehören (§ 29). Die später darzustellende Konstitutions- 
theorie wird daraufhin geprüft werden müssen, ob sie in dem von ihr auf- 
zubauenden Begriffssystem, dem „Konstitutionssystem“ (Abschn. IV), 
den hier angeführten Gegenstandsarten einen Platz zuweist. 

Daß die Vielheit der selbständigen Gegenstandsarten der These von 
der Einheit des Gegenstandsgebietes nur scheinbar widerspricht, wird 
später gezeigt werden (§ 41). 

BEISPIELE. Logische Gegenstände: die Negation, die Implikation, der 
indirekte Beweis. Dies sind logische Gegenstände im engeren Sinne, d. h. unter 
Ausschließung der mathematischen, die eng mit ihnen Zusammenhängen, aber doch 
gemäß der üblichen Trennung der Wissenschaften für sich aufgeführt werden m6gen; 
die Festlegung der Grenze ist dabei freilich einigermaßen willkürlich. (Die logischen 
Gegenstände werden später in das „Konstitutionssystem“ der Begriffe eingefügt 
(„konstituiert“) in § 107.) 

Mathematische Gegenstände: die Zahl 3, die Klasse der algebraischen 
Zahlen, das gleichseitige Dreieck. Das Dreieck ist hierbei nicht ira anschaulich-räum- 
lichen, sondern im mathematisch-abstrakten Sinne zu verstehen. (Konstitution der 
mathematischen Gegenstände: § 107.) 

Die Gegenstands art der Raumgestalten: die Kugel, das gleichseitige Dreieck. 



Hier sind die Ausdrücke nicht als Ausdrücke der abstrakten, unräumlichen Geometrie 25 
zu verstehen, sondern in ihrem eigentlichen, anschaulich-räumlichen Sinne (vgl. die 
mathem. Gegenstände). Von den physischen Gegenständen sind die Raumgestalten 
dadurch scharf unterschieden, daß ihnen die Bestimmungen der Zeit, des Ortes, 
der Farbe, des Gewichts usw. fehlen. (Konstitution der räumlichen Gestalten: § 125.) 

Die Gegenstandsart der Farben: Grau, Rot, Grün. Den Farben kommt keine 
Bestimmung der Zeit, des Ortes (sie sind in rein phänomenalem Sinne gemeint), genau 
genommen auch: der Farbe, des Gewichts oder sonstiger Sinnesqualitäten zu ; dadurch 
unterscheiden sie sich von den physischen Gegenständen. Die Unterscheidung der 
Farben von den psychischen Gegenständen beruht auf dem Unterschied zwischen 
Vorstellungsinhalt und Vorstellung. (Konstitution der Farben: § 118; um sie als 
intersubjektive Gegenstände zu konstituieren, wäre jedoch auf diese Kon- 
stitution noch das Verfahren der Intersubjektivierung nach § 148 anzuwenden ; das- 
selbe gilt auch für die weiterhin angegebenen Konstitutionen.) 

Die Gegenstandsart der Töne: c, e, der Akkord c-e-g. Die Gegenstandsart der 
Gerüche und die der Geschmäcke sind ebenso als selbständige Gegenstandsarten 
aufzuführen wie die der Farben und die der Töne. (Konstitution dieser Sinnesquali- 
täten: § 131, 133.) 

Biologische Gegenstände: die Eiche, das Pferd (beide als Spezies, nicht als 
Individuen verstanden). Ein solcher biologischer Gegenstand ist nicht eine Summe 
physischer Gegenstände, sondern ein# Komplex von solchen, und zwar eine Klasse; 
über den Unterschied zwischen Komplex und Kollektion vgl, § 36,- speziell zwischen 
Klasse und Kollektion § 37. (Konstitution der biologischen Gegenstände : § 137.) 

Ethische Gegenstände: die Pflicht, der Gehorsam, der ethische Wert (einer 
Handlung). Uber den Unterschied zu den psychischen Gegenständen vgl. das bei den 
Farben Gesagte (Konstitution: § 152). 

Es ist leicht zu erkennen, daß diese Reihe von Gegenstandsarten noch weiter- 
geführt werden kann. Sie dürfte jedoch für die angegebenen Zwecke genügen: sie läßt 
erkennen, daß es eine Vielheit selbständiger Gegenstandsarten gibt, und sie dient zur 
Nachprüfung von Gegenstandssystemen, und zwar hier des Konstitutionssystems. 


32 


33 


III. DIE FORMPROBLEME DES KONSTITUTIONS- 
SYSTEMS 


A. DIE STUFENFORMEN 

26. Die vier Hauptprobleme der Konstitutionstheorie 

26 Das Ziel der Konstitutionstheorie besteht in der Aufstellung eines 
Konstitutionssystems, d. h. eines in Stufen geordneten Systems der 
Gegenstände (oder Begriffe); die Stufenordnung ist dadurch bestimmt, 
daß die Gegenstände jeder Stufe auf Grund der Gegenstände der nie- 
deren Stufen „konstituiert“ sind in einem später genauer anzugeben- 
den Sinne. Für die Aufstellung eines solchen Systems ergeben sich so- 
mit vor allem die folgenden vier Probleme. Erstens muß eine Ausgangs- 
basis gewählt werden, eine erste Stufe, auf die sich alle weiteren grün- 
den. Zweitens sind die immer wiederkehrenden Formen zu bestimmen, 
in denen sich der Übergang von einer Stufe zur nächsten vollziehen soll. 
Drittens ist für die Gegenstände der verschiedenen Arten zu untersuchen, 
wie sie durch schrittweise Anwendung der Stufenformen konstituiert 
werden können. Die vierte Frage ist die nach der Gesamtform des 
Systems, wie sie sich aus der Übereinanderschichtung der verschiedenen 
Gegenstandsarten ergibt. Wir bezeichnen diese vier Probleme als die 
der Basis, der Stufenformen, der Gegenstandsformen und der 
Systemform. Die Probleme der Basis, der Gegenstandsformen und 
der Systemform hängen eng miteinander zusammen. Ihre Lösungen 
bedingen sich gegenseitig, denn von der Wahl der Basis hängen die 
Konstitutionen der Gegenstände und damit der Aufbau des Systems ab, 
und andererseits ist es für die Wahl der Basis ausschlaggebend, daß es 
möglich sein soll, von ihr aus alle Gegenstandsarten zu konstituieren. 
Demgegenüber ist das Problem der Stufenformen weniger von der ge- 
forderten Leistung des Gesamtsystems abhängig und auch weniger 
schwierig. Denn während die Basis aus nichtlogischen Gebilden be- 
steht, für deren Auswahl eine imbeschränkte Menge von Möglichkeiten 
vorliegt, kommt für die Stufenformen unabhängig vom Inhalt des 
Systems nur eine ziemlich kleine Menge von logischen Formen in Be- 
tracht, unter denen zu wählen ist; diese Formen werden sich im Folgen- 
den aus den Begriffen der Konstitution und des logischen Komplexes 


34 


ergeben. Daß dann so einfache und so wenige (nämlich zwei) genügen, 26 
wie es hier behauptet wird, ist freilich nicht ohne weiteres zu erkennen. 

Das ergibt sich zunächst aus den späteren Überlegungen über die De- 
finition als Form der Konstitution (§ 38 —40). Bestätigen muß es sich 
d ann schließlich im Aufbau selbst (Abschn. IV). 

Die Probleme der Basis, der Gegenstandsformen und der System- 
form werden in den späteren Teilen (B — D) dieses Abschnittes behandelt, 
wobei empirische Tatbestände, nämlich die Eigenschaften und Be- 
ziehungen der in den Einzelwissenschaften untersuchten Gegenstände, 
wesentlich in Betracht gezogen werden müssen; daran wird sich noch 
eine Erörterung der symbolischen und sprachlichen Formen anschließen, 
in denen das Konstitutionssystem dargestellt werden soll (Teil E). 
Hier (in Teil A) soll zunächst das Problem der Stufenformen gelöst 
werden, das formal-logischer Natur ist. 

27. Die Quasigegenstände 

Wir können die (Sprach-)Zeichen danach einteilen, ob sie nur in 27 
Verbindung mit anderen Zeichen oder auch schon für sich allein eine 
selbständige Bedeutung haben. Im strengsten Sinne haben nur die- 
jenigen (meist zus amm engesetzten) Zeichen, die eine Aussage bezeich- 
nen, also die Sätze, eine selbständige Bedeutung. Doch wollen wir 
bei denjenigen Zeichen, die selbst kein Satz sind und die daher in der 
Wissenschaft nur als Teilzeichen eines Satzes auftreten können, noch 
einen Unterschied machen zwischen den sog. „Eigennamen“, d. h. 
Zeichen, die einen bestimmten einzelnen, konkreten Gegenstand be- 
zeichnen (z. B. „Napoleon“, „Mond“), und den übrigenTeilzeichen von 
Sätzen. Die Eigennamen haben nach der überlieferten Anschauung zu- 
mindest noch eine relativ selbständige Bedeutung und unterscheiden 
sich dadurch von den übrigen Zeichen, die wir (nach Frege) „un- 
gesättigte Zeichen“ nennen wollen. 

Es sei jedoch bemerkt, daß diese Unterscheidung im Grunde keine logisch scharfe 
Unterscheidung ist ; wir machen sie hier mehr derTradition zuliebe, ohne zu versuchen, 
den Begriff des „Eigennamens“ genauer zu umgrenzen. Vielleicht ist der hier gemachte 
Unterschied nur ein gradueller und daher die Wahl der Grenzlinie in gewissem Grade 
willkürlich ; die späteren Erörterungen über individuelle und allgemeine Gegenstände 
(§ 158) scheinen darauf hinzudeuten. 

Bei der ursprünglichen Verwendungsart der Zeichen darf an der 
Subjektstelle eines Satzes nur ein Eigenname stehen. Die Sprache ist 
aber zweckmäßigerweise dazu übergegangen, auch Zeichen für all- 
gemeine Gegenstände und schließlich auch andere ungesättigte Zeichen 
an Subjektstelle zuzulassen. Diese uneigentliche Verwendungsart ist aber 


3 * 


35 


2 j nur zulässig, wenn die Umformung in die eigentliche Verwendungsart 
möglich ist, d. h. wenn der Satz zurückübersetzt werden kann in einen 
oder mehrere Sätze, in denen an Subjektstelle nur Eigennamen ver- 
kommen; darüber später mehr. Bei der uneigentlichen Verwendungs- 
art werden also die ungesättigten Zeichen, obwohl sie für sich nichts be- 
zeichnen, doch so gebraucht, als bezeichneten sie so gut einen Gegen- 
stand wie die Gegenstandsnamen. Ja man pflegt dann sogar von „dem 
von ihnen Bezeichneten“ zu sprechen, in der bewußten oder unbewußten 
Fiktion, daß es so etwas gäbe. Wegen der Zweckmäßigkeit dieser Fiktion 
wollen wir sie hier beibehalten. Um aber den Fiktionscharakter deut- 
lich vor Augen zu haben, wollen wir von einem ungesättigten Zeichen 
nicht sagen, es bezeichne einen „Gegenstand“, sondern: es bezeichne 
einen „Quasigegenstand“. (Dabei sind dann nach unserer strengen 
Auffassung auch die sog. „allgemeinen Gegenstände“, z. B. „ein Hund 
oder „Hunde“, schon Quasigegenstände.) 

BEISPIELE. Sind etwa „Luchs“ und „Karo“ Eigennamen von Hunden, so haben 
wir in den Sätzen „Luchs ist ein Hund“ und „Karo ist ein Hund“ den übereinstimmen- 
den Bestandteil „ ... ist ein Hund“. Dies ist ein ungesättigtes Zeichen (und zwar eine 
Aussagefunktion” s. § 28). Analog erhält man als übereinstimmenden Bestandteil 
anderer Sätze das ungesättigte Zeichen „ . . . ist eine Katze“. Dies hat mit dem vorigen 
wiederum den Bestandteil „ . . . ist . . .“ gemein, und es bleiben die Restbestandteile 
„ ... ein Hund“ und „ . . . eine Katze“ als ungesättigte Zeichen anderer Art. Um nun 
die Tatsache, daß alle Hunde Säugetiere sind, auszudrücken, müßten wir, wenn wir 
die bisherige Satzform „ ... ist ein . . “ beibehalten wollten, in der vorschriftsgemäß 
an Subjektstelle ein Gegenstandsname steht, folgenden umständlichen Satz bilden: 
„für alle Werte der Variabein x güt : „x ist ein Hund“ impliziert „x ist ein Säugetier««. 
Statt dessen bilden wir eine neue Satzform, indem wir uns erlauben, ein ungesättigtes 
Zeichen an Subjektstelle zu setzen, als ob es ein Gegenstandsname sei. Wir sagen: 
„ein Hund ist ein Säugetier“. In diesem Satz kommen überhaupt keine eigentlichen 
Gegenstandsnamen mehr vor. Von dem ungesättigten Zeichen „ein Hund“, das gar 
keinen Gegenstand bezeichnet, sagen wir nun (weil wir es an einer solchen Satzstelle 
verwenden, als ob es einen Gegenstand bezeichne) : es bezeichne einen „Quasigegen- 
stand«. 

Wollen wir die gemeinten Verhältnisse genauer erfassen, so müssen wir wenigstens 
das an den Sätzen, was nicht außerlogische Gegenstände, sondern logische Beziehungen 
bezeichnet, durch Symbole der Logistik ersetzen, deren Bedeutung sich durch Ver- 
gleich mit den vorhin genannten Sätzen ergibt („logistische Fassung des logischen 
Skeletts“, § 46). Wir haben zunächst die Sätze „Luchs s Hund? 1 , „Karo s Hund“; 
dann die ungesättigten Zeichen „ . . . e Hund“ und „ . . . e Katze (oder „x e 
Hund“ und „x e Katze“); diese bezeichnen Aussagefunktionen. Ferner die unge- 
sättigten Zeichen „Hund“ und „Katze“; diese bezeichnen Klassen. In dem Satz 
„Hund C Säugetier“ ist das Klassenzeichen wie ein Gegenstandsname verwendet 
(über c s. § 33). Weil die Zeichen für Klassen gerade zum Zwecke solcher Ver- 
wendung eingeführt werden, sind alle Klassen Quasigegenstände (§ 33 )* 

Der Satz „Hund c Säugetier“ als ein Satz bloß mit Klassenzeichen, ohne Gegen- 
standszeichen, ist seiner Form nach nur dadurch gerechtfertigt, daß er sich in emen 

36 


ü 



Satz zurückverwandeln läßt, in dem nur Gegenstandsnamen an Subjektstelle vor- 27 
kommen, nämlich in den oben genannten Satz mit der Variabein x. Die genauere 
Untersuchung würde zeigen, daß sich die Klassen „Hund“ und „Säugetier“ als 
Komplexe von Tierindividuen erweisen (§ 36). 

Die „Gegenstände“ der Wissenschaft sind fast durchweg 
Quasigegenstände. Das gilt nicht nur für alle Allgemcinbegriffe, 
was unserem heutigen, nomin alis tischen Denken leicht einleuchtet 
(vgl. § 5 ), sondern auch für die meisten individuellen Gegenstände der 
Wissenschaft. Das wird sich aus der Konstitutionstheorie ergeben. 
(Vgl. §158 über individuelle und allgemeine Gegenstände.) 

Die beiden in unserem System verwendeten Stufenformen der 
Konstitution, die im Folgenden erörtert werden sollen, sind Formen . 
von Quasigegenständen. 

LITERATUR. Die Lehre von den ungesättigten Zeichen ist begründet 
worden durch Frege [Funktion], [Gruudgcs.] I 5; ausführliche Erörterungen gibt 
Russell [Princ. Math.] I 69ff., [Math. Phil.] i82ff. Unsere Auffassung ist, wie an- 
gedeutet, noch radikaler. Eine ausführliche Darlegung kann hier aber nicht gegeben 
werden. 

Die Auffassung der allgemeinen Gegenstände als Quasigegenstände steht dem 
Nominalismus nahe. Es sei aber ausdrücklich betont, daß sich diese Auffassung nur 
auf das Problem der logischen Funktion der Symbole (Wörter), die allgemeine 
Gegenstände bezeichnen, bezieht; die Frage, ob dem so Bezeichneten Realität (im 
metaphysischen Sinne) zukomme, ist damit nicht negativ entschieden, sondern über- 
haupt nicht gestellt (vgl. Abschn. V D). 

28. Die Aussagefunktionen 

Streichen wir in einem Satz einen oder mehrere Gegenstandsnamen 28 
(und zwar zunächst Eigennamen, dann aber auch Quasigegenstands- 
namen), so sagen wir von dem ungesättigten Zeichen, das dann übrig- 
bleibt, es bezeichne eine „Aussagefunktion“. Durch Einsetzung der 
gestrichenen Namen als „Argumente“ in die leeren Stellen, die „Ar- 
guments teilen“, erhalten wir wieder den ursprünglichen Satz zurück. 
Wir brauchen aber, um überhaupt einen Satz, einen wahren oder einen 
falschen, zu erhalten, nicht gerade die gestrichenen Gegenstandsnamen 
einzusetzen, sondern können andere nehmen, die mit dem ungesättigten 
Zeichen zusammen einen Sinn ergeben; sie heißen ,, zulässige Argu- 
mente“ der Aussagefunktion. Anstatt die Argumentstelle leer zu 
lassen, machen wir sie besser durch das Zeichen einer Variabein 
kenntlich. 

Von Gegenständen, durch deren Einsetzung ein wahrer Satz ent- 
steht, sagen wir, daß sie die Aussagefunktion „befriedigen“; die 
übrigen Gegenstände, soweit sie überhaupt zulässige Argumente sind, 
ergeben einen falschen Satz. Eine Aussagefunktion mit nur einer Ar- 

37 


28 gumentstelle nennen wir eine „Eigenschaft“ oder einen „Eigen- 
schaftsbegriff". Die diese Funktion befriedigenden Gegenstände „haben“ 
die Eigenschaft oder „fallen unter“ den (Eigenschafts-) Begriff. Eine 
Aussagefunktion mit zwei oder mehr Argumentstellen nennen 
wir eine („zweigliedrige“ bzw. „mehrgliedrige ) „Beziehung 
oder einen „Beziehungsbegriff". Von den diese Funktion befriedigenden 
Paaren, Tripeln usw. von Gegenständen sagen wir : die Beziehung „gilt" 
für sie oder „besteht“ in ihnen oder die Gegenstände „stehen in der Be- 
ziehung“ zu einander. Jede Aussagefunktion stellt also einen Begriff 
dar, und zwar entweder eine Eigenschaft oder eine Beziehung. 

BEISPIELE. Aussagefunktioneii. a) Eigenschaft. Aus dem Satz „Berlin 
ist eine Stadt in Deutschland“ erhält man durch Streichen des Gegenstandsnamens 
„Berlin“ die Aussagefunktion mit 6iner Argumentstelle „ . . . ist eine Stadt in Deutsch- 
land“ oder „x ist eine Stadt in Deutschland“; sie stellt die Eigenschaft, eine Stadt in 
Deutschland zu sein, dar, oder kürzer : den Begriff „Stadt in Deutschland“. Da dieses 
ungesättigte Zeichen durch den Namen „Hamburg“ zu einem wahren Satz ergänzt 
wird, dagegen durch den Namen „Paris“ zu einem falschen Satz, und schließlich durch 
den Namen „Mond“ zu einer sinnlosen Wortreihe, so sagen wir: Hamburg fällt unter 
den Begriff „Stadt in Deutschland“, Paris aber nicht; von dem Gegenstand Mond 
gilt weder, daß er unter den Begriff fällt, noch, daß er nicht unter ihn fällt; denn 
der Mond ist nicht, wie Berlin und Paris, ehj zulässiges Argument der Funktion. 

b) Beziehung. Aus dem Satz „Berlin ist eine Stadt in Deutschland“ erhält 
man durch Streichen der beiden Gegenstandsnamen „Berlin“ und „Deutschland“ die 
Aussagefunktion mit zwei Argumentstellen „ . . . ist eine Stadt in . . .“ oder „x ist 
eine Stadt in y“; sie stellt die zweigliedrige Beziehung zwischen einer Stadt und einem 
Land, in dem die Stadt liegt, dar. Das genannte ungesättigte Zeichen wird z. B. durch 
das Namenpaar „München, Deutschland“ zu einem wahren Satz ergänzt, durch das 
Namenpaar „München, England“ zu einem falschen Satz und durch das Namenpaar 
„Mond, Deutschland“ zu einer sinnlosen Wortreihe. Also steht München zu Deutsch- 
land in der genannten Beziehung, München zu England dagegen nicht, während für 
das Paar Mond, Deutschland weder das Bestehen noch das Nichtbestehen jener Be- 
ziehung ausgesagt werden darf. 

29. Sphären Verwandtschaft; Gegenstandssphären 

29 Zwei Gegenstände (dabei sind stets auch die Quasigegenstände mit- 
gemeint) heißen miteinander „sphärenverwandt“, wenn es eine Ar- 
gumentstelle in einer Aussagefunktion gibt, für die die beiden Gegen- 
standsnamen zulässige Argumente sind. Für jede andere Argument- 
stelle einer beliebigen Aussagefunktion sind dann stets entweder beide 
Namen zulässige oder beide unzulässige Argumente. Das folgt aus der 
logistischen Typentheorie, auf die hier jedoch nicht näher eingegangen 
werden kann. Sind zwei Gegenstände nicht sphärenverwandt, so heißen 
sie „sphärenfremd“ zueinander. 

BEISPIELE. In dem Beispiel a des vorigen Paragraphen erweisen sich Hamburg 


38 



und Paris als miteinander sphärenverwandt; der Mond dagegen als sphärenfremd zu 29 
Hamburg und Paris. In dem Beispiel b erweisen sich Berlin und München als sphären- 
verwandt, andererseits auch Deutschland und England. „Mond, Deutschland“ ist 
ein unzulässiges Argumentenpaar ; daraus folgt nicht, daß beide Gegenstände, son- 
dern nur, daß mindestens einer von ihnen unzulässiges Argument für die betreffende 
Argumentstelle ist. Da Deutschland zulässiges Argument, so ist der Mond un- 
zulässiges Argument seiner Argumentstelle. Also ist der Mond sphärenfremd zu 
Berlin und München. 

Unter der „Gegenstandssphäre“ eines Gegenstandes verstehen 
wir die Klasse aller mit ihrn sphärenverwandten Gegenstände. (Da die 
Sphärenverwandtschaft transitiv ist, so schließen sich die Gegenstands- 
sphären gegenseitig aus.) Ist jeder Gegenstand einer Gegenstandsart 
mit jedem Gegenstand einer anderen Art sphärenverwandt bzw. 
sphärenfremd, so nennen wir auch die beiden Gegenstandsarten selbst 
„Sphären verwandt“ bzw. „sphärenfremd“. Für „reine“ Arten sind dies 
die einzig möglichen Fälle; eine Gegenstandsart heißt „rein“, wenn 
alle ihre Gegenstände miteinander sphärenverwandt sind, wenn also 
die Art Teilklasse einer Gegenstandssphäre ist; anderenfalls heißt 
die Art „unrein“. Nur die reinen Arten sind logisch einwandfreie 
Begriffe, nur sie haben Klassen als Begriffsumfänge („Extensionen“, 
vgl. § 32 f.). Doch spielen die unreinen Arten im praktischen Verfahren 
der Wissenschaft eine große Rolle; z. B. sind die Hauptgegenstands- 
arten, nämlich die des Physischen, des Psychischen und des Geistigen, 
wie wir sehen werden, unreine Arten. 

30. Die „Sphärenvermengung“ als Fehlerquelle 

Die Prüfung zweier Gegenstände in bezug auf Sphärenverwandt- 3 ° 
schaft geht, wenn die Aussagen über diese Gegenstände in Wortsprache 
ausgedrückt sind, zurück auf die Prüfung, ob eine Reihe von Worten 
einen sinnvollen Satz bildet oder nicht. Diese Prüfung ist jedoch oft 
erschwert durch eine gewisse Mehrdeutigkeit der Sprache von besonderer 
Art. Die hier gemeinte Mehrdeutigkeit wird meist nicht beachtet, hat 
aber gerade dadurch in der Philosophie schon verhängnisvoll gewirkt 
und manche Einsichten gerade auch für die hier gestellte Aufgabe 
eines Begriffssystems außerordentlich verzögert; auch jetzt noch er- 
schwert sie die Lösung dieser Aufgabe. Es handelt sich nicht um die 
grobe Mehrdeutigkeit (Homonymie), wie sie etwa bei den Wörtern 
Hahn, Feder usw. vorliegt, und auch nicht um die subtilere Mehr- 
deutigkeit vieler Ausdrücke des täglichen Lebens und der Wissenschaft, 
auch der Philosophie, wie z. B. der Wörter „Vorstellung“, „Wert“, 
„objektiv“, „Idee“ usw. Von diesen beiden Arten der Mehrdeutigkeit 
wird die erste schon im täglichen Leben, die zweite in der Philosophie 


39 


30 beachtet und dadurch wenigstens die gröberen Fehler vermieden. Die 
dritte Art, auf die es hier ankommt, werde an Beispielen erläutert. Der 
Ausdruck „dankbar“ scheint eindeutig zu sein, wenn er in seinem eigent- 
lichen Sinne genommen wird (d. h. abgesehen von seiner, zur zweiten 
Art der Mehrdeutigkeit gehörenden Anwendung im übertragenen Sinne, 
z. B. in bezug auf eine Aufgabe oder Arbeit). Wir pflegen aber nicht 
nur von einer Person zu sagen, daß sie dankbar sei, sondern auch von 
ihrem Charakter, von einem Blick, von einem Brief, von einem Volk. 
Nun gehört aber jeder dieser fünf Gegenstände einer anderen Sphäre 
an. Aus der Typen theorie folgt, daß Eigenschaften sphärenfremder 
Gegenstände selbst sphärenfremd sind. Es liegen hier also fünf zu 
einander sphärenfremde Begriffe „dankbar“ vor, deren Nichtunter- 
scheidung zu Widersprüchen führen würde. Im allgemeinen freilich 
besteht die Gefahr eines Fehlschlusses nicht, da gerade die gegenseitige 
Sphärenfremdheit der Gegenstände, von denen die Dankbarkeit aus- 
gesagt wird, ein Mißverständnis darüber verhindert, welcher der fünf 
Dankbarkeitsbegriffe gemeint sei, die mit gleichem Wort bezeichnet 
werden, aber verschieden und sogar sphärenfremd sind. Im allgemeinen 
ist also die Verwendung nur eines Wortes für diese verschiedenen Be- 
griffe unschädlich, daher zweckmäßig und berechtigt. Nur bei ge- 
naueren Begriffsunterscheidungen, die für erkenntnistheoretische und 
weiterhin für metaphysische Probleme von Bedeutung sind, muß diese 
Mehrdeutigkeit beachtet werden. Die Nichtbeachtung des Unter- 
schiedes sphärenfremder Begriffe bezeichnen wir als „Sphären Ver- 
mengung“. 

LITERATUR. Eine ausdrückliche Beachtung hat die genannte Art der Mehr- 
deutigkeit bisher in derLogik nicht gefunden. Sie hat aber eine gewisse Verwandtschaft 
mit der Vielheit der „Suppositionen“ eines Wortes, die die Scholastiker zu unter- 
scheiden pflegten; vgl. Erdmann [Bedeutung] 66ff. Enger hängt sie jedoch mit der 
Typentheorie zusammen, die Russell zur Überwindung der logischen Para- 
doxien aufgestellt und in seinem System der Logistik zur Anwendung gebracht hat 
[Types], [Princ. Math.] I 39ff., i68ff., [Math. Phil.] 133 ff., vgl.Camap [Logistik] § 9. 
Russell hat jedoch diese Theorie nur auf formal-logische Gebilde angewendet, nicht 
auf ein System der konkreten Begriffe (d. h. genauer: nur auf Variable und logische 
Konstanten, nicht auf nichtlogische Konstanten). Unsere „Gegenstandssphären“ 
sind die Russellschen „Typen“, angewendet auf nichtlogische Begriffe. Somit liegt 
auch die Rechtfertigung unserer Unterscheidung der Gegenstandssphären und der Be- 
hauptung, daß es sich in dem vorhin angeführten Beispiel um fünf verschiedene Be- 
griffe „dankbar“ handelt, in der Typen theorie; während jene in Wortsprache gegebenen 
Beispiele zunächst sicherlich wenig überzeugend wirken werden. Die Typentheorie ist 
zwar nicht allgemein anerkannt, aber es ist bisher keinem ihrer Gegner gelungen, ein 
logisches System aufzuweisen, das ohne Verwendung einer Typentheorie imstande 
wäre, die Widersprüche (die sog. „Paradoxien“), an denen die alte Logik krankt, 
zu vermeiden. 

40 



Wie wird mm die erörterte Mehrdeutigkeit zu einer Fehlerquelle 30 
bei der Prüfung der Sphärenverwandtschaft ? Das wird zunächst schon 
an den genannten fünf Gegenständen ersichtlich, von denen man die 
Dankbarkeit aussagen kann, und die man daher auf Grund des Krite- 
riums (§ 29) irrtümlich für sphärenverwandt halten könnte. Genauer 
zeigt es sich beim Beispiel des folgenden Paragraphen. 

31. Anwendungsbeispiel 

BEISPIEL. Es werde zunächst untersucht, welche Gegenstände mit einem (he- 3 1 
stimmten, einzelnen) Stein sphärenverwandt sind. Sätze über diesen Stein sind etwa: 

„der Stein ist rot“, „der Stein wiegt 5 kg“, „der Stein liegt in der Schweiz“, „der 
Stein ist hart“. Wir haben hier mit Sicherheit sinnvolle Sätze vor uns; ob sie wahr 
oder falsch sind, brauchen wir nicht zu wissen. Nun müssen wir in diese Sätze die 
Namen der anderen zu prüfenden Gegenstände einsetzen und feststellen, ob die Sätze 
dann noch einen Sinn haben oder nicht, ohne uns im ersten Falle darum zu kümmern, 
ob der Satz wahr oder falsch wird. Sind etwa ein anderer Stein oder ein Huhn zu 
prüfen, so finden wir, daß sich sinnvolle Sätze ergeben. Also sind diese Gegenstände 
Sphären verwandt mit dem ersten Stein (bei weiterer Untersuchung würden wir fin- 
den, daß sie alle zu der Sphäre der physischen Dinge gehören). Dagegen enthält die 
folgende Reihe von Gegenständen, die mit dem Stein beginnt, keinen anderen Gegen- 
stand, der mit dem Stein sphärenverwandt wäre; denn die Einsetzung keines der 
Namen an Stelle des Steines in die genannten Sätze ergibt einen Sinn. 

v Reihe vonGegenstandsbeispielen: (physische Gegenstände:) ein bestimmter 
Stein, das Aluminium ; (psychische Gegenstände :) ein (bestimmter, einmaliger) Kum- 
mer, die Lebhaftigkeit des Herrn N.; (geistige Gegenstände:) die Reichsverfassung, 
der Expressionismus; (biologische Gegenstände:) die mongolische Rasse, die Ver- 
erbung erworbener Eigenschaften; (mathem.-logische Gegenstände:) der pythago- 
räische Lehrsatz, die Zahl 3; (sinnesphänomenolog, Geg.:) die Farbe Grün, eine be- 
stimmte Melodie ; (physikal. Geg. :) das elektrische Elementarquantum, die Tempera- 
tur des schmelzenden Eises; (ethischer Geg. :) der kategorische Imperativ; (zeitlicher 
Geg. :) der heutige T ag. 

Die Erschwerung der Prüfung der Sphärenverwandtschaft dieser Gegenstände 
und die Möglichkeit des Irrtums infolge der früher erläuterten Mehrdeutigkeit (Sphä- 
renvermengung) zeigt sich z. B. in folgenden Fällen: die Sätze „der Stein ist rot“ und 
„der Stein ist hart“ scheinen auch für das Aluminium sinnvoll zu sein, nämlich der 
erste falsch, der zweite wahr. Erst die Feststellung, daß die beiden anderen Sätze über 
den Stein („er wiegt 5 kg“, „er liegt in der Schweiz“) für das Aluminium sinnlos sind, 
erweist die Sphärenfremdheit der beiden Gegenstände. Die hierdurch veranlaßte ge- 
nauere Überlegung führt dann zu der Erkenntnis, daß die Eigenschaften ,rot“ und 
„hart“ in bezug auf ein Ding nicht dasselbe sind wie die Eigenschaften „rot“ und 
„hart“ in bezug auf eine Substanz. 

Das Beispiel lehrt, daß es häufig erforderlich ist, die Prüfung der 
Sphären Verwandtschaft mit mehreren verschiedenen Sätzen vorzu- 
nehmen, um nicht durch die Sphärenunreinheit der Wörter irregefuhrt 
zu werden. 

Die genaue Prüfung der aufgeführten Gegenstandsreihe würde er- 
geben, daß die genannten Gegenstände alle untereinander sphärenfremd 

41 


31 sind. Für den ersten Gegenstand, den Stein, könnten dazu etwa die 
anfangs genannten vier Sätze über ihn dienen. Wir sahen schon, daß 
einzelne von ihnen zu scheinbarer Sphärenverwandtschaft des Steines 
mit anderen Gegenständen der Reihe führten. Vereint jedoch zeigen 
sie die Sphärenfremdheit des Steines gegenüber allen anderen Gegen- 
ständen: es findet sich kein anderer Gegenstandsname der Reihe, der 
in jeden dieser vier Sätze auch nur scheinbar sinnvoll eingesetzt werden 
könnte. In ähnlicher Weise würde eine Prüfung für jeden weiteren 
Gegenstand der Reihe durchzuführen sein. 

Die gegenseitige Sphärenfremdheit der Gegenstände der Reihe be- 
deutet, daß jeder von ihnen Repräsentant einer anderen Gegenstands- 
sphäre ist. Da nun die Reihe sich leicht nach Belieben so verlängern 
läßt, daß auch weiterhin alle Gegenstände sphärenfremd zueinander 
sind, so erkennen wir, daß die Anzahl der verschiedenen Gegen- 
standssphären groß ist; ob überhaupt eine endliche Schranke für 
diese Zahl besteht, ist mindestens vorläufig noch nicht abzusehen. Mit 
anderen Worten: die Anzahl auch derjenigen Gegenstandsarten ist 
groß, die nicht (wie etwa die Gebiete einer Klassifikation) einander ko- 
ordiniert sind, sondern toto coelo verschieden sind (indem jede ihr eigenes 
„coelum“, nämlich ihre eigene Gegenstandssphäre hat). 

In der aufgeführtenGegenstandsreihesindverschiedeneGegenstands- 

arten mit mehreren Gegenständen vertreten. Da diese Gegenstände 
nicht Sphären verwandt sind, so erweisen sich dadurch diese Gegenstands- 
arten als unrein. Das gilt fast allgemein: die in der Wissenschaft 
üblichen Gegenstandsarten sind fast durchweg unrein, also 
nicht logisch zulässige Begriffe (z. B.: physisch, psychisch, und dergl.). 

32. Die Extension einer Aussagefunktion 

32 Stehen zwei Aussagefunktionen in dem Verhältnis zueinander, daß 
jeder Gegenstand (bzw. Paar, Tripel usw.), der die eine befriedigt, auch 
die andere befriedigt, so sagen wir: die erste „impliziert generell“ 
die zweite. Stehen zwei Aussagefunktionen gegenseitig in diesem Ver- 
hältnis der generellen Implikation, so heißen sie „generell äquivalent 
oder „umfangsgleich“. Umfangsgleiche Aussagefunktionen werden 
also durch genau dieselben Argumente befriedigt. Ordnen wir umfangs- 
gleichen Aussagefunktionen dasselbe Zeichen zu und verw en den wir 
dann weiterhin nicht mehr die ursprünglichen Bezeichnungen der Aus- 
sagefunktionen selbst, sondern diese neuen Zeichen, so entgeht uns 
offenbar all das, was bei umfangsgleichen Aussagefunktionen verschieden 
ist, und wir erfassen in diesem Verfahren nur das, worin sie überein- 
stimmen. Ein solches Verfahren nennen wir ein „extensionales“ 



Verfahren; jene Zeichen, die für umfangsgleiche Aussagefunktionen 32 
übereinstimmen, nennen wir „Extensionszeichen . Sie haben keine 
selbständige Bedeutung und nur dadurch eine Verwendungsberechti- 
gung, daß wir für alle Satzformen, in denen wir sie verwenden wollen, 
angeben, wie solche Sätze umgeformt werden können in Sätze, in denen 
die Extensionszeichen nicht mehr Vorkommen; diese Zeichen werden 
bei der Rückübersetzung ersetzt durch die entsprechenden Aussage- 
funktionen selbst (genauer : jedes Extensionszeichen durch eine beliebige 
der einander umfangsgleichen Aussagefunktionen, denen es zugeordnet 
ist). Obwohl also die Extensionszeichen keine selbständige Bedeutung 
haben, also auch ungesättigte Zeichen (in noch höherem Grade als die 
Aussagefunktionen) sind, sprechen wir doch in Anlehnung an den üb- 
lichen Sprachgebrauch von ihnen so, als ob es Gegenstände gäbe, die 
sie bezeichneten ; diese Gegenstände nennen wir „Extensionen . 

Die Extensionen sind also Quasigegenstände. Wir sagen z. B. von zwei 
umfangsgleichen Aussagefunktionen, sie hätten dieselbe Extension (da- 
her auch das Wort „umfangsgleich“), da ihnen ja dasselbe Extensions- 
zeichen zugeordnet wird. Verhalten sich ferner etwa zwei Aussage- 
funktionen so zu einander, daß jeder Gegenstand (bzw. Paar, Tripel 
usw.), der die erste befriedigt, auch die zweite befriedigt, so ist leicht 
einzusehen, daß dasselbe Verhältnis der generellen Implikation auch 
stattfindet, wenn eine der beiden Aussagefunktionen durch eine um- 
fangsgleiche ersetzt wird. Deshalb können wir dieses Verhältnis mit 
Hilfe der Extensionszeichen ausdrücken ; das Zeichen c zwischen zwei 
Extensionszeichen wird dahin definiert, daß es die generelle Implikation 
zwischen den entsprechenden Aussagefunktionen bedeuten soll. Und 
nun nehmen wir wieder den Sprachgebrauch der Vergegenständlichung 
der Extensionszeichen auf; wir sagen, wenn etwa der Satz „a c b 
gilt: „(die Extension) a ist enthalten in (der Extension) b“ und 
bezeichnen diese Beziehung zwischen zwei Extensionen als „Enthalten- 
sein“ oder „Subsumtion“. 

Ist eine Aussagefunktion gegeben, so wird ein symbolisches 
Zeichen für ihre Extension gebildet, indem die mit Akzenten ver- 
sehenen Variabein vor den eingeklammerten Ausdruck der Aussage- 
funktion gesetzt werden: xy ( . . . x . . . y . . .). Beispiele werden bei 
den folgenden Erörterungen der beiden Arten von Extensionen, nämlich 
der Klassen und der Relationen, gegeben. 

33. Die Klassen 

Die Extension einer Aussagefunktion mit nur einer Argument- 33 
stelle, also einer Eigenschaft, heißt eine „Klasse“. Umfangs- 

43 


42 


33 gleichen Eigenschaften kommt somit dieselbe Klasse zu. Ein Gegen- 
stand g, der eine Aussagefunktion befriedigt, wird ein „Element“ der 
zugehörigen Klasse, etwa a, genannt (in Zeichen : g e a); g „gehört“ 
zur Klasse a (nicht: „ist enthalten in“ !). Ist die Klasse a in der Klasse 
b enthalten (im definierten Sinne der Subsumtion), so heißt a eine 
„Teilklasse“ von b (in Zeichen: ac b). 

Einige Hauptbegriffe der Klassentheorie seien kurz erläutert. Die Klasse 
der Gegenstände, die zu einer bestimmten Klasse a nicht gehören, heißt das „Negat“ 
oder „Komplement“ von a (in Zeichen: - a). Zu ihr gehören nicht etwa alle übrigen 
Gegenstände, sondern nur die zulässigen, aber nicht befriedigenden Argumente. Zum 
„Durchschnitt“ zweier Klassen (a n b) gehören die Gegenstände, die zu jeder der beiden 
Klassen zugleich gehören. Zur „Vereinigung“ zweier Klassen (a u b) gehören die 
Gegenstände, die zu mindestens einer von beiden gehören. Die Vereinigung einer 
Klasse und ihres Komplementes bildet die Gegenstandssphäre der Elemente dieser 
Klasse; denn zu ihr gehören j a alle und nur die zulässigen Argumente der entsprechen- 
den Aussagefunktion. 

Die Klassen sind als Extensionen Quasigegenstände. Die 
Klassenzeichen haben keine selbständige Bedeutung, sie sind nur ein 
zweckmäßiges Hilfsmittel, um allgemein über die Gegenstände, die eine 
bestimmte Aussagefunktion befriedigen, sprechen zu können, ohne sie 
einzeln aufzählen zu müssen. Das Zeichen einer Klasse repräsen- 
tiert also gewissermaßen das diesen Gegenständen, ihren Elementen, 
Gemeinsame. 

BEISPIEL. Die Aussagefunktion „x ist ein Mensch“ wird (so nehmen wir bei- 
spielshalber an) von denselben Gegenständen befriedigt wie die Aussagefunktionen 
„x ist ein vernunftbegabtes Tier“ und „x ist ein zweifüßiges Tier ohne Federn“. Diese 
drei Aussagefunktionen sind also umfangsgleich. Wir ordnen ihnen deshalb dasselbe 
Extensionszeichen zu, etwa me. (Wir definieren also: me — Df x (x ist ein Mensch), 
vgl. § 9). Da es sich um eine Aussagefunktion mit nur 6iner Argumentstelle handelt, 
so ist me ein Klassenzeichen, me ist ein ungesättigtes Zeichen; es bedeutet für sich 
allein nichts, aber die Sätze, in denen es auftritt, haben eine Bedeutung, weil feststeht, 
wie dies Klassenzeichen aus ihnen eliminiert werden kann; z. B.kann der Satz „d e me“ 
umgeformt werden in den Satz „d ist ein Mensch“ oder auch in den Satz „d ist ein 
zweifüßiges Tier ohne Federn“. Obwohl also me selbst nichts bezeichnet, spricht 
man von „dem von „me“ Bezeichneten“, als ob es ein Gegenstand sei; wir nennen 
es zur Vorsicht einen Quasigegenstand; es ist „die Klasse der Menschen“ als Extension 
der Aussagefunktion „x ist ein Mensch“. 

Die Betonung des Umstandes, daß die Klassen Quasigegenstände 
in bezug auf ihre Elemente und damit auch sphärenfremd zu diesen 
sind, ist deshalb wichtig, weil die Klassen häufig mit den Ganzen, die 
aus den Elementen der Klassen bestehen, verwechselt werden. Diese 
Ganzen sind jedoch nicht Quasigegenstände in bezug auf ihre Teile, 
sondern sind mit ihnen sphärenverwandt. Der Unterschied zwischen 
Klasse und Ganzem und die Sphärenfremdheit zu den Elementen soll 
später ausführlich erörtert werden (§ 37 ). 



LITERATUR. Die Theorie der Aussagefunktionen und ihrer Exten- 33 
sionen (bei Frege „Wertverläufe“) stammt von Fr ege [Funktion] [Grundges.] und 
ist von Whitehead und Russell in ihrem System der Logistik verwertet worden 
([Princ. Math.], vgl. auch [Math. Phil.] 157fr.). Eine gute Darstellung hierüber gibt 
auch Keyser [Math. Phil.] 49 ff.; K. macht auch eine interessante Erweiterung des 
Begriffes der Aussagefunktion in Gestalt der „Theoriefunktion“ („doctrinal function“ 
58ff.). Vgl. Carnap [Logistik] § 8. 

Daß die Zeichen der Extensionen und damit die der Klassen ungesättigte 
Zeichen sind, hat Frege schon gezeigt (vgl. die Zitate in § 27). Nach der Russe 11 - 
sehen Auffassung ist es für die Logik irrelevant, ob es eigentliche Gegenstände gibt, 
die durch die Klassenzeichen bezeichnet werden, oder nicht, da die Klassen nicht für 
sich, sondern wie bei Frege nur im Zusammenhang ganzer Sätze definiert werden 
(„no dass — theory“); neuerdings drückt sich Russell noch schärfer aus und nennt die 
Klassen logische Fiktionen oder symbolische Fiktionen, [External W.] 2o6ff., [Math. 
Phil.] i82ff. Das deckt sich mit unserer Bezeichnung der Klassen als Quasigegen- 
stände. Ferner sind nach Russell die Klassen auch darin völlig anderer Art als ihre 
Elemente, daß keine Aussage für eine Klasse sinnvoll (gleichviel ob wahr oder falsch) 
sein kann, die für eins ihrer Elemente sinnvoll ist (Typentheorie). Das entspricht 
unserer Auffassung von der Sphärenfremdheit zwischen einer Klasse und ihren Ele- 
menten (§ 37). 

34 . Die Relationen 

Die Extension einer Aussagefunktion mit mehreren Argument- 34 
stellen, also einer Beziehung, heißt eine „Relation“. Die Rela- 
tionen stehen also in genauer formaler Analogie zu den Klassen, 
als den Extensionen der Aussagefunktionen mit nur einer Argument- 
stelle, der Eigenschaften. So können wir uns hier kürzer fassen, weil 
infolge der Analogie Manches ohne weiteres verständlich sein wird. 
Wie die Klassen, so sind auch die Relationen Quasigegenstände. 

Umfangsgleichen Beziehungen kommt dieselbe Relation zu. Ein 
Gegenstandspaar x, y (bzw. -tripel, -quadrupel usw.), das eine Aussage- 
funktion befriedigt und daher auch die ihr umfangsgleichen Aussage- 
funktionen befriedigt, heißt ein Gliederpaar (bzw. -tripel usw.) der 
diesen Aussagefimktionen entsprechenden Relation (wenn Q die Re- 
lation bezeichnet: xQy). Da die Arguments teilen einer Aussagefunktion 
im allgemeinen nicht vertauschbar sind, so müssen auch die verschie- 
denen Glieder eines Gliederpaares (bzw. -tripeis usw.) unterschieden 
werden; in einem Gliederpaar (also bei einer zweigliedrigen Relation) 
bezeichnen wir sie als Vorderglied und Hinterglied. Aus der Unter- 
scheidung der Argumentstellen entspringt die Fähigkeit der Relationen, 
Or dnun g zu stiften; daher die Bedeutung der Relationstheorie zur 
Darstellung der Ordnung auf irgend einem Gebiete. 

Obwohl die Relationen Quasigegenstände sind, führt die Wortsprache 
aus Gründen der Veranschaulichung auch hier eine Vorstellungsstell- 


44 


45 


34 Vertretung ein, als sei eine Relation etwas Drittes, das zwischen den 
beiden Relationsgliedem schwebe. Diese Verdinglichung ist meist als 
bildliche, uneigentliche Redeweise bewußt und daher nicht gefähr- 
lich; durch sie gewinnt der sprachliche Ausdruck Anschaulichkeit. 
Auch hier folgen wir wieder der Einfachheit halber dem Sprachgebrauch, 
der die Relationszeichen wie Gegenstandsnamen verwendet, nennen 
aber wieder das durch sie Bezeichnete, um die imeigentliche Ausdrucks- 
weise zu betonen, Quasigegenstände. 

Einige Hauptbegriffe der elementaren Relationstheorie seien 
kurz angedeutet. Die Klasse der möglichen Vorderglieder einer Re- 
lation, etwa Q, heißt „Vorbereich“ von Q (in Zeichen: D‘Q); die der 
möglichen Hinterglieder „Nachbereich“ (G'Q). Sind Vor- und Nach- 
bereich Sphären verwandt, so heißt die Relation „homogen“; in diesem 
Falle haben die beiden Bereiche eine Vereinigung, das „Feld“ von Q 
(C‘Q). Die Relation, die für alle Q-Paare in umgekehrter Richtung 
gilt, heißt die „Konverse“ von Q (Q). Gilt aPb und bQc, so besteht 
zwischen a und c eine Relation, die die „Verkettung“ (oder „Relations- 
produkt“) von P und Q heißt (P[ Q). „Relationspotenzen“ : R 2 bedeutet 
R|R, R 3 bedeutet R 2 |R, usw.; R po : die Vereinigung der Potenzen 
(„Potenzrelation“ oder „Kette“); R° : die Identität im Felde von R. 

Die Begriffe der Symmetrie, Reflexivität, Transitivität und des Zu- 
sammenhanges sind früher erläutert worden (§ n). Eine Relation 
heißt „einmehrdeutig“, wenn jedem Hinterglied nur ein Vorderglied 
zugeordnet ist; im entsprechenden umgekehrten Falle „mehreindeutig“; 
wenn beides zutrifft, „eineindeutig“. 

Die Relation R heißt ein „Korrelator“ zwischen den Relationen P 
und Q, wenn R die P-Glieder den Q-Gliedem eineindeutig so zuordnet, 
daß einem P-Paar stets ein Q-Paar zugeordnet ist und umgekehrt. 
Gibt es einen solchen Korrelator zwischen P und Q, so heißen P und Q 
„isomorph“ oder „strukturgleich“. Das stimmt überein mit unserer 
früheren, anschaulichen Definition der Strukturgleichheit mit Hilfe der 
Pfeilfigur (§ n). Die „Struktur“ oder „Relationszahl“ einer Relation 
P ist exakt zu definieren als die Klasse der zu P isomorphen Relationen. 
(Vgl. hierzu die analoge Definition der Kardinalzahl, § 4°*) 

35. Zurückführbarkeit; Konstitution. 

35 Wir hatten früher (§ 2) den Begriff der Zurückführbarkeit erläutert 
mit Hilfe des ungenauen Begriffs der „Umformung“ einer Aussage. Es 
muß nun genauer gefaßt werden, was unter der „Umformung“ ver- 
standen werden soll; dazu hilft uns jetzt der Begriff der Umfangsgleich- 
heit (oder generellen Äquivalenz) von Aussagefunktionen (§ 32). Unter 

46 



einer Aussage oder Aussagefunktion „ausschließlich über die Gegen- 35 
stände a, b . . .“ verstehen wir eine solche, in deren schriftlichem Aus- 
druck als nichtlogische Zeichen nur „a“, „b“, . . . Vorkommen; logische 
Konstanten (§ 107) und allgemeine Variabein können also darin Vor- 
kommen. Gibt es zu jeder Aussagefunktion ausschließlich über die 
Gegenstände a, b, c, . . . (wobei b, c . . . auch fehlen dürfen) eine um- 
fangsgleiche Aussagefimktion ausschließlich über b, c . . ., so heißt a 
„zurückführ bar“ auf b, c, . . . Kürzer, aber weniger genau, können 
wir demnach sagen: ein Gegenstand heißt auf andere „zurück- 
führbar“, wenn alle Sätze über ihn übersetzt werden können 
in Sätze, die nur noch von den anderen Gegenständen 
sprechen. 

Der einfachere und wichtigere Fall ist der, daß in der Aussagefunk- 
tion über den zurückzuführenden Gegenstand nur dieser auftritt, nicht 
auch die anderen Gegenstände. 

BEISPIEL, „x ist eine Primzahl“ ist umfangsgleich mit „x ist eine natürliche 
Zahl, die nur die Eins und sich selbst als Teiler hat“. Hierdurch ist der Gegenstand 
(oder Begriff) Primzahl zurückgefiihrr auf die Gegenstände: natürliche Zahl, Eins, 
Teiler. 

Der früher (§ 2) erläuterte Begriff der Konstitution bedarf nun eben- 
falls der präziseren Festlegung. Einen Begriff aus anderen Begriffen 
„konstituieren“ soll bedeuten: seine „konstitutionale Definition“ 
auf Grund der anderen Begriffe angeben. Unter einer „konstitutio- 
nalen Definition“ des Begriffes a auf Grund der Begriffe b, c ver- 
stehen wir eine Übersetzungsregel, die allgemein angibt, wie jede Aus- 
sagefunktion, in der a vorkommt, verwandelt werden kann in eine um- 
fangsgleiche Aussagefunktion, in der nicht mehr a, sondern nur noch b, 
c Vorkommen. Im einfachsten Falle besteht eine solche Übersetzungs- 
regel in der Anweisung, a überall, wo es vorkommt, zu ersetzen durch 
einen bestimmten Ausdruck, in dem nur noch b, c Vorkommen („expli- 
zite“ Definition). 

Ist ein Begriff auf bestimmte andere zurückführbar, so muß er zwar 
grundsätzlich aus ihnen konstituiert werden können. Aber die Kenntnis 
von seiner Zurückführbarkeit bedeutet noch nicht Kenntnis von seiner 
Konstitution. Denn die Aufstellung der allgemeinen Umformungsregel 
für alle Aussagen über den Begriff bildet noch eine Aufgabe für sich. 

BEISPIEL. Die Zurückführbarkeit der Brüche auf natürliche Zahlen ist 
leicht einzusehen, und auch eine bestimmte Aussage über bestimmte Brüche kann 
leicht in eine Aussage über natürliche Zahlen umgeformt werden (s. § 2). Schwieriger 
ist dagegen die Konstitution etwa des Bruches V7» also die Angabe einer allgemeinen 
Regel, nach der die Aussagen über % umgeformt werden können in Aussagen über 
2 und 7 (vgl. § 40). Whitehead und Russell haben diese Aufgabe für alle mathema- 


47 


35 tischen Begriffe gelöst [Princ. Math.]; sie geben also ein „Konstitutionssystem“ 
der mathematischen Begriffe. 

36. Komplex und Ganzes 

36 Ist ein Gegenstand auf andere zurückführbar, so nennen wir ihn 
einen „logische 11 Komplex“ oder kurz einen „Komplex“ der anderen 
Gegenstände, und diese nennen wir seine „Elemente“. Klassen und 
Relationen sind nach dem früher Gesagten (§ 33, 34) Beispiele für 
Komplexe. 

Steht ein Gegenstand zu anderen Gegenständen in dem Verhältnis, 
daß sie in bezug auf ein extensives Medium, z. B. Raum oder Zeit, seine 
Teile sind, so nennen wir ihn das „extensive Ganze“ oder kurz das 
„Ganze“ der anderen Gegenstände; die Teile bezeichnen wir zuweilen 
auch als „Elemente“ des Ganzen. Das Ganze „besteht“ aus seinen 
Teilen. 

Die Unterscheidung zwischen Komplex und Ganzem darf nicht ver- 
wechselt werden mit der Unterscheidung zwischen „echtem Ganzen“ 
(„organischem Ganzen“, „Gestalt“) und „(bloßer) Kollektion“ (oder 
„Summe“); die zweite Unterscheidung ist für Psychologie und Biologie 
wichtig, jedoch für die Konstitutionstheorie nicht von so grundlegender 
Bedeutung wie die erste, da es sich bei ihr nur um eine Unterscheidung 
zwischen zwei Arten von Ganzen handelt. Es ist übrigens zweifelhaft, 
ob nicht die zweite Unterscheidung nur einen graduellen Unterschied 
betrifft, d. h. ob nicht allen Ganzen die den echten Ganzen beigelegten 
Eigenschaften in mehr oder weniger hohem Grade zukommen. Viel- 
leicht gibt es keine bloßen Kollektionen. Doch läßt sich das 
nicht genau entscheiden, da bisher keine hinreichend scharfen Defi- 
nitionen des echten Ganzen und der Gestalt vorliegen. 

LITERATUR. Driesch ([Ordnungsl.] [Ganze] bes.4) unterscheidet das „Ganze“ 
(im Sinne des echten oder organischen Ganzen) von der „Summe“ dadurch, daß es 
wesentliche Eigenschaften verliert, falls ihm ein Teil genommen wird. Die Gestalt- 
theorie beschäftigt sich mit Gebilden, die dadurch charakterisiert sind, daß „Eigen- 
schaften und Funktionen eines Teils von seiner Lage in einem Ganzen abhängen, dem 
der Teil angehört“ (Köhler [Gestaltprobl.] 514; vgl. auch Wertheimer [Gestaltth.]). 
Die Verwandtschaft der beiden Definitionen ist ersichtlich; ein Organismus als Ganzes 
seiner Glieder, eine Melodie als Ganzes ihrer Töne, ein Haus als Ganzes seiner Bau- 
steine sind Beispiele, für die die beiden Definitionen zutreffen. Ein Beispiel einer 
bloßen Kollektion ist nicht leicht zu finden. Selbst ein Stein als Ganzes seiner Moleküle, 
ja auch ein Steinhaufen als Ganzes seiner Steine sind echte Ganze. Ob die Gesamtheit 
des Eisens in der Erde vielleicht als bloße Kollektion bezeichnet werden kann, ist 
fraglich. 

Die Begriffe Ganzes und Komplex schließen sich sicherlich nicht aus. 
Aber die Konstitutionstheorie hat es gerade mit denjenigen Komplexen 

48 


zu tun, die nicht aus ihren Elementen bestehen, wie ein Ganzes aus 36 
seinen Teilen. Solche Komplexe bezeichnen wir als „selbständige 
Komplexe“. Das unterscheidende Merkmal zwischen einem Ganzen 
und einem selbständigen Komplex liegt also darin, ob die ElementeTeile 
des Gebildes in extensivem Sinne sind oder nicht. 

Aus den Definitionen der Konstitution und des Komplexes folgt: 
ist ein Gegenstand aus anderen Gegenständen konstituiert, so ist er ein 
Komplex von diesen. Also sind alle Gegenstände eines Konstitu- 
tionssystems Komplexe der Grundgegenstände des Systems. 

Haben wir eine Aussage über einen Quasigegenstand, also als Aus- 
druck dieser Aussage einen Satz, in dem das ungesättigte Zeichen an 
einer Stelle vorkommt, wo der Satzform nach ursprünglich nur ein 
Gegenstandsname Vorkommen kann, so muß diese Verwendungsart des 
ungesättigten Zeichens definiert werden; dieser Satz muß sich zurück- 
verwandeln lassen in einen Satz, wo an Gegenstandsstelle (z. B. an 
Subjektstelle) nur eigentliche Gegenstandsnamen stehen. Daraus folgt, 
daß ein zu einem Gegenstandsgebiet gehöriger Quasigegenstand 
stets ein Komplex der Gegenstände des Gebietes ist. Und zwar 
ist er ein selbständiger Komplex, nicht das Ganze seiner Elemente. 
Denn ein Ganzes ist ein Gegenstand von gleicher Gegenstands art Wie 
seine Elemente. Da die Klassen Quasigegenstände in bezug auf ihre 
Elemente sind, so sind sie selbständige Komplexe dieser Elemente (vgl. 

§ 37 )i ebenso sind die Relationen selbständige Komplexe ihrer Glieder. 

37. Eine Klasse besteht nicht aus ihren Elementen 

Wir sagen von einer Klasse und -einem Ganzen, daß sie einander 37 
„entsprechen“, wenn die Teile des Ganzen die Elemente der Klasse sind. 

Da ein Ganzes auf verschiedene Weise in Teile zerlegt werden kann, so 
entsprechen einem Ganzen stets viele verschiedene Klassen. Umgekehrt 
jedoch entspricht einer Klasse höchstens ein Ganzes, denn die Elemente 
sind durch die Klasse eindeutig bestimmt, und zwei Gegenstände, die 
aus denselben Teilen bestehen, sind identisch. Beständen nun die 
Klassen aus ihren Elementen, d. h. wären sie identisch mit den ihnen 
entsprechenden Ganzen, so wären auch jene vielen Klassen, die dem- 
selben Ganzen entsprechen, mit einander identisch. Sie sind jedoch, wie 
wir gesehen haben, verschieden von einander. Also können die 
Klassen nicht aus ihren Elementen bestehen, wie ein Ganzes 
ausseinenTeilen. Die Klassen sind, als Quasigegenstände in bezug 
auf ihre Elemente, Komplexe ihrer Elemente, und zwar, da sie nicht aus 
diesen bestehen, selbständige Komplexe ihrer Elemente. 

Dasselbe gilt für den mathematischen Begriff der Menge, der mit 

49 


37 dem logischen Begriff der Klasse übereinstimmt. Es ist wichtig, zu be- 
achten, daß auch die Menge nicht aus ihren Elementen besteht, 
da dem Mengenbegriff seit seiner Geburtsstunde (der Cantorschen 
Definition) der Charakter des Ganzen oder der Kollektion (oder des 
„Aggregats“) irrtümlich anhängt. In der Mengenlehre selbst zieht diese 
Auffassung im allgemeinen keine Folgen nach sich; sie trägt jedoch die 
Schuld daran, daß für den Begriff der Mächtigkeit (oder Kardinalzahl), 
einen der Hauptbegriffe der Mengenlehre, die methodisch zweck- 
mäßigste, logisch einwandfreie Form der Definition vielfach abgelehnt 
wird (vgl. § 41). 

BEISPIEL. Als Teile, deren Ganzes ein Hund ist, kann man die Glieder an- 
sehen, aber auch die Zellen oder die Atome. Dagegen sind die Klasse der Glieder des 
Hundes, die Klasse seiner Zellen, die Klasse seiner Atome drei verschiedene Klassen. 
Denn es gehören zu jeder andere Elemente, auch kommt einer jeden eine andere Kar- 
dinalzahl zu; sie können also nicht identisch sein. Dem Ganzen Hund entsprechen 
diese verschiedenen Klassen. Da diese Klassen unter einander nicht identisch sind, so 
können sie auch nicht alle mit dem Ganzen, dem Hund, identisch sein; da sie logisch 
gleichberechtigt sind, weil die Gesichtspunkte der Teilzerlegung logisch gleichberechtigt 
sind, so kann auch nicht eine einzelne von ihnen als identisch mit dem Ganzen an- 
genommen werden. 

LITERATUR. Die These dieses Paragraphen ist schon von Fr ege deutlich aus- 
gesprochen worden: „Der Umfang eines Begriffes besteht nicht aus den 
Gegenständen, die unter den Begriff fallen“ [Krit.j 455. Russell hat auch 
Einerklassen und Nullklasse zur Begründung angeführt [Math. Phil.] 184. Vgl. auch 
die treffenden Bemerkungen von Weyl [Handb.] n. 

Eine Klasse ist aber nicht nur nicht identisch mit dem ihr ent- 
sprechenden Ganzen, sondern sogar sphärenfremd zu ihm. Wie wir 
gesehen haben, sind die Extensionen Quasigegenstände in bezug auf 
ihre Elemente. Daraus verstehen wir, daß die Logistik lehrt, daß eine 
Extension nicht für dieselbe Argumentstelle einer Aussagefunktion zu- 
lässiges Argument sein kann, für die ihre Elemente zulässige Argu- 
mente sind. Über eine Klasse läßt sich nichts aussagen, was 
sich über ihre Elemente aussagen läßt; über eine Relation 
nichts, was sich über ihre Glieder aussagen läßt. (Der bekannte 
Satz der Logistik, daß sich von einer Klasse weder ihre Zugehörigkeit, 
noch ihre Nichtzugehörigkeit zu sich selbst aussagen läßt, ist ein Spezial- 
fall hiervon.) 

Da nun ein Ganzes sphärenverwandt ist mit seinen Teilen, während 
eine Klasse sphärenfremd zu ihren Elementen ist, so ist eine Klasse 
auch sphärenfremd zu dem ihr entsprechenden Ganzen. 

BEISPIEL. Der Unterschied zwischen einer Mauer als dem Ganzen ihrer Steine 
und der Klasse dieser Steine zeigt sich darin besonders scharf, daß die Mauer sphären- 
verwandt mit den Steinen, die Klasse dagegen sphärenfremd zu den Steinen ist. Das 
ergibt sich aus der Anwendung des Kriteriums mit Hilfe der Aussagefunktionen (§ 29). 


50 



Die Aussagefunktionen „x ist aus gebranntem Lehm“, „x ist viereckig“, „x ist hart“ 37 
werden sowohl von einem Stein wie von der Mauer befriedigt; die Aussagefunktionen 
„x ist einfarbig“, „x ist (räumlich) klein“ werden von dem Stein befriedigt, von der 
Mauer werden entweder sie selbst oder ihre Negationen befriedigt. Jedenfalls sind 
für alle fünf Aussagefunktionen Stein und Mauer zulässige Argumente. Die Klasse der 
Steine dagegen ist für keine dieser Aussagefunktionen zulässiges Argument. Dagegen 
ist sie zulässiges Argument für die Aussagefunktionen „x hat die Kardinalzahl hun- 
dert“, „x ist Teilklasse der Klasse der Steine überhaupt", während für diese weder die 
Mauer noch ein Stein zulässige Argumente sind. 

38. Konstitution geschieht durch Definition. 

Wenn beim Aufbau des Konstitutionssystems ein neuer Gegenstand 38 
„konstituiert“ wird, so bedeutet das gemäß unserer Begriffsbestimmung 
der Konstitution, daß angegeben wird, wie die Aussagen über ihn ver- 
wandelt werden können in Aussagen über die Grundgegenstände des 
Systems oder die vor ibm schon konstituierten Gegenstände. Es muß 
also eine Regel angegeben werden, die es ermöglicht, den Namen des 
neuen Gegenstandes in allen Sätzen, in denen er auftreten kann, zu 
eliminieren, mit anderen Worten: eine Definition des Gegenstands- 
namens. 

Nim sind zwei verschiedene Fälle zu unterscheiden. Im ein- 
facheren Fall kann ein aus den schon bekannten Zeichen (d. h. den 
Grundzeichen und den bisher schon definierten) zusammengesetztes 
Zeichen angegeben werden, das stets an die Stelle des neuen Gegen- 
standszeichens gesetzt werden kann, wenn dieses e limini ert werden soll. 
Hier geschieht die Konstitution durch eine explizite Definition: 
das neue Zeichen wird als gleichbedeutend mit dem zusammengesetzten 
erklärt. In diesem Falle ist der neue Gegenstand in bezug auf gewisse 
der alten Gegenstände kein Quasigegenstand, denn es kann ja explizit 
angegeben werden, was er ist. Er bleibt in einer der schon gebildeten 
Gegenstandssphären, auch wenn wir ihn vielleicht als Vertreter einer 
neuen Gegenstands art auffassen. Die Unterscheidung der Arten ist ja, 
im Gegensatz zu der der Sphären, nicht logisch eindeutig, sondern von 
praktischen Einteilungszwecken abhängig. 

Der zweite Fa 11 liegt vor, wenn keine explizite Definition möglich 
ist. In diesem Falle ist eine besondere Art der Definition erforderlich, 
die sog. „Gebrauchsdefinition“. 

39. Gebrauchsdefinitionen 

Ist für einen Gegenstand keine explizite Definition möglich, so be- 39 
zeichnet sein Gegenstandsname isoliert nichts im Sinne der alten Gegen- 
stände; wir haben es daher in diesem Falle mit einem Quasigegenstand 

5i 


39 in bezug auf die alten Gegenstände zu tun. Wenn nun aber der Gegen- 
stand „auf Grund der alten Gegenstände konstituiert“ heißen darf, so 
muß es trotzdem möglich sein, die Aussagen über ihn in solche umzu- 
wandeln, in denen nur die alten Gegenstände Vorkommen, obwohl sich 
für ihn kein aus den Zeichen der alten Gegenstände zusammengesetztes 
Zeichen angeben läßt. Wir müssen dann eine Übersetzungsregel haben, 
die allgemein die Umformungsoperation für die Satzformen, in denen 
der Gegenstandsname Vorkommen soll, bestimmt. Eine solche Ein- 
führung eines neuen Zeichens heißt im Gegensatz zur expliziten Defini- 
tion eine „Definition in usu“ („definition in use“) oder etwa „Ge- 
brauchsdefinition“, da sie nicht das neue Zeichen selbst, das für 
sich keine Bedeutung hat, erklärt, sondern seinen Gebrauch in ganzen 
Sätzen. 

LITERATUR. Vgl. hierzu Russell [Princ. Math.] I 25, 69. 

Die Bezeichnung „implizite Definition“ ist für die ganz andersartige Bestimmung 
von Gegenständen durch A xiomensysteme üblich und möge hierfür Vorbehalten 
bleiben (vgl. § 15). Zuweilen, z. B. wenn es sich um die Gegenüberstellung zu den im- 
pliziten Definitionen handelt, werden unter „expliziten Definitionen (im weiteren 
Sinne)“ sowohl die expliziten Definitionen i. e. S., als auch die Gebrauchsdefinitionen 
verstanden. 

Damit die Übersetzungsregel sich auf alle vorkommenden Sätze 
einer bestimmten Satzform anwenden läßt, muß sie sich auf Aus- 
sagefunktionen beziehen. Sie muß die Bezeichnungen zweier Aussage- 
funktionen einander gegenüberstellen, von denen die eine den neuen 
Gegenstandsnamen, die andere nur alte enthält, und in beiden müssen 
dieselben Variabein Vorkommen; der zweite Ausdruck soll damit als 
Übersetzung des ersten angegeben werden. Daß diese Form gewählt 
werden muß, zeigt eine leichte Überlegung. Wenn der Ausdruck, der 
das neue Zeichen enthält, keine Variabein enthalten würde, also nicht 
Ausdruck einer Aussagefunktion, sondern einer Aussage wäre, also ein 
Satz, so würde die Regel ja nicht auf verschiedene Satze, sondern nur 
auf diesen einen angewandt werden können. Und wenn jener Ausdruck 
Variable enthält, so muß die von der Regel gegebene Übersetzung die- 
selben Variabein enthalten, da sie sonst nicht angäbe, wie bei der An- 
wendung auf einen bestimmten zu übersetzenden Satz die in ihm an 
den Argumentstellen vorkommenden Gegenstandsnamen in die Über- 
setzung hinüberzunehmen wären. 

BEISPIELE. Die Form der e xplizitenDefinition darf an sich wohl als bekannt 
vorausgesetzt werden; doch ist es wichtig,daß der Unterschied zur Gebrauchsdefinition 
recht deutlich wird. Sind die Zahl 1 und die Operation -f- bekannt, so können die 
weiteren Zahlen explizit definiert werden: „2 =Dfi + 1“, „3 = Df 2 + 1“ usw. 
(„ — Df“ ist zu lesen als „soll kraft Definition bedeuten“ oder „soll stets ersetzt werden 
dürfen durch“). 



Gebrauchsdefinition. Bekannt seien der Begriff der natürlichen Zahl und die 39 
Multiplikation. Der Begriff der Primzahl soll eingeführt werden. Der Ausdruck 
„Primzahl“ kann nicht explizit definiert %verden in der Weise, wie vorhin die Zeichen 
„2“ und „3“. Es könnte scheinen, als dürfte man etwa in folgender Form definieren: 

„die Primzahlen = Df diejenigen Zahlen, für welche . . .“ oder „eine Primzahl = Df eine 
Zahl, für die . . Aber eine Definition in dieser Form würde nur so aussehen, als 
wäre sie explizit; dieser falsche Schein wird durch den sprachlichen Ausdruck hervor- 
gerufen, der solchen Bezeichnungen wie „die Primzahlen“ oder „eine Primzahl" den 
Anschein von Gegenstandsbezeichnungen gibt, indem die Sprache solche Ausdrücke 
als Satzsubjekte verwendet. Solche Ausdrücke wie „diejenigen, welche . . .“ oder 
„ein . . sind eben schon (sehr zweckmäßige) Abkürzungen für Gebrauchsdefini- 
tionen; sie entsprechen den logistischen Klassenzeichen. Der Primzahlbegriff ist kein 
eigentlicher Gegenstand, verglichen mit den Zahlen 1, 2, 3, . . . Er kann daher nur 
im Gebrauch definiert werden, indem angegeben wird, welche Bedeutung ein Satz 
von der Form „a ist eine Primzahl“ haben soll, wobei a eine Zahl ist. Diese Bedeutung 
muß dadurch angegeben werden, daß eine der Aussagefunktion „x ist eine Primzahl“ 
gleichbedeutende Aussagefunktion angegeben wird, die nur bekannte Zeichen enthält, 
die also als Übersetzungsregel für die Sätze von der Form „n ist eine Primzahl“ dienen 
kann. Wir können etwa definieren : „x ist eine Primzahl“ = Df „x ist eine natürliche 
Zahl; x hat nur 1 und x als Teiler.“ 

40. Die Stufenformen: Klasse und Relation 

Wir haben gesehen, daß die Konstitution eines Gegenstandes in 40 
Gestalt einer Definition anzugeben ist. Dabei ist diese konstitutionale 
Definition entweder explizit oder sie ist eine Gebrauchsdefinition. Im 
ersten Falle ist der konstituierte Gegenstand sphärenverwandt mit 
einigen der alten Gegenstände, mit ihm wird keine neue „Konstitu- 
tionsstufe“ erreicht. Der Schritt zu einer neuen Konstitutions- 
stufe geschieht also stets durch eine Gebrauchsdefinition. 
Nim wird durch jede Gebrauchsdefinition angegeben, daß eine Aussage- 
funktion, die mit Hilfe eines neuen Zeichens dargestellt wird, gleich- 
bedeutend ist mit einer Aussagefunktion, die nur mit alten Zeichen dar- 
gestellt wird. Unter der „gleichen Bedeutung“ ist zu verstehen, daß 
beide Aussagefunktionen durch dieselben Gegenstände befriedigt wer- 
den. Da eine Aussagefunktion, die einer anderen umfangsgleich ist 
(§ 32), durch dieselben Gegenstände befriedigt wird wie diese, so können 
wir in der Gebrauchsdefinition an Stelle der zweiten Aussagefunktion 
auch eine beliebige mit ihr umfangsgleiche setzen. Die mit Hilfe des 
neuen Zeichens dargestellte Aussagefunktion gehört also nicht zu einer 
einzelnen, bestimmten alten Aussagefunktion, sondern zugleich zu allen 
diesen, mit einander umfangsgleichen, mit anderen Worten : sie gehört 
zur Extension dieser Aussagefünktionen. Daher können wir die neue 
Aussagefunktion auch rein extensional auffassen: wir führen das 
neue Zeichen als Extensionszeichen ein. Durch eine konstitu- 


52 


53 


40 tionale Definition, die zu einer neuen Konstitutionsstufe fuhrt, wird 
daher, je nachdem die zweite, definierende Aussagefimktion nur eine 
Argumentstelle hat oder deren mehrere, entweder eine Klasse oder 
eine Relation definiert. Klasse und Relation sind demnach 
die Stufenformen der Konstitution. Beide Formen mögen durch 
Beispiele aus der Arithmetik erläutert werden. 

BEISPIEL, i. Klasse. Die Kardinalzahlen (oder Mächtigkeiten) werden 
in der Logistik definiert als Klassen gleichmächtiger Klassen (oder „Mengen“); 
dabei heißen zwei Klassen gleichmächtig, wenn sie eineindeutig auf einander abbildbar 
sind. So sind z. B. alle Klassen, die fünf Elemente haben, unter einander gleich- 
mächtig; die Klasse zweiter Stufe, deren Elemente alle diese Klassen sind, wird dann 
als „Kar dinalzahl Fünf“ bezeichnet. Der Aufbau der Arithmetik auf Grund dieser 
Definition zeigt, daß diese Definition formal einwandfrei und hinreichend ist, da sie 
alle arithmetischen Eigenschaften der Kardinalzahlen abzuleiten gestattet und nicht 
zu Widersprüchen führt. Trotzdem hat man sich vielfach gegen diese Definition ge- 
sträubt, nicht aus logischen, sondern aus leicht verständlichen intuitiven Gründen. 
Z. B. erscheint jene Klasse, zu der alle Fünferklassen der Welt gehören sollen, so uferlos 
und allesumfassend, daß ihre Identität mit dem scharf umrissenen arithmetischen 
Gebüde, der Kardinalzahl Fünf, absurd erscheint. Dieser Schein beruht jedoch nur 
auf der erörterten, vorstellungsmäßigen Ersetzung der Klasse durch das entsprechende 
Ganze (vgl. § 37); diese Ersetzung ist zwar häufig zweckmäßig, wirkt hier aber irre- 
führend. Gehen wir wieder zu unserem Beispiel zurück : die Klasse der Finger meiner 
rechten Hand ist nicht das Ganze „meine rechte Hand“, und die Klasse aller solcher 
Fünferklassen besteht nicht aus allen Händen, Füßen, Fünfersteinhaufen usw. Diese 
uferlose Kollektion wäre freilich als arithmetisches Gebilde unbrauchbar. Sondern: 
was die Klasse der Finger meiner rechten Hand ist, ist nicht zu sagen, denn diese 
Klasse ist nur ein Quasigegenstand, und zwar ein selbständiger Komplex; ein für sie 
eingefühltes Zeichen würde für sich selbst keine Bedeutung haben, sondern nur dazu 
dienen, Aussagen über die Finger meiner rechten Hand zu machen, ohne diese fünf 
Gegenstände einzeln aufzählen zu müssen, also Aussagen über das ihnen Gemeinsame, 
z. B. über die diesen Fingern gemeinsamen Form-, Färb-, Stoffeigenschaften usw. 
Ebenso kann nicht gesagt werden, was die Klasse der Fünferklassen selbst ist (d. h. 
die Klasse der Klassen, die sich auf die Klasse der Finger meiner rechten Hand elemen- 
tenweise eineindeutig abbilden lassen). Auch sie ist nur ein Quasigegenstand, und 
zwar ein selbständiger Komplex; führen wir für sie ein Zeichen ein, etwa kl 6 , so be- 
zeichnet dieses Zeichen keinen eigentlichen Gegenstand, sondern dient nur dazu, Aus- 
sagen über die Elemente dieser Klasse zu machen, also über alle Fünferklassen, ohne 
diese aufzählen zu müssen, was hier wegen der unendlichen Anzahl ja auch praktisch 
nicht ausführbar wäre. Wenn nun also kl 6 ein Zeichen ist, das uns gestattet, über die 
allen Fünferklassen gemeinsamen Eigenschaften Aussagen zu machen, was könnte 
dann noch der Unterschied zwischen ihm und dem arithmetischen Zeichen „3“ (fhr 
die Kardinalzahl) sein? Die Kardinalzahl 5 ist auch ein Quasigegenstand, wie die 
Klasse kl B ; auch das Zeichen „5“ bezeichnet keinen eigentlichen Gegenstand, sondern 
dient nur dazu, Aussagen über die allen möglichen Fünferklassen gemeinsame Eigen- 
schaft zu machen. So sehen wir also, daß die angegebene Definition der Kardinalzahl 
nicht, wie man häufig meint, an Stelle der Kardinalzahlen andere, schematisch kon- 
struierte Gebilde setzt» die mit den Kardinalzahlen eine gewisse formale Analogie auf- 



weisen, sondern daß diese Definition den arithmetischen Begriff selbst ge- 40 
nau trifft; nur durch die nirgends ausgesprochene, aber fast immer unterlaufende, 
irrige Auffassung der Klassen als Ganze oder Kollektionen ist dieser Sachverhalt ver- 
dunkelt worden. 

LITERATUR. Die genannte Definition der Kardinalzahl ist zuerst von Frege 
aufgestellt worden: [Grundig.] 79fr., [Grundges.) I 57. Sie ist unabhängig davon 
von Russell 1901 von Neuem gefunden und zur Grundlegung der Mathematik 
verwendet worden: [Principles] 114, [External W.] 199 f-, [Math. Phil.] ix; [Princ. 
Math.] I. 

Bedenken der angeführten Art gegen diese Definition werden z. B. geäußert von : 
Hausdorff [Mengenl.] 46, J. König [Logik] 226 Anm.; vgl. Fraenkel [Mengenl.] 44- 
Russell selbst hat in dem Bestreben, stets möglichst in Einklang mit dem Sprachge- 
brauch zu bleiben, die Auffassung der Klassen als Ganze trotz seiner „no dass theory“ 
früher mindestens nicht deutlich genug abgewehrt [Princ. Math.], [External W.] 126; 
jetzt betont er zwar mit Entschiedenheit den Unterschied zwischen Klasse und „Haufen 
oder Ansammlung“, also Ganzem oder Kollektion in unserem Ausdruck [Math. 
Phil.] 184, glaubt aber doch, mit dieser Definition der Kardinalzahl eine Absonderlich- 
keit auf sich nehmen zu müssen, um nur einen bestimmten, imzweideutigen Begriff 
zu bekommen, [Math. Phil.] 18. Unsere Auffassung stimmt überein mit der von 
Weyl [Handb.] 11. 

BEISPIEL. 2. Relation. Wir haben früher gesehen, daß die Brüche auf die 
natürlichen Zahlen zurückführbar, also als Komplexe natürlicher Zahlen zu bezeichnen 
sind (§ 2). Und zwar sind die Brüche selbständige Komplexe, nämlich Quasigegen- 
stände, denn sie lassen sich als Relationen zwischen natürlichen Zahlen definieren. 

Z. B. „ 2 / s — Df xy (x und y sind natürliche Zahlen, und es gilt : 3x = 2y)“. 

41. Die Konstitutionsstufen 

Werden in einem Konstitutionssystem irgendwelcher Art auf Grund 41 
irgendwelcher Grundgegenstände durch mehrfache schrittweise, auch 
abwechselnde Anwendung der Klassen- und der Relationskonstitution 
immer weitere Gegenstandsgebiete konstituiert, so bezeichnen wir diese 
einander sphärenfremden Gebiete» von denen jedes ein Gebiet von 
Quasigegenständen in bezug auf das vorhergehende Gebiet bildet, als 
„Konstitutionsstufen“. Die Konstitutionsstufen sind demnach die 
Gegenstandssphären, die innerhalb eines Konstitutionssystems durch 
die Konstitution der einen Gegenstände auf Grund der anderen in eine 
Stufenordnung gebracht sind. Hier zeigt sich besonders deutlich die 
Relativität des Begriffes „Quasigegenstand“, der für einen 
Gegenstand irgendeiner Konstitutionsstufe in bezug auf die Gegen- 
stände der vorhergehenden Stufen gilt. 

Jetzt ist auch deutlich zu erkennen, in welchem Sinne zwei Thesen 
der Konstitutionstheorie miteinander vereinbar sind, die wir schon 
früher aufgestellt haben, die aber scheinbar einander widersprachen. 

Es sind das die Thesen von der Einheit des Gegenstandsgebietes (§ 4) un( l 
von der Vielheit selbständiger Gegenstandsarten (§ 25). Im Konstitu- 


54 


55 


41 tionssystem werden alle Gegenstände aus gewissen Grundgegenständen 
konstituiert, aber in einem stufenmäßigen Aufbau. Aus der Konstitution 
auf Grund derselben Grundgegenstände folgt, daß die Aussagen über 
alle Gegenstände umformbar sind in Aussagen über diese Grundgegen- 
stände, so daß die Wissenschaft der logischen Bedeutung ihrer Aus- 
sagen nach von nur einem Gebiet handelt. Das ist der Sinn der ersten 
These. Die Wissenschaft macht aber in ihrem praktischen Verfahren 
keineswegs auch immer Gebrauch von jener Umformbarkeit, indem sie 
etwa alle ihre Aussagen auch wirklich umformte. Sie macht vielmehr 
ihre Aussagen hauptsächlich in der Form von Aussagen über konsti- 
tuierte Gebilde, nicht über die Grundgegenstände. Und diese kon- 
stituierten Gebilde gehören verschiedenen Konstitutionsstufen an, die 
alle unter einander sphärenfremd sind. Der logischen Form ihrer Aus- 
sagen nach hat es die Wissenschaft daher mit vielen selbständigen 
Gegenstandsarten zu tun. Das ist der Sinn der zweiten These. Die 
Vereinbarkeit beider Thesen beruht darauf, daß es möglich ist, ver- 
schiedene, einander sphärenfremde Stufen aus denselben Grundgegen- 
ständen zu konstituieren. 

42. Sein und Gelten 
(Überschlagbar) 

42 In Anlehnung an einen zuweilen geübten Sprachgebrauch kann man 
auch von verschiedenen „Seinsarten“ der Gegenstände verschiedener 
Sphären sprechen. Dieser Ausdruck bringt besonders klar zum Bewußt- 
sein, wie völlig getrennt und unvergleichbar sphärenfremde Gegenstände 
sind. Im Grunde genommen geht auch der in der neueren Philosophie 
viel betonte Unterschied zwischen dem Seienden und dem 
Geltenden auf den Unterschied der Gegenstandssphären, genauer: 
auf den Unterschied zwischen eigentlichen Gegenständen und Quasi- 
gegenständen zurück. Wird nämlich ein Quasigegenstand auf Grund 
gewisser Elemente seines Ausgangsgebietes konstituiert, so „gilt“ er 
für diese Elemente; damit unterscheidet er sich als Geltendes von den 
Elementen als Seienden. Daß eine Relation für ihre Glieder „gilt“, ist 
uns auch sprachlich geläufig; weniger, daß eine Klasse für ihre Elemente 
„gilt“, obwohl wir hier mit dem gleichen Recht diesen Ausdruck ge- 
brauchen dürften, da das Verhältnis in beiden Fällen dasselbe ist. Über 
die übliche Auffassung von Seiendem und Geltendem geht die Kon- 
stitutionstheorie dadurch hinaus, daß sie diese Gegenüberstellung nicht 
als eine einmalige, an nur einer Grenze bestehende ansieht, sondern als 
ein Verhältnis, das sich immer wieder erneuert und von Stufe zu 
Stufe weiterführt: das für die Gegenstände einer ersten Stufe 

56 



Geltende wird als Seiendes einer zweiten Stufe aufgefaßt und kann dann 42 
Gegenstand für neues Geltendes (einer dritten Stufe) werden, usw. 
Darin besteht für die Konstitutionstheorie die Dialektik des begriff- 
lichen Fortganges in logisch strenger Form. Die Begriffe Seiendes und 
Geltendes sind also relativ und drücken die Beziehung jeder Konstitu- 
tionsstufe zu der nächstfolgenden aus. 

BEISPIEL. Stufengang der Konstitution, in dem das Verhältnis des Geltenden 
zum Seienden immer wieder neu auftritt: Aus Dingen werden Klassen konstituiert; 
diese bestehen nicht aus den Dingen, sind kein Seiendes im Sinne der Dinge, sondern 
gelten für die Dinge. Diese Klassen, obwohl ein Geltendes, werden dann als Seiendes 
(einer zweiten Seinsart) aufgefaßt. Von ihnen kann z. B. zu den Kardinalzahlen, die 
für diese Klassen gelten, weitergegangen werden (über die Konstitution der Kardinal- 
zahlen als Klassen von Klassen vgl. § 40). Die Kardinalzahlen gehören einer dritten 
Seinsart an und geben Anlaß zur Konstitution der Brüche als Relationen, die für 
gewisse Kardinalzahlen gelten (vgl. § 40); auch diese Brüche werden vergegenständlicht, 
als Seiendes (einer vierten Seinsart) aufgefaßt und zu Ausgangselementen gewisser 
Klassen, die für sie gelten, nämlich der reellen Zahlen gemacht; diese gehören einer 
fünften Seinsart an; die komplexen Zahlen als Relationen, die für gewisse reelle 
Zahlen gelten, gehören einer sechsten Seins art an, usf. 

Das angeführte Beispiel führt zwar nur sechs Stufen an, läßt aber 
doch schon ahnen, zu wie verschiedenartigen Gegenständen die Kon- 
stitution führt, wenn viele solche Stufenschritte gemacht werden. Es 
werden dann schließlich Gebilde erreicht, bei denen auf den ersten Blick 
nicht zu erkennen ist, ja es zunächst als unmöglich erscheint, daß sie 
aus den Grundgegenständen konstituiert sind. Daher der Anschein 
des Paradoxen in dem Kroneckerschen Ausspruch, daß die ganze 
Mathematik von nichts anderem als den natürlichen Zahlen handle, 
und noch mehr in der These der Konstitutionstheorie, daß die 
Gegenstände aller Wissenschaften aus denselben Grund- 
gegenständen durch bloße Anwendung der Stufenformen 
Klasse und Relation konstituiert seien. 

43. Ein Bedenken gegen die extensionale Methode der 
Konstitution 

Wir haben früher gesehen, daß eine konstitutionale Definition in 43 
Form einer Gebrauchsdefinition (§ 39) darin besteht, daß zwei Aussage- 
fünktionen als gleichbedeutend erklärt werden. Ferner haben wir über- 
legt (§ 40), daß die neue Aussagefunktion nur ihrer Extension nach be- 
stimmt werden kann und daß es daher genügt, an Stelle der Aussage- 
funktion selbst ihr Extensionszeichen durchdie konstitutionaleDefinition 
einzuführen. Damit wird dann jeder Begriff nur extensional definiert. 
Wir sprechen deshalb von einer „extensionalen Methode“ der 
Konstitution. Sie stützt sich auf die „Extensionalitätsthese“ : in 


57 


mw* 


43 jeder Aussage über einen Begriff darf dieser Begriff extensional ge- 
nommen, d. h. durch, seine Extension (Klasse oder Relation) dargestellt 
werden; genauer: in jeder Aussage über eine Aussagefunktion kann 
diese durch ihr Extensionszeichen vertreten werden. 

Es könnte nun das Bedenken entstehen, ob sich aus der extensio- 
nalen Methode nicht Schwierigkeiten ergeben, wenn man von dem 
extensional definierten Begriff weitergeht zu anderen Begriffen und zu 
Aussagen über ihn. Denn nach bisheriger Anschauung der Logik gilt 
die Extensionalitätsthese nicht: nicht alle Aussagen über einen Begriff 
können in die Form einer Extensionsaussage gebracht werden. 

LITERATUR. Das Bedenken hängt mit der alten Unterscheidung zwischen Um- 
fangslogik und Inhaltslogik zusammen. Ein genaues Kriterium dafür, ob eine 
Aussage den Umfang oder den Inhalt eines Begriffes betreffe, hatte man freilich nicht. 
Die Unterscheidung wurde wichtig, als die ersten Systeme der Logistik oder symboli- 
schen Logik (Boole, Venn, Schröder) diese nicht nur im Sinne einer bloßen Umfangs- 
logik aufbauten, sondern ihre Grenzen noch enger zogen, indem sie die Subsumtion 
als einzige Form der Aussage annahmen. Auf Frege aufbauend ist dann Russell über 
diese enge Begrenzung hinausgegangen; in seinem System sind sowohl Inhalts- wie 
Umfangslogik vereinigt. Frege war der erste, der den seit Jahrtausenden bekannten 
und viel behandelten Unterschied zwischen Inhalt und Umfang eines Begriffes scharf 
faßbar machte durch seine Unterscheidung zwischen dem Begriff als Funktion, deren 
Werte Wahrheitswerte sind, und ihrem „Wertverlauf“ (in unseren Ausdrücken: 
„Aussagefunktion“ und „Extension“). Russell hat im Anschluß daran die Inhalts- 
logik als Theorie der Aussagefunktionen und die Umfangslogik als Theorie der Exten- 
sionen (Klassen und Relationen) entwickelt. Schon die extensionale Logik enthält in 
diesem System nicht nur Subsumtionsaus sagen, sondern eine große Zahl von Aussage- 
formen, die sich durch ihre Prädikatsbeziehung unterscheiden; die intensionale Logik 
ist nicht an bestimmte Aussageformen gebunden. Nach der von Russell früher ver- 
tretenen Anschauung sind nun die Aussagen der intensionalen Logik nicht alle über- 
setzbar in Aussagen über Extensionen; [Princ. Math.] I 76L, [Math. Phil.] i87f. 
Diese Ansicht ist von Wittgenstein [Abhandlg.] 243 f. angegriffen worden, und im 
Anschluß daran neigt Russell selbst dazu, sie fallen zu lassen: Vorwort zu Wittg. 
[Abhandlg.] I94ff., [Princ. Math.] I 2 S. XIV u. Ö59ff. 

Von einer Auffassung aus, die der Wittgensteins nahesteht, werden wir zeigen, 
daß die genannte Auffassung sich tatsächlich nicht halten läßt. Wir werden die Gültig- 
keit der Extensionalitätsthese erkennen, so daß das Bedenken gegen die extensionale 
Methode hinf ällig wird. 

Das Bedenken gegen die extensionale Methode bezieht sieh 
nicht nur auf das Konstitutionssystem, von dem hier die Rede ist, 
sondern wird von dem der Mathematik ferner stehenden Flügel der 
Philosophie grundsätzlich gegen eine solche formale Methode vorge- 
bracht, die vorwiegend Extensionen verwendet, zumal wenn es sich wie 
hier um nicht rein logische, sondern er kenntnis theoretische Probleme 
handelt. Da mm die Russellsche Formulierung des Unterschiedes zwi- 
schen „extensionalen“ und „intensionalen“ Aussagen der einzige bisher 



gemachte Versuch ist, das Inhal t-Umfang-Problem scharf zu fassen, 43 
so ist sie trotz Russells eigener Bedenken immerhin die schärfste Waffe, 
die wir unseren Gegnern in die Hand geben können, um eine gültige 
Entscheidung herbeizufuhren. 

Eine Aussage heißt „extensional“, wenn sie in eine Exten- 
sionsaussage (Klassen- oder Relationsaussage) umgeformt werden 
kann; andernfalls „intensional“. Notwendige und hinreichende Be- 
dingung dafür, daß eine Aussage über eine Aussagefunktion f extensional 
ist, ist die, daß in der Aussage unbeschadet ihres Wahrheitswertes an 
Stelle von feine beliebige andere, mit f umfangsgleiche Aussagefunktion 
eingesetzt werden kann. Die Extensionalitätsthese besagt, daß 
alle Aussagen über irgendeine Aussagefunktion extensional sind, daß 
es also keine intensionalen Aussagen gibt. 

LITERATUR. Russell [Princ. Math.] I 72 ff., [Math. Phil.] 187L; an beiden 
Stellen auch Beispiele für (scheinbar) intensionale Aussagen. 

BEISPIEL. Wir betrachten die umfangsgleichen Aussagefunktionen „x ist ein 
Mensch“ und „x ist ein vernünftiges Tier“. Folgende Aussage über die erste Aussage- 
funktion soll mm in bezug auf Extensionalität beurteilt werden: „„xist einMensch“ 
impliziert generell (d. h. für alle Argumentwerte) „x ist sterblich““. Wir brauchen 
nicht zu untersuchen, ob diese Aussage wahr oder falsch ist. Jedenfalls behält sie ihren 
Wahrheitswert, d. h. sie bleibt unverändert wahr bzw. falsch, wenn an Stelle von 
„x ist ein Mensch“ die umfangsgleiche Aussagefunktion „x ist ein vernünftiges 
Tier“ eingesetzt wird, oder eine beliebige andere, umfangsgleiche Aussagefunktion. 

Also ist das Kriterium erfüllt, die zu beurteilende Implikations aussage ist extensional. 

Daß sie tatsächlich in eine Extensions- und zwar Klassenaussage umgeformt werden 
kann, bestätigt sich leicht : „die Klasse der Menschen ist enthalten in der Klasse der 
Sterblichen“. (Hier ist gleichzeitig die zweite Aussagefunktion umgeformt worden.) 

Als Gegenbeispiel werde folgende Aussage über dieselbe Aussagefunktion 
geprüft: „ich glaube, daß „x ist ein Mensch“ generell impliziert „x ist sterblich““. 

Hier darf für „x ist ein Mensch“ nicht ohne weiteres irgendeine umfangsgleiche Aus- 
sagefunktion eingesetzt werden. Denn aus der gegebenen Aussage ist nicht zu schließen, 
ob mein Denken und Glauben sich überhaupt mit anderen, umfangsgleichen Begriffen, 
etwa mit dem Begriff „vernünftiges Tier“ beschäftigt hat. Jene Aussage „ich glaube, 
daß . . .“ scheint daher eine nicht-extensionale, also intensionale Aussage Über die 
Aussagefunktion „x ist ein Mensch“ zu sein. Auf dieses Beispiel und die Extensionali- 
tätsthese werden wir nachher zurückkommen; zuvor sollen noch einige neue, für die 
Lösung des Problems erforderliche Begriffe eingeführt werden. 

44. Unterscheidung zwischen Zeichenaussagen, Sinn- 
aussagen, Bedeutungsaussagen 

Um die Extensionalitätsthese zu begründen und dadurch die exten- 44 
sionale Methode der Konstitution zu rechtfertigen, wollen wir zunächst 
an Stelle der erläuterten Unterscheidung zwischen extensionalen und 
intensionalen Aussagen über Aussagefunktionen eine andere, allge- 


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59 




44 meinere Einteilung der Aussagen einführen, die sich nicht nur auf 
Aussagen über Aussagefunktionen, sondern auf Aussagen über 
irgendwelche Gegenstände, Aussagen oder Funktionen beziehen 
soll. Wir unterscheiden: Zeichenaussagen, Sinnaussagen, Bedeutungs- 
aussagen. 

Die Unterscheidung hängt zusammen mit den drei verschiedenen 
Arten, in denen ein Zeichen verwendet werden kann. Von dem Zeichen 
selbst unterscheiden wir einerseits den „Sinn“, den es „ausdrückt“, 
andererseits die „Bedeutung“, die es „bedeutet“. (Diese Unter- 
scheidung stammt von Frege [Sinn], [Grundges.] 1,7.) Wird ein 
Zeichen in die Argumentstelle einer Aussagefunktion eingesetzt, so ist, 
auch wenn das Zeichen und seine Bedeutung bekannt ist, noch nicht 
ohne weiteres klar, was als Argument für die Aussagefunktion gemeint 
ist. Gewöhnlich wird das aus dem Zusammenhänge leicht erraten wer- 
den können. Zur deutlichen Unterscheidung wollen wir aber hier (nur 
in § 44, 45) durch Beizeichen an dem Argumentzeichen zum Ausdruck 
bringen, welche der drei Arten gemeint ist. Wir schließen das Argu- 
mentzeichen in Anführungsstriche ein, wenn das Zeichen selbst das 
Argument der Aussagefunktion ist, z. B.: „„7“ ist eine arabische 
Ziffer“, „„5 + 2“ besteht aus drei Teilzeichen.“ Wir schließen das 
Argumentzeichen in eckige Klammern ein, wenn seine Bedeutung, 
d. h. das durch das Zeichen Bezeichnete, als Argument gemeint ist, wie 
es gewöhnlich der Fall ist, z. B.: „[7] ist eine ungerade Zahl.“ Es gibt 
aber noch ein Drittes, das mit dem Zeichen 7 gemeint sein kann. Wir 
nennen es zum Unterschied von der Bedeutung den „Sinn“ dieses 
Zeichens und kennzeichnen es durch spitze Klammern, z. B. : „soeben 
hatte ich die Vorstellung < 7).“ Was hiermit gemeint ist, wird noch 
deutlicher, wenn neben einander gestellt wird, welche Substitutionen 
in den drei Fällen unter Erhaltung des Wahrheitswertes der Aussage 
möglich sind. Das Argumentzeichen darf am wenigsten in dem Ausdruck 
einer Zeichenaussage variiert werden: die genannte Aussage über 
„7“ verträgt weder die Einsetzung von „VII“, noch die von „5 + 2". 
Dagegen darf in den vorher genannten Satz, der „<7>“ enthält, statt 
dessen auch „<VII>“ eingesetzt werden. Denn mit dieser Sinnauss age 
ist gemeint, daß ich eine Vorstellung der Zahl Sieben hatte, und diese 
Tatsache kann ich gleich gut mit Hilfe jedes der folgenden drei Schrift- 
zeichen ausdrücken : <Sieben>, <7), <VII>. Dagegen hat die Aussage 
„soeben hatte ich die Vorstellung <5 + 2>“ nicht notwendig denselben 
Wahrheitswert; die Vorstellung von einer S umm e von Fünf und Zwei 
brauche ich nicht gehabt zu haben. Am stärksten bleibt die Bedeu- 
tungsaussage ungeändert. In die Sätze „[7] ist eine ungerade Zahl“ 



oder „[7] > 6“ darf ich sowohl [VII] wie [5 + 2] einsetzen. Demgemäß 44 
erklären wir: unter dem Zeichen selbst verstehen wir die schriftliche 
(oder sprachliche usw.) Figur; 7, VII, 5 +2 sind verschieden, was die ' 
Zeichen selbst anbetrifft; also in unserer Bezeichnungsweise: „7“, 
„VII“, „5 -b 2“ sind verschiedene Gegenstände. Unter dem Sinn eines 
Zeichens verstehen wir das Übereinstimmende an den intentionalen 
Gegenständen derjenigen Vorstellungen, Gedanken oder dgl., die her- 
vorzurufen der Zweck des Zeichens ist; 7 und VII haben denselben Sinn, 
nämlich die Zahl Sieben als Vorstellungs- oder Gedankeninhalt, 5 + 2 
hat einen anderen Sinn; also: <7> ist dasselbe wie <VII>, aber <5 + 2) 
ist etwas anderes. Ebenso ist <der Abendstern) dasselbe wie <the 
evening-star), aber <der Morgenstern) ist etwas anderes; <Scott) ist 
etwas anderes als <der Verfasser vonWaverley). Unter der Bedeutung 
eines Zeichens verstehen wir den Gegenstand, den es bedeutet; 7, VII 
und 5 + 2 haben dieselbe Bedeutung, nämlich die Zahl Sieben (arith- 
metische Gleichheit ist logische Identität, wie Frege [Grundges.] I, 

S. IX gezeigt hat); [7], [VII] und [5 -j~ 2] sind dasselbe, ferner sind 
[der Abendstern] und [der Morgenstern] identisch, ebenso [Scott] und 
[der Verfasser von Waverley]. 

Dieselbe Unterscheidung zwischen dem Zeichen selbst, seinem Sinn 
und seiner Bedeutung, wie sie hier für die Zeichen erklärt ist, deren Be- 
deutungen Gegenstände im engeren Sinne sind, gilt nun auch für die 
Sätze als Zeichen von Aussagen, und schließlich auch für die Zeichen 
von Aussagefunktionen. Wegen der Analogie zu dem Erläuterten 
können wir uns hier kurz fassen. Wir betrachten zunächst die Sätze. 

Dir Sinn eines Satzes ist der von ihm ausgedrückte Gedanke; die Be- 
deutung eines Satzes ist (nach Frege) der Wahrheitswert, den er hat, 
entweder das Wahre oder das Falsche. 

BEISPIEL. Drei Sätze: A) Sokrates ist ein Mensch; B) Socrates homo est; 

C) 2 + 2 = 4; die wir kurz mit A, B,C bezeichnen wollen. A, B undC sind als Zeichen 
(Sätze) verschieden; A und B haben denselben Sinn; A, B und C haben dieselbe Be- 
deutung, d. h, denselben V^ahrheitswert : das NVahre. Die Aussagen über diese Sätze 
lassen sich nun wie vorher einteilen. „,,A“ besteht aus vier Wörtern“ ist eine Zeichen - 
aussage; es darf weder „B“ noch „C“ an Stelle von „A“ eingesetzt werden. „<A) 
ist eine geschichtliche Tatsache“ ist eine Sinn aus sage; an Stelle von <A) darf wohl 
<B>, aber nicht <C> eingesetzt werden. ,,[A] ist äquivalent (d. h. von gleichem Wahr- 
heitswert) mit [1 -f 1 — 2]“ ist eine Bedeutungsaussage. Hier darf sowohl [B] 
wie [C] an Stelle von [A] eingesetzt werden. 

45. Rechtfertigung der extensionalen Methode 

Am wichtigs ten ist die Dreiteilung bei den Aussagen über Aussage- 45 
funktionen. Als Beispiele für Aussagefunktionen nehmen wir: 1) x ist 


60 


61 


45 ein Mensch, 2) x homo est, 3) x ist ein vernünftiges Tier. Diese drei 
Aussagefunktionen sind umfangsgleich, da sie durch dieselben Werte 
für x befriedigt werden; sie haben daher dieselbe Bedeutung. Aber der 
Sinn der ersten ist nur derselbe wie der der zweiten, jedoch nicht wie 
der der dritten. In eine Zeichenaussage über die erste, z. B. „,,x ist 
ein Mensch“ besteht aus 13 Buchstaben“ kann weder die zweite noch 
die dritte eingesetzt werden. „Ich glaube, es gibt Dinge, die <x ist ein 
Mensch) befriedigen" ist eine Sinn aus sage; hier darf die zweite, aber 
nicht die dritte Aussagefunktion eingesetzt werden, da mein Denken 
und Glauben sich nicht notwendig auch mit dem Begriff des vernünf- 
tigen Tieres beschäftigt haben muß. ,,[x ist ein Mensch] impliziert 
generell: x ist sterblich“ ist eine Bedeutungsaussage; hier kann so- 
wohl die zweite, wie die dritte, wie auch irgendeine beliebige andere, 
umfangsgleiche Aussagefunktion eingesetzt werden. Nach den früher 
angegebenen Kriterien (§ 43) wäre diese Bedeutungsaussage eine exten- 
sionale, die genannte Sinnaussage eine intensionale Aussage über die 
Aussagefunktion: x ist ein Mensch; während die genannte Zeichenaus- 
sage gar nicht von der Aussagefunktion handelt, sondern von ihrem 
Zeichen, einer Buchstabengruppe. Unsere Überlegungen lassen uns 
aber nun erkennen, daß die Bedeutungsaussage und die Sinnaus- 
sage gar nicht von demselben handeln, denn <x ist ein Mensch) ist 
nicht dasselbe wie [x ist ein Mensch]; der Unterschied ist analog dem 
zwischen <5+2) und [5 + 2], also zwischen dem, was ich mir unter der 
Summe 5 + 2 vorstelle, und der Zahl Sieben. 

So finden wir als Ergebnis unserer Überlegungen: die Unter- 
scheidung zwischen den extensionalen und den intensionalen Aussagen 
über eine Aussagefunktion ist nicht gültig, denn die so benannten Aus- 
sagen beziehen sich gar nicht auf dasselbe Objekt. Nur die als exten- 
sional bezeichneten Aussagen betreffen die Aussagefunktionen selbst; 
die als intensional bezeichneten dagegen betreffen etwas anderes (z. B. 
einen Begriff als Inhalt einer Vorstellung oder eines Gedankens). 

Die Extensionalitätsthese ist also gültig: es gibt keine 
intensionalen Aussagen über Aussagefunktionen; was man 
dafür gehalten hat, waren nicht Aussagen über die Aussagefunktion, 
sondern über deren Sinn. Jede Aussage, die nicht den Sinn der Aussage- 
funktion, sondern sie selbst betrifft, behält ihren Wahrheitswert bei 
Einsetzung einer beliebigen umfangsgleichen Aussagefunktion und kann 
daher in Form einer Extensionsaussage dargesteilt werden. 

Es sei hier ohne nähere Begründung angedeutet, daß das Ergebnis erweitert 
werden kann. Die angestellte Überlegung gilt nämlich nicht nur für Aussagen über 
Aussagefunktionen, sondern gemäß den vorhergehenden Gedankengängen in analoger 


Weise auch für Aussagen über Aussagen und für Aussagen über Gegenstände im enge- 4c 
ren Sinne. Wir kommen daher zu dem allgemeineren Ergebnis : es gib t keine in ten- 45 
sionalen Aussagen. Alle Aussagen sind extensional. In jedem Satz darf das 
Zeichen des von der Aussage beurteilten Gegenstandes, sei es nun ein Gegenstand im 
engeren Sinne, eine Aussage, eine Aussagefunktion oder was immer, ersetzt werden 
durch jedes Zeichen von gleicher Bedeutung, auch wenn dieses einen anderen Sinn hat. 

Da nun jede Aussage über eine Aussagefunktion in die Form einer 
Extensionsaussage gebracht werden kann, so bedeutet es keine Be- 
schränkung in bezug auf die Möglichkeit von Aussagen über Aussage- 
funktionen, wenn für diese nur ihre Extensionen eingeführt werden. 
Damit ist die extensionale Methode der Konstitution ge- 
rechtfertigt. 



62 


63 


B. DIE SYSTEMFORM 

1 . FORMALE UNTERSUCHUNGEN 

46. Die Systemform bezieht sich auf die Zurückführbarkeit 
46 Nachdem wir das Problem der Stufenformen erörtert und gefunden 
haben, daß die einzelnen Stufen des Konstitutionssystems in Form 
von Klassen- oder Relationsdefinitionen erbaut werden sollen, erhebt 
sich nun als zweites Problem das der „Systemform“, der Gesamtform 
des Konstitutionssystems. Wie ist der Stufenbau anzulegen, damit die 
Gesamtheit der Wissenschaftsgegenstände darin Platz findet ? In dem 
vorbereitenden Abschnitt II B haben wir schon verschiedene Gegen- 
standsarten betrachtet. Jetzt sollen die Gegenstände der verschiedenen 
Arten in ein System gebracht werden. Und zwar ist die Ordnung im 
Konstitutionssystem dadurch bestimmt, daß ein Gegenstand a stets 
auf Grund der vor ihm stehenden Gegenstände b, c, . . . konstituiert 
werden kann. M. a. W.: a muß auf b, c, . . . zurückführbar sein; also 
müssen die Aussagefunktionen über a sich in umfangsgleiche Aussage- 
funktionen über b, c, . . . umformen lassen. 

Für die genaue Anwendung dieses Kriteriums wäre es erforderlich, 
daß die untersuchten Aussagefunktionen entweder ganz oder in ihrem 
logischen Skelett logistisch gefaßt oder zum mindesten logisch geformt 
wären. Wir bezeichnen eine Aussage oder Aussagefunktion als „lo- 
gistisch gefaßt“, wenn sie durch logistische Symbole ausgedrückt 
ist. Unter dem „logischen Skelett“ einer Aussage oder Aussage- 
funktion verstehen wir ihre formal-logische Form. Von einer Aussage 
werden wir also sagen, daß nur ihr logisches Skelett logistisch gefaßt 
sei, wenn die nichtlogischen Begriffe durch die üblichen Wörter der 
Sprache ausgedrückt sind, während die das Skelett ausmachenden. lo- 
gischen Beziehungen zwischen diesen nichtlogischen Begriffen durch 
logistische Zeichen ausgedrückt sind. Als „logisch geformt“ bezeich- 
nen wir eine Aussage, die ganz in Sprachworten ausgedrückt ist, aber 
doch in solchen Worten, daß das Skelett auf Grund ausgesprochener 
oder unausgesprochener Festsetzungen eindeutig in logistische Fassung 
umgeschrieben werden könnte. 

BEISPIEL. Aussage in Worttext: „wenn einer ein Neger ist, so ist er auch ein 
Mensch“; logisch geformt: „gehört jemand zur Klasse der Neger, so auch stets zur 

64 



Klasse der Menschen“; logistische Fassung des logischen Skeletts: „(s) : x e Neger. 

3 . x e Mensch“; logistische Fassung der ganzen Aussage: „(x) ixeneO.xc me“. 

LITERATUR. Über das logische Skelett: Camap [Logistik] § 42ff., mit 
Beispielen für die logistische Fassung von Aussagen. 

47. Kriterium der Zurückführbarkeit in realistischer 

Sprache 

Die Konstitutions theorie will die Gegenstände aller Wissenschaften 47 
nach ihrer Zurückführbarkeit aufeinander in ein System ordnen. Wir 
müssen daher später die verschiedenen Gegenstandsarten auf ihre 
Zurückführbarkeit hin untersuchen. So tritt dann die genannte Schwie- 
rigkeit auf, daß wir Aussagen und Aussagefunktionen an dem Kriterium 
der Zurückführbarkeit prüfen müssen, die nur in Sprachtext gegeben 
sind. Mit Rücksicht auf diese Aufgabe wollen wir das Kriterium noch 
in einer anderen Form aussprechen derart, daß es nicht von Aussage- 
funktionen und ihrer logischen Beziehung spricht, sondern von Sach- 
verhalten und ihren sachlichen Beziehungen. Wir übersetzen es damit 
aus der formal-logischen, und zwar hier konstitutionalen Sprache 
in die Sachverhaltssprache oder „realistische Sprache“. (Über 
den Unterschied dieser beiden Sprachen: § 52.) 

So gewinnen wir, zwar auf Kosten der logischen Strenge, aber zu- 
gunsten der leichteren Anwendbarkeit auf empirische Befunde der Ein- 
zelwissenschaften, das folgende Sachverhaltskriterium der Zu- 
rückführbarkeit. Wir nennen einen Gegenstand a „zurückführ- 
bar auf die Gegenstände b, c, . . wenn sich für das Bestehen jedes be- 
liebigen Sachverhaltes in bezug auf ‘die Gegenstände a, b, c, . . . eine 
notwendige und hinreichende Bedingung angeben läßt, die nur 
von den Gegenständen b, c, . . . abhängt. 

Es muß mm gezeigt werden, daß dieses Kriterium sich mit dem 
früher gegebenen (§ 35) deckt. Die Umfangsgleichheit zweier Aussage- 
funktionen A, B bedeutet: A impliziert generell B, und umgekehrt B 
auch A (§ 32). Wenn nun A B generell impliziert, so bedeutet das, 
daß in jedem Falle, in dem A befriedigt ist, auch B befriedigt ist; mit 
anderen Worten: daß A hinreichende Bedingung für B ist. Und wenn 
A von B generell impliziert wird, so bedeutet das, daß B in keinem Falle 
befriedigt ist, in dem nicht A befriedigt ist, daß also A notwendige Be- 
dingung für B ist. Sind also A und B umfangsgleich, so ist A für B 
hinreichende und notwendige Bedingung (und zugleich auch B für A, 
worauf es hier aber nicht ankommt). In einem Punkte scheint aber noch 
eine Abweichung vorzuliegen: das neue Kriterium spricht von „Sach- 
verhalten“, während das frühere von Aussagefunktionen spricht. Wird 

65 


47 nun ein Sachverhalt durch eine Aussagefunktion angegeben oder durch 
eine Aussage? Hier ist zu unterscheiden: die individuellen Sach- 
verhalte sind durch Aussagen, die generellen Sachverhalte durch 
Aussagefunktionen auszudrücken. Der sprachliche Ausdruck unter- 
scheidet nicht genau zwischen den beiden Arten. In dem Kriterium der 
Zurückführbarkeit haben wir es mit generellen Sachverhalten zu tun, 
da nur bei solchen von einem Bedingungsverhältnis die Rede sein kann. 
(Ebenso ist es mit den Sachverhalten, die in den Naturgesetzen auf- 
treten.) Die beiden Kriterien stimmen also auch in diesem Punkte 
überein. 

48. Der Grundsachverhalt in bezug auf einen Gegenstand 

48 Das Sachverhaltskriterium der Zurückführbarkeit bietet noch eine 
Schwierigkeit durch den Ausdruck „jeder beliebige Sachverhalt“. Ge- 
nau genommen müßte also für die Entscheidung über die Zurückführ- 
barkeit eines Gegenstandes auf andere die ganze, häufig unübersehbare 
Menge der möglichen Sachverhalte, in denen die Gegenstände Vor- 
kommen, geprüft werden. Es zeigt sich jedoch, daß es für jeden Gegen- 
stand einen „Grundsachverhalt“ gibt: in allen übrigen Sachver- 
halten, in denen er noch vorkommt, tritt er nur im Rahmen dieses 
Grundsachverhaltes auf. Genauer, in der konstitutionalen Sprache: es 
gibt für jeden Gegenstand eine „fundamentale Aussagefunktion“ 
derart, daß sein Vorkommen sich überall mit Hilfe dieser fundamentalen 
Aussagefunktion ausdrücken läßt. Für einen Eigenschaftsbegriff ist 
der Grundsach verhalt das Vorliegen dieser Eigenschaft (fundamentale 
Aussagefunktion: „x hat die Eigenschaft . . “ oder „x ist ein . . .“); 
für einen Beziehungsbegriff ist der Grundsachverhalt das Bestehen der 
Beziehung (fundamentale Aussagefunktion: „x steht zu y in der Be- 
ziehung . . .“). 

Nehmen wir, entsprechend der extensionalen Methode der Kon- 
stitution (§ 43), für einen Eigenschaftsbegriff sein Klassenzeichen, etwa 
k, und für einen Beziehungsbegriff sein Relationszeichen, etwa Q, so 
ist die fundamentale Aussagefunktion „x e k“ bzw. „x Q y“. Und es 
kann ja in der Tat jeder Satz, in dem ein Klassenzeichen k vorkommt, 
so umgeformt werden, daß k nur in der Verbindung „x s k“ auftritt; 
und jeder Satz, in dem ein Relationszeichen Q vorkommt, so, daß Q 
nur in der Verbindung „x Q y“ auftritt. 

Die Definition, durch die ein Gegenstand im Konstitutionssystem 
zu konstituieren ist, seine „konstitutionale Definition“, hat den Grund- 
sachverhalt des Gegenstandes zu verwenden: die Aussagefunktion des 
Grundsachverhaltes ist das Definiendum, die Aussagefunktion, die die 

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hinreichende und notwendige Bedingung dieses Grundsachverhaltes an- 48 
gibt, ist dasDefiniens. Denn zwei Aussagefunktionen sind umfangsgleich, 
wenn die eine eine hinreichende und notwendige Bedingung für die 
andere angibt (§ 47); und die Gegenüberstellung zweier umfangsgleicher 
Aussagefunktionen, von denen die erste außer den Variabein nur ein 
Zeichen enthält, das auf der anderen Seite nicht vorkommt, kann als 
Definition dieses Zeichens aufgefaßt werden, und zwar als Gebrauchs- 
definition (§ 39). 

BEISPIEL. Konstitution eines Gegenstandes mit Hilfe seines Grundsachver- 
haltes. Der Grunds achverhalt des Wärmegleichgewichtes ist: „x steht mit y im 
Wärmegleichgewicht.“ Hinreichende und notwendige Bedingung hierfür ist der Sach- 
verhalt: „die Körper x und y zeigen, wenn sie (direkt oder indirekt durch Vermittlung 
anderer) in räumliche Berührung gebracht werden, weder Erwärmung noch Ab- 
kühlung.“ Diese beiden Aussagefunktionen sind also umfangsgleich. Wir können sie 
daher zur Aufstellung einer Definition für den Gegenstand der ersten, das Wärme- 
gleichgewicht, verwenden: „als „Wärmegleichgewicht" bezeichnen wir die Beziehung 
zwischen x und y, die dadurch gekennzeichnet ist, daß die Körper x und y, wenn sie in 
(direkte oder indirekte) räumliche Berührung mit einander gebracht werden, weder 
Erwärmung noch Abkühlung zeigen.“ In dieser Form kann der Gegenstand „Wärme- 
gleichgewicht“ beim Aufbau des Konstitutionssystems eingeführt, „konstituiert“ 
werden, wenn die in der Definition genannten anderen Gegenstände schon vorher 
konstituiert sind. 

49. Kennzeichen und Bedingung 

Der Nachweis der Zurückführbarkeit eines Gegenstandes soll sich 49 
nach unseren Überlegungen darauf stützen, daß für den Grundsach- 
verhalt des Gegenstandes eine zugleich hinreichende und notwendige 
Bedingung aufgestellt wird. Es erhebt sich nun die Frage, ob sich für 
jeden Grundsachverhalt eine solche Bedingung aufstellen läßt. Zur 
Lösung dieser Frage verwenden wir den Begriff des wissenschaft- 
lichen Kennzeichens. Das Kennzeichen eines Sachverhaltes ist 
eine hinreichende Bedingung für den Sachverhalt. Aber nicht jede hin- 
reichende Bedingung kann als Kennzeichen bezeichnet werden. Nach 
üblichem Sprachgebrauch wenden wir den Namen „Kennzeichen“ nur 
für solche Bedingungen an, an denen der Sachverhalt auch erkannt zu 
werden pflegt, die also gewöhnlich vor dem Sachverhalt erkannt werden. 

BEISPIEL. Das Bedmgungsverhältnis zwischen hohem Luftdruck und 
hohem Barometerstand ist ein gegenseitiges: wenn der Luftdruck hoch bt, 
so ist der Barometerstand hoch; wenn der Barometerstand hoch ist, so ist der 
Luftdruck hoch. Aber nur im zweiten Fall nennen wir die Bedingung ein Kenn- 
zeichen. 

Die Wissenschaft pflegt für viele Sachverhalte, die sie behandelt, 
Kennzeichen anzugeben, besonders für die elementaren, aus denen sich 
die übrigen zusammensetzen, also gerade für die, die als Grundsach- 



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49 verhalte in Betracht kommen, wie z. B. „dieses Ding ist eine Eiche“, 
„dieses Gebilde ist eine Konsumgenossenschaft“. Der Erkennungs- 
vorgang eines solchen Sachverhaltes, also des Vorliegens eines best imm - 
ten Begriffes, geschieht zwar vielfach, auch im wissenschaftlichen Ver- 
fahren, nicht an Hand dieser Kennzeichen, sondern intuitiv. Aber auch 
dieser intuitiv erkannte Begriff gilt doch nur deshalb als festbes timm - 
ter wissenschaftlicher Gegenstand, weil solche Kennzeichen angegeben 
werden können. In manchen Fällen, besonders in den Geisteswissen- 
schaften, wenn es sich z. B. um den Stilcharakter eines Kunstwerkes 
oder dergl. handelt, werden aber die Kennzeichen meist entweder gar 
nicht oder nur vage angegeben. Die Entscheidung über das Vorliegen 
des Sachverhaltes wird hier nicht durch Anlegung rationaler Kriterien, 
sondern durch Einfühlung getroffen. Eine solche Einfühlungsentschei- 
dung wird mit Recht als wissenschaftliche Entscheidung angesehen. 
Diese Rechtmäßigkeit beruht aber darauf, daß es entweder schon jetzt 
möglich, wenn auch meist im einzelnen Falle zu umständlich ist, Kenn- 
zeichen, deren Anwendung keine Einfühlung erfordert, anzugeben, oder 
die Aufgabe des Aufsuchens solcher Kennzeichen als wissenschaftliche 
Aufgabe anerkannt und für grundsätzlich lösbar gehalten wird. Eine 
durch Einfühlung oder sonstwie getroffene Entscheidung, die sich 
grundsätzlich nicht einer rationalen Nachprüfung durch begriffliche 
Kriterien unterziehen lassen könnte, würde des Anspruchs auf wissen- 
schaftliche Anerkennung verlustig gehen. Diese Grenze für die Zulässig- 
keit der Entscheidungen durch Einfühlung wird auch von den Geistes- 
wissenschaften beachtet; wenn auch nicht ausgesprochenermaßen, so 
doch im praktischen Verfahren. 

Wir sagen deshalb: für alle Sachverhalte der Wissenschaft 
gibt es grundsätzlich ein Kennzeichen; und das soll bedeuten: 
die Aufgabe der Bes timm ung eines Kennzeichens für alle Sachverhalte 
besteht und ist grundsätzlich lösbar. Eine genauere Analyse, für die 
hier der Raum fehlt, würde auch zeigen, daß es für jeden Sachverhalt 
der Wissenschaft grundsätzlich ein zugleich untrügliches und nie 
fehlendes Kennzeichen gibt, d. h. ein Kennzeichen, das stets dann, 
aber auch nur dann vorliegt, wenn der Sachverhalt vorliegt. Ein Kenn- ' 
Zeichen dieser Art läßt sich stets durch Verbindung der verschiedenen 
Kennzeichen für die einzelnen Fälle bilden. Ein solches Kennzeichen 
ist dann auch zugleich hinreichende und notwendige Bedingung für 
den Sachverhalt. Daher läßt sich die Konstitution eines jeden 
wissenschaftlichen Gegenstandes aufstellen, indem das 
Kennzeichen der genannten Art für seinen Grundsachver- 
halt gebildet wird. 



BEISPIEL. Das Kennzeichen, das der Brillenschlange den Namen gegeben 49 
hat, ist ein untrügliches und nie fehlendes Kennzeichen für den Sachverhalt, daß ein 
Tier eine Brillenschlange ist. Also sind die folgenden beiden Aussagefiinktionen um- 
fangsgleich: „x ist eine Brillenschlange“ und „x ist ein Tier, das hinten auf dem Kopf 
die Figur einer gebrochenen Brille trägt“. Mit diesen Aussagefunktionen, von denen 
die erste den Grundsachverhalt des Gegenstandes Brillenschlange ausdrückt, läßt sich 
nun eine konstitutionale Definition für die Brillenschlange aufstellen, die dann in üb- 
licher Sprachformung so lauten würde: „Unter einer „Brillenschlange“ sei ein Tier 
verstanden, das hinten auf dem Kopf die Figur einer gebrochenen Brille trägt.“ 

50. Logischer Wert und Erkenntniswert 

Wird ein Satz über einen Gegenstand dadurch umgeformt, daß 50 
an Stelle des Gegenstandsnamens seine konstitutionale Definition ein- 
gesetzt wird, so ändert sich in manchen Fällen der vorstellungsmäßige 
Sinn des Satzes und damit sein Wert für die Erkenntnis. Da hieraus 
ein gewichtiges Bedenken gegen die hier vorgeschlagene Methode der 
Konstitution entstehen kann, so soll näher auf die Frage eingegangen 
werden, worin der so umgeformte Satz mit dem ursprünglichen über- 
einstimmt und worin nicht. 

Ist a auf b, c zurückführbar, so sind die Aussagefunktionen K, L, . . . 
über a umfangsgleich mit Aussagefiinktionen K 1 , L*, . . . ausschließlich 
über b, c. Die konstitutionale Umformung, die Eliminierung des 
Gegenstandes a mit Hilfe der ihn konstituierenden Definition, besteht 
in der Verwandlung der Aussagefiinktionen K, L, . . . in K*,L*, ... Da 
diese mit jenen umfangsgleich sind, so bleibt bei der konstitutionalen 
Umformung einer Aussagefunktion die Extension (§ 32) unverändert; 
bei einer Aussage bleibt ihr Wahrheitswert unverändert, d. h. sie bleibt 
entweder wahr oder falsch. Wir wollen diese beiden Fälle zusammen- 
fassend so ausdrücken : sowohl bei den Aussagefiinktionen als auch bei 
den Aussagen bleibt der „logische Wert“ ungeändert; ihm stellen 
wir den „Erkennmiswert“ gegenüber. Bei einer konstitutionalen Um- 
formung kann z. B. aus einer wahren, erkenntnismäßig wertvollen Aus- 
sage eine Trivialität werden; in einem solchen Falle sagen wir, daß der 
„Erkenntniswert“ sich geändert habe; da aber die triviale Aussage 
auch wahr ist, so hat sich der logische Wert nicht geändert. Bei der 
konstitutionalen Umformung einer Aussage (oder Aussage- 
fimktion) bleibt der logische Wert stets unverändert, aber 
nicht immer der Erkenntniswert. (Es ist also eine Übersetzung, 
bei der im Unterschied zu den üblichen Sprachübersetzungen der vor- 
stellungsmäßige Inhalt nicht derselbe bleiben muß.) Hierin liegt ein 
wesentliches Charakteristikum der konstitutionalen Methode: sie 
berücksichtigt für Gegenstandsbezeichnungen, Aussagen und Aus- 

69 


68 


50 sagefimktionen ausschließlich den logischen Wert, nicht den 
Erkenntniswert; sie ist rein logisch, nicht psychologisch. 

BEISPIEL. Für die Brillenschlange ist in $ 49 eine konatiturionale Definition 
aufgestellt worden. Mit Hilfe dieser Definition wollen wir die konstitutionale Um- 
formung des folgenden Satzes 'vornehmen: „dies Tier hier, das hinten auf dem Kopf 
die Figur einer Brille trägt, ist eine Brillenschlange.“ Es ergibt sich dann die Tauto- 
logie: „dies Tier hier, das hinten . . ., ist ein Tier, das hinten . . .“ Der Erkenntniswert 
des ursprünglichen Satzes ist durch die Umformung verloren gegangen. Der logische 
Wert dagegen ist erhalten geblieben: die Tautologie hat den Wahrheitswert das Wahre, 
ebenso wie der ursprüngliche Satz. 

LITERATUR. Unsere Theorie der eindeutigen Kennzeichnungen schließt sich 
im ganzen an Russells Theorie der Beschreibungen Cjjdescriptions“) an; {Princ. 
Math.] I i8iff., [Math. Phil.] i68ff., [Description]. Aus unserer Unterscheidung 
zwischen logischem Wert und Erkenntniswert folgt jedoch eine Abweichung: die 
Kennzeichnung gilt uns als gleichbedeutend (von gleichem logischen Wert) mit dem 
Eigennamen des gekennzeichneten Gegenstandes; Russells Argument der Trivialität 
([Princ. Math.] I 70, [Math. Phil.] 175 f.) steht dann nicht im Wege, da eine Trivialität 
denselben logischen Wert haben kann wie eine Aussage von positivem Erkenntniswert. 
Diese Auffassung steht im Zusammenhang mit der Extensionalitätsthese (§ 43 ff.). 

51. Logische Übersetzung und Sinnübersetzung 

51 Wenn die Konstitutionstheorie einen Gegenstand dadurch kon- 
stituiert, daß sie ein untrügliches und nie fehlendes Kennzeichen für 
ihn (genauer: für seinen Grundsachverhalt) aufsucht und als Defi- 
nition des Gegenstandes ausspricht, so scheint dies nicht dem zu 
entsprechen, was eine D efini tion im Sinne einer Begriffserklärung 
leisten soll. Denn eine solche müßte die wesentlichen Merkmale 
eines Begriffes angeben, die aber häufig in dem Kennzeichen nicht 
enthalten sind. 

Wir können eine Definition als Substitutions- oder Einsetzungs- 
regel auffassen; sie gibt an, daß ein bestimmtes Zeichen (das Definien- 
dum) in allen Aussagen ersetzt werden darf durch ein anderes (meist 
zusammengesetztes) Zeichen (das Definiens). Die Invarianzforderung, 
die an diese Übersetzung zu stellen ist, kann nun verschiedener Art sein. 
Wird nur gefordert, daß die übersetzten Aussagen denselben logischen 
Wert haben sollen wie die ursprünglichen, aber nicht notwendig den- 
selben Erkenntniswert, so sprechen wir von einer „logischen Über- 
setzung“. Wird dagegen (wie z. B. bei der Übersetzung eines Textes 
aus einer Sprache in eine andere) die weitergehende Forderung gestellt, 
daß die Übersetzung auch den Erkenntniswert, also den inhaltlichen 
Sinn der Aussagen unverändert läßt, so sprechen wir von einer „Sinn- 
übersetzung“; (in diesem Falle bleibt der logische Wert notwendig 
auch unverändert). Da nun die Konstitution eines Gegenstandes im" 



Konstitutionssystem es stets nur mit dem logischen Wert, nicht 51 
mit dem Erkenntniswert zu tun hat (§ 50), so leistet die kon- 
stitutionale Definition, die vom Kennzeichen des Gegenstandes aus- 
geht und daher eine logische Übersetzung liefert, gerade das, was sie 
leisten muß. 

LITERATUR. Die bloße Berücksichtigung des logischen Wertes (Wahrheits- 
wertes) für die konstitutionale Ableitung steht in Übereinstimmung mit der Leibniz- 
schen Definition der Identität: „Eadem sunt, quorum unum potest substitui 
alteri salva veritate.“ 

52. Realistische und konstitutionale Sprache 

Noch ein anderes Bedenken kann sich erheben gegen die 52 
Verwendung eines Kennzeichens für die konstitutionale De- 
finition. Es scheint da ein grundlegender Gegensatz zwischen der 
Konstitutionstheorie und den Realwissenschaften zu bestehen in bezug 
auf die Wirklichkeitsauffassung. Wenn z. B. das Fremdpsychische (die 
psychischen Vorgänge im anderen Menschen) konstituiert wird auf 
Grund der physischen Kennzeichen, nämlich der Ausdracksbewegungen 
und körperlichen Reaktionen (einschließlich der Sprachäußerungen) 
des Anderen, so könnte vom realistischen Standpunkt aus einge- 
wendet werden, daß das Fremdpsychische doch real etwas Anderes 
sei als das Reaktiohsverhalten, das nur die Rolle eines Kennzeichens 
spiele. 

BEISPIEL. Betrachten wir den Zorn (und zwar als Fremdpsychisches, also als 
Zorn eines anderen Menschen, zum Unterschiede vom Eigenzom, der etwa schon vor- 
her konstituiert sei). Die konstitutionale Definition des Fremdzoms könnte etwa 
lauten: „Zorn des Menschen A“ heißt „Zustand des Leibes des A, charakterisiert 
durch die und die physischen Vorgänge an diesem Leibe, oder durch die Disposition, 
auf physische Reize der und der Art durch physische Vorgänge der und der Art zu 
reagieren“ (wobei dann die Art der Vorgänge charakterisiert wird mit Hilfe der Vor- 
gänge an meinem Leibe bei Eigenzom). Hier würde der realistische Ein wand 
lauten: das physische Verhalten des Leibes des Anderen ist nicht selbst der Zorn, son- 
dern nur ein Kennzeichen des Zornes. 

K bezeichne das physische Reaktionsverhalten, das Kennzeichen 
des bestimmten fremdpsychischen Vorganges. Der Einwand besagt: 
der Begriff dieses Fremdpsychischen selbst ist nicht mit K identisch, 
er erfordert daher ein eigenes Zeichen, etwa F. Auf den Einwand ist 
mm Folgendes zu erwidern. Man kann alle wissenschaftlichen (nicht 
auch die metaphysischen) Aussagen über F, insbesondere alle Aussagen, 
die die Psychologie macht, unter Beibehaltung des logischen Wertes 
umformen in Aussagen über K. Da mm K und F dieselben Aussage- 
funktionen befriedigen, so sind sie (dem logischen Werte nach) als 
identisch anzusehen. Eine Bedeutung für F, die nicht mit K überein- 


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71 


r 




52 st imm en würde, kann in wissenschaftlichen (d. h. konstituierbaren) 
Ausdrücken gar nicht angegeben werden. (Die Frage hängt zusammen 
mit der Leibnizschen These von der Identität des Nichtunterscheid- 
baren, vgl. § 51; ferner mit dem Problem der Introjektion und mit der 
metaphysischen Komponente des Wirklichkeitsproblems, § I75f.) 

Die (in den Realwissenschaften meist angewandte) realistische 
Sprache und die konstitutionale Sprache haben im Grunde die 
gleiche Bedeutung; beide sind neutral gegenüber der Entschei- 
dung des metaphysischen Wirklichkeitsproblems im realisti- 
schen oder idealistischen Sinne. Freilich wird in praxi häufig der in den 
Realwissenschaften zweckmäßigerweise angewendete sprachliche Realis- 
mus zum metaphysischen Realismus erweitert; das bedeutet dann je- 
doch eine Überschreitung der Grenze der Wissenschaft (vgl. § 178). 
Gegen eine solche Überschreitung ist nichts einzuwenden, soweit sie nur 
in den Vorstellungen geschieht, die die wissenschaftlichen Aussagen 
begleiten; imzulässig ist die Grenzüberschreitung aber dann, wenn sie 
die Aussagen der Wissenschaft inhaltlich beeinflußt. 

Die Neutralität besonders der konstitutionalen Sprache sei 
noch einmal her vor gehoben. Diese Sprache ist nicht im Sinne irgend- 
einer der sog. erkenntnistheoretischen, tatsächlich jedoch metaphysi- 
schen Richtungen (z. B. Realismus, Idealismus, Solipsismus) gemeint, 
sondern drückt nur erkenntnismäßig-logische Beziehungen 
aus. Im gleichen Sinne bezeichnet auch der Ausdruck „Quasi- 
gegenstand“ nur ein bestimmtes logisches Verhältnis, nicht 
die Negation eines metaphysischen Realitätswertes. Gerade alle wirk- 
lichen Gegenstände (sie werden in der Konstitutionstheorie in dem- 
selben Umfange als wirklich anerkannt, wie in den Realwissenschaften, 
s. § x 7 °) sind Quasigegenstände. 

Sind realistische und konstitutionale Sprache als gleichbedeutend 
erkannt, so folgt, daß die konstitutionalen Definitionen und die Aus- 
sagen des Konstitutionssystems durch Übersetzung aus den Kenn- 
zeichenangaben und den sonstigen Aussagen der realistisch sprechenden 
Real Wissenschaften zu gewinnen sind. 

Sind realistische und konstitutionale Sprache erkannt als 
eben nur zwei verschiedene Sprachen, in denen derselbe Tat- 
bestand ausgedrückt wird, so werden manche, vielleicht kann man 
sagen: die meisten Fälle von Polemik auf erkenntnistheore- 
tischem Gebiet gegenstandslos. 



53. Zusammenfassung. Methode zur Lösung des 
Problems der Systemform 

Das Problem der Systemform besteht in der Frage: wie sind die 53 
verschiedenen Gegenstandsarten so in ein System zu ordnen, daß 
stets die höheren aus den niederen konstituiert werden können, also 
jene auf diese zurückführbar sind. Zur Lösung dieses Problems müssen 
wir daher die verschiedenen Gegenstandsarten auf ihre gegenseitige 
Zurückführbarkeit hin untersuchen. Zu diesem Zweck suchen wir 
für jeden zu prüfenden Gegenstand auf Grund der fachwissenschaft- 
lichen Erkenntnis des betreffenden Gegenstandsgebietes nach den ver- 
schiedenen Möglichkeiten zugleich hinreichender und notwendiger 
Bedingungen für das Vorliegen des Grundsachverhaltes des Gegen- 
standes. Dabei können wir so Vorgehen, daß wir die betreffende Fach- 
wissenschaft nach einem (untrüglichen und nie fehlenden) Kenn- 
zeichen des Grundsachverhaltes fragen. Aber nicht jede hinreichende 
und notwendige Bedingung kann durch diese Methode gefunden werden. 
Denn sie sucht nur in einer bestimmten Richtung: von einem Gegen- 
stände aus zu den Gegenständen, die als vor ihm bekannt angenommen 
werden. Bei der Systemform, die wir später für das Konstitutions- 
system wählen werden, wird die Konstitution gerade diese Richtung 
einscblagen, da dieses System einen erkenntnistheoretischen 
Stufenbau der Gegenstände darstellen will. Daher wird die Methode 
der Kennzeichen vielfach angewendet werden können. Um die Mög- 
lichkeit anderer Systemformen zu erkennen, werden wir aber auch auf 
die anderen Bedingungen, die nicht Kennzeichen sind, zu achten haben. 

Nachdem hier die Methode zur Prüfung der Zurückführbarkeit 
entwickelt worden ist, soll diese Prüfung selbst im folgenden, zweiten 
Teil des Abschnitts in bezug auf die wichtigsten Gegenstandsarten durch- 
geführt werden. Dadurch wird die Erkenntnis der verschiedenen Mög- 
lichkeiten der Systemform gewonnen. 

LITERATUR. Die Untersuchung der Zurückführbarkeit eines Gegenstandes 
auf andere entspricht dem, was in realistischer Sprache „Bestimmung« der Reali- 
täten aus anderen Realitäten oder aus Gegebenem heißt. Die Methoden und einzelnen 
Kriterien, die bei solcher Bestimmung anzuwenden sind, sind am eingehendsten von 
Külpe dargestellt worden ([Realis.], hier ist besonders Bd. III heranzuziehen). 

Die Konstitutionstheorie kann die ganzen Ergebnisse der Untersuchungen Über 
„Realisierung«, also etwa die von Külpe, hinnehmen und verwerten; nur muß sie sich 
davor hüten, nicht den metaphysischen Realitätsbegriff an Stelle des rein konstitutio- 
nalen hineinzubringen (vgl. § 175 f.). Sie muß die methodische „Enthaltung« in be- 
zug auf Realsetzung üben (vgl. § 64) und tut deshalb gut daran, eine neutrale 
Sprache zu sprechen: sie übersetzt das in den Realwissenschaften Gefundene aus der 
„realistischen“ Sprache in die „konstitutionale« Sprache, s. § 52. 


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2. MATERIALE UNTERSUCHUNGEN 
54. Erkenntnismäßige Primaritat 

54 Nach der im ersten Teil des Abschnitts entwickelten Methode 
sollen nun die Erkenntnisgegenstände in bezug auf ihre Zurückführ- 
barkeitsbeziehungen geprüft werden. Diese Beziehungen bestehen aber 
häufig in verschiedenen Richtungen, so daß durch sie allein die Ordnung 
des Systems nicht eindeutig bestimmt ist. 

Die Systemform, die hier dem Entwurf des Konstitutionssystems 
gegeben werden soll, ist dadurch charakterisiert, daß sie nicht nur, wie 
jede Systemform, die Ordnung der Gegenstände in bezug auf ihre Zu- 
rückführbarkeit zur Darstellung bringen will, sondern auch die Ordnung 
in bezug auf die erkenntnismäßige Primarität. Ein Gegenstand 
(bzw. eine Gegenstandsart) heißt „erkenntnismäßig primär" in 
bezug auf einen anderen, den „erkenntnismäßig sekundären“, 
wenn der andere durch die Vermittlung des ersten erkannt wird und 
daher zu seiner Erkennung die Erkennung des ersten voraussetzt. Die 
hierdurch geforderte Richtung für die Konstitution wird bei Anwendung 
der Kennzeichenmethode jedenfalls innegehalten, da ja ein Kennzeichen 
erkenntnismäßig primär in bezug auf seinen Gegenstand ist. Die anderen 
Richtungen der Zurückführbarkeitsbeziehungen sollen hier jedoch auch 
untersucht werden, um die verschiedenen möglichen Systemformen 
festzustellen. 

Die Berücksichtigung der erkenntnismäßigen Beziehungen der 
Gegenstände bedeutet nicht, daß die Synthesen oder Formungen der 
Erkenntnis, wie sie im wirklichen Erkenntnisprozeß vorliegen, im 
Konstitutionssystem in ihrer konkreten Beschaffenheit zur Darstellung 
kommen sollen. Diese Formungen werden im Konstitutionssystem 
nur in rationalisierender oder schematisier enderWeise nach- 
gebildet; intuitive Erkenntnis wird durch diskursive Schlüsse ersetzt. 

55. Die geistigen Gegenstände sind auf psychische 
zurückführbar 

55 Wir haben früher gesehen, daß die Manifestationsbeziehung zwischen 
psychischen und geistigen Gegenständen besteht, und die Dokumen- 
tationsbeziehung zwischen physischen und geistigen Gegenständen 
(§ 24). Diese beiden Beziehungen nun sind es, die die Erkenntnis geisti- 
ger Gegenstände vermitteln. Allerdings muß nicht notwendig jeder 
geistige Gegenstand unmittelbar zur Manifestation oder Dokumen- 
tation kommen. Es mag solche geben, die auf anderen geistigen Gegen- 
ständen beruhen, und deren Erkenntnis durch diese vermittelt wird. 



Aber dann werden sie indirekt doch aus Manifestationen und Dokumen- 55 
tationen erkannt. 

BEISPIEL. Die Art der Religion eines Volkes wird festgestellt nach den Vor- 
stellungen, Gefühlen, Gedanken, Willensregungen religiöser Art, die bei den Indivi- 
duen dieses Volkes Vorkommen; ferner werden auch Dokumente in Gestalt von 
Schriften, Bildwerken, Bauwerken zu Hilfe genommen. Die Erkennung beruht also 
auf den Manifestationen und Dokumen tationen des zu erkennenden Gegenstandes. 

Wenn zuweilen die Möglichkeit der Erkenntnis geistiger Gegen- 
stände ohne den Umweg über die psychischen Vorgänge, in denen 
sie sich manifestieren, und über physische Dokumentationen behauptet 
wird, so sind solche Erkenntniswege jedenfalls in der Wissenschaft 
bisher noch nicht angewendet worden und nicht bekannt. Die Geistes- 
wissenschaften erkennen ihre Gegenstände, mag es sich nun um Sitte, 
Sprache, Staat, Wirtschaft, Kunst oder was immer handeln, zwar 
vorwiegend nicht durch diskursives Schließen, sondern durch „Ein- 
fühlung" oder besser „Verstehen". Aber dieses intuitive Verfahren 
nimmt ausnahmslos Manifestationen oder Dokumentationen zum Aus- 
gangsmaterial. Ferner ist das intuitive Verstehen oder die Ein- 
fühlung nicht etwa nur durch die Erkennung der vermittelnden 
psychischen oder physischen Gegenstände veranlaßt, sondern es ist 
inhaltlich durch die Beschaffenheit der vermittelnden Ge- 
genstände vollständig bestimmt. 

BEISPIEL. Die Erfassung des ästhetischen Gehalts eines Kunstwerkes, etwa 
einer Marmorplastik, ist zwar nicht identisch mit der W ahmehmung der sinnbV tw>n 
Eigenschaften des Marmorstückes, seiner Gestalt, Größe, Farbe und seinesMatedals. 
Aber diese Erfassung ist in dem Sinne nicht etwas neben der Wahrnehmung, als für 
sie nicht neben dem Wahmehmungsinhalt ein weiterer Inhalt gegeben ist; schärfer: 
sie ist durch das sinnlich Wahr genommene eindeutig bestimmt. Es besteht 
eine eindeutige Funktionalbeziehung zwischen der physischen Beschaffenheit 
des Marmorstückes und dem ästhetischen Sinngehalt des Kunstwerkes, das sich in 
diesem Marmorstück darstellt. 

Unsere Überlegungen zeigen, daß alle geistigen Gegenstände ent- 
weder unmittelbar oder durch Vermittlung anderer geistiger Gegen- 
stände zurückführbar sind auf ihre Manifestationen und Dokumen- 
tationen. Nun geschieht aber die Dokumentation eines geistigen Gegen- 
standes notwendig mit Hilfe einer Manifestation. Denn wenn ein phy- 
sischer Gegenstand so geschaffen oder umgeformt werden soll, daß er 
Dokument, Ausdrucksträger, für den geistigen Gegenstand wird, so 
bedingt das einen Akt des Schaffens oder Umformens durch ein oder 
mehrere Individuen und damit psychische Vorgänge, in denen der 
geistige Gegenstand lebendig wird, die also seine Manifestationen 
sind. 


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75 


55 Hieraus geht hervor, daß wir das Gebiet der Gegenstände, auf die 
die geistigen Gegenstände zurückführbar sind, enger fassen können: 
jeder geistige Gegenstand ist auf seine Manifestationen zu- 
rückführbar, also auf psychische Gegenstände. 

56. Die Konstitution der geistigen Gegenstände aus 
psychischen 

56 Mit der Erkenntnis, daß alle geistigen Gegenstände auf psychische 
zurückführbar sind, ist noch nicht entschieden, ob sie auch im Kon- 
stitutionssystem aus diesen konstituiert werden sollen. Es ist denk- 
bar, daß gewisse Auffassungen (etwa eine Theorie, die das ganze Welt- 
geschehen dialektisch als Emanation eines Geistes deutet) zu der An- 
nahme führen, daß alle psychischen Gegenstände auf geistige zurück- 
führbar seien. Diese Annahme würde auf die Möglichkeit einer um- 
gekehrten Konstitutionsrichtung führen. Hier soll jedoch die Richtig- 
keit dieser Annahme nicht untersucht werden. 

In der Systemform, die bei unserem Entwurf eines Konstitutions- 
systems angewendet werden soll, werden die geistigen Gegenstände aus 
den psychischen konstituiert und nicht umgekehrt. Der Grund hier- 
für liegt in dem erkenntnismäßigen Verhältnis zwischen den beiden 
Gegenstandsarten, wie es in der Methode der Wissenschaft zum Aus- 
druck kommt. Wir überlegten schon früher, daß die Manifestationen 
der geistigen Gegenstände (und weiterhin die Dokumentationen, die 
aber auch auf die Manifestationen führen) die Rolle von Kennzeichen 
spielen, genauer: von erkenntnisvermittelnden Gegenständen, aus 
deren Beschaffenheit allein die Wissenschaft die Beschaffenheit der 
geistigen Gegenstände selbst entnehmen kann. Damit sind die ps y chi- 
schen Gegenstände als die erkenntnismäßig primären gegen- 
über den geistigen Gegenständen festgestellt. Da nach dem früher 
erklärten Grundsatz in der hier gewählten Systemform die Richtung 
der Konstitution sich nach der erkenntnismäßigen Primarität richten 
soll, so ist damit entschieden, daß in unserem Konstitutionssystem 
die geistigen Gegenstände aus den anderen, und zwar vorzugs- 
weise aus den psychischen, konstituiert werden und nicht um- 
gekehrt. 

Dem naturwissenschaftlichen Denken liegt die Auffassung nahe, 
daß ein Staat, eine Sitte, eine Religion aus den psychischen Vorgängen 
besteht, in denen das betreffende Gebilde sich manifestiert, wie ein Stück 
Eisen aus seinen Molekülen besteht. Demgegenüber pflegt das geistes- 
wissenschaftliche Denken diese Gebilde als Gebilde eigener Art auf- 
zufassen, nicht als bloße Summen psychischer Vorgänge. 

76 


Die Konstitutionstheorie behauptet zwar die Zurückführbarkeit der 56 
geistigen Gegenstände auf psychische und konstituiert in einer der 
Systemformen jene aus diesen. Sie läßt aber trotzdem die genannte 
Auffassung derGeisteswissenschaften zu Recht bestehen. Die geis tigen 
Gegenstände sind nicht aus psychischen zusammengesetzt. 
Wir haben früher ihre Eigenart betont und gezeigt, daß sie nicht etwa 
nur große Unterschiede gegen die psychischen Gegenstände zeigen, 
sondern einer anderen „Gegenstandssphäre“ angehören (§ 23, 31). 

Gibt die Konstitutionstheorie hiermit dem geisteswissenschafdichen 
Denken in bezug auf die Selbständigkeit der Gegenstandsart des 
Geistigen Recht, so erfüllt sie doch andererseits eine Forderung, die 
besonders im naturwissenschafdichen Denken betont wird, nämlich 
die Forderung nach einer Analyse der geistigen Gegenstände, 
nach ihrer Zurückführung auf andere Gegenstände. Nur ist hier Analyse 
nicht im Sinne einer Zerlegung in Bestandteile zu verstehen. „Zurück- 
fuhrung“ und „Konstitution“ haben nur genau die früher definierte 
Bedeutung der Übersetzbarkeit der Aussagen (§ 2, 35). Alle Aussagen 
über geistige Gegenstände lassen sich grundsätzlich umformen in Aus- 
sagen über psychische Gegenstände. Aber auch dies ist nur in beschei- 
denem Sinne zu verstehen. Nicht als ob der Sinn dessen, was über 
geistige Gegenstände ausgesagt wird, sich in Aussagen über psychische 
Gegenstände wiedergeben ließe (dies ist zuweilen, aber nicht immer der 
Fall). Sondern die Behauptung der Möglichkeit der Umformung im kon- 
stitutionalen Sinne meint nur die Möglichkeit einer Umformungsregel, 
beideren Anwendung der logis che Wer t, nicht immer auchder Erkennt- 
niswert, ungeändert bleibt. Das ist schon früher erörtert worden (§ 5of.). 

LITERATUR. Die Frage, ob geistige Gebilde sich in psychische Vorgänge 
auflösen lassen oder nicht, ist vielfach umstritten. Vgl. z. B. Freyer [Obj. Geist.] 53. 
Nach unseren Überlegungen ist die Frage zu verneinen, wenn unter Auflösung der 
Nachweis der Zusanunengesetzlheit aus Bestandteilen gemeint ist, aber zu bejahen, 
wenn unter Auflösung der Nachweis der logischen Zurückführbarkeit verstanden wird. 

57. Die physischen Gegenstände sind auf psychische zurück- 
führbar und umgekehrt 

Die Aussagen über physische Gegenstände lassen sich umf ormen in 57 
Aussagen über Wahrnehmungen, also über psychische Gegenstände. 

Die Aussage, daß ein bestimmter Körper rot sei, wird dabei umgeformt 
in eine sehr komplizierte Aussage etwa des Inhalts, daß unter gewissen 
Umständen eine bestimmte Empfindung des Gesichtssinnes („rot“) 
auftrete. 

Aussagen über physische Gegenstände, die nicht unmittelbar v 

77 



57 Sinnesqualitäten betreffen, lassen sich doch auf solche zurückfuhren. 
Wäre irgendein physischer Gegenstand nicht auf Sinnesqualitäten und 
damit auf psychische Gegenstände zurückführbar, so würde das be- 
sagen, daß es für ihn keine wahrnehmbaren Kennzeichen gibt. Die 
Aussagen über ihn würden im Leeren schweben; er hätte zum mindesten 
in der Wissenschaft keinen Platz. Also sind alle physischen Ge- 
genstände auf psychische zurückführbar. 

Zu jedem psychischen Vorgang gibt es einen entsprechenden „Par- 
allelvorgang“ im Gehirn, also einen physischen Vorgang. Dabei ent- 
spricht jeder Eigenschaft des psychischen Vorganges eindeutig eine 
bestimmte (wenn auch ganz andersartige) Eigenschaft des Gehirnvor- 
ganges. Daher ist jede Aussage über einen psychischen Gegenstand 
übersetzbar in eine Aussage über physische Gegenstände. Da das Zu- 
ordnungsproblem der psychophysischen Beziehung (s. § 21) noch nicht 
gelöst ist, so kann bei dem heutigen Stand der Wissenschaft die all- 
gemeine Regel dieser Übersetzung zwar nicht angegeben werden; doch 
genügt hier die logische Existenz dieser Regel, d. h. die Geltung einer 
Zuordnung der angegebenen Art, um die grundsätzliche Zurückführ- 
barkeit aller psychischen Gegenstände auf physische daraus 
zu folgern. 

LITERATUR. Die genannte Auffassung von der durchgängigen und eindeutigen 
psychophysischen Zuordnung vertritt z. B. Wundt [Phys. Psychol.] III 752; 
Gegner dieser Auffassung sind z. B. Becher [Gehirn] und Bergson [Materie]. 
Ausführliche Literaturangaben über das Problem gibt Busse [Geist]. Vgl. auch § 58,59. 

Eine andere Art der Zurückführung psychischer auf phy- 
sische Gegenstände stützt sich nicht auf die noch fast völlig un- 
bekannte psychophysische Beziehung, sondern auf die Ausdrucks- 
beziehung. Zur Ausdrucksbeziehung im engeren Sinne (§ 19) müssen 
wir hier noch die Beziehung hinzunehmen, die man etwa als „Angabe- 
beziehung“ bezeichnen konnte. Hierunter ist die Beziehung zwischen 
einer Körperbewegung und einem psychischen Vorgang verstanden, 
wenn die Bewegung durch Sprechen, Schreiben oder sonstige Zeichen- 
gebung das Vorhandensein und die Beschaffenheit des psychischen Vor- 
ganges angibt, also z. B. die Beziehung zwischen den Sprechbewegungen 
eines Menschen, die den Satz bilden: „ich freue mich über das schöne 
Wetter“, und seiner Freude über das schöne Wetter. Die Ausdrucks- 
bewegungen einschließlich solcher Angaben sind die einzigen Kenn- 
zeichen, aus denen wir die psychischen Vorgänge in anderen Menschen, 
die „fremdpsychischen“ Vorgänge, erkennen können. Nun ist 
jeder psychische Vorgang, wenn er als fremdpsychischer auftritt, prin- 
zipiell erkennbar, nämlich entweder aus Ausdrucksbewegungen erschließ- 

78 



bar oder erfragbar (angebbar). Also kann jede Aussage über einen 57 
psychischen Gegenstand umgeformt werden in eine Aussage über jene 
Kennzeichen. Daraus folgt, daß alle psychischen Gegenstände 
auf Ausdrucksbewegungen (im weiteren Sinne), also auf physische 
Gegenstände zurückführbar sind. 

Aus der prinzipiellen Erkennbarkeit jeder Art fremdpsychischer 
Vorgänge und der geschlossenen Gesetzmäßigkeit innerhalb der physi- 
schen Vorgänge folgt, daß alle Arten psychischer Vorgänge physische 
Parallelvorgänge (im Zentralnervensystem) haben (entgegen der Auf- 
fassung von Bergson u. a., s. u.). Auf den Nachweis sei hier nicht ein- 
gegangen; er ist für die hier verwendete Systemform nicht so bedeutungs- 
voll wie für die Form mit physischer Basis (§ 59). 

58. Eigenpsychisches und Fremdpsychisches 

Um zu entscheiden, ob bei unserer Systemform die psychischen 58 
Gegenstände aus den physischen konstituiert werden müssen oder um- 
gekehrt, — wegen der gegenseitigen Zurückführbarkeit bestehen lo- 
gisch beide Möglichkeiten, — müssen wir das erkenntnismäßige Ver- 
hältnis zwischen diesen beiden Gegenstandsarten untersuchen. Da- 
zeigt sich mm, daß die psychischen Vorgänge fremder Subjekte nur 
durch Vermittlung physischer Gegenstände erkennbar sind, nämlich 
durch Vermittlung der Ausdrucksbewegungen (im weiteren Sinne) oder 
auch durch Vermittlung der Gehimvorgänge, wenn wir dabei ein gegen- 
wärtig noch nicht verwirklichtes Stadium der Gehimphysiologie vor- 
aussetzen. Dagegen bedarf die Erkennung der eigenen psychischen Vor- 
gänge nicht irgend welcher Vermittlung durch die Erkennung physischer 
Gegenstände, sondern geschieht unvermittelt. Um also die Anordnung 
der psychischen und der physischen Gegenstände im Konstitutions- 
system nach ihrem erkenntnismäßigen Verhältnis vornehmen zu kön- 
nen, müssen wir das Gebiet der psychischen Gegenstände in zwei Teile 
teilen: wir trennen die „fremdpsychischen“ Gegenstände von den 
„eigenpsychischen“. Die eigenpsychischen Gegenstände sind er- 
kenntnismäßig primär in bezug auf die physischen Gegenstände, die 
fremdpsychischen dagegen sekundär. Wir werden deshalb die physi- 
schen Gegenstände aus den eigenpsychischen und die fremdpsychischen 
aus den physischen konstituieren. 

Die Reihenfolge der vier wichtigsten Gegenstandsgebiete in bezug 
auf erkenntnismäßige Primarität ist also : Eigenpsychisches, Physisches, 
Fremdpsychisches, Geistiges. Bei unserer Systemform muß also die 
Einordnung in das Konstitutionssystem dieser Reihenfolge entsprechen. 
Dadurch ist zunächst nur die Gesamtform im Groben bestimmt. Die 


79 


58 Einordnung der einzelnen Gegenstandsarten der genannten großen 
Gebiete wird später erörtert. 

LITERATUR. Die Notwendigkeit einer getrennten Behandlung des Eigen- 
psychischen und des Fremdpsychischen, zumal bei erkenntnistheoretischer 
Untersuchung, ist besonders von Dingler [Naturphil.] klar darlegt worden („Auto- 
psychologie“ — „Allopsychologie“). 

Daß das Fremdpsychische nur durch Vermittlung des Physischen erkannt wird, 
zeigen die Darlegungen Bechers [Geisteswiss.] 285 ff. gegen Scheler. Ausführlicher 
Nachweis, daß das Fremdpsychische auf Physisches zurückführbar ist, und zwar als 
erkenntnismäßig sekundär: Camap [Realismus]. 


59. Die Systemform mit Basis im Physischen 

59 Wird nicht gefordert, daß die Ordnung der Konstitution die er- 
kenntnismäßige Ordnung der Gegenstände wiedergibt, so ergeben sich 
noch andere mögliche Systemformen. Die Möglichkeit, die Basis des 
Systems in das Gebiet der geistigen Gegenstände zu verlegen, ist 
problematisch. Die Schwierigkeit, vielleicht auch Unmöglichkeit einer 
solchen Systemform dürfte darin liegen, daß zwar alle psychischen Vor- 
gänge als Manifestationen geistiger Gebilde aufgefaßt werden können, 
aber nicht alle ihre Eigenschaften als bestimmt durch die Beschaffen- 
heit der sich in ihnen manifestierenden geistigen Gebilde, so daß keine 
durchgängige Zurückführbarkeit der psychischen Gegenstände auf 
geistige besteht. 

Da alle geistigen Gegenstände auf psychische und alle psychischen 
auf physische zurückführbar sind, so kann die Basis des Systems in 
das Gebiet der physischen Gegenstände gelegt werden. Man kann 
diese Systemform als „materialistisch“ bezeichnen, da der Aufbau 
eines Konstitutionssystems dieser Form besonders für den Standpunkt 
des Materialismus naheliegt. Es ist jedoch wichtig, die logisch- 
konstitutionale Seite einer Theorie deutlich zu trennen von ihrer meta- 
physischen Seite. Gegen den wissenschaftlichen Materialismus ist von 
dem logischen Gesichtspunkt der Konstitutionstheorie aus nichts ein- 
zuwenden. Seine Behauptung, daß alle psychischen (und sonstigen) 
Gegenstände auf physische zurückführbar seien, besteht zu Recht. 
Die darüber hinausgehende Behauptung des metaphysischen Materialis- 
mus, daß alle psychischen Vorgänge ihrem Wesen nach physische seien, 
daß nichts als Physisches existiere, wird von der Konstitutions theorie 
und überhaupt von der (rationalen) Wissenschaft weder aufgestellt 
noch bestritten. Die Ausdrücke „Wesen“ und „existieren“ (im hier 
gemeinten Sinne) finden im Konstitutionssystem keinen Platz und er- 
weisen sich schon dadurch als metaphysisch; vgl. hierzu § 176, 161. 

Ein materialistisches Konstitutionssystem hat den Vorzug, 



daß es dasjenige Gebiet (nämlich das physische) als Basisgebiet hat, das 59 
als einziges eine eindeutige Gesetzmäßigkeit seiner Vorgänge besitzt. 

Die psychischen und geistigen Vorgänge werden bei dieser Systemform 
durch ihre Konstitution von den physischen Gegenständen abhängig; 
dadurch werden sie mit eingeordnet in das eine gesetzmäßige Gesamt- 
geschehen. Da die Aufgabe der Realwissenschaft (Naturwissenschaften, 
Psychologie, Kulturwissenschaften) einerseits in der Auffindung ge- 
nereller Gesetze, andererseits in der Erklärung individueller Vorgänge 
durch ihre Subsumtion unter generelle Gesetze besteht, so stellt das 
Konstitutionssystem mit Basis im Physischen die für den Gesichts- 
punkt der Realwissenschaft geeignetste Ordnung der Begriffe dar. (Über 
das Basisproblem dieser Systemform vgl. § 62.) Eine ausführlichere 
Darstellung dieses Systems und seiner wissenschaftlichen Bedeutung 
kann hier nicht gegeben werden. 

Vom erkenntnistheoretischen Gesichtspunkt aus (im Unterschied 
zum realwissenschaftlichen) werden wir zu einer anderen Ordnung der 
Begriffe geführt: zu dem Konstitutionssystem mit eigenpsychischer 
Basis (§ 6o) c 

LITERATUR. Die sog. „Verhaltenspsychologie“ (der „behaviorism“ 
von Watson, Dewey u. a., siehe Literaturangaben in Russell [Mind]) führt alles Psychi- 
sche auf sinnlich Wahrnehmbares, also Physisches zurück. Ein auf diese Auffassung 
gegründetes Konstitutionssystem würde also eine physische Basis wählen. Nach dem 
Gesagten wäre ein solches System an sich durchaus möglich und durchführbar. Pro- 
blematisch dürfte jedoch sein, ob der Anspruch des Behaviorismus zu Recht besteht, 
mit dieser Ordnung der Gegenstände gerade auch das erkenntnismäßige Verhältnis 
richtig wiederzugeben. 

Es könnte fraglich erscheinen, ob in einem Konstitutionssystem mit physischer ' 
Basis auch das Gebiet der Werte Platz findef. Dieser Zweifel ist jedoch beseitigt durch 
die von Ostwald [Werte] gegebene Ableitung der Werte verschiedener Arten auf 
energetischer Grundlage (im Anschluß an den zweiten Hauptsatz der Energetik, mit 
Hilfe des Dissipationsbegriffes). Wir müssen vom philosophischen Standpunkt aus zu- 
gestehen, daß nicht nur die erlebnismäßige, „phänomenologische“ Ableitung der Werte 
methodisch berechtigt und inhaltlich fruchtbar ist (wir werden sie in unserem Entwurf 
des Konstitutionssystems zur Anwendung bringen, s. § 152), sondern auch die energe- 
tische. Die Entscheidung zwischen beiden ist nicht eine Frage der Gültigkeit, sondern 
eine Frage der Systemform; es handelt sich nur um einen Unterschied in der Richtung 
der Fragestellung und damit der Begriffskonstitution. Die Gesamtwissenschaft bedarf 
beider Theorien, um beide Richtungen der logischen Zurückführbarkeit zur Darstellung 
zu bringen; gerade so, wie sie sowohl einer behavioristischen, als auch einer intro- 
spektiven Psychologie bedarf; allgemein: sowohl einer erlebnismäßigen, als auch einer 
materialistischen Ableitung aller Begriffe. 


80 


8l 


6o 


60. Die Systemformen mit Basis im Psychischen 

Es sind auch Formen des Konstitutionssystems möglich, die ihre 
Basis im Psychischen haben. Die logische Berechtigung auch dieser 
Systemformen besteht unabhängig von der metaphysischen Richtung 
und beruht nur auf dem früher geführten Nachweis, daß einerseits alle 
geistigen und andererseits auch alle physischen Gegenstände auf psychi- 
sche zurückführbar sind. Eine Systemform mit psychischer Basis liegt 
gewöhnlich den Theorien der positivistischen Richtung zugrunde, be- 
sonders denen des Sensualismus. Unsere Anwendung einer solchen 
Systemform bedeutet aber keineswegs, daß wir eine sensualistische oder 
positivistische Anschauung zugrunde legen. Die Stellungnahme zu den 
Problemen dieser Richtungen liegt außerhalb der Konstitutionstheorie, 
nämlich im Gebiet der Metaphysik; das wird später gezeigt werden 

(§ 178). 

Es sind hauptsächlich zwei Systemformen mit psychischer Basis zu 
unterscheiden : bei der einen liegt die Basis im Gesamtgebiet des Psychi- 
schen, bei der anderen nur im Eigenpsychischen. Aus den vorher- 
gehenden Überlegungen folgt, daß bei der ersten Systemform (unbe- 
schadet ihrer logischen Möglichkeit) die Konstitution nicht immer die 
Richtung des erkenntnismäßigen Verhältnisses haben kann. Für den 
hier darzustellenden Entwurf eines Konstitutionssystems dürfen wir 
daher wegen der Absicht, die erkenntnismäßige Ordnung der Gegen- 
stände zur Darstellung zu bringen, nur die zweite Form anwenden, die 
mit eigenpsychischer Basis. 

LITERATUR. Gätschenberger, ([Symbolaj 437fr., bes. 451) zeigt die Möglich- 
keit zweier „Untersprachen“, die (in unserer Ausdrucksweise) den Systemformen mit 
physischer bzw. psychischer Basis entsprechen: die naturwissenschaftliche „Sprache 
des Geforderten“ und die psychologische „Sprache des Gegebenen“. G. ist der Ansicht, 
daß eine reine Sprache des Gegebenen nicht durchführbar sei; wir werden jedoch die 
Möglichkeit vollständiger Durchführung der Systemform mit psychischer Basis durch 
ihre Anwendung im Konstitutionssystera zeigen. 



C. DIE BASIS 
1 . DIE GRUNDELEMENTE 

61. Zweiteilung des Basisproblems. Grundelemente und 
Grundrelationen 

Das Problem der Basis des Konstitutionssystems zerfällt in zwei 61 
Teile. Zunächst muß entschieden werden, welche Gegenstände als 
Grundelemente genommen werden sollen, als Gegenstände der unter- 
sten Konstitutionsstufe. Wenn aber eine Konstitution weiterer Gegen- 
stände möglich sein soll, so müssen noch andere Gegenstände an den 
Anfang des Konstitutionssystems gesetzt werden, und zwar entweder 
als Klassen („Grundklassen“) oder als Relationen („Gnmdrelationen“). 
Denn wenn die Grundelemente als eigenschaftslos und beziehungslos 
nebeneinander stehend gegeben würden, so wäre kein Konstitutions- 
schritt von ihnen aus möglich. Wie später dargelegt wird, werden wir 
nicht Klassen, sondern Relationen, die „Grundrelationen“, an den 
Anfang des Konstitutionssystems stellen. Diese Gnmdrelationen und 
nicht die Grundelemente bilden die Undefinierten Grundgegenstände 
(Grundbegriffe) des Systems, aus denen alle anderen Gegenstände des 
Systems konstituiert werden. Die Grundrelationen sind im Sinne der 
Konstitution primär gegenüber den Grundelementen, ihren Gliedern; 
allgemein betrachtet die Konstitutionstheorie Einzelgegenstände als 
sekundär gegenüber ihrem Beziehungsgefüge. 

Wir zerlegen demgemäß das Basisproblem in die Frage nach den 
Grundelementen und die Frage nach den Grundrelationen. 

62. Die Möglichkeiten der Basrs im Physischen 

Als Möglichkeiten für die Gesamtform des Konstitutionssystems 62 
hatten sich (da eine Systemform mit Basis im Geistigen nicht durchführ- 
bar erschien) die Systemformen mit Basis im Physischen und im Psychi- 
schen ergeben. Um einen Überblick über die überhaupt vorliegenden 
Möglichkeiten für Konstitutionssysteme zu gewinnen, soll das Basis- 
problem für diese verschiedenen Systemformen behandelt werden, 
nicht nur für die Form, die hier zur Anwendung kommen soll. Für 
die Wahl der Basis im Physischen seien drei verschiedene Mög- 

83 


82 


Ö2 lichkeiten als Beispiele kurz angegeben, ohne damit etwa weitere 
auszuschließen. 

BEISPIELE. I. Als Grundelemente können die Elektronen (einschließlich der 
„Protonen“, der positiven Elementarladungen) genommen werden, und als Grund- 
relationen die räumlichen und zeitlichen Beziehungen zwischen ihnen. Die elektro- 
magnetischen Feldgrößen lassen sich dann definieren durch Implikationsaussagen 
über Beschleunigung von Elektronen. Die Atome aller chemischen Elemente werden 
konstituiert als bestimmte Konstellationen von Elektronen, und die Gravitation durch 
Implikationsaussagen über Beschleunigung von Atomen. Die Ableitung der übrigen 
physikalischen Zustandsgrößen und sonstigen Begriffe bietet dann keme grundsätz- 
lichen Schwierigkeiten mehr, da sie in der Physik sämtlich auf elektromagneusches 
Feld, Elektronen und Gravitation zurückgeführt werden. Die sinnlich-physischen 
Dinge und Eigenschaften sind dann leicht aus den physikalischen zu konstituieren, da 
sie eindeutig durch diese bestimmt werden. 

2. Als Grundelemente können die Raum-^eit-Punkte des vierdimensionalen 
Raum-Zeit-Kontinuums genommen werden, als Grundrelationen ihre Lagebeziehungen 
im Kontinuum und die einmehrdeutigen Zuordnungen zwischen rellen Zahlen und 
Raum-Zeit-Punkten, die den einzelnen Komponenten der Potentialfunktionen 
entsprechen: des elektromagnetischen Vierervektorfeldes und des Tensorfeldes der 
Gravitation. Nach der allgemeinen Relativitätstheorie in der Weylschen Form können 
hieraus grundsätzlich alle physikalischen Begriffe abgeleitet werden. Die Elektronen 
werden konstituiert als Stellen eigentümlicher Potentialverteilung (oder auch schon 
durch die Lagebeziehungen als topologische Singularitäten); die übrigen Ableitungen 
geschehen wie im ersten Falle. 

3. Als Grundelemente können die Weltpunkte genommen werden im Sinne 
der Elemente der „Weltlimen“ physikalischer Punkte (auf Grund der Minkowskischen 
Darstellung); sie sind mit jenen Raum-Zeit-Punkten des zweiten Beispiels nicht 
identisch, sondern ihnen mehr-eindeutig zugeordnet. Als Grundrelationen können hier 
Koinzidenz und Eigenzeitbeziehung genommen werden. Hieraus sind zunächst 
alle topologischen, dann auch die metrischen Bestimmungen der Raum-Zeit-Weit 
zu konstituieren (vgl. Camap [Abhäng.], [Logistik] § 375 Reichenbach [Axiomatik]) 
und daraus das Vektor- und das Tensorfeld der genannten Weylschen Theorie, wonach 
der weitere Aufbau wie dort vor sich geht. 

Nachdem die physischen Gegenstände auf Grund einer solchen 
physischen Basis konstituiert sind, können die weiteren Gegenstands- 
arten aus ihnen konstituiert werden gemäß unseren früheren Über- 
legungen über die Zurückführbarkeit der psychischen Gegenstände auf 
physische und der geistigen auf psychische (§ 55 ^ 0 - 

63. Die Möglichkeiten der Basis im Psychischen 

63 Für die Wahl der Basis innerhalb des Psychischen bestehen zwei 
verschiedene Möglichkeiten: die eigenpsychische (oder „solipsistische“) 
Basis und die allgemeinpsychische Basis. Bei eigenpsychischer 
Basis wird die Auswahl der Grundelemente auf solche psychischen 
Gegenstände beschränkt, die zu nur einem Subjekt gehören. In diesem 


84 


Falle muß, wie wir früher gesehen haben, das Psychische in zwei kon- 63 
stitutional verschieden behandelte Teilgebiete zerlegt werden: aus dem 
Eigenpsychischen wird das Physische, erst aus diesem das Fremd- 
psychische konstituiert. Bei Wahl der allgemeinpsychischen Basis 
werden psychische Gegenstände aller psychischen Subjekte zu Grund- 
elementen genommen. Dieser Weg hat den Vorzug, daß die Konstitution 
aller psychischen Gegenstände leichter ist; sie wird genau so vorge- 
nommen, wie bei der eigenpsychischen Basis die Konstitution des Eigen- 
psychischen. Hier aber ist mit dieser Konstitution schon die ganze 
Aufgabe der Konstitution des Psychischen gelöst, während bei der Wahl 
der eigenpsychischen Basis nach der Konstitution des Physischen noch 
die ganz andersartige und verschiedene Schwierigkeiten bietende Auf- 
gabe der Konstitution des Fremdpsychischen vorliegt. In beiden 
Fällen können noch verschiedene Arten psychischer Gegenstände als 
Grundelemente genommen werden, z. B. die unzerlegten Erlebnisse 
(aller Subjekte bzw. des einen Subjekts) oder auch die Bestandteile der 
Erlebnisse oder bestimmte Arten von Bestandteilen, z. B. die Sinnes- 
empfindungen. Diese Möglichkeiten werden später bei der Behandlung 
der eigenpsychischen Basis erörtert werden (§ 67), die hier zur An- 
wendung kommen soll. 

64. Die Wahl der eigenpsychischen Basis 

Trotz der angegebenen Vorzüge der allgemein-psychischen Basis 64 
wählen wir für den Entwurf des Konstitutionssystems die eigenpsychische 
Basis. Der wichtigste Grund hierfür liegt in der Absicht, durch dieses 
Konstitutionssystem nicht nur eine logisch- konstitutionale Ordnung 
der Gegenstände zur Darstellung zu bringen, sondern außerdem auch 
ihre erkenntnismäßige Ordnung (§ 54). Aus demselben Grunde wurde 
ja auch die Systemform mit physischer Basis, für die sich verschiedene 
logische Möglichkeiten fanden, hier von der Verwendung ausgeschlossen. 
Nun wird zwar zuweilen die Auffassung vertreten, nicht das Eigen- 
psychische, sondern das Allgemein- Psychische bilde das Grundgebiet 
auch der erkenntnismäßigen Ordnung. Aber diese Auffassung ist nicht 
haltbar angesichts der Tatsache, daß die Erkennung von Fremdpsychi- 
schem ohne die Vermittlung der Erkennung von Physischem nicht mög- 
lich ist (§ 58). 

Der zweite Grund zur Bevorzugung der Systemform mit eigenpsy- 
chischer Basis ist ein formallogischer. Selbst wenn ein Konstitutions- 
system mit allgemein-psychischer Basis auch die erkenntnismäßige 
Ordnung der Gegenstände zur Darstellung bringen könnte, so hätte 
doch ein System jener Form den Vorzug, daß in ihm dieselbe Gesamt- 

85 


64 


heit aller Gegenstände auf Grund einer ganz bedeutend engeren Basis 

konstituiert wird. . . t 

Die eigenpsychische Basis bezeichnen wir auch als „solipsis tische 
Basis. Dabei wird aber nicht etwa die Auffassung des Solipsismus 
selbst hier zugrunde gelegt, als sei nur ein Subjekt und seine Erlebnisse 
wirklich, die anderen Subjekte dagegen nicht-wirklich. Die Unter- 
scheidung zwischen wirklichen und nichtwirklichen Gegenständen steht 
nicht am Beginn des Konstitutionssystems. Für die Basis wird. kein 
Unterschied gemacht zwischen den Erlebnissen, die auf Grund späterer 
Konstitution als Wahrnehmung, Halluzination, Traum usw. unter- 
schieden werden. Diese Unterscheidung und damit die zwischen wirk- 
lichen und nichtwirklichen Gegenständen tritt erst auf einer ziemlich 
hohen Konstitutionsstufe auf (vgl. § iyoff.). Zu Beginn des Systems 
sind die Erlebnisse einfach so hinzunehmen, wie sie sich geben; die in 
ihnen vorkommenden Realsetzungen und Nichtrealsetzungen werden 
nicht mitgemacht, sondern „eingeklammert“; es wird also die phäno- 
menologische „Enthaltung“ (Jnox> j“) im Sinne Husserls ausgeübt 


([Phänomenol.] § 31, 3 2 )* 

Das Grundgebiet muß innerhalb des Eigenpsychischen noch genauer 
abgegrenzt werden. Die Bezeichnung „Psychisches“ umfaßt unter 
Umständen auch Unbewußtes; das Grundgebiet liegt nur im Bewußten 
(im weiteren Sinne): zu ihm gehören alle Erlebnisse, ob gleichzeitig oder 
nachträglich auf sie reflektiert wird oder nicht. Wir sprechen deshalb 
lieber vom „Erlebnisstrom“. Das Grundgebiet könnte auch als 
„das Gegebene“ bezeichnet werden; doch muß hierbei beachtet wer- 
den, daß damit nicht etwas oder jemand vorausgesetzt wird, dem das 
Gegebene gegeben ist (s. § 65). Der Ausdruck „das Gegebene hat vor 
den Ausdrücken „Eigenpsychisches“ und „Erlebnisstrom“ den Vorzug 
einer gewissen Neutralität; die Ausdrücke „Eigenpsychisches und „Er- 
lebnisstrom“ müßten streng genommen in der späteren Bezeichnungs- 
weise (§ 75) gegeben werden: pEigenpsy chisches d und p Erlebnisstrom . 

LITERATUR. Da die Wahl der eigenpsychischen Basis nur die Anwendung der 
Form, der Methode des Solipsismus bedeutet, nicht aber die Anerkennung seiner inhalt- 
lichen These, so können wir hier von „methodischem Solipsismus“ sprechen. 
Dieser Standpunkt ist besonders von Driesch als notwendiger Ausgangspunkt der 
Erkenntnistheorie betont und ausführlich dargesteUt worden ( [Ordnungsl.] bes. 23). 
Es seien hier noch einige Vertreter dieser Auffassung genannt, die aber zum Teil die 
solipsistische Methode nur zu Beginn anwenden und später einen Sprung ih das 
Fremdpsychische hinüber machen. Da meist keine strengen Formen der Konstitution 
angewandt werden, so ist häufig nicht deutlich, ob dieser spätere Übergang einen 
Weiterbau auf der Basis des Eigenpsychischen bedeutet, wie m unserem Konstitutions- 
system, oder aber ein Verlassen der Basis. 

v. Schuber t-Soldern ([Erkth.] 6sff.) will seinen Solipsismus ausdrücklich nicht 



metaphysisch, sondern nur „methodologisch“ verstanden wissen ([Solipsismus] 49, 64 
53), was von seinen Kritikern häufig nicht beachtet wird. Gomperz [Ereignis] 236ff. 
Ziehen [Erkth.] 37, 39, 277ff. Husserl [Phänomenol.] z. B. 3165 Notwendigkeit der 
Intersub jektivierung : 317- Dingler [Naturphilos.] I2if. Reininger [Psychophys.] 

51. Jacoby [Ontol.]. Volkelt ([Gewißheit] 55ff.) wählt einen „monologischen“, 
also auch eigenpsychischen Ausgang der Erkenntnistheorie und gibt eine gute Kritik 
des nicht (oder nicht rein) eigenpsychischen Ausgangspunktes von Avenarius, Cornelius, 
Petzold und Rehmke; der von V. eingeschlagene Weg zur Überwindung der Grenzen 
der individuellen Subjektivität weicht jedoch erheblich von dem unserigen ab. Rus seil 
([ExtemalW.] 96 f., [Sense-Data] 157Q hält es zwar für sehr wünschenswert, aber für 
schwierig und gegenwärtig überhaupt noch nicht durchführbar, das Physische auf 
Grund einer eigenpsychischen Basis zu konstituieren. 

Im Gegensatz zu den genannten Systemen wenden viele andere den methodischen 
Solipsismus nicht an, manche lehnen ihn sogar ausdrücklich ab. Die nicht- ei gen- 
psychische Basis fällt besonders bei Mach auf ([Anal.] 19), weil sie im Gesamtbild 
seiner Anschauungen als störend empfunden werden muß. Die Gegner der eigen- 
psychischen Basis seien hier nicht aufgezählt, sondern nur Frischeisen-Köhler 
[Wissensch.]' angeführt. Dieser nimmt als erkenntnistheoretisches Subjekt nicht das 
Ich, sondern das „Bewußtsein überhaupt“, dem die individuellen Iche Phänomene 
sind. Um so schwerer fällt es ins Gewicht, daß auch dieser Gegner nicht u mhin kann, 
das Urphänomen der Erkenntnis ins Eigenpsychische zu verlegen: „Den Ausgangs- 
punkt aller methodischen Selbstbesinnung bildet der Rückgang auf die eigene Er- 
fahrung“ (S. 244); „die Beschränkung alles Gegebenen auf die Sphäre meines Ich ist 
nicht zu erschüttern“ (S. 254); „so bin ich von Beginn an in meiner Reflektion auf 
mein und nur mein Selbstbewußtsein angewiesen“ (S. 265); mit besonderer Betonung 
der Unabhängigkeit dieses Tatbestandes von der Stellungnahme zum Realismus- 
problem: „Es gibt keine für eine Mehrheit von Erkenntnissubjekten gemeinsamen 
Erfahrungsobjekte. Auch dieser Satz — so paradox er klingen mag — stützt sich auf 
keine Hypothese über Wirklichkeit und Unwirklichkeit der Außenwelt. Um ihn zu 
durchschauen, brauchen wir den Boden des naiven Realismus nicht zu verlassen.“ 

Auf Frischeisen-Köhlers Widerlegung der anti-solipsistischen Auffassungen von 
Mach, Schuppe, Cassirer können wir hier sogar hinweisen und uns dadurch ein 
Eingehen auf diese sparen. Es ist schwer verständlich, wie Fr.-K. trotz all dieser Zu- 
geständnisse doch glaubt, die eigenpsychische Basis für seine Erkenntnistheorie nicht 
verwenden zu können. Die Erklärung hierfür liegt wohl darin, daß es kaum möglich 
erscheint, von einer eigenpsychischen Basis aus zur Erkenntnis und Konstitution der 
anderen Subjekte, des Fremdpsychischen und einer intersubjektiven Außenwelt zu 
gelangen. Auch für andere Philosophen (etwa Natorp, Ricker t [System] i84ff. u. a.) 
ist dies vermutlich der ausschlaggebende Grund dafür, eine nicht-eigenpsychische 
Basis zu wählen. Da die Konstitutionstheorie die Hindernisse wegräumt und den Weg 
von der eigenpsychischen Basis zum Fremdpsychischen und zur intersubjektiven Welt 
freimacht und aufweist (vgl. § 66, 140» 145 — *49)j 80 dürfte wohl kein Grund mehr 
vorliegen, eine andere Basis zu nehmen. 

65. Das Gegebene ist subjektlos 

Die Ausdrücke „eigenpsychische Basis“ und „methodischer Solipsis- 65 
mus“ sind nicht so zu deuten, als werde zu Beginn eine Trennung des 
„ipse“, des „Ich“, von den anderen Subjekten vorgenommen oder als 

87 


65 werde eines der empirischen Subjekte herausgehoben und zum erkennt- 
nistheoretischen Subjekt erklärt. Zu Beginn kann weder von anderen 
Subjekten noch vom Ich die Rede sein. Beide werden erst, und zwar 
miteinander, auf einer späten Stufe konstituiert. Die Wahl jener Aus- 
drücke bedeutet nur: nach vollzogenem Aufbau des ganzen Konstitu- 
tionssystems liegen verschiedene Gebiete vor, die wir in Anlehnung an 
die üblichen Bezeichnungen die Gebiete des Physischen, des Psychischen, 
und zwar des Eigenpsychischen und des Fremdpsychischen, und des 
Geistigen nennen. Diese Gebiete finden sich bei jedem vollständigen Kon- 
stitutionssystem irgendeiner Systemform. Um nun die Systemformen in 
ihren Unterschieden zu charakterisieren, geben wir für eine jede an, 
in welchem der Gegenstandsgebiete sich die Grundelemente nach voll- 
ständigem Aufbau des Systems vorfinden; vor dem Aufbau sind die 
Grundelemente eigenschaftslos und gebietslos, von jenen Gebieten und 
zumal von einer Unterscheidung verschiedener Subjekte kann noch gar 
keine Rede sein. Da bei unserer Systemform die Grundelemente nach 
vollzogener Konstitution als Erlebnisse des Ich zu bezeichnen sind, so 
sagen wir: in unserem Konstitutionssystem sind „meine Erlebnisse“ 
die Grundelemente. (Genauer in der Bezeichnungs weise des § 75: 
pineine Erlebnisse^.) 

Der Sachverhalt mag durch eine Analogie erläutert werden. Konstituieren wir 
aus den Zahlen 1, 2, 3, ... zuerst die Null und die entsprechenden negativen Zahlen, 
dann schrittweise weiter die rationalen Zahlen, die reellen Zahlen, die komplexen 
Zahlen, so werden wir schließlich, um unser Ausgangsgebiet innerhalb des Gesamt- 
bereiches der Zahlen zu charakterisieren, sagen: wir haben die reellen, positiven, 
ganzen Zahlen als Ausgangselemente genommen. Zu Beginn der Konstitution hat die 
Bezeichnung der Elemente als „reell“, „positiv“ und „ganz“ keinen Sinn, sondern 
erst nach Konstitution der Gebiete der komplexen, negativen bzw. gebrochenen 
Zahlen, gegen die jene Bezeichnungen abgrenzen sollen. 

Ebenso hat die Charakterisierung der Grundelemente un- 
seres Konstitutionssystems als „eigenpsychisch“, d. h. als 
„psychisch“ und als „mein“ erst einen Sinn, wenn die Gebiete des 
Nicht-Psychischen (nämlich zunächst des Physischen) und des „Du“ 
konstituiert sind. Dann aber ist sie durchaus sinnvoll zur Unterschei- 
dung gegenüber den anderen Systemformen mit allgemein-psychischer 
oder physischer Basis. Auch diese anderen Basisbezeichnungen haben 
ebenso nicht für die Grundelemente als solche, sondern erst im Hinblick 
auf das Gesamtsystem einen Sinn. Vor dem Aufbau des Systems ist 
die Basis in jeder Systemform neutral, d. h. an sich weder psychisch 
noch physisch. 

Die Ich-Bezogenheit ist keine ursprüngliche Eigenschaft 
der Grundelemente, des Gegebenen. Daß ein Erlebnis ich-bezogen 

88 



ist, hat erst einen Sinn, wenn von den Erlebnissen Anderer, die aus 65 
„meinen“ Erlebnissen konstituiert werden, die Rede ist. Ja es muß 
sogar das Vorhandensein irgendeiner Zweiseitigkeit im Grunderlebnis 
bestritten werden, wie es vielfach angenommen wird, etwa als „Korre- 
lation zwischen Objekt und Subjekt“ oder sonstwie. „Daß in dem Tat- 
bestände, der als die Voraussetzung alles Denkens zu erachten ist . . . 
zwei Komponenten sich sondern lassen, ... ist seit Beginn der neueren 
Philosophie Gemeingut aller Theorien“ sagt Frischeisen-Köhler 
[Wissensch.] 190. Diese Theorien sind das Opfer eines Vorurteils, an 
dem hauptsächlich die Sprache durch die Subjekt- Prädikat-Form der 
Sätze die Schuld trägt. 

Die Ich-Bezogenheit findet sich auch nicht gleich ursprünglich auf 
den verschiedenen Sinnesgebieten. Sie scheint zunächst nur den Ge- 
sichtswahrnehmungen zuzukommen und bei diesen mit der räumlichen 
Anordnung und dem dadurch gegebenen Abstandsbewußtsein zu- 
sammenzuhängen. Dies darf man wohl daraus schließen, daß von dem 
Blinden auf Grund der Tasteindrücke kein Subjekt-Objekt-Dualismus 
konstituiert wird, eine Tatsache, die oft durch die Anpassung des 
Blinden an den Sprachgebrauch des Sehenden verdunkelt wird. Ferner 
zeigt das Verhalten der operierten Blinden, daß ihnen zunächst auch 
„die optischen Eindrücke noch nicht abstandartig gegeben sind“, da 
diese Blinden „noch ganz Eindruck allein sind“. Daraus geht hervor, 
daß die Erlebnisse aller Sinnesgebiete, auch des Gesichts, ursprünglich 
einfache, unzerspaltene Erlebnisse sind, und daß die Ich-Objekt-Zer- 
spaltung Ergebnis einer Verarbeitung ist, die sich an die räumlich 
ordnende Verarbeitung der Gesichtseindrücke anschließt. 

LITERATUR. Über die genannten Erfahrungen von Blinden: Wittmann 
[Raum] isf., im Anschluß an Ahlmann [Opt. Vorst.]. 

Besonders deutlich wird von Volkelt ([Gewißheit] 59^0 der „neutrale Charakter“ 
der Erlebnisse als Grundelemente dargestellt: daß sie „meine“ Erlebnisse sind und daß 
sie „psychisch“ sind, kann streng genommen erst später von ihnen ausgesagt werden, 
nachdem das „Du“ bzw. „Physisches“ erkannt ist. 

Die Auffassung, daß das Ich nicht im Ur- S achverhalt der Erkenntnis, im 
Gegebenen, vor kommt, wird auch von folgenden Philosophen vertreten. Mach 
[Anal.] I9ff. v. Schubert-Soldern [Erkth.] Ö5 ff. Nietzsche [Wille] § 276, 309, 
367fr.: „Daß, wenn gedacht wird, es etwas geben muß, das denkt, ist einfach eine 
Formulierung unserer grammatischen Gewöhnung, welche zu einem Tim einen Täter 
setzt.“ Auch Aster ([Erkenntnisl.] 33) weist auf den irreführenden Einfluß der Sprach- 
form hin. Gomperz [Ereignis] im Anschluß an. Wahle. Ziehen [Erkth.] 5off.,279, 

44 5 ff., ausführliche Begründung in [Schuppe] gegen Schuppe. Dingler [Naturphil.] 
I20ff. Schlick [Erkenntnisl.] 147h Gätschenberger [Symbola] 151. 

D a gegen weichen wir mit der Auffassung vom ichlosen Gegebenen von verschie- 
denen Systemen ab, mit denen wir sonst in wichtigen Punkten übereinstimmen : 
Schuppe (vgl. Ziehen [Schuppe]); Natorp [Psychol.] 26ff., Driesch [Ordnungsl.] 

89 


65 


66 


I 9 i Husserl [Phänomenol.] 65, 160; J acoby [Ontol.] 169; Russell [Description] 210. 
Frischeisen-Köhler [Wissensch.] ist vorhin schon zitiert worden; die Schwäche 
seiner Auffassung zeigt sich deutlich darin, daß er zugeben muß (S. 196): . . so ist 

eine Gegenüberstellung von Subjekt und Objekt, wie sie mit allen ihren Formen in 
dem unmittelbar Gegebenen angenommen werden muß, weder in dem tatsächlichen 
Bestand der Selbstbeobachtung vorhanden, noch auch begrifflich denkbar. Die Über- 
tragung dieser Scheidung nach Analogie des Denkens auf das Gegebene ist eine theore- 
tische Deutung.“ Auch hier wieder, ähnlich wie in § 64, der merkwürdige Gegensatz 
zwischen dem von Fr.-K. zugegebenen Tatbestand und dem, was nach seiner Meinung 
„angenommen werden muß“. Auch hier ist wohl der Grund in ähnlicher Weise darin 
zu vermuten, daß Fr.-K. es für unmöglich hält, — und mit ihm sicherlich manche der 
anderen Vertreter der Ich-Bezogenheit des Gegebenen, — von einem ichlosen Aus- 
gangspunkt aus zur Konstitution der ichenthaltenden Erlebnisse zu gelangen. Die 
Konstitutionstheorie wird dies jedoch als möglich erweisen. 

66. Das Problem der Ob jektivität bei eigenpsychischer Basis 

Wird die Basis des Konstitutionssystems in das Eigenpsychische 
gelegt, so scheint die Gefahr des Subjektivismus vorzuliegen. Es erhebt 
sich daher das Problem, wie auch bei dieser Systemform die Objektivität 
der Erkenntnis erreicht werden könne. Die Forderung der Objektivität 
der Erkenntnis kann in zweierlei Sinn verstanden werden. Zunächst 
im Sinne der Gebundenheit des Urteils im Gegensatz zur Willkür- 
lichkeit: es gehört zum Sinn eines jeden Urteils, das eine Erkenntnis 
ausspricht, daß es meinem Belieben enthoben ist. Die Objektivität in 
diesem Sinne ist augenscheinlich auch bei eigenpsychischer Basis für die 
Erkenntnis gefordert und erfüllbar. 

Ferner hat aber Objektivität auch die Bedeutung der Unabhängig- 
keit vom urteilenden Subjekt, der Gültigkeit auch für die anderen 
Subjekte. Gerade diese Intersubjektivität ist ja eine wesentliche 
Eigenschaft der „Wirklichkeit“, die mit dazu dient, diese von 
Traum und Täuschung zu unterscheiden. Besonders für die wissen- 
schaftliche Erkenntnis ist daher die Intersubjektivität eine der wichtig- 
sten Forderungen. Das Problem lautet nun: wie soll die Wissenschaft 
zu intersubjektiv gültigen Aussagen kommen, wenn alle ihre Gegen- 
stände von einem individuellen Subjekt aus konstituiert werden, wenn 
also alle Aussagen der Wissenschaft im Grunde nur Beziehungen zwi- 
schen „meinen“ Erlebnissen zum Gegenstand haben ? Da der Erlebnis- 
Strom für jeden Menschen ein anderer ist, wie soll da auch nur ein Satz 
der Wissenschaft objektiv in diesem Sinne sein, d. h. für jedes Indi- 
viduum gelten, wenn es von seinem individuellen Erlebnisstrom aus- 
geht ? Die Lösung dieses Problems liegt darin, daß zwar das Material 
der individuellen Erlebnisströme völlig verschieden, vielmehr überhaupt 
inkomparabel ist, da eine Vergleichung zweier Empfindungen oder 



zweier Gefühle verschiedener Subjekte im Sinne ihrer unmittelbaren 66 
Gegebenheitsqualität widersinnig ist; aber gewisse Struktureigen- 
schaften stimmen für alle Erlebnisströme überein. Auf die Aussagen 
über solche Struktureigenschaften muß sich die Wissenschaft be- 
schränken, da sie objektiv sein soll. Und sie kann sich auch auf 
Strukturaussagen beschränken, wie wir früher gesehen haben, da 
alle Erkenntnisgegenstände nicht Inhalt, sondern Form sind und als 
Strukturgebilde dargestellt werden können (vgl. § 15L). 

Nur auf Grund dieser Erkenntnis, daß Wissenschaft ihrem 
Wesen nach Strukturwissenschaft ist und daß es daher einen 
Weg gibt, vom individuellen Erlebnisstrom ausgehend Ob- 
jektives zu konstituieren, ist die Systemform mit eigenspychischer 
Basis annehmbar. Aus der Unkenntnis dieser Tatsache und dieses 
Weges dürften manche der bisherigen Widerstände gegen die eigen- 
psychische Basis (oder den „methodischen Solipsismus“) zu erklären 
sein; und vielleicht auch manche anderen Formulierungen für das Aus- 
gangssubjekt, wie z. B. „transzendentales Subjekt“, „erkenntnis- 
theoretisches Subjekt“, „überindividuelles Bewußtsein“, „Bewußtsein 
überhaupt“, die vielleicht als Notbehelfe zu deuten sind, weil man vom 
natürlichen Ausgangspunkt im Sinne einer erkenntnismäßigen Ordnung 
der Gegenstände, nämlich vom Eigenpsychischen aus keinen Weg zum 
Übersubjektiven sah (vgl. die Zitate in § 64). 

Die genauere Methode zur Gewinnung der Objektivität im Sinne 
der Intersubjektivität kann erst später beim Aufbau des Konstitutions- 
systems selbst dargestellt werden (§ 146-149); hier müssen die ge- 
gebenen allgemeinen Bemerkungen genügen. 

67. Die Wahl der Grundelemente: die „Elementarerlebnisse“ 

Nachdem als Basisgebiet das eigenpsychische gewählt ist, also die Be- 67 
wußtseins Vorgänge oder Erlebnisse des Ich, muß noch festgelegt wer- 
den, welche Gebilde dieses Gebietes als Gnmdelemente dienen sollen. 
Man könnte etwa daran denken, die letzten Bestandteile, die sich bei 
psychologischer und phänomenologischer Analyse der Erlebnisse er- 
geben, als Grundelemente zu nehmen, also etwa einfachste Sinnes- 
empfindungen (wie Mach [Anal.]), oder allgemeiner: psychische 
Elemente verschiedener Arten, aus denen die Erlebnisse aufgebaut 
werden könnten. Bei näherer Betrachtung müssen wir jedoch erkennen, 
daß in diesem Falle nicht das Gegebene selbst, sondern Abstraktionen 
daraus, also etwas erkenntnismäßig Sekundäres, als Grundelemente 
genommen werden. Zwar sind Konstitutionssysteme, die von solchen 
Grundelementen ausgehen, ebenso berechtigt und durchführbar, wie 

91 


90 


67 etwa Systeme mit physischer Basis. Da wir jedoch von unserem Kon- 
stitutionssystem auch die Berücksichtigung der erkenntnismäßigen 
Ordnung der Gegenstände verlangen wollten (§ 54)5 s0 müssen wir von 
dem ausgehen, was zu allem anderen erkenntnismäßig primär ist, vom 
„Gegebenen“, und das sind die Erlebnisse selbst in ihrerTotalität 
und geschlossenen Einheit. Jene Bestandteile bis zu den letzten 
Elementen hinunter sind aus diesen Erlebnissen durch Inbeziehung- 
setzung und Vergleichung, also durch Abstraktion gewonnen. Diese 
Abstraktion wird, wenigstens in den einfacheren Schritten, schon im 
vorwissenschaftlichen Denken oder in intuitivem Verfahren vorge- 
nommen, so daß wir gewohnt sind, etwa von einer Gesichtswahmeh- 
mung und einer gleichzeitigen Gehörwahrnehmung zu sprechen, als 
seien es zwei verschiedene Bestandteile desselben Erlebnisses. Die Ge- 
läufigkeit solcher schon im täglichen Leben vorgenommenen Zerlegungen 
darf uns aber nicht darüber täuschen, daß es sich auch hierbei schon um 
Abstraktionen handelt; um so mehr bei den Elementen, die erst die 
wissenschaftliche Analyse zum Vorschein bringt. Die gewählten Grund- 
elemente, jene Erlebnisse des Ich als Einheiten (deren Abgrenzung 
noch näher angegeben werden wird), bezeichnen wir als „Elementar- 
erlebnisse“. 

LITERATUR. Gegenüber einer „atomisierenden“ Richtung der Psychologie und 
einer Erkenntnistheorie, die solche psychischen „Atome“, etwa einfache Empfindungen, 
als Elemente nimmt, wird gegenwärtig immer stärker betont: „Jeder Bewußtseins- 
zustand ist eine Einheit und nicht ira echten Sinne analysierbar“ (Schlick [Er- 
kenntnisl.] 143L; Sperrung von uns). Insbesondere ist immer deutlicher nachgewiesen 
worden, daß in der Wahrnehmung der Gesamteindruck das Primäre, dagegen die 
Empfindungen, Einzelgefühle usw. erst Ergebnisse einer abstrahierenden Analyse 
sind. Diese Auffassung ist schon von Schuppe ([Erkth.] 41; auch [Imman. Phil.] 17) 
deutlich ausgesprochen worden: „Womit das Denken des Individuums beginnt, das 
sind Gesamteindrücke, welche erst die Reflektion in ihre einfachsten Elemente zer- 
legt.“ Ähnlich auch Cornelius [Einleitg.] 2iof. Dann ist diese Auffassung von H. 
Gomperz [Weltansch.] in seiner Lehre von der „Totalimpression“ (als dem Einheits- 
gefühl des Gesamteindrucks) stark betont und an Beispielen deutlich gemacht worden. 
G. gibt auch einen geschichtlichen Rückblick auf verwandte frühere Anschauungen; 
er nennt W. Hamilton, Schuppe, Nietzsche [Wille] u. a. Ähnlich spricht sich auch 
Reininger aus ([Erk.] 370), unter Hinweis auf Kant. 

Die genannte Auffassung ist besonders in der „Gestalttheorie“ entwickelt 
worden, vgl. Köhler [Gestaltprobl.], Wertheimer [Gestaltth.]. Sie hat vor allem 
auf die Psychologie methodologisch befruchtend gewirkt, indem sie nicht nur neue 
Fragestellungen aufwies, sondern auch durch die Änderung der Blickrichtung zu in- 
haltlich neuen Ergebnissen gelangte. Von dieserTheorie aus ergeben sich auch wichtige 
Ausblicke auf außerpsychologische Gebiete. ' 

Daß auf den verschiedenen Sinnesgebieten der Gesamteindruck das erkenntnis- 
mäßig Primäre ist, und erst durch Abstraktionen hieraus die sogenannten Einzel- 
empfindungen gewonnen werden, von denen man dann nachträglich zu sagen pflegt. 



daß die Wahrnehmung aus ihnen „zusammengesetzt“ sei, wird durch die neuere 67 
psychologische Forschung immer mehr bestätigt: der Akkord ist ursprünglicher als 
die Teiltöne, der Eindruck des Gesamtsehfeldes ursprünglicher als die Einzelheiten in 
ihm, und wieder die Einzelgestalten im Sehfeld ursprünglicher als die farbigen Sehfeld- 
stellen, aus denen sie „zusammengesetzt“ sind. Diese psychologischen Unter- 
suchungen sind vielfach im Zusammenhang mit der Gestalttheorie angestellt worden; 
vgl. außerdem: Wittmann [Raum] z. B. 48 ff., ferner auch ein dort (S. 19) gegebenes, 
interessantes Zitat von F. W. H.ag en, der schon 1844 eine ähnliche Auffassung vertritt. 

Als verwandt ist ferner die philosophische Richtung von Driesch zu nennen, mit 
ihrer Betonung der „Ganzheiten“; vgl. bes. [Ordnungsl.] und [Ganze]. 

Wenn die Elementarerlebnisse als Grundelemente gewählt werden, 
so wird damit nicht angenommen, der Erlebnisstrom sei aus bestimmten, 
diskreten Elementen zusammengesetzt. Vielmehr wird nur voraus- 
gesetzt, daß über gewisse Stellen des Erlebnisstromes Aussagen 
gemacht werden können von der Art, daß eine solche Stelle zu einer 
bestimmten anderen in einer bestimmten Beziehung stehe und dgl.; es 
wird aber nicht etwa behauptet, der Erlebnisstrom könne eindeutig in 
solche Stellen zerlegt werden. 

68. Die Elementarerlebnisse sind unzerlegbare Einheiten 

Die Elementarerlebnisse sollen die Grundelemente unseres Kon- 68 
stitutionssystems sein. Auf dieser Basis sollen alle anderen Gegenstände 
der vorwissenschaftlichen und der wissenschaftlichen Erkenntnis kon- 
stituiert werden, somit auch die Gegenstände, die man als Bestandteile 
der Erlebnisse oder als Komponenten der psychischen Vorgänge zu be- 
zeichnen pflegt, und die als Ergebnis der psychologischen Analyse ge- 
funden werden (z. B. Teilempfindungen einer zusammengesetzten Wahr- 
nehmung, verschiedene gleichzeitige Wahrnehmungen verschiedener 
Sinne, Qualitäts- und Intensitätskomponenten einer Empfindung, und 
dgl.). Hieraus ersteht eine besondere Schwierigkeit. 

Wir erinnern uns daran, daß Klasse und Relation die einzigen Stufen- 
formen des Konstitutionssystems sein sollen (§ 40). Gehen wir von 
irgendwelchen Grundelementen und Grundrelationen aus, so können 
nur Gegenstände der folgenden Arten in dem Konstitutionssystem Vor- 
kommen : auf der ersten Konstitutionsstufe nur Klassen von Elementen 
und Relationen zwischen Elementen, auf der zweiten Stufe nur erstens 
Klassen solcher Klassen oder Relationen erster Stufe und zweitens 
Relationen zwischen solchen Klassen oder Relationen erster Stufe oder 
Elementen, usf. Es ist augenscheinlich, daß die Konstitution mit Hilfe 
dieser Stufenformen nur synthetisch, nicht analytisch weitergeht: 
Selbst wenn wir annähmen, die Grundelemente seien selbst wiederum 
Klassen noch anderer Elemente, der „Urelemente“, so können diese 


92 


93 


68 Urelemente nicht mit den gegebenen Stufenformen konstituiert werden; 
die Grundelemente eines Konstitutionssystems sind nicht 
durch Konstitution zerlegbar. Also können die Elementarerleb- 
nisse, da sie in unserem System als Grundelemente genommen werden 
sollen, in diesem System nicht zerlegt werden. 

Dieser Sachverhalt stimmt zwar gut zu unserer Auffassung, daß die 
Elementarerlebnisse ihrem Wesen nach unzerlegbare Ein- 
heiten sind, aus welcher Auffassung heraus wir ja gerade sie zu Grund- 
elementen gewählt haben. Aber die vorhin genannte Aufgabe, unter 
allen anderen Gegenständen der Wissenschaft auch die bekannten 
psychischen Elemente, die sog. Bestandteile der Erlebnisse, zu konsti- 
tuieren, könnte jetzt als unlösbar erscheinen. Diese Schwierigkeit ist 
von grundsätzlicher Bedeutung für die Konstitutionstheorie und er- 
fordert zu ihrer Überwindung die Aufstellung einer besonderen kon- 
stitutionalen Methode. Darauf soll jetzt näher eingegangen werden. 

69. Die Aufgabe der Behandlung unzerlegbarer Einheiten 

69 Die aus der Unzerlegbarkeit der Elementarerlebnisse entstehende 
Schwierigkeit wird überwunden durch ein Konstitutionsverfahren, das, 
obwohl synthetisch, von irgendwelchen Grundelementen aus zu Gegen- 
ständen führt, die als formaler Ersatz für die Bestandteile der Grund- 
elemente dienen können. Als formalen Ersatz bezeichnen wir sie, weil 
alle Aussagen, die von den Bestandteilen gelten, in analoger Form über 
sie ausgesprochen werden können. Dieses Verfahren bezeichnen wir als 
„Quasi anal yse“. (Es ist hergeleitet aus dem Frege-Russellschen 
„Abstraktionsprinzip“, vgl. die Bemerkung am Schluß von § 73.) Es 
ist überall da von Bedeutung, wo es sich um die Behandlung unzerleg- 
barer Einheiten irgendwelcher Art handelt, d. h. um Gegenstände, die 
ihrer unmittelbaren Gegebenheit nach nicht Bestandteile oder Merk- 
male oder verschiedene Seiten aufweisen, sondern gewissermaßen nur 
punktuell gegeben sind, die daher nur synthetisch behandelt werden 
können, denen aber doch als Ergebnis des Verfahrens verschiedene 
Merkmale zugeschrieben werden sollen. Merkmale und Bestandteile 
sind hier als gleichbedeutend gesetzt; auch bei psychischen Vorgängen 
z. B. kann ja der Ausdruck „Bestandteil“ nicht im eigentlichen, exten- 
siv-räumlichen Sinne gemeint sein, also nur im Sinne des ebenfalls bild- 
lichen Ausdrucks der „verschiedenen Seiten“ oder „Merkmale“. 

Sind irgendwelche unzerlegbaren Einheiten gegeben, so müssen, 
damit sie überhaupt irgendeiner Behandlung unterworfen werden 
können, auch Aussagen über sie gegeben sein. Wir haben früher die 
Beschreibungen von Gegenständen durch Aussagen eingeteilt in 


94 



Eigenschaftsbeschreibungen und Beziehungsbeschreibungen (§ 10). Die 69 
Aussagen über unzerlegbare Einheiten können nicht als Eigenschafts- 
beschreibung gegeben sein, da diesen Einheiten sonst Merkmale zu- 
geschrieben wären, was ihrem Begriff widerspricht. Die Aussagen 
können nur eine reine Beziehungsbeschreibung bilden. Wir untersuchen 
vor allem den Fall, daß diese Beziehungsbeschreibung in Extensions- 
form gegeben ist, also als Relationsbeschreibung. Das bedeutet, daß 
die beschreibenden Beziehungen nicht ihrem Sinne nach, sondern nur 
ihrer Extension nach, also als Relationen gegeben sind, etwa durch Auf- 
zählung (oder sonstige Kenntlichmachung) der Paare zugeordneter 
Glieder (vgl. § 32, 34). Insbesondere ist in dem Fall, daß die zu be- 
handelnden unzerlegbaren Einheiten die Grundelemente eines Kon- 
stitutionssystems bilden, die Beziehungsbeschreibung nur als Relations- 
beschreibung möglich, da die Grundbeziehungen eines Konstitutions- 
systems nur als Relationen gegeben sind (§ 43, 45). 

Die von der Quasianalyse geforderteLeistung ist also, wenn 
wir sie nicht nur in Anwendung auf den hier gerade vorliegenden Fall 
der Elementarerlebnisse, sondern allgemein formulieren, die folgende: 

Es sollen imzerlegbare Einheiten irgendwelcher Art, über die eine 
Relationsbeschreibung als gegeben vorausgesetzt wird, mit Hilfe der 
konstitutionalen Stufenformen der Klasse und der Relation, also mit 
synthetischen Mitteln so behandelt werden, daß das Ergebnis einen 
formalen Ersatz für die in diesem Falle nicht anwendbare eigentliche 
Analyse, d. h. die Zerlegung in Bestandteile oder Merkmale, bildet. 
Wegen der geforderten formalen Analogie zwischen den Ergebnissen 
der Quasianalyse und denen der eigentlichen Analyse ist zu vermuten, 
daß auch zwischen diesen beiden Verfahren selbst eine gewisse formale 
Analogie bestehen wird. Wir untersuchen deshalb zunächst, welche 
formale Beschaffenheit das Verfahren der eigentlichen Analyse auf 
Grund einer bloßen Relationsbeschreibung der zu analysierenden 
Gegenstände hat. Dann werden wir sehen, wie sich das gesuchte Ver- 
fahren der Quasianalyse in analoger Weise aufstellen läßt. 

70. Das Verfahren der eigentlichen Analyse auf Grund einer 
Relationsbeschreibung 

Bei der eigentlichen Analyse handelt es sich nicht um eigenschafts- 70 
lose Punkte oder unzerlegbare Einheiten, sondern um Gegenstände, die 
verschiedene Bestandteile (oder Merkmale) haben. Die Analyse besteht 
darin, diese Bestandteile, die zunächst noch nicht bekannt sind, aus 
anderen Angaben, z. B. aus einer Relationsbeschreibung, zu erschließen. 

Das sei an einem einfachen Beispiel erläutert. 


95 


BEISPIEL. Die Aufgabe bestehe in der Analyse einer größeren Anzahl von 
Dingen, von denen jedes eine oder mehrere Farben hat. Im Ganzen mögen f ünf 
verschiedene Farben Vorkommen. Die Beziehung der „Färb Verwandtschaft“ sei dann 
so definiert, daß sie für zwei Dinge gelten soll, wenn diese mindestens eine gemeinsame 
Farbe tragen. Die Dinge seien einzeln bezeichnet, etwa mit Nummern. Nun sei uns 
von keinem Ding bekannt, welche Farben es trägt. Es liegt nur eine Relationsbe- 
schreibung vor, und zwar ist die einzige Angabe, die uns gemacht wird, die der Exten- 
sion (des Umfanges) der Beziehung der Färb Verwandtschaft: alle Paare, für die diese 
Beziehung gilt, werden uns genannt, aber ohne daß dazu vermerkt wird, welche Farbe 
den beiden Dingen gemeinsam ist. Mit anderen Worten: die Relation der Farbver- 
wandtschaft wird vollständig gegeben (vgl. § io und 34). Die Aufgabe soll nun darin 
bestehen, aus dieser Angabe die Verteilung der Farben rückwärts wieder zu erschließen. 
Greifen wir irgendeins der Dinge heraus und stellen dann auf Grund der Paarliste 
fest, welche anderen Dinge mit ihm farbverwandt sind, so sind diese nicht etwa alle 
unter einander farbverwandt. 

Die Aufgabe der Analyse ist hier gelöst, wenn es gelingt, die „Farbklassen“ fest- 
zustellen. Die Klasse der Dinge, die eine bestimmte Farbe gemein haben, heiße eine 
„Farbklasse“, also z. B. die Klasse der roten (rein-roten oder auch-roten) Dinge, die 
der blauen Dinge usw. Im Ganzen gibt es hier fünf Farbklassen, die sich teilweise 
überdecken. Wie hängen nun die Farbklassen mit der Relation der Farbverwandtschaft 
zusammen? Zwei Eigenschaften sind für die Farbklassen kennzeichnend; die erste 
Eigenschaft haben sie stets, die zweite meist, nämlich dann, wenn nicht bestimmte 
ungünstige Bedingungen vorliegen. Erstens ist jedes Elementepaar einer Farbklasse 
ein Färb verwandtschaftspaar (wegen der Übereinstimmung in der der Farbklasse zu- 
grunde liegenden Farbe). Zweitens sind die Farbklassen die größtmöglichen Klassen 
mi r der genannten Eigenschaft; d. h. es gibt kein Ding außerhalb einer Farbklasse, das 
mit allen Dingen dieser Klasse farbverwandt wäre. (Diese zweite Eigenschaft kann 
aber unter Umständen fehlen, z. B. wenn eine der fünf Farben „Begleiter“ einer 
anderen ist, d. h. bei keinem Ding ohne diese andere Farbe vorkommt. Ist z. B. Blau 
Begleiter von Rot, so hat die blaue Farbklasse die zweite Eigenschaft nicht; denn ein 
rotes und nicht blaues Ding gehört nicht zu dieser Farbklasse und ist trotzdem mit 
allen Dingen dieser Klasse farbverwandt, weil sie alle auch rot sind. Falls nicht syste- 
matische Bindungen zwischen den Verteilungen der verschiedenen Farben vorliegen, 
ist dieser imgünstige Fall, daß die zweite Eigenschaft bei einer Farbklasse fehlt, um so 
unwahrscheinlicher, je kleiner die durchschnittliche Anzahl der Farben eines Dinges 
und je größer dieGesamtzahl der Dinge ist. Wir wollen annehmen, daß in unserem Fall 
die ungünstigen Bedingungen nicht erfüllt sind, daß also die Farbklassen die beiden 
kennzeichnenden Eigenschaften haben.) Wir müssen jetzt auf Grund der Paarliste 
diejenigen Klassen von Dingen aufs teilen, die jene beiden Eigenschaften haben (in 
logistischer Ausdrucksweise: die „Ähnlich keits kreise“ in bezug auf die Farb- 
verwandtschaft). Das ist möglich, da die beiden Eigenschaften nur durch Bezug- 
nahme auf Relationspaare bezeichnet worden sind. In den so gebildeten Klassen haben 
wir dann die Farbklassen vor uns. Wir werden hier fünf Farbklassen finden, ohne 
freilich feststellen zu können, welche Farbe einer jeden von ihnen entspricht, Wir 
müssen ihnen daher neue, willkürliche Bezeichnungen beilegen, etwa k, . . . k 5 . Wenn 
wir uns nun daran erinnern, daß eine Klasse nicht aus ihren Elementen besteht, sondern 
ein Quasigegenstand ist, dessen Zeichen dazu dient, das den Elementen der Klasse 
Gemeinsame auszudrücken (§ 37), so dürfen wir die Farbklasse k 2 einfach als die 
den Elementen von k x gemeinsame Farbe auffassen. k t . . . k B bezeichnen also 

96 



die fünf Farben; freilich wissen wir nicht, ob k L Rot ist oder Grün usw. Gehört dann 70 
ein Ding als Element zu k x und k 2 , dagegen nicht zu den anderen Farbklassen, so 
sagen wir von ihm: es ist zweifarbig, und zwar trägt es die Farben k x und k 2 . Diese 
Bestimmung kann in derselben Weise für jedes Ding getroffen werden. Und damit ist 
die Analyse durchgeführt: wir haben die Bestandteile (oder Merkmale) jedes 
Elementes bestimmt, freilich nicht benannt mit ihren eigentlichen Qualitäts- 
namen, sondern nur bezeichnet als gemeinsame Eigenschaften bestimmter Elemente, 
als Klassen. 

Ist also eine Relationsbeschreibung gegeben, deren Relation die 
Übereinstimmung in (mindestens) einem Bestandteil bedeutet, so be- 
steht das Verfahren der eigentlichen Analyse darin, daß die „Ähnlich- 
keitskreise“ in bezug auf die Relation gebildet werden, d. h. die- 
jenigen Klassen, die die beiden folgenden Eigenschaften haben: jedes 
Elementepaar einer solchen Klasse ist ein Paar jener Relation; kein 
Element außerhalb einer solchen Klasse steht zu jedem Element der 
Klasse in jener Relation. Die so aufgestellten Klassen werden dann 
den zu ihnen gehörenden Elementen als Bestandteile (oder Merk- 
male) zugeschrieben. 

71. Das Verfahren der Quasianalyse 

In genauer formaler Analogie zu dem dargestellten Verfahren der 7 1 
eigentlichen Analyse steht mm das Verfahren der „Quasianalyse“ für 
Elemente, die unzerlegbare Einheiten sind, also keine Bestandteile und 
keine Merkmale haben. Voraussetzung für die Möglichkeit der Quasi- 
analyse ist, daß eine Relationsbeschreibung gegeben ist, deren Relation 
R dieselben allgemeinen, formalen Eigenschaften hat, wie die Relation, 
die dem Verfahren der eigentlichen Analyse zugrunde liegt. Diese 
Relation (im Beispiel : die Farbverwandtschaft) bedeutet die Überein- 
stimmung in einem Bestandteil, ist also symmetrisch und reflexiv (also 
eine „Ähnlichkeit“, vgl. § 11). Ist nun R ebenfalls symmetrisch und 
reflexiv, so können wir verfahren wie bei der eigentlichen Analyse, also 
so, als ob auch R die Bedeutung der Übereinstimmung in einem Be- 
standteil hätte. Wir bilden also die Ähnlichkeitskreise in bezug auf R, 
d. h. diejenigen Klassen k, die die folgenden beiden Eigenschaften 
haben: jedes Paar in k ist ein R-Paar, kein Element außerhalb k steht 
zu allen in k in der Relation R. Diese Ahnlichkeitskreise, (die den Farb- 
klassen des Beispiels entsprechen), fassen wir auch hier als gemeinsame 
Eigenschaften ihrer Elemente auf und schreiben sie deshalb diesen als 
Merkmale zu. Da jedoch hier die Elemente als unzerlegbare Einheiten 
vorausgesetzt sind, so kann es sich nicht um eigentliche Merkmale oder 
Bestandteile und um eigentliche Analyse handeln. Deshalb bezeichnen 
wir das Verfahren als „Quasi analyse“ und die in ihm gefundenen und 


97 


den Elementen zugeschriebenen Gebilde als „Quasimerkmale“ oder 
„Quasibestandteile“. Haben wir z. B. die Ähnlichkeitskreise q x , 
q 2j gefunden, d. h. für jeden die Liste der zu ihm gehörenden Ele- 
mente aufgestellt, und gehört dann ein bestimmtes Element etwa zu 
den Klassen q x , q 3 , q 4> so sagen wir : dies Element hat, als unzerlegbare 
Einheit, zwar keine eigentlichen Bestandteile, aber drei Quasibestand- 
teile, nämlich q x , q 3 , q 4 . Damit ist die Quasianalyse durchgeführt; sie 
entspricht den früher aufgestellten Anforderungen (§ 69). 

BEISPIEL. Den Sinn der Quasianalyse möge ein Beispiel deutlich machen. Als 
ein Gebiet unzerlegbarer Einheiten nehmen wir die sog. „zusammengesetzten Klänge. 
Phänomenal betrachtet, d. h. ihrer empfindungsmäßigen Gegebenheit nach (im Unter- 
schied zur physikalisch-akustischen Betrachtung), ist ein Klang eine einheitliche 
Totalität, die nicht aus Bestandteilen zusammengesetzt ist. Der Klang, den wir hören, 
wenn wir die Tasten c, e, g eines Klaviers anschlagen, erscheint uns zwar als drei- 
gliedrig; das rührt aber nur von der den Wahmehmungscharakter apperzeptiv mit- 
bestimmenden Klangverwandtschaft dieses Klanges mit unzähligen anderen, uns 
schon bekannten Klängen her: der Klang c— e— g ist klangverwandt mit all den 
Klängen, die (akustisch gesprochen) auch c enthalten (unter denen Sich auch der 
isolierte Ton c befinden mag); weiterhin ist er auch klangverwandt mit allen Klängen, 
die e enthalten, und ebenso mit allen, die g enthalten. So gehört er drei Klangklassen 
an, und das bestimmt den Eindruck seiner Dreigliedrigkeit. 

Wir nehmen nun an, von den Klängen, etwa denen, die man bei einem Klavier 
hören kann, sei uns nicht ihre qualitative Beschaffenheit, sondern nur eine Relations- 
beschreibung gegeben, und zwar in bezug auf die Relation jener Klangverwandtschaft. 
Da diese Relation reflexiv und symmetrisch ist, so können wir das Verfahren der 
Quasianalyse auf sie anwenden. Wir bestimmen auf Grund der gegebenen Relations- 
beschreibung, d. h. der Angabe der Paarliste der Klangverwandtschaft, die Ähnlich- 
keitskreise. Diese stehen in genauer formaler Analogie zu den Farbklassen des früheren 
Beispiels der eigentlichen Analyse und sind, wovon man sich mit Hilfe dieser Analogie 
leicht überzeugen kann, identisch mit den vorher genannten Klangklassen, d. h. den 
Klassen solcher Klänge, die (akustisch gesprochen) in einem Teilton übereinstimmen. 
So ergibt sich für jeden „Teilton“ (in akustischer Sprache), mag er nun unter den 
Klängen auch isoliert Vorkommen oder nicht, ein solcher Ähnlichkeitskreis der Quasi- 
analyse, also z. B. die Ähnlichkeits kreise c, d, e usf. Nun schreiben wir jedem Klang 
diejenigen Ähnlichkeitskreise, zu denen er gehört, als Quasibestandteile zu. Da der 
Klang c — e — g (dessen dreigliedriges Zeichen aber zunächst nur auf die Entstehung 
beim Niederschlagen bestimmter drei Tasten hinweist und nicht etwa eine Dreiteilig- 
keit des einheitlichen Klanges bedeuten soll) Element der Ähnlichkeitskreise c, e und 
g ist, so schreiben wir ihm diese drei Klassen c, e, g als Quasibestandteile zu. Wenn 
wir vorhin sagten, daß der Klang c— e— g nicht im eigentlichen Sinne aus drei Teilen 
bestehe, und der Eindruck der Dreigliedrigkeit, den er auf ein geübtes Gehör macht, 
auf seine Zugehörigkeit zu drei Klangklassen zurückgeht, so sehen wir jetzt, daß dieser 
Eindruck der Dreigliedrigkeit das Ergebnis einer intuitiv vorgenommenen Quasi- 
analyse ist: wir spüren bei der Wahrnehmung des Klanges, falls wir vorher schon hin- 
reichend viele andere Klänge erlebt haben, drei Komponenten nicht im Sinne von 
Teilen, sondern im Sinne von drei verschiedenen Richtungen, in denen wir von ihm 
aus zu anderen Klängen, und zwar zu ganzen Klangklassen gegenseitiger Klang- 
verwandtschaft, weiterschreiten können. 



Wenn das, was man die Teiltöne eines Klanges zu nennen pflegt, hier mit Klang- 
klassen, also mit Klassen von Klängen, identifiziert wird, so ist es wichtig, sich wieder 
an den Charakter der Klassen als Quasigegenstände zu erinnern (§ 37): eine Klang- 
klasse ist weder das Ganze noch die Kollektion ihrer Elemente, bedeutet also nicht 
etwa das Klangphänomen, das sich ergäbe, wenn die Klänge dieser Klasse in irgend- 
einer zeitlichen Folge oder auch alle zugleich ertönen würden. Sondern sie bedeutet, 
wie jede Klasse, das Gemeinsame ihrer Elemente. Dies aber wiederum nicht im Sinne 
eines gemeinsamen Bestandteils verstanden; denn solche haben die Klänge nicht. 
Sondern die Klangklasse ist kein eigentlicher Gegenstand; ihr Zeichen dient nur dazu, 
um das auszusagen, was über ihre Elemente mit gemeinsamer Gültigkeit ausgesagt 
werden kann. Und es leuchtet ein, daß das Merkmal, genauer : Quasimerkmal c nichts 
anderes bedeuten kann, als die gegenseitige Verwandtschaft all der Klänge, die c 
„enthalten“ (akustisch gesprochen). Wer den Klang c — e — g hört, ohne vorher irgend 
welche anderen musikalischen Klänge gehört zu haben, wird ihn wohl kaum als drei- 
gliedrig auffassen. Wir pflegen zwar zu sagen, daß wir den uns bekannten Klang c 
als Teilklang im Klang c— e — g wiedererkennen, aber das darf nicht im Sinne eines 
eigentlichen Bestandteils, sondern nur eines Quasibestandteils verstanden werden. 
Sonst käme man zu der (zuweilen auch vertretenen) Auffassung, der Klang c — e — g 
bestehe aus den Einzejklängen c, e, g und außerdem noch aus etwas Neuem, das 
den eigentlichen Charakter des Akkordes ausmache; so würden wir dann gar vier 
Bestandteile annehmen, wo in Wahrheit eine unzerlegbare Einheit ohne Bestand- 
teile vorliegt. 

Die Wichtigkeit des Verfahrens der Quasianalyse wird deutlich, 
wenn wir uns daran erinnern, daß der Charakter als unzerlegbarer Ein- 
heiten nach unserer Auffassung den Elementarerlebnissen als den 
Grundelementen des Konstitutionssystems zukommt, ferner aber auch 
vielen psychischen, insbesondere sinnesphänomenalen Gebilden, die 
die ältere Psychologie als zusammengesetzt ansah. Man kann bei solchen 
Gebilden die Sprache der Analyse anwenden, d. h. von ihren Bestand- 
teilen oder Komponenten oder dgl. sprechen, darf dabei aber nicht außer 
Acht lassen, daß es sich genau genommen um Quasibestandteile handelt, 
da diese Gebilde ihrer ursprünglichen Gegebenheitsqualität nach keine 
eigentlichen Bestandteile haben. (Vgl. die Hinweise auf neuere psycho- 
logische Auffassungen, besonders die der Gestalttheorie, und auf Ganz- 
heitsauffassungen der Philosophie in § 67.) Ein Beispiel hierfür ist die 
soeben ausführlicher besprochene Auffassung der Klänge als unzerleg- 
barer Einheiten. Wir fassen zusammen: die Analyse, richtiger: 
Quasianalyse, eines Gebildes, das seinem Wesen nach eine 
unzerlegbare Einheit ist, in mehrere Quasibestandteile be- 
deutet die Einordnung des Gebildes in mehrere Verwandt- 
schaftszusammenhänge auf Grund einer Verwandtschafts- 
beziehung, wobei die Einheit unzerteilt bleibt. 


99 


72. Quasianalyse auf Grund einer Teilähnlichkeitsrelation 

72 Das besprochene Verfahren der Quasianalyse behandelt die Relation 
der gegebenen Relationsbeschreibung so, als bedeute sie die Überein- 
stimmung in einem Bestandteil. Die Ergebnisse werden daher auch als 
Quasibestandteile bezeichnet. Es besteht nun aber noch eine andere 
wichtige Form einer Beziehungsbeschreibung, zu der die Quasianalyse 
in Analogie gesetzt werden könnte; hier handelt es sich nicht um die 
Beziehung durch gleiche, sondern um die Beziehung durch annähernd 
gleiche Bestandteile. Hieraus ergibt sich eine zweite Art der Quasi- 
analyse, die nicht die allgemeine Bedeutung hat, wie die erste, aber 
wegen ihrer späteren Anwendung im Konstitutionssystera auch erklärt 
werden muß. 

BEISPIEL. Wir gehen wieder von einem anschaulichen Beispiel aus. Eine 
große Menge von Dingen sei so beschaffen, daß jedes von ihnen eine oder einige 
wenige Farben trägt; hier ist eine viel größere Anzahl erforderlich als bei der ersten 
Art der Beziehungsbeschreibung (§ 70). Es sollen hier aber nicht nur fünf verschiedene 
Farben Vorkommen, sondern eine sehr große Zahl von Farben aus allen Teilen des 
Farbkörpers. Als „färb ähnlich“ seien zwei Dinge bezeichnet, wenn sie unter anderen 
auch je eine Farbe tragen, die einander ähnlich sind, d. h. im Farbkörper einen Abstand 
haben, der kleiner ist als eine gewisse, willkürlich festgesetzte Größe. Wie im früheren 
Beispiel sei auch hier über die Dinge nichts angegeben als die Aufzählung der Paare 
dieser Beziehung, also eine Relationsbeschreibung. Hier können wir die „Farb- 
klassen“, d. h. die Klassen aller und nur der Dinge, die (neben anderen) eine gewisse 
Farbe tragen, nicht unmittelbar bestimmen, sondern nur durch ein verwickelteres 
Verfahren, das erst später angegeben werden wird. Dagegen können wir eine andere 
Art von Klassen leicht bestimmen, die „Farbähnlichkeitskreise“. Aus ihnen ergibt 
sich dann alles Weitere. 

Die größtmöglichen Teügebiete des Farbkörpers, die nur einander ähnliche Farben 
umfassen, sind Kugeln, die einander teilweise überdecken und deren Durchmesser der 
festgesetzte Maximalabstand der Ähnlichkeit ist (der an den verschiedenen Stellen 
des Farbkörpers auch verschieden sein kann). Zu diesen „F arbkugeln gehören also 
nicht Dinge, sondern Farben. Die Klasse der Dinge, die eine der Farben einer be- 
stimmten Farbkugel haben, heiße ein „Färb ähnlichkeitskreis . Nun sehen wir 
leicht, daß die kennzeichnenden Eigenschaften der Farbähnlichkeitskreise in bezug 
auf die Farbähnlichkeit die gleichen sind wie die der Farbklassen im früheren Beispiel 
in bezug auf die Färb Verwandtschaft: je zwei Dinge eines Farbähnlichkeitskreises sind 
farbähnlich; kein Ding, das zu einem bestimmten Farbähnlichkeitskreis nicht gehört, 
ist allen Dingen dieses Kreises farbähnlich. Die Farbähnlichkeitskreise sind also die 
Ähniichkeitskreise in bezug auf die Farbabnlichkeit. (Wie in dem früheren Fall ist 
auch hier wieder für die richtige Bestimmung der Klassen erforderlich, daß gewisse 
ungünstige Bedingungen nicht vorliegen. Es darf z. B. nicht Vorkommen, daß ein 
Ding a, obwohl es keine der blauen Farben trägt, auf Grund deren andere Dinge den 
Farbähnlichkeitskreis k bilden, trotzdem allen diesen Dingen von k gewissermaßen 
„zufällig“ farbähnlich ist, indem es einem jeden Ding, das zu k gehört, in einer anderen, 
von diesem Ding außer der blauen Farbe auch noch getragenen Farbe ähnlich ist. 
Darauf kommen wir später noch zurück.) 


IOO 



Bisher sind nur die Farbähnlichkeitskreise, noch nicht die Farbklassen selbst ge- 72 
Wonnen worden. Aber erst diese können, wie wir im früheren Beispiel näher erläutert 
haben, als Repräsentanten der Farben selbst aufgefaßt und als solche den Dingen zu- 
geschrieben werden. Die Farbklassen stehen nun in demselben Verhältnis zu den 
Einzelteilen des Farbkörpers, wie die Farbähnlichkeitskreise zu den Farbkugeln. 

Da mm die Einzelstellen des Farbkörpers die größten Teile des Farbkörpers sind, die 
bei der gegenseitigen Überschneidung der Farbkugeln stets unz erteilt bleiben, so 
können wir die Farbklassen in entsprechender Weise bestimmen als die größten Teil- 
klassen der Farbähnlichkeitskreise, die bei der gegenseitigen Überschneidung dieser 
Kreise unzerteilt bleiben. 

Wie wir aus dem Beispiel ersehen, besteht die Quasianalyse auf 
Grund einer Teilähnlichkeitsrelation P darin, daß zunächst wieder wie 
vorher die Ähnlichkeitskreise in bezug auf P aufges teilt werden. Die 
Quasibestandteile werden hier erst mittelbar aus den Ahnlichkeits- 
kreisen abgeleitet, nämlich als die größten Teilklassen, die bei der gegen- 
seitigen Überschneidung der Ähnlichkeitskreise unzerteilt bleiben. 
(Diese Bestimmung ist nicht ganz genau; die genauere Bestimmung wird 
später bei der Anwendung des Verfahrens dargelegt werden (§ 81, 112).) 

Wegen der formalen Analogie des ersten Schrittes in diesem Verfahren zweiter Art 
mit dem Verfahren erster Art können wir diesen Schritt in jedem Falle vornehmen, 
ohne zuvor entscheiden zu müssen, ob wir die Relation einer gegebenen Relations- 
beschreibung, auf die wir die Quasianalyse anwenden wollen, als Teilgleichheit (also 
Übereinstimmung in einem Quasibestandteil) oder als Teilähnlichkeit (also annähernde 
Übereinstimmung in einem Quasibestand (pil) aufzufassen haben. Nach der Durch- 
führung des ersten Schrittes kann dann die Entscheidung leicht getroffen werden. 
Denn die Ähnlichkeitskreise verhalten sich im ersten Falle ganz anders zu einander 
als im zweiten. Im zweiten Falle überdecken sie einander vielfach; sie können so in 
ein oder mehrere Systeme gebracht werden, daß die in dem System einander nahe- 
stehenden den größeren Teil ihrer Elemente gemein haben. Im ersten Falle dagegen ' 
schließen sich die Ähnlichkeitskreise entweder gegenseitig aus (wenn nämlich ihre 
Elemente nur je dinen Quasibestandteil haben), oder sie haben nur geringfügige Teile 
mit einander gemein, und zwar im Allgemeinen nicht so, daß sich daraus eine Ordnung 
ergäbe. Wenn wir also nicht wissen, ob wir die zugrundeliegende Ähnlichkeitsrelation Q 
als Teilgleichheit oder als Teilähnlichkeit - aufzufassen haben, so müssen wir die Ähn- 
lichkeitskreise in bezug auf Q daraufhin untersuchen, ob sie in bezug auf gegenseitige 
Überdeckung die genannten Eigenschaften des ersten oder des zweiten Falles zeigen. 

Im ersteren Falle sind die Ähnlichkeitskreise selbst als Quasibestandteile anzusprechen; 
im zweiten Fall müssen wir die Quasibestandteile erst aus den Ähnlichkeitskreisen 
ableiten, nämlich als die größten Teilklassen, die durch die Überschneidung der Ähn- 
lichkeitskreise nicht zerteilt werden. 

73. Quasianalyse auf Grund einer transitiven Relation 

Für die Relation R, auf Grund deren die Quasianalyse ausgeführt 73 
wird, hatten wir bisher nur vorausgesetzt, daß sie symmetrisch und 
reflexiv sei. Dagegen ist das angegebene Verfahren unabhängig von der 
Transitivitätseigenschaft (über diesen Begriff vgl. §11). In den bisher 


101 


73 besprochenen Beispielen haben wir es mit Relationen zu tun, die weder 
transitiv, noch intransitiv sind. Der Fall der Quasianalyse auf Grund 
einer transitiven Relation verdient eine besondere Behandlung; 
gerade dieser Fall liegt häufig bei Begriffsbildungen auf den verschieden- 
sten Gebieten vor und ist. zudem von besonderer formaler Einfachheit. 
Die als Quasibestandteile zu bildenden Klassen erfüllen zwar auch hier 
die früher angegebenen Bedingungen, sie können hier aber auch in an- 
derer, einfacherer Weise definiert werden. Da die Relation R hier 
transitiv, symmetrisch und reflexiv ist (also eine „Gleichheit“, § n), so 
folgt, daß hier kein Element außerhalb eines Ähnlichkeitskreises mit 
einem zu dem Ähnlichkeitskreise gehörenden Element verwandt sein 
kann. Denn dann wäre es auch mit allen anderen Elementen des 
Ähnlichkeitskreises verwandt und müßte daher entgegen der Annahme 
zu ihm gehören. Daraus folgt erstens, daß die Ähnlichkeitskreise bei 
transitivem R elementefremd zueinander sind. Von den beiden in 
§ 72 besprochenen Auffassungen der Relation R, als Teilgleichheit 
oder als Teilähnlichkeit, - kommt hier also nur die erste in Betracht: 
die Ähnlichkeitskreise von R, die in diesem Falle „Abstraktions- 
klassen“ von R genannt werden, sind selbst als Quasibestandteile 
zu nehm en . Ferner folgt, daß die Klasse der zu einem beliebigen 
Element in der Relation R stehenden Elemente eine Abstraktions- 
klasse ist. Daher können die Abstraktionsklassen und damit die 
Quasibestandteile hier definiert werden als die (nicht leeren) Klassen 
der mit einem beliebigen Element verwandten Elemente. 

LITERATUR. Das Verfanren der Quasianalyse in diesem einfachsten Falle einer 
transitiven Relation enspricht dem „Abstraktionsprinzip“, das zuerst von 
Russell ([Principles] 166, vgl. auch Frege [Grundig.] 73ff.) explizit aufgestellt 
und von Frege (schon vorher), Whitehead und Russell für die Konstitution der 
Kardinalzahlen verwendet worden ist (s. § 4°)* Vgl. Couturat [Princ.] 5 1 Weyl 
[Bandb.] 9f. mit Hinweis auf Leibnizj Camap [Logistik] § 20. Wb. und R. haben auch 
auf die auSermathemaüsche Verwendbarkeit des Prinzips hingewiesen und es für ihre 
Konstitutionen angewandt; vgl. R. [Extemal W.] 124 ff. 


74. Über Analyse und Synthese 

74 Die Anwendung des Verfahrens der Quasianalyse auf die Elementar- 
erlebnisse als Grundelemente wird später im Entwurf des Konstitutions- 
systems bei der Aufstellung der unteren Stufen dargestellt werden. Es 
wird sich* dort zeigen, wie dies Verfahren uns z. B. in den Stand setzt, 
die verschiedenen Sinnesgebiete und innerhalb der Sinnesgebiete die 
verschiedenen S inn esquali täten zu konstituieren, ohne den Elementar- 
erlebnissen den Charakter der Unzerlegbarkeit zu nehmen. 

Vielfach hat man in Erkenntnissystemen, die im übrigen (wie be- 



sonders die positivistischen) unserem Konstitutionssystem nahestehen, 74 
nicht die Erlebnisse selbst, sondern Empfindungselemente oder sonstige 
Erlebnisbestandteile als Grundelemente genommen, ohne ihren Charak- 
ter als Abstraktionen zu beachten. Der Grund hierfür lag vielleicht 
darin, daß es unmöglich zu sein schien, bei der Wahl der Erlebnisse 
selbst als Grundelemente alle Gegenstände der Psychologie und dar- 
unter auch jene „Erlebnisbestandteile“ zu konstituieren. Nachdem 
diese Unmöglichkeit durch das Verfahren der Quasianalyse als nur 
scheinbar erwiesen ist, steht für keine erkenntnistheoretische Auf- 
fassung (und am wenigsten für eine positivistische) noch etwas im 
Wege, den Elementarerlebnissen den Charakter unzerlegbarer Ein- 
heiten .wieder zuzuerkennen und sie als Grundelemente zu nehmen. 

Um jedes Mißverständnis auszuschalten, sei noch einmal hervor- 
gehoben, daß mit der Auffassung der Elementarerlebnisse als unzer- 
legbarer Einheiten die psychologische Aussage „dieses Erlebnis (oder 
dieser Bewußtseinsvorgang) besteht aus einer Gesichtswahmehmung 
mit den und den Einzelheiten, aus einer Gehörwahrnehmung, einem 
Gefühl mit den und den Komponenten usw.“ nicht etwa als falsch oder 
gar als sinnleer hingestellt werden soll. Sondern es wird behauptet, 
daß diese Aussage mit „Bestandteilen“ nur Quasibestandteile meinen 
dürfe, d. h. daß jeder sog. Bestandteil sich zu dem Erlebnis selbst 
verhalte, wie in dem behandelten Beispiel (§ 71) die Klangklasse c zu 
dem Klang c-e-g, nämlich als ein durch Verwandtschaftsbeziehungen 
konstituiertes Gebilde, als ein „Quasibestandteil“. 

LITERATUR. Diese Auffassung berührt sich eng mit der von Cornelius : „Der 
Wert solcher Analyse besteht eben nicht in einer Erkenntnis jenes einzelnen Bewußt- 
seinstatbestandes, — der als solcher überhaupt keine Analyse zuläfit — , sondern in 
der Erkenntnis des gesetzmäßigen Zusammenhanges verschiedener solcher Tatbe- 
stände“ [Einleitg.] 314. Vgl. auch die Zitate in § 67. 

Aus der methodischen Unzerlegbarkeit der Grundelemente 
irgendeines Konstitutionssystems, die aus der Aufstellung von Klassd 
und Relation als einzigen Konstitutionsstufen folgt (§ 68), und aus der 
inhaltlich bestimmten Unzerlegbarkeit, die aus der Wahl der 
ihrem Wesen nach unzerlegbaren Elementarerlebnisse folgt (§ 67), er- 
gibt sich für das allgemeine Verhältnis von Analyse und Syn- 
these wissenschaftlicher Gegenstände, wofern wir sie als nach 
unserem Konstitutionssystem konstituiert auffassen, das Folgende. Da 
jeder Wissenschaftsgegenstand aus den Grundelementen konstituiert 
ist, so bedeutet seine Analyse zunächst die Zurückverfolgung des Kon- 
stitutionsverfahrens vom Gegenstände selbst bis zu denjenigen Ele- 
menten, die zu seiner Konstitution erforderlich sind. Soll die Analyse 

103 


74 noch weiter getrieben werden, so ist das nicht im eigentlichen Sinne 
möglich, sondern nur als Quasianalyse. Dasselbe gilt, wenn der zu 
analysierende Gegenstand kein konstituiertes Gebilde, sondern ein 
Grundelement ist. Nun führt die Quasianalyse zwar zu Gebilden, die 
wir als Quasibestandteile bezeichnen, um in der Nähe des üblichen 
Sprachgebrauchs zu bleiben, der sie Bestandteile nennt; aber sie tut 
dies, indem sie aus Elementen Klassen von solchen und weiterhin Re- 
lationen zwischen diesen Klassen bildet, also auf synthetischem, nicht 
analytischem Wege. Wir können sagen: die Quasianalyse ist eine 
Synthese, die sich in das sprachliche Gewand einer Analyse 
kleidet. 

Da mm die Grundelemente keiner eigentlichen Analyse zugäng- 
lich sind, sondern nur entweder der Quasianalyse oder anderen Kon- 
stitutionsverfahren, die ja alle auch synthetisch sind, so sind diese 
Elemente, wenn wir nicht auf den sprachlichen Ausdruck, sondern auf 
das Wesentliche des Verfahrens schauen, ausschließlich der Syn- 
these, nicht der Analyse zugänglich. Jeder andere Gegenstand 
ist ein synthetisches Gebilde aus den Grundelementen und nur soweit 
analysierbar, bis diese Grundelemente wieder erreicht sind. Analyse 
ist nur dann und nur soweit möglich, als Synthese voran- 
gegangen ist; sie bedeutet nichts als den Rückgang auf dem von der 
Synthese erbauten Wege vom Endgebilde zu Zwischengebilden und 
schließlich — bei „vollständiger“ Analyse im konstitutionstheoretischen 
Sinne — zu den Grundelementen. Allerdings ist damit die Analyse noch 
nicht „vollständig“ im wissenschaftlichen Sinne; aber ihre Weiter- 
führüng ist eben Quasianalyse, also schon wieder neue Synthese. 


2 . DIE GRUNDRELATIONEN 

75. Die Grundrelationen als Grundbegriffe des Systems 

75 Wir haben früher überlegt (§ 61), daß zur Festlegung der Basis 
eines Konstitutionssystems außer den Grundelementen noch die ersten 
Ordnungssetzungen aufgestellt werden müssen, weil sonst von den 
Grundelementen aus keine Konstitution möglich ist. Die Frage, ob 
diese ersten Ordnungssetzungen in Form von Klassen („Grundklassen“) 
oder von Relationen („Grundrelationen“) gegeben werden sollten, 
blieb zunächst noch offen. Nachdem aber die Wahl der Grundelemente 
getroffen war (§ 67) und die als solche gewählten Elementarerlebnisse 
sich ihrem Charakter nach als imzerlegbare Einheiten zeigten, ergab 
sich, daß die über sie gegebenen Angaben die Form einer Relations- 

104 



beschreibung haben müssen (§ 69). Damit ist entschieden, daß als 
erste Ordnungssetzungen (eine oder mehrere) Grundrelationen ge- 
wählt werden müssen. Diese Grundrelationen bilden die Un- 
definierten Grundbegriffe des Systems, nicht die Grund- 
elemente; diese werden erst aus den Grundrelationen (als deren 
Feld) konstituiert. 

LITERATUR. Cassirer ([Substanzbegr.] 292 ff.) hat gezeigt, daß eine Wissen- 
schaft, die das Ziel hat, das Individuelle durch Gesetzeszusammenhänge zu bestimmen, 
ohne daß es seine Individualität verliert, nicht Klassen- G>Gattungs-“)begriffe, sondern 
Relationsbegriffe verwenden muß, da diese zur Bildung von Reihen und damit 
zur Aufstellung von Ordnungssystemen führen können. Auch hieraus ergibt sich die 
Notwendigkeit der Relationen als erster Setzungen, da zwar von Relationen leicht zu 
Klassen übergegangen werden kann, das Umgekehrte jedoch nur in sehr beschränktem 
Maße möglich ist. 

Das Verdienst der Aufdeckung der notwendigen Basis des Konstitutionssystems 
kommt somit zwei ganz verschiedenen und häufig einander feindlichen, philosophischen 
Richtungen zu. Der Positivismus hat hervorgehoben, daß das einzige Material 
der Erkenntnis im unverarbeiteten, erlebnismäßigen Gegebenen liegt; dort sind die 
Grundelemente des Konstitutionssystems zu suchen. Der transzendentale 
Idealismus insbesondere neukantischer Richtung (Rickert, Cassirer, Bauch) hat 
aber mit Recht betont, daß diese Elemente nicht genügen; es müssen Ordnungs- 
setzungen hinzukommen, unsere „Grundrelationen“. 

Wir wollen die Grundrelationen so bestimmen, daß sie mit ein- 
ander sphärenverwandt (§ 29), also alle von gleicher Stufe sind (§ 41); 
und zwar sollen die Glieder jeder der Grundrelationen ausschließ- 
lich Elementarerlebnisse sein. Um die Grundrelationen auf- 
zustellen, muß jetzt überlegt werden, welche Beziehungen zwischen 
den Elementarerlebnissen als grundlegend anzusehen sind. Es handelt 
sich hierbei aber nicht um die Frage nach psychologisch grund- 
legenden Beziehungen, also solchen, die für den Ablauf der Bewußt- 
seinsvorgänge von besonderer Wichtigkeit sind. Da die Grundrela- 
tionen als Basis der Konstitution aller (Erkenntnis-) Gegenstände die- 
nen sollen, so sind die Beziehungen vielmehr derart auszuwählen, daß 
durch sie alle (erkennbaren) Sachverhalte ausgedrückt werden können. 
Dabei ist, wie früher ausführlicher erörtert (§ 50, 51), die Ausdrück- 
barkeit nur im Sinne einer Kennzeichnung verstanden; nur der logische 
Wert, nicht der Erkenntniswert wird berücksichtigt, und auch nicht 
die Frage, ob die durch gewisse Grundbeziehungen ausdrückbaren Sach- 
verhalte auch im wirklichen Ablauf eines Erkenntnisvorganges stets 
aus diesen Grundbeziehungen abgeleitet werden. Es kommt vor, daß 
ein bestimmter Sachverhalt zwar erkenntnispsychologisch grund- 
legend ist und nicht auf einfachere zurückgeht, aber logisch derart 
von anderen abhängt, daß er aus diesen konstituiert werden kann und 

105 


75 


75 daher selbst nicht als Grundbeziehung aufgestellt zu werden braucht. 
Beispiele hierfür werden wir später finden. 

Wir wollen bei der Suche nach den Grundbeziehungen zunächst 
auf die Möglichkeit der Konstitution der physischen Gegenstände 
achten, also als Prüfsachverhalte Wahrnehmungssachverhalte nehmen. 
Ob dann für die Konstitution der höherstufigen Gegenstände (des 
Fremdpsychischen, des Geistigen) noch weitere Grundbeziehungen er- 
forderlich werden, soll später erst überlegt werden. Die hier vorzu- 
nehmenden Untersuchungen, ob gewisse Beziehungen als Grund- 
beziehungen erforderlich sind, und vor allem, ob sie hinreichend sind 
für die von ihnen geforderte Leistung, können nur vorläufiger Natur 
sein. Die Richtigkeit und Zweckmäßigkeit der Wahl der Grund- 
beziehungen kann sich erst dadurch bestätigen, daß beim Aufbau des 
Konstitutionssystems sich die wichtigsten Konstitutionen, auf denen 
alles Weitere beruht, mit Hilfe der gewählten Grundbeziehungen vor- 
nehmen lassen. Diese logische Leistung ist das wesentliche Kriterium 
für die Grundbeziehungen; dagegen ist der Wert der Untersuchung, 
ob eine gewisse Beziehung erkenntnispsychologisch fundamental ist, 
hauptsächlich ein heuristischer. 

Um zu erläutern, welche Beziehungen als Grundbeziehungen ge- 
meint sind und was für Gebilde aus ihnen konstituiert werden, müssen 
wir von den Erlebnissen in der üblichen Sachverhaltssprache, also 
hier der Sprache der psychologischen Analyse, sprechen: näm- 
lich von ihren Bestandteilen, von Sinnesempfindungen, von den ver- 
schiedenen Sinnen, von Qualität und Intensität usw. Die Verwendung 
dieser Ausdrücke ist nicht so gemeint, als würden diese Bestandteile 
usw. für die Konstitution schon vorausgesetzt; denn das würde einen 
circulus vitiosus bedeuten. Diese Ausdrücke sollen vielmehr nur dazu 
dienen, um auf gewisse bekannteSachverhalte, insbesondere auf grund- 
legende Beziehungen zwischen den Elementarerlebnissen hinzuweisen ; 
und das kann nur in der Ausdrucksweise geschehen, wie sie bei der 
Behandlung von Erlebnissen und ihren Beziehungen üblich ist, also 
in der Sprache der Psychologie. Die so zu verstehenden Ausdrücke 
wollen wir (in Teil C und D) der größeren Deutlichkeit wegen in P- 
Zeichen einschließen (z. B.: p Qualitäten d ). Gehört ein Ausdruck nicht 
zur Sachverhaltssprache, ist er also nicht im Sinn des üblichen Sprach- 
gebrauches gemeint, sondern bezieht er sich auf das Konstitu- 
tionssystem, also auf eine konstitutionale Definition (die ent- 
weder schon angegeben worden ist oder deren Aufstellung als Aufgabe 
behandelt wird) oder auf einen imdefinierten Grundbegriff des Systems, 
so wird er in K-Zeichen eingeschlossen (z. B. : pQualitätend). (In Über- 



schriften und literarischen Bemerkungen werden die beiden Bezeich- 75 
nungs weisen nicht angewendet). > 

BEISPIELE. Wenn von pBestandteilen der Erlebnisse^ gesprochen werden wird, 
so liegt darin kein Widerspruch zu der Auffassung der pElementareriebnisseM als un- 
zerlegbarer Einheiten. Denn mit diesem Ausdruck „pBestandteile^“ sind die Gebilde 
gemeint, die gewöhnlich darunter verstanden werden ; durch die P-Zeichen wird aus- 
gedrückt, daß diese Benennung übernommen wird, ohne daß damit die Auffassung 
zum Ausdruck kommen soll, als handele es sich um eigentliche Bestandteile. Was 
diese Gebilde eigentlich sind, nämlich wie sie konstituiert werden können und wie sie 
dann in konstitutionaler Sprache zu bezeichnen sind, das wird ja noch als Problem 
erörtert. 

Wenn später die pQualitätsklassen^l konstituiert oder wenigstens die Art ihrer 
Konstitution angegeben worden ist (§ 81), so sind von da ab auch mit dem Ausdruck 
„pEmpfindungsqualitätend 1 “ oder „pQualitätend“ diese Klassen gemeint, im Unter- 
schied zu dem Ausdruck „pEmpfindungsqualitätend“ oder „pQualitätend“, mit dem 
wir das meinen, was gewöhnlich mit diesem Wort gemeint wird ; die Unterscheidung 
ist nötig, um die Frage behandeln zu können, ob die konstituierten pQualitätend 
auch richtig so beschaffen sind, daß sie die bekannten pQualitätend, z. B. die pEmp- 
findungsqualitätend, repräsentieren. Ebenso ist zwischen pZeitordnungd und pZeit- 
ordnungd zu unterscheiden, usw. 

Die pElementarerlebnissed sind die bekannten pTotalobjekte der Psychologied, 
die pBewußtseinsvorgänged. Die pElementarerlebnissed sind eigenschaftslose, punk- 
tuelle Relationsglieder. Die pElementarerlebnissed haben pBestandteiled, darunter 
die pEmpfindungsqualitätend; die pElementarerlebnissed haben pQuasibestandteiled, 
z. B. die pEmpfindungsqualitätend oder pQualitätsklassend, zu denen als Klassen sie 
als Elemente gehören. 

76. Die Teilgleichheit 

Um die physische Welt konstituieren zu können, brauchen wir ge- 76 
wisse pBestandteile der Elementarerlebnisse, besonders die Sinnes- 
empfindungen mit ihren Qualitäts- und Intensitätsbestimmungen, 
später auch rä umli che und zeitliche Ordnung, die auf eine gewisse 
Beschaffenheit der Empfindungen zurückgehen müssen, die selbst noch 
nicht im eigentlichen Sinne räumlicher bzw. zeitlicher Natur zu sein 
braucht* 1 . 

\ Die pBestandteile der Elementarerlebnisse d werden sich als Quasi- 
bestandteile ergeben müssen, da für uns ja die pElementarerlebnissed 
als unzerlegbare Einheiten gelten. P Jede Empfindungsqualität, sei 
es eine Farbe, ein Ton, ein Geruch oder dergl. d , wird sich ergeben 
müssen als pgemeinsame Eigenschaft derjenigen Elementarerlebnisse d , 
in denen sie als p Bestandteil d , d. h. Quasibestandteil, vorkommt. 
Diese pgemeinsame Eigenschaft** wird konstitutional dargestellt durch 
die Klasseder betreffenden pElementarerlebnissed(„ K Qualitätsklassed“). 
Früher ist ja ausführlich erörtert worden, daß eine Klasse nicht das 
Ganze oder die Kollektion ihrer Elemente ist, sondern eine ihnen ge- 


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76 meinsame Eigenschaft (§ 37). Diese Klasse könnte z. B. für jede P Emp- 
findungsqualität d konstituiert werden durch das Verfahren der Quasi- 
analyse auf Grund der Beziehung der P Übereinstimmung zweier Ele- 
mentarerlebnisse in einer solchen Qualität* 3 . Wir heben also diejenige 
Beziehung heraus, die P zwischen zwei Elementarerlebnissen x und y 
dann und nur dann besteht, wenn in x ein Erlebnisbestandteil a und in 
y ein Erlebnisbestandteil b derart auftreten, daß a und b in allen Be- 
stimmungsstücken übereinstimmen : in der Qualität im engeren Sinne, 
in der Intensität und in dem Lokalzeichen, das der Stelle des Sinnes- 
feldes entspricht, soweit diese Bestimmungsstücke für das betreffende 
Sinnesgebiet in Betracht kommen. So heißen also zwei Farbempfin- 
dungen übereinstimmend, wenn sie in Farbton, Sättigung, Helligkeit 
und im Lokalzeichen, also damit auch in der Stelle des Sehfeldes, über- 
einstimmen; ebenso zwei (einfache) Töne, wenn sie in Tonhöhe und 
Tonstärke übereinstimmen d . Die erläuterte Beziehung der p Über- 
einstimmung zweier Elementarerlebnisse in einem Erlebnis- 
bestandteil d ist eine Art Teilgleichheit; wir nennen sie kurzweg 
„ p Teilgleichheit d “. Dieser Beziehung geben wir für die logistische 
Formulierung des Konstitutionssystems das Relationszeichen „Gl“, 
so daß „x Gl y“ heißt: K die Elementarerlebnisse (also Elemente des 
Konstitutionssystems) x und y sind teilgleidV 1 ; und das besagt: P die 
Elementarerlebnisse x und y sind teilgleich d (in dem vorhin erläuterten 
Sinne). Da man die Beziehung der p Teilgleichheit d als einen ursprüng- 
lichen Sachverhalt der Erkenntnis ansehen kann, so liegt es nahe, die 
Relation Gl als Grundrelation aufzustellen. Wir werden aber später 
sehen, daß das nicht zweckmäßig ist, da sie aus einer anderen, ebenfalls 
für die Konstitution erforderlichen Beziehung abgeleitet werden kann, 
die ihrerseits aber nicht aus der p Teilgleichheit d abgeleitet werden 
kann. 

Aus der p Teilgleichheit d können entweder, wie schon erwähnt, durch 
Quasianalyse die p Empfindungsqualitäten d abgeleitet werden, oder, 
falls diese sich aus einer anderen Grundbeziehung ergeben, so kann 
umgekehrt die P Teilgleichheit d aus den P Empfindungsqualitäten d ab- 
geleitet werden. Wir werden bei der Konstitution in dieser zweiten Art 
verfahren. 

Unter den p Sinnesgebieten d ist bei der gegebenen Erläuterung 
der Beziehung der p Teilgleichheit d und überhaupt im Laufe der fol- 
genden Untersuchungen stets das p Gebiet der Gefühle* 1 mitverstan- 
den. Damit soll aber nicht behauptet (allerdings auch nicht verneint) 
werden, daß p die Gefühle Sinnes empfindungen d seien. Wir brauchen 
nur einen kurzen Wortausdruck für P die Gebiete von Erlebnisbestand- 

108 


teilen, die entweder Sinnesgebiete oder das Gebiet der Gefühle sind d . 76 
Ebenso sind unter „ p Empfindungsqualitäten d " in diesem Zu- 
sammenhänge auch die P Gefühlsqualitäten d immer mitzuver- 
stehen (vgl. § 85). 

77. Die Teilähnlichkeit 

Die Ordnungen p der Empfindungsqualitäten eines Sinnesgebietes 77 
als Qualitätskörper (z. B. Farbkörper, Tonreihe), Intensitätsreihe und 
Sinnesfeld (z. B. Sehfeld, Tastfeld) sind auf Grund der Beziehung der 
Teilgleichheit noch nicht erkennbar* 1 , aus der j^Teilgleichheit* noch 
nicht konstituierbar. Diese Ordnungen beruhen auf gewissen p Nach- 
barschaftsbeziehungen* 3 , und diese gehen nicht auf die pTeilgleichheit* 3 
zurück: p zwei Farbempfindungen annähernd gleicher Farbtöne haben 
in bezug auf die Teilgleichheit dasselbe Verhältnis zu einander, wie 
zwei ganz verschiedene Farbempfindungen, ja sogar wie eine Farb- 
empfindung und eineTonempfindung d . Deshalb müßten wir, auch wenn 
wir die K Teilgleichheit M schon als Grundbeziehung aufgestellt hätten, 
hier doch entweder p die annähernde Übereinstimmung zweier 
Elementarerlebnisse in bezug auf irgendein Bestimmungs- 
stück zweier Bestandteile* 1 selbst als Grundbeziehung aufstellen 
oder eine andere, aus der diese Beziehung ableitbar ist. Wir nennen 
diese Beziehung „ p Teilähnlichkeit d “ und geben ihrer Relation für 
die logistische Darstellung das Zeichen Ae. p Zwei Elementarerleb- 
nisse x und y heißen also dann und nur dann „teil ähnlich“, wenn ein 
Erlebnisbestandteil (z. B. eine Empfindung) a von x und ein Erlebnis- 
bestandteil b von y in ihren Bestimmungsstücken (Qualität im engeren 
Sinne, Intensität, Lokalzeichen) annähernd oder vollständig überein- 
stimmen* 1 . 

Unter dem Ausdruck „pÄhnlich kei t d “ im Unterschied zur 
„ P Teilähnlichkeit d “ wollen wir hier (wenn auch dies Wort im allgemeinen 
eine weitere Bedeutung hat) die entsprechende Beziehung zwischen 
pEmpfindung$qualitäten d verstehen. Dieser Beziehung geben wir das 
logis tische Relationszeichen Aq. P Z. B. sind zwei Farbempfindungen 
a und b ähnlich* 1 (a Aq b), p wenn sie in Farbton, Sättigung, Hellig- 
keit (oder: Farbton, Weißgehalt, Schwarzgehalt) und Lokalzeichen 
(also Sehfeldstelle) ganz oder annähernd übereinstimmen; zwei Ele- 
mentarerlebnisse x und y, in denen die ähnlichen Farbempfindungen 
a und b Vorkommen, sind dann teilähnlich d (x Ae y). (Für die der 
P Teilgleichheit d entsprechende Beziehung zwischen P Empfindungs- 
qualitäten d brauchen wir keinen Terminus „Gleichheit“ und kein be- 
sonderes Zeichen, da diese Beziehung die Identität ist). Wir wollen 


109 


77 die Relation Ae und damit auch Aq als reflexiv nehmen, so daß 
K jedes Elementarerlebnis sich selbst und den ihm teilgleichen auch 
teilähnlich heißt, und jede Empfindungsqualität sich selbst ähnlich^ 1 . 

78, Die Ähnlichkeitserinnerung als Grundbeziehung 

78 Wir könnten die K Teilähnlichkeit M als Grundrelation aufstellen, 
wollen aber statt dessen lieber eine Teilrelation von ihr nehmen, aus 
der sie leicht abzuleiten ist. Diese Teilrelation ist auch erkenntnis- 
mäßig grundlegender. p Wenn das Bestehen der Teiiähnlichkeit zwischen 
zwei Elementarerlebnissen x und y erkannt wird, so muß eine Er- 
innerungsvorstellung des früheren von beiden, etwa x, mit y verglichen 
werdend Dieser p Erkenntnisvorgang d ist also nicht symmetrisch, 
x tritt dabei in anderer Weise als auf y. Das P Erkenntnisergebnis d 
wird daher genauer durch eine asymmetrische Relation wiedergegeben 
als durch die symmetrische Relation der K T eil ähnlich keit^ . Diese 
asymmetrische Relation wollen wir als Grundrelation aufstellen; 
wir nennen sie „ K Ähnlichkeitserinnerung M “ und geben ihr das 
Zeichen Er . „x Er y“ oder „ K zwischen x und y besteht die Ahnlich- 
keitserinnerung^“ besagt also: ,, P x und y sind Elementarerlebnisse, 
die durch Vergleich einer Erinnerungs Vorstellung von x mit y als teil- 
ähnlich erkannt sind* 1 “, was wir kurz so ausdrücken können: „ P die 
Elementarerlebnisse x und y sind durch Ähnlichkeitserinnerung ver- 
bunden^'. (Unter „ p Erinnerung d ‘ c ist hier nicht nur die p Repro- 
duktion eines schon entschwundenen Erlebnisses* 1 verstanden, son- 
dern auch pdie Retention eines kurz vorher gewesenen, noch nicht 
entschwundenen, sondern nachklingenden Erlebnisses, z. B. einer 
Wahrnehmung* 1 .) 

Aus der angegebenen Bedeutung der p Teilähnlichkeit und der 
Ähnlichkeitserinnerung* 1 ergibt sich die folgende K Ableitung der Teil- 
ähnlichkeit aus der Ähnlichkeitserinnerung^ 1 : K zwei Elementarerleb- 
nisse x und y heißen teilähnlich (Ae), wenn entweder zwischen x und y 
oder zwischen y und x die Beziehung der Ähnlichkeitserinnerung (Er) 
besteht^. („Ableitung“ bedeutet: Konstitution ohne strenge Form. 
Die Konstitution der K T eil ähnlichkeit^ 1 innerhalb des Konstitutions- 
systems gemäß dieser Ableitung erfolgt in § 110.) 

Während so Ae aus Er abgeleitet werden kann, ist das Um- 
gekehrte nicht möglich. Ist der Richtungsunterschied durch die sym- 
metrische Beziehung einmal verwischt, so läßt er sich konstitutional 
nicht wieder herstellen. Der Richtungsunterschied ist wichtig für die 
Konstitution der Zeitordnung. Diese werden wir später aus Er ab- 
leiten, ohne eine neue Grundbeziehung benutzen zu müssen. Das ist 



der Hauptgrund dafür, daß nicht Ae , sondern Er als Grundrelation 78 
aufgestellt wird. 

79. Die Möglichkeit der weiteren Ableitungen 

(Die P- und K-Zeichen für psychologische und konstitutionale Sprache sollen 79 
weiterhin nur noch in besonderen Fällen verwendet werden.) 

Um festzustellen, ob außer der Ähnlichkeitserinnerung noch weitere 
Grundrelationen aufgestellt werden müssen, haben wir die Möglich- 
keiten weiterer Ableitungen aus Er und Ae zu untersuchen. Wie 
früher schon erwähnt, ist es nicht möglich, die Teilähnlichkeit (Ae) 
aus der Teilgleichheit (Gl) abzuleiten. Wohl aber ist die umgekehrte 
Ableitung von Gl aus Ae möglich, so daß Gl nicht als Grund- 
relation aufgestellt zu werden braucht. 

Für die Ableitung von Gl aus Ae scheint sich zunächst der folgende einfache 
Weg darzubieten, der aber nicht zum Ziele führt. Zwei Empfindungsqualitäten a, b 
sind dann und nur dann identisch, wenn a denselben Empfindungsqualitäten ähnlich 
(Aq) ist, wie b. Den flir Empfindungsqualitäten geltenden Relationen Aq und Iden- 
tität entsprechen nun als Relationen zwischen Elementarerlebnissen Ae bzw. Gl . 
Daher könnte man meinen, die Teilgleichheit Gl sei so zu definieren, daß sie 
zwischen zwei Elementarerlebnissen x, y dann und nur dann besteht, wenn x zu 
denselben Elementarerlebnissen in der Relation Ae steht wie y. Diese De- 
finition würde aber fehlgehen. Denn es soll doch z. B. gelten: x Gl y, wenn bei den 
Elementarerlebnissen x und y derselbe Farbton an derselben Sehfeldstelle steht. In 
diesem Falle wird aber die genannte Definition meist nicht zutreffen. Wenn z. B. x 
einen Farbton a an einer anderen Sehfeldstelle hat, an der in y kein zu a ähnlicher 
Farbton steht, so ist x allen den Elementarerlebnissen teilähnlich, in denen ein a 
ähnlicher Farbton an der Stelle von a stellt j y dagegen mcht. Also wäre die versuchs- 
weise aufgestellte Definition hier nicht erfüllt. 

Bei diesem Ableitungsversuch zeigt sich, daß bei der Frage nach dem Bestehen 
einer Beziehung zwischen Elementarerlebnissen, die (wie Gl und Ae) von gewissen 
Bestandteilen der Elementarerlebnisse abhängt, darauf Rücksicht zu nehmen ist, 
auf welchem Bestandteil im einzelnen Falle die Geltung der Beziehung beruht. 
Wird, dies nicht beachtet, so können bei verschiedenen Konstitutionen der unteren 
Stufen leicht Fehler gemacht werden. Hiermit hängt es auch zusammen, daß Gl 
nicht, wie gewöhnlich die Relationen der Gleichheit oder Übereinstimmung irgend- 
welcher Art, transitiv ist (§ 11); die Überems timmung zweier Elementarerlebnisse 
in einem bestimmten Bestandteil ist zwar transitiv, nicht aber Gl als Überein- 
stimmung in irgendeinem Bestandteil (vgl. die Nichttransitivität der Farb- 
verwandtschaft im Beispiel des § 70). 

Die gesuchte Ableitung von Gl aus Ae ist nicht unmittelbar 
durchführbar. Vielmehr müssen mit Hilfe des Verfahrens der Quasi- 
analyse aus Ae zuerst die „Ähnlichkeits kreise“ und dann die „Quali- 
tätsklassen“ abgeleitet werden; aus diesen ergibt sich dann leicht 
Gl. 


110 


hi 


8o. Die Ähnlichkeitskreise 

80 Wir wenden die früher (§ 72) dargestellte Quasianalyse zweiter 
Art, nämlich die auf Grund einer Teilähnlichkeitsrelation, auf Ae 
an. Die dadurch best imm ten Ähnlichkeitskreise in bezug auf Ae be- 
zeichnen wir von jetzt ab einfach als „Ähnlichkeitskreise“ schlecht- 
weg, da solche in bezug auf eine andere Relation hier seltener 
Vorkommen. Unter „ K Ähnlichkeits kreisen^“ sind also diejenigen 
Klassen von Elementarerlebnissen zu verstehen, die die beiden folgen- 
den Eigenschaften haben: je zwei Elementarerlebnisse einer solchen 
Klasse sind einander teil ähnlich (Ae) ; ist ein Elementarerlebnis allen 
Elementarerlebnissen einer solchen Klasse teilähnlich, so gehört es 
selbst zu dieser Klasse. (Die Konstitution der Ähnlichkeitskreise inner- 
halb des Konstitutionssystems gemäß dieser Definition erfolgt in § in.) 
Die durch den zweiten Schritt der Quasianalyse in bezug auf Ae be- 
stimmten Quasibestandteile werden wir als „Qualitätsklassen“ be- 
zeichnen (§ 81). 

Um zu erkennen, welchen Sinn die abgeleiteten K Ahnlichkeitskreise 
und Qualitätsklassen M in bezug auf die p Erlebnisbestandteile d haben, 
wollen wir eine räumliche Symbolisierung der Elementarerlebnisse 
und ihrer Bestandteile, als welche wir zunächst die Sinnesempfindungen 
nehmen, aufstellen. Wir denken die Empfindungsqualitäten durch 
Pünkte repräsentiert; die räumliche Nachbarschaft zweier Punkte soll 
dabei die Beziehung der Ähnlichkeit (Aq) zwischen den betreffenden 
Qualitäten darstellen. Dann erhalten wir als räumlich-symbolische 
Darstellung eines jeden Sinnesgebietes ein zusammenhängendes Raum- 
gebiet. Dabei bilden dann die Tonempfindungen, da sie sich nach 
Tonhöhe und Tonstärke unterscheiden, ein zweidimensionales Ge- 
biet. Die Gesichtsempfindungen bilden hierbei nicht ein dreidimensio- 
nales Gebiet, wie es dem üblichen Farbkörper entspricht, bei dem die 
drei Dimensionen Farbton, Sättigung, Helligkeit oder Farbton, Weiß- 
gehalt, Schwarzgehalt zur Darstellung kommen, sondern ein fünf- 
dimensionales, da hier auch noch die Lokalzeichen, die eine zwei- 
dimensionale Mannigfaltigkeit bilden, als Bestimmungsstücke gelten. 
Weil eine fünfdimensionale Ordnung unanschaulich ist, mögen wir uns 
hier eine zweidimensionale Ordnung, die auf den Beziehungen der 
Lokalzeichen beruht, also die Ordnung des Sehfeldes, vorstellen und 
außerdem eine Menge von dreidimensionalen Farbkörpern, von denen 
jeder Stelle jener zweidimensionalen Ordnung je einer zugeordnet ist. 
Jeder Punkt der besprochenen Ordnung stellt eine Empfindungs- 
qualität (im weitesten Sinne, vgl. § 76, 85) dar ; ihm ordnen wir die- 
jenigen Elementarerlebnisse zu, in denen die betreffende Empfindungs- 

112 



qualität vorkommt. Da in einem** Elementarerlebnis verschiedene 80 
Qualitäten zugleich Vorkommen, so ist jedes Elementarerlebnis ver- 
schiedenen Qualitätspunkten zugeordnet, und zwar sowohl in ver- 
schiedenen Sinnesgebieten, als auch innerhalb desselben Sinnesgebietes. 

Wii: betrachten mm innerhalb eines Sinnesgebietes, dessen räumliche 
Darstellung die Dimensionszahl n haben möge, die n-dimensionalen 
Kugeln, deren Durchmesser dem größten Abstand zweier Empfindungs- 
qualitäten entspricht, die an der betreffenden Stelle des Sinnesgebietes 
noch ähnlich (Aq) sind. Durch Vergleich mit dem Beispiel des § 72, 
dessen „Farbkugeln“ diesen n-dimensionalen Qualitätskugeln ent- 
sprechen, erkennen wir leicht, daß ein Ähnlichkeits kreis die Klasse 
der den Punkten einer solchen n-dimensionalen Qualitätskugel zu- 
geordneten Elementarerlebnisse ist. Diese Ähnlichkeitskreise schließen 
einander nicht gegenseitig aus, sondern zeigen vielfach eine gegenseitige 
teilweise Überdeckung. Dabei sind zwei verschiedene Arten solcher 
Überdeckungen zu unterscheiden, die wir etwa als „wesentliche“ und 
„zufällige“ bezeichnen können. Entsprechen zwei Ähnlichkeitskreise 
zwei einander teilweise überdeckenden Qualitätskugeln, die dann not- 
wendig demselben Sinnesgebiet angehören, so zeigen sie auch selbst 
eine entsprechende Überdeckung; diese bezeichnen wir als „wesent- 
liche Überdeckung“. Entsprechen dagegen zwei Ähnlichkeits- 
kreise zwei einander ausschließenden Qualitätskugeln, so können sie 
trotzdem Elementarerlebnisse gemein haben, da ja jedes Elementar- 
erlebnis mehreren Qualitätspunkten zugeordnet ist. Diese „zufällige“ 
Überdeckung kann sogar zwischen zwei Ähnlichkeitskreisen ver- 
schiedener Sinnesgebiete Vorkommen. 

81. Die Qualitätsklassen 

Die besprochenen Überdeckungen der Ähnlichkeitskreise können 81 
wir auch auffassen als gegenseitige Zerschneidungen. Da die Quali- 
tätspunkte die größten Teile sind, die bei der gegenseitigen Über- 
deckung der Qualitätskugeln unzerteilt bleiben, so sind die Klassen 
der diesen Punkten zugeordneten Elementarerlebnisse die größten Teil- 
klassen der Ähnlichkeitskreise, die bei den wesentlichen Über- 
deckungen stets unzerteilt bleiben. Andererseits kann auch jede solche 
Klasse der einem Punkt zugeordneten Elementarerlebnisse durch solche 
Überdeckungszerschneidungen isoliert werden. Denn für zwei ver- 
schiedene Qualitätspunkte läßt sich stets ein dritter so finden, daß 
er dem einen, nicht aber dem andern ähnlich (Aq) ist, also auch stets 
ein Ahnlichkeitskreis, der die Elementarerlebnisse des einen umfaßt, 
die des anderen aber nicht. 


113 


8i Nun kommt aber noch die Zerschneidung durch die zufällige 
Überdeckung der Ähnlichkeitskreise hinzu. Deren Wirkung wollen 
wir an einem konkreten Beispiel betrachten. 

BEISPIEL. Die Klassen a, b seien zwei Ähnlichkeitskreise des Gesichtssinnes. 
Wir wollen nur zwei einzelne Stellen des Sehfeldes ins Auge fassen, um nicht mit einem 
fünfdimensionalen Gebiet zu tun zu haben, sondern nur mit dreidimensionalen Ge- 
bieten. Den jeder Sehfeldstelle zugeordneten dreidimensionalen Farbkörper denken 
wir uns hier zur Vereinfachung des Beispiels nicht stetig, sondern diskret, aus endlich 
vielen, getrennten Punkten bestehend. Die den beiden Sehfeldstellen zugeordneten 
Farbkörper bezeichnen wir als ersten und zweiten. Der Ähnlichkeitskreis a umfasse 
diejenigen Elementarerlebnisse, die fünf bestimmten Punkten des ersten Farbkörpers 
zugeordnet sind; diese fünf Punkte sind dann im Farbkörper einander benachbart, 
und zwar mögen sie etwa innerhalb des Gebietes der blauen Farbtöne liegen. Ebenso 
sei b ein Ahnlichkeits kreis mit fünf roten Farbtönen des zweiten Farbkörpers. Wenn 
in einem Elementarerlebnis einer jener blauen Farbtöne an der ersten SehfeldstelLe 
auftritt, so wird gewöhnlich nicht gerade auch einer dieser roten Farbtöne an der 
zweiten Sehfeldstelle stehen. Doch kann dies in einzelnen Fällen Vorkommen, die 
freilich im allgemeinen nur einen kleinen Bruchteil derjenigen Fälle bilden werden, 
in denen überhaupt jene blauen oder diese roten Farbtöne an ihrer Sehfeldstelle 
auftreten. Das bedeutet, daß es einige Elementarerlebnisse geben kann, die sowohl 
2um Ähnlichkeitskreis a wie auch zu b gehören; wir nehmen an, dies seien die Elemen- 
tarerlebnisse x, y, z. So liegt also eine zufällige Überdeckung zwischen a und b vor; 
eine wesentliche Überdeckung kann in diesem Beispiel nicht vorliegen, da a und b zu 
verschiedenen Farbkörpern und außerdem zu verschiedenen Farbgebieten innerhalb 
des Farbkörpers gehören, x ist einem bestimmten der fünf Qualitätspunkte von a zu- 
geordnet; die Klasse der diesem Punkt zugeordneten Elementarerlebnisse sei q. 
y möge demselben, z einem anderen Punkt von a zugeordnet sein ; x und y sind also 
Elemente von q, z nicht. Die Klasse q repräsentiert eine Empfindungsqualität des 
Gesichtssinnes, nämlich einen bestimmten blauen Farbton an einer bestimmten 
Sehfeldstelle; denn diese Empfindungsqualität ist die gemeinsame Eigenschaft der 
Elemente von q. Die Klassen dieser Art bezeichnen wir als „Qualitätsklassen“. 
Die Qualitätsklasse q des Ähnlichkeitskreises a wird nun durch den Ähnlichkeitskreis 
b zerteilt, da die Elemente x und y von q zu b gehören, die übrigen dagegen nicht. 
Der durch die zufällige Überschneidung zwischen a und b von q abgespaltene Teil ist 
hier nur sehr klein im Verhältnis zu q selbst. 

Wir haben vorher gesehen, daß die „Qualitätsklassen“, die 
Klassen der einem Qualitätspunkt zugeordneten Elementarerlebnisse, 
durch eine wesentliche Überdeckung von Ähnlichkeits kreisen nicht 
zerteilt werden. Jetzt hat sich gezeigt, daß sie durch eine zufällige 
Überdeckung zerteilt werden können. In diesem Falle ist aber der ab- 
gespaltene Teil gewöhnlich (d. h. wenn nicht besondere Verhältnisse 
vorliegen, s. u.) sehr klein im Verhältnis zur ganzen Qualitätsklasse 
und erst recht im Verhältnis zum Ähnlichkeits kreis. Das zeigt sich an 
dem soeben behandelten Beispiel und läßt sich aus diesem unschwer 
verallgemeinern. Hierdurch unterscheidet sich die zufällige Über- 
deckung von der wesentlichen; denn bei dieser umfaßt ja ein abgespal- 


tenes Stück eines Ähnlichkeitskreises mindestens eine ganze Qualitäts- 81 
klasse, also einen nicht unbeträchtlichen Bruchteil des Ähnlichkeits- 
kreises oder eines Teilgebietes von diesem. 

Da die Qualitätsklassen sich mit Hilfe der wesentlichen Über- 
deckungen der Ähnlichkeitskreise bestimmen lassen und diese Über- 
deckungen sich durch das angegebene Merkmal von den zufälligen 
unterscheiden lassen, so können wir jetzt die Definition der Quali- 
tätsklassen aufstellen. Sie enthält zwei Bedingungen ; die erste ent- 
spricht dem Sachverhalt, daß die Qualitäts klassen durch die wesent- 
lichen, also nicht nur geringfügige Abspaltungen bewirkenden Über- 
deckungen der Ähnlichkeitskreise nicht zerteilt werden; die zweite 
Bedingung bestimmt, daß die Qualitätsklassen die größtmöglichen 
Klassen mit der genannten Eigenschaft sein sollen. (Würde die De- 
finition die zweite Bedingung nicht enthalten, so würde schon jede Teil- 
klasse einer Qualitätsklasse die Definition erfüllen.) Die Definition 
lautet: eine Klasse k von Elementarerlebnissen heißt eine „ K Quali- 
tätsklasse M “, wenn k in jedem Ahnlichkeitskreis, in dem ein beträcht- 
licher Teil von k enthalten ist, ganz enthalten ist, und wenn es für jedes 
Elementarerlebnis x, das nicht zu k gehört, (mindestens) einen Ähn- 
lichkeitskreis gibt, in dem k enthalten ist, zu dem x aber nicht gehört. 
(Konstitution der Qualitätsklassen im Konstitutionssystem: § 112.) 

Wie wir früher schon überlegten, repräsentieren die K Qualitäts- 
klassen* konstitutional die p Empfindungsqualitäten d (im weitesten 
Sinne, einschließlich der Gefühlsqualitäten usw.). Deshalb bezeichnen 
wir sie zuweilen auch kurz als „Qualitäten“. 

Bei der Konstitution der Ähnlichkeitskreise und Qualitätsklassen 
ist besonders zu beachten, daß die Konstitution nicht die Form 
des wirklichen Erkenntnisprozesses wiederzugeben hat, sondern nur 
als rationale Nachkonstruktion zu demselben Ergebnis zu fuhren 
braucht. 

Hier und früher (§ 72) ist erwähnt worden, daß die Anwendung der Methode der 
Quasianalyse nur dann zu dem gewünschten Ergebnis führt, wenn nicht besondere 
„ungünstige Bedingungen“ vorliegen. Diese ungünstigen Bedingungen können z. B. 
darin bestehen, daß bestimmte pQualitätend stets oder vorwiegend mit bestimmten 
anderen zugleich Vorkommen. Hierdurch würden Irregularitäten in der Ableitung der 
j^Qualitätsklassen^ und später in der Einteilung in ^Sinnesklassen^ und in der ^Aq- 
Ordnung^J innerhalb der Sinnesklassen auftreten. Die genauere Untersuchung, für die 
hier der Raum fehlt, lehrt jedoch, daß diese Störungen in der Begriffsbildung durch 
Quasianalyse nur dann auftreten, wenn Umstände vorliegen, unter denen auch in 
Wirklichkeit der Erkenntnisprozeß, nämlich die im wirklichen Leben intuitiv vollzogene 
Quasianalyse, nicht zum normalen Ergebnis führt. 


115 


82. Genügt eine Grundrelation? 

82 Wir überlegten früher schon, daß die Zuordnung zweier Elementar- 
erlebnisse zu demselben Qualitätspunkt oder, was dasselbe ist, ihre 
Zugehörigkeit zu derselben Qualitätsklasse bedeutet, daß sie je einen 
gleichartigen Bestandteil haben, also teilgleich sind (§ 76). Daher kann 
die Teilgleichheit (Gl) leicht aus den Qualitätsklassen abgeleitet werden : 
zwei Elementarerlebnisse heißen „teilgleich“ (Gl), wenn es eine 
Qualitätsklasse gibt, zu der beide gehören. (Konstitution von Gl: 
§ 113.) Hätten wir Gl als Grundrelation aufgestellt, so würden wir 
die Qualitätsklassen durch Quasianalyse aus Gl ableiten. Hier sind 
wir umgekehrt vorgegangen. Da wir soeben die Qualitätsklassen aus 
den Ähnlich keits kreisen abgeleitet haben, die ihrerseits aus der Teil- 
ähnlichkeit (Ae) abgeleitet worden sind, so ist hiermit die gesuchte 
Ableitung von Gl aus Ae durchgeführt. Die für die weiteren Ab- 
leitungen wichtige Relation Gl braucht also nicht als Grundrelation 
aufgestellt zu werden. 

Bisher sind nun aus der Grundrelation Er zwei Relationen zwischen 
Elementarerlebnissen abgeleitet, nämlich Gl und Ae ; ferner zwei Arten 
von Klassen von Elementarerlebnissen, die Ähnlichkeits kreise und die 
Qualitätsklassen. Die letzteren sind besonders wichtig, da sie die ersten 
Bestandteile von Elementarerlebnissen repräsentieren, nämlich die 
Qualitäten der Sinnesempfindungen und der Gefühle (und etwa noch 
anderer Arten, falls solche noch Vorkommen; vgl. § 85). Es muß 
nun weiter eine Einteilung dieser Qualitäten in die verschiedenen 
Gebiete, z. B. der Empfindungsqualitäten in die Sinnesgebiete, ab- 
geleitet werden ; ferner muß in einzelnen Sinnesgebieten eine Tren- 
nung der qualitativen Ordnung (im engeren Sinne) von der Ordnung 
des Sinnesfeldes, auf der die Ordnung des Raumes beruht, dann diese 
Raumordnung selbst und eine Zeitordnung abgeleitet werden. Mit 
Hilfe dieser qualitativen, räumlichen und zeitlichen Ordnungen wird 
dann die Welt der physischen Dinge zu konstituieren sein, und schließ- 
lich die weiteren Gegenstandsgebiete, besonders das fremdpsychische 
und das geistige. 

Die Ableitungen selbst werden im folgenden, dritten Teil dieses 
Abschnitts besprochen und dann im IV. Abschnitt im Entwurf des 
Konstitutionssystems dargestellt werden. Für das Problem der Grund- 
relationen müssen wir hier als Ergebnis der späteren Darstellungen 
vorwegnehmen, daß auch für die weiteren Ableitungen keine 
neue Grundrelation erforderlich zu sein scheint. Da wir uns 
in erster Linie die Behandlung der logischen, nicht der inhaltlichen 
Probleme des Konstitutionssystems zur Aufgabe gemacht haben, so 

116 



stellt die spätere Darstellung des Konstitutionsysstems nur einen Ent- 82 
wurf dar, dessen Hauptzweck darin besteht, die praktische Anwendung 
der verschiedenen formalen Prinzipien und der ganzen konstitutionalen 
Methode durch eine beispielsweise Durchführung zu zeigen. Daher 
kann es auch nicht als bestimmte Behauptung, sondern nur als Ver- 
mutung ausgesprochen werden, daß ein Konstitutionssystem 
auf eigenpsychischer Basis mit der Grundrelation der Ähnlich- 
keitserinnerung (Er) allein aus kommen kann. Immerhin zeigen, 
aber die Untersuchungen, daß jedenfalls eine recht kleine Anzahl von 
Grundrelationen genügt und daß als Grundrelationen nur Relationen 
zwischen Elementarerlebnissen, nicht solche höherer Stufe nötig sind. 
(Vgl. die Thesen in § 156.) 

83. Die Grundrelationen als Kategorien 
(Überschlagbar) 

Unter Kategorien werden die Formen der Synthese des Mannig- 83 
faltigen der Anschauung zur Einheit des Gegenstandes verstanden. 

Nun ist aber weder durch diese Erläuterung (die keine Definition ist), 
noch durch die verschiedenen historisch vorliegenden Kategorientafeln 
scharf bestimmt, was mit „Kategorien“ gemeint ist. Da wir im Kon- 
stitutionssystem schärfere Begriffe besitzen als die der historischen 
Systeme, so fragen wir: was entspricht im Konstitutionssystem, als 
einem System der Synthese der Gegenstände, den Kategorien? Das 
Mannigfaltige der Anschauung heißt in der Konstitutionstheorie „das 
Gegebene“, „die Grundelemente“. Die Synthese dieses Mannig- 
faltigen zur Einheit eines Gegenstandes wird hier bezeichnet als Kon- 
stitution des Gegenstandes aus dem Gegebenen. Die Formen dieser 
Synthese wären also Konstitutionsformen, deren wir aber mehrere 
unterschieden haben (§ 26). Vielleicht kann man den Terminus „Kate- 
gorie“ im Sinne der Stufenformen verstehen; dann müßten wir sagen: 
in unserem Konstitutionssystem treten nur zwei Kategorien auf, näm- 
lich Klasse und Relation. Vielleicht entspricht es aber dem bisherigen 
(nicht eindeutigen) Sprachgebrauch besser, wenn wir die Grund- 
relationen als Kategorien bezeichnen. Hierfür spricht der fol- 
gende Sachverhalt: in gewissem Sinneist jede Aussage über irgend- 
einen Gegenstand materialiter eine Aussage über die Grund- 
elemente, formaliter eine Aussage über die Grundrelationen. 
Ferner zeigt sich die Übereinstimmung leicht, wenn wir die Gestalt 
eines Konstitutionssystems betrachten, bei dem die Analyse noch nicht 
so weit geführt worden ist wie im vorliegenden Entwurf, und wo infolge- 
dessen noch eine größere Anzahl von Grundrelationen aufgestellt wird. 

117 


In einem früheren Entwurf des Konstitutionssystems erwiesen sich die fünf 
folgenden Relationen als hinreichende Grundrelationen (soweit bei der nur umriß- 
haften Darstellung des Systems von einem Erweis gesprochen werden kann): die 
(zentrale) Teilgleichheit (etwas enger gefaßt als jetzt Gl, § 76), die (zentrale) Teil- 
, Ähnlichkeit (etwas enger als jetzt Ae, vgl. § 77), die Reihenrelation der Intensitäts- 
reihen (jetzt erst nach den Sehdingen konstituiert, § 131), die Erinnerungsrelation 
(allgemeiner als jetzt die Grundrelation Er, § 78), die Nachbarschaft im Sinnesfeld 
(allgemeiner als jetzt Nbst für SehfeldsteUen, § 89). Nun ist zu beachten, daß die 
Erinnerungsrelation unmittelbar zur Konstitution der (vorläufigen) Zeitordnung führt, 
(ähnlich wie jetzt Er zu Er p0 , § 87), und die Nachbarschaft im Sinnesfeld zur Kon- 
stitution der Raumordnung, und zwar zunächst zur auch schon „räumlich“ zu nen- 
nenden Ordnung innerhalb des Sinnesfeldes, später zur eigentlichen Raumordnung 
der physischen Welt (ähnlich wie jetzt Nbst : § 89). 

Man bemerkt eine gewisse Verwandtschaft zwischen den genannten 
f ünf Grundrelationen des früheren Entwurfs und den in manchen 
Kategoriensystemen auftretenden Kategorien Gleichheit, Ähnlichkeit, 
Intensität, Zeit und Raum. Auch dies führt uns darauf, daß wir als 
Kategorienproblem der Konstitutionstheorie das Problem der 
Grundrelationen auffassen können. 

Wir haben die Vermutung ausgesprochen (§ 82), daß Er als Grund- 
relation genügt. Die genannten fünf Grundrelationen des früheren 
Entwurfs können nämlich zum Teil auseinander abgeleitet werden, an- 
scheinend sogar alle aus einer einzigen. Als Aussage über Kategorien 
würde dies so auszudrücken sein: die fünf genannten kategorialen 
Formen sind nicht die eigentlichen (Ur-)Kategorien, sondern sie sind 
noch teilweise auf einander zurückführbar; die Anzahl der (echten) 
Kategorien ist sehr klein, vielleicht gibt es nur eine einzige 
Kategorie. 



D. DIE GEGENSTANDSFORMEN 

84. Die Ableitungen als Vorbereitung der Konstitutionen 

Von den vier Hauptproblemen der Konstitutionstheorie (§ 26) ist 84 
jetzt noch das letzte, das der Gegenstandsformen, zu behandeln. Die- 
ses Problem ist am stärksten mit dem materialen Gehalt des Kon- 
stitutionssystems verknüpft. Daher wird es hier, wo wir uns haupt- 
sächlich die Klärung der logisch-methodischen Seite der Konstitutions- 
theorie zur Aufgabe gestellt haben, keine fertige Lösung finden können. 

Wir werden zunächst für die wichtigsten Gegenstände der unteren 
Konstitutionsstufen untersuchen, wie sie durch die vorher aufgestellte 
Grundrelation und die schon abgeleiteten Gegenstände bestimmt 
sind und wie sie daher aus diesen konstituiert werden können. Die 
Konstitutionen selbst dieser und weiterer Gegenstände werden dann im 
nächsten Abschnitt im Entwurf des Konstitutionssystems dargestellt. 

Die hier zu gebenden Ableitungen dienen daher als Vorbereitungen für 
die Konstitutionen selbst. Diese Ableitungen richten ihr Augenmerk 
mehr auf die inhaltliche Seite des Problems, während die späteren Kon- 
stitutionen zu zeigen haben, wie diese inhaltlichen Verhältnisse in die 
für den Aufbau eines Konstitutionssystems anzuwendenden logischen 
Formen einzupassen sind. Da es sich nur um einen Entwurf handelt, 
so bedeutet diese Einpassung nur die beispielhafte Anwendung der 
methodischen Formen auf jene inhaltlichen Verhältnisse der Gegen- 
stände selbst. Auf die methodischen Formen kommt es uns vor allem 
an. Ihre Gültigkeit und Brauchbarkeit wird behauptet. Die beispiel- 
haft verwendeten Inhalte dagegen werden nicht als gültig behauptet. 
Falls die Realwissenschaften (und zwar für die unteren Konstitutions- 
stufen vor allem die Wahrnehmungsphänomenologie und die Psycho- 
logie) zu dem Ergebnis kommen, daß die Verhältnisse der Gegenstände 
andere sind, als hier angenommen wird, so werden diese anderen Ver- 
hältnisse nach denselben methodischenGrundsätzen in den entsprechen- 
den Konstitutionsformen auszudrücken sein. So werden hier also 
Grundrelation(en) und Gegenstandsformen nur mit Vor- 
behalt aufgestellt ; dagegen gehört die Aufstellung der Grün d- 

elemente und vor allem die der Systemform und der Stufen- 


84 formen zur Theseunserer Konstitutionstheorie (vgl. die Thesen 
in § 156). 

Die folgenden Untersuchungen dienen also einerseits zur Vorbe- 
reitung für den nächsten Abschnitt, für den Entwurf des Konstitutions- 
systems. Andererseits sollen sie zur Begründung der im vorigen Teil 
ausgesprochenen Vermutung beitragen, daß eine einzige Grundrelation 
für die Konstituion aller Gegenstände genügt. 

85, Die Sinnesklassen 

Nachdem die Qualitätsklassen abgeleitet worden sind (§ 81), kann 
die Beziehung der Ähnlichkeit (Aq) zwischen solchen in einfacher 
Weise definiert werden. Zwei Qualitäten sind dann und nur dann ähn- 
lich, wenn jedes Elementarerlebnis, in dem die erste vorkommt, jedem, 
in dem die zweite vorkommt, teilähnlich ist. Daher definieren wir: 
zwei Qualitätsklassen a und b heißen „ähnlich“ (a Aq b), wenn jedes 
Element von a zu jedem von b teilähnlich ist (Ae). (Konstitution von 
Aq im Konstitutionssystem: § 114.) 

Mit Hilfe der Relation Aq können wir nun die Einteilung in Sinnes- 
gebiete vornehmen. Diese Einteilung muß sich auf Qualitäten beziehen, 
nicht etwa auf Elementarerlebnisse, von denen ja jedes zu mehreren 
Sinnesgebieten zugleich gehören kann. Zwei Qualitäten gehören dann 
und nur dann zu demselben Sinnesgebiet, wenn es eine Reihe von 
Qualitäten zwischen beiden gibt, die stets nur von einer Qualität zu 
einer ähnlichen fortschreitet. (Z. B. läßt sich zwischen je zwei Tönen 
eine solche Kette von Aq-Paaren bilden, nicht aber zwischen einem 
Ton und einem Geruch.) 

Nennen wir eine Klasse, die von den Qualitäten eines und desselben 
Sinnesgebietes gebildet wird, eine „Sinnes klasse“, so ergeben sich 
die Sinnesklassen durch Quasianalyse auf Grund der Relation der Ver- 
bindbarkeit durch solche Aq-Ketten. (Konstitution der Sinnesklassen: 
§ H5-) 

Als j^Sinnesklassem* 1 werden sich nicht nur die Klassen der Gesichts- 
qualitäten, Gehörqualitäten, Wärmequalitäten usw. ergeben, sondern 
gemäß dem Sinn der Grundbeziehung Er und dem in § 76 über die 
Gefühle Gesagten auch diese. Sollte die Psychologie außer Sinnes- 
empfindungen und Gefühlen noch psychische Gebilde aufweisen, die 
sich nicht auf jene zurückführen lassen, etwa Gedanken, Wo llungen 
oder was sonst immer, so würde die Grundbeziehung auch die Ähnlich- 
keiten zwischen diesen Gebilden betreffen, auch ihre P Qualitäten d 
würden als nQualitätsklassen^ konstituiert, auch ihr Gebiet oder 
mehrere Gebiete als Sinnes klassen konstituiert. Es liegt also keine Art 


120 - 


psychischer Vorgänge außerhalb des Rahmens der konstituierbaren 85 
Gebilde. 

86. Die Kennzeichnung des Gesichtssinnes 

Nachdem die Einteilung der Qualitäten in Sinnesklassen abgeleitet 86 
worden ist, kann die Ordnung der Qualitäten untereinander 
innerhalb einer jeden Sinnesklasse untersucht werden. Und 
zwar können wir Aq als die diese Ordnung bestimmende Nachbar- 
schaftsbeziehung auffassen. Besteht in irgendeinem Gebiet eine Nach- 
barschaftsbeziehung, so ist dadurch die Dimensionszahl (DZ) des 
Gebietes bestimmt ; (auf die Definition soll hier nicht eingegangen wer- 
den). Daher hat jede Sinnesklasse eine bestimmte DZ in bezug auf 
Aq. Wie schon bemerkt, hat die Sinnesklasse der Tonempfindungen 
die DZ 2, die des Gesichtssinnes, der Farbenempfindungen, die DZ 5 
(§ 80). Für die Hautsinne sind die Lokalzeichen zweidimensional orden- 
bar. Da ihre Qualitäten sich außerdem noch durch Intensität und viel- - 
leicht noch durch eine Qualitätsreihe unterscheiden, so ist die DZ eines 
jeden von ihnen (Tastsmn,Wärmesinn, Kältesinn, Schmerzsinn) 3 oder 4. 

Die DZ der anderen Sinne, einschließlich des Gebietes der Gefühle, ist 
teils 2, teils 3. 

Am wichtigsten ist hierbei, daß der Qualitätsordnung des Gesichts- 
sinnes eine andere DZ zukommt als der aller anderen Sinne. Dadurch 
ist es möglich, diesen für die Konstitution der physischen Gegenstände 
wichtigsten Sinn herauszuheben, zu kennzeichnen, zu konstituieren. 

Die konstitutionale Definition lautet einfach: diejenige Sinnes- 
klasse, für die die Ordnung der Qualitäten in bezug auf Aq die DZ 5 
hat, heißt „Gesichtssinn“. (Konstitution: § 115.) 

Auf den ersten Blick mag es vielleicht paradox erscheinen, wenn 
hier eine „Definition“ des Gesichtssinnes gegeben wird, und zwar 
eine Definition auf Grund einer so imwesentlichen Eigenschaft, wie 
es die DZ ist, die die besondere, phänomenale Eigenart der Gesichts- 
empfindungen, in ihrem Unterschiede von den anderen Empfindungen, 
gar nicht trifft. Ein solcher Einwand, sei er nun nur gefühlsmäßig- 
unbewußt oder ausgesprochen, beruht aber nur auf der Verwechslung 
der Aufgabe einer konstitutionalen Definition mit der einer Begriffs- 
bestimmung im üblichen Sinne. Wie früher dargelegt (§ 50, 51), wird 
von einer konstitutionalen Definition nur die Berücksichtigung des 
logischen Wertes, nicht die des Erkenntniswertes gefordert. Denn für 
die mit Hilfe der konstitutionalen Definition als Übersetzungsregel 
vorzunehmenden Übersetzungen von Aussagen soll ja die Invarianz 
des Wahrheitswertes der Aussagen gewährleistet werden, und nur diese, 


121 


86 nicht die Invarianz des Sinnes. In dem hier vorliegenden Einzelfalle 
leuchtet es auch ohne weiteres ein, daß (wenn wir die für die Definition 
benutzte psychologische Aussage, daß die DZ der Ähnlichkeitsordnung 
für den Gesichtssinn, aber für keinen anderen Sinn, 5 ist, als richtig 
unterstellen) jede Aussage über den Gesichtssinn wahr oder falsch bleibt, 
wenn wir an Stelle des Wortes „Gesichtssinn“ einsetzen „der Sinn, 
dessen Ahnlichkeitsordnung die DZ 5 hat“. 

87. Die Zeitordnung 

87 Bei unserer W ahrnehmung von physischen Dingen erkennen wir nicht 
nur Eigenschaften mit ihren qualitativen und intensiven Unterschieden, 
sondern auch Raum- und Zeitverhältnisse. Wir wollen zunächst die 
Zeitverhältnisse näher ins Auge fassen. Es ist leicht zu erkennen, daß 
die Zeitbestimmungen für die physische Welt zurückgehen auf die Er- 
kennung des Zeitverhältnisses zwischen Elementarerlebnissen. Es er- 
hebt sich nun die Frage, ob eine Zeitbeziehung zwischen Elementar- 
erlebnissen als Grundbeziehung aufgestellt werden muß. Es zeigt sich 
jedoch, daß sie aus der Ähnlichkeitserinnerung (Er) abgeleitet werden 
kann. Er schließt ja ein Zeit Verhältnis ein: aus x Er y ist zu schließen, 
daß x zeitlich früher ist als y. Hiermit wird nun nicht für jedes Paar 
von Elementarerlebnissen entschieden, welches von ihnen das zeitlich 
frühere ist, sondern nur für teilähnliche Elementarerlebnisse. Aber 
zunächst kann aus solchen Paaren wegen der Transitivität der Zeit- 
beziehung das Zeitverhältnis in vielen anderen Paaren erschlossen 
werden. Vor allem ist aber für die Konstitution der Zeitreihe die Er- 
kennung des Zeitverhältnisses zeitnaher Elementarerlebnisse wichtig. 
Und gerade solche zeitnahen Elementarerlebnisse sind nun in vielen, 
vielleicht sogar den meisten Fällen, teilähnlich. Denn wenn irgendeine 
Empfindungsqualität während einer bestimmten Zeitspanne konstant 
bleibt oder stetig variiert, so sind alle zeitnahen Elementar erlebnisse 
innerhalb dieser Zeitspanne einander teilähnlich. 

Wenn nun auch aus der Grundbeziehung Er allein noch keine 
lückenlose Zeitreihe konstituiert werden kann, so doch eine erste Zeit- 
ordnung (über deren Konstitution vgl. § 120), die dann später, nach 
Konstitution der physischen Dinge und durch Zuhilfenahme der Ge- 
setzmäßigkeiten physischer Vorgänge, vervollständigt werden muß. 
Auch im wirklichen Erkenntnisprozeß ist die auf „Zeitwahmehmungen“ 
beruhende Zeitordnung der Erlebnisse unvollständig und wird erst 
durch Schlüsse auf Grund bekannter Gesetzmäßigkeiten des Psychischen 
und besonders des Physischen zu einer vollständig geordneten Reihe 
ergänzt. 


122 


88. Ableitung der Sehfeldstellen 

Wir hatten gefunden, daß der Gesichtssinn ohne Hilfe eines neuen 88 
Grundbegriffes aus den übrigen Sinnen herausgehoben werden kann 
durch die Dimensionszahl fünf der Ähnlichkeitsordnung seiner Quali- 
täten. Nun ist zwar diese fünfdimensionale Ordnung konstitutional 
aufgestellt, aber damit doch weder die dreidimensionale des Farb- 
körpers noch die zweidimensionale des Sehfeldes. Wir vermögen die 
verschiedenen Dimensionen durch die bisherigen Ableitungen nicht zu 
unterscheiden. Sind z. B. zwei Qualitäten a, b des Gesichtssinnes da- 
durch einander ähnlich (Aq), daß sie in Farbton, Sättigung und Hellig- 
keit, kurz: in der „Farbart“ übereinstimmen und zu zwei benach- 
barten Sehfeldstellen oder kurz „S teilen“ gehören,und sind zwei andere 
Qualitäten c, d dadurch ähnlich, daß sie zu derselben Stelle gehören 
und in der Farbart annähernd übereinstimmen, so heißen die beiden 
Paare gleicherweise „Aq-Paare“ und können auf Grund ihres Verhaltens 
in bezug auf Aq nicht unterschieden werden. Wir bezeichnen zwei 
Qualitäten (ohne Rücksicht auf die Farbart) als „gleichstellig“, 
wenn sie im Lokalzeichen übereinstimmen, also zu derselben Stelle ge- 
hören ; und entsprechend zwei Qualitäten (ohne Rücksicht auf die Stelle) 
als „gleichfarbig“, wenn sie in der Farbart übereinstimmen. Die 
Aufgabe besteht jetzt darin, eine dieser beiden Beziehungen, entweder 
die Gleichstelligkeit oder die Gleichfarbigkeit, aus den bisher ab- 
geleiteten Beziehungen abzuleiten. Die andere ergibt sich dann jeweils 
leicht aus der ersten. 

Die Ableitung der Gleichstelligkeit (Glstell) ist tatsächlich 
möglich. Sie beruht hauptsächlich auf dem Umstand, daß (verschie- 
dene) gleichstellige Qualitäten nicht zugleich in einem Elementar- 
erlebnis verkommen können. Dieser Sachverhalt ist durch die bisherigen 
Ableitungen ausdrückbar j denn ihm entspricht konstitutional der 
Sachverhalt, daß bestimmte Paare von Qualitätsklassen kein Elementar- 
erlebnis als gemeinsames Element haben, also elementefremde Quali- 
tätsklassen sind (Relation Fre ). Fre ist aber nur notwendige, nicht 
hinreichende Bedingung für Glstell. Es mag Paare von Gesichts- 
qualitäten geben, die zu verschiedenen Stellen gehören und doch ge- 
rade nie zusammen in einem Erlebnis Vorkommen. Wir können also 
nicht etwa Glstell durch Fre definieren. Andererseits befinden sich 
aber sicherlich alle Glstell-Paare unter den Fre-Paaren. Die Aufgabe 
besteht darin, jene unbekannten Paare aus diesen bekannten auszu- 
sondern j das ist jedoch nicht unmittelbar möglich. Wir kommen aber 
auf folgendem Wege zum Ziel. Hätten wir Glstell schon abgeleitet, so 
könnten wir die (Gesichtsfeld-) Stellen als Abstraktionsklassen (§ 73) 


123 


88 von Gis teil definieren (d. h. als größtmögliche Klassen untereinander 
gleichstelliger Qualitäten). Bilden wir statt dessen (durch Quasianalyse 
nach § 71) die Ahnlichkeitsklassen von Fre, so sind diese mit den ge- 
suchten Stellenklassen entweder identisch oder Teilklassen von ihnen. 

Es scheint zunächst, als wären wir hiermit nicht weiter gekommen, als hätten wir 
nur die frühere Schwierigkeit, die richtigen GlsteH-Paare aus den Fre-Paaren auszu- 
sondern, mit der neuen Schwierigkeit vertauscht, die gesuchten Stellenklassen aus den 
Abstraktionsklassen von Fre auszusondem. Aber in Wirklichkeit liegen die Ver- 
hältnisse hier ganz anders. Vorhin lag kein Grund vor für die Annahme, daß die 
Fre-Paare auch nur zum größeren Teil Glstell-Paare sind. Daß dagegen jene Abstrak- 
tionsklassen beträchtlich umfassender sind als die jeweils in ihnen enthaltenen Stellen- 
klassen, hat einen ganz bedeutend kleineren Grad der Wahrscheinlichkeit. Damit 
nämlich einer Stellenklasse auch nur ein einziges nicht zur Stelle gehöriges Element 
durch die Quasianalyse fälschlich angegliedert wird, genügt es nicht, d3ß dieses Ele- 
ment zu einem oder mehreren Elementen der Stelle die Relation Fre hat, sondern 
es müßte sie zu allen Elementen der Stelle haben; das folgt aus der Definition der 
Abstraktionsklassen. Oder von einem anderenGesichtspunkt aus gesehen : notwendige 
Bedingung dafür, daß jene falsche Angliederung an eine bestimmte Stellenklasse 
vorkommt, ist erstens, daß die betreffende Sehfeldstelle in mindestens Einern Ele- 
mentarerlebnis unbesetzt ist, und zweitens, daß das anzugliedemde, aber einer 
anderen Stelle angehörende Element nur in dem Erlebnis oder den Erlebnissen vor- 
kommt, bei denen jene Stelle unbesetzt ist. Denn in allen anderen Fällen würde die 
Relation Fre nicht bestehen. 

Durch genauere Untersuchung läßt sich zeigen : wenn das Vorkom- 
men unbesetzter Stellen nicht allzu häufig ist, so mag immerhin noch 
die Zahl der Fre-Paare beträchtlich über die der Glstell-Paare hinaus- 
gehen, trotzdem aber ist die Wahrscheinlichkeit eines beträchtlichen 
Hinausgehens der Abstraktionsklassen von Fre über die richtigen 
Stellenklassen verhältnismäßig sehr klein. Ob eine der Abstraktions- 
klassen eine richtige Stellenklasse ist, kann übrigens sofort daran er- 
kannt werden, daß keins ihrer Elemente in den anderen Abstraktions- 
klassen vorkommt. Die Elemente zweifelhafter Zugehörigkeit verraten 
sich durch ihr mehrfaches Vorkommen ; auf sie müßte sich dann später, 
wenn die vorläufigen Stellenklassen konstituiert und in eine Nachbar- 
schaftsordnung gebracht sind, eine besondere Untersuchung richten, 
auf deren weniger einfaches Verfahren (Heraushebung der Ähnlich- 
keitsbeziehungen zwischen gewissen Qualitätsklassen der Nachbar- 
stellen) hier nicht eingegangen werden soll; dadurch würden die end- 
gültigen Stellenklassen konstituiert werden. Hier genüge zunächst 
der gegebene Nachweis der Möglichkeit, durch ein einfaches Verfahren 
die Gesichtsqualitäten im Großen und Ganzen, d. h. mit etwaiger Aus- 
nahme einzelner, deren Stellenzugehörigkeit in dem einfachen Ver- 
fahren noch nicht entschieden wird, in Stellenklassen einzuteilen. 
(Konstitution der Stellenklassen: § 117.) 



89. Die räumliche Ordnung des Sehfeldes 

Aus den abgeleiteten Stellenklassen ist mm Glstell ableitbar: als 89 
Zugehörigkeit zu derselben Stellenklasse. (Konstitution: § 117.) 

Durch die Aufstellung der Stellenklassen, die die Sehfeldstellen 
repräsentieren, ist die räumliche Ordnung des Sehfeldes noch nicht 
erfaßt. Sie ergibt sich erst aus den Beziehungen zwischen den Stellen, 
die sich aber jetzt einfach ableiten lassen. 

Zwei Stellen heißen „Nachbars teilen“ (Nbst), wenn eine Quali- 
tät der einen einer der anderen ähnlich ist. (Konstitution: § 117O 
(Wir sagen nicht „alle Qualitäten“, da es ja nicht ausgeschlossen ist, 
daß an einer bestimmten Stelle Qualitäten von bestimmten Farb- 
arten nicht Vorkommen.) Nbst ist die grundlegende Beziehung für 
die räumliche Ordnung des Sehfeldes. So ist z. B. die Aussage 
von der Zweidimensionalität des Sehfeldes eine Aussage über 
eine bestimmte formale Eigenschaft von Nbst (bedeutet also nicht: 
Flächenhaftigkeit des Sehfeldes im phänomenalen Sinne). 

LITERATUR. Für die Konstitution der ersten rä um l i chen Ordnung, nämlich der 
zweidimensionalen des Sehfeldes, scheinen in der Literatur keine Versuche 
vorzuliegen. Die beiden Systeme, die sonst die einzelnen Konstitutionen am aus- 
führlichsten behandeln, nämlich Ziehen [Erkth.] und Driesch [Ordnungsl.] über- 
springen nicht nur diese Konstitution, die doch schon für sich eine ganze Reihe von 
Schritten erfordert (auch wenn man nicht nur £ine Grundrelation nehmen würde, son- 
dern noch eine besondere für die Raumordnung), sondern auch noch die von Anderen 
schon mehrfach behandelte Konstitution des dreidimensionalen Raumes aus der zwei- 
dimensionalen Sehfeldordnung (vgl. die Angaben in § 124). 

90. Die Ordnung der Farben 

Für die Ordnung der Farben, wie wir sie uns im Farbkörper an- 90 
schaulich vorzustellen pflegen, benötigen wir keine neue Gründbezie- 
hung. Die Farbordnung ist in folgender Weise aus den Stellenklassen und 
der Nachbarstellen-Relation (Nbst) ableitbar. Für zwei beliebige, ver- 
schiedene Farben f, g gibt es stets mindestens eine Farbe, die zu f 
aber nicht zu g ähnlich ist. Daraus folgt: sind s, t, u drei einander be- 
nachbarte Stellen und gehört die Qualität a zu s und die Qualität b 
zu t, und haben a und b verschiedene Farbart (mit welchem Wort wir 
die Bestimmungen des Farbtons, der Sättigung und der Helligkeit 
zusammenfassen wollen), so sind nicht beide denselben Qualitäten von 
u ähnlich. Ist dagegen a denselben Qualitäten von u ähnlich wie b, 
so müssen a und b die gleiche Farbart haben; und umgekehrt: haben sie 
die gleiche Farbart, so auch dieselben ähnlichen Qualitäten in u. Das 
genannte Verhalten von a und b können wir deshalb als Definition für 


124 


125 


90 „Gleichfarbigkeit an Nachbarstellen" nehmen. Hieraus kann H nnn 
die Relation der Gleichfarbigkeit für beliebiges S teilen verhältnis(Glfarb) 
abgeleitet werden : sie besteht zwischen den Qualitäten a und b, wenn 
es zwischen a und b eine Kette von Qualitäten gibt derart, daß jede zu 
der nächsten in der Relation der „Gleichfarbigkeit an Nachbarstellen“ 
steht. (Konstitution: § 118.) 

Die Farben (im Sinne der Farbarten) ergeben sich jetzt einfach als 
Abstraktionsklassen von Glfarb. (Konstitution: § 118.) 

Analog der Relation der Nachbar stellen definieren wir hier als 
„Nachbarfarben“ (Nbfarb) zwei Farben f und g solcher Art, daß 
eine Qualität von f einer von g ähnlich ist. (Im allgemeinen wird es zu 
jeder Qualität von f mindestens eine ähnliche in g geben und um- 
gekehrt, nämlich eine solche, die an derselben oder einer Nachbarstelle 
steht; doch wollen wir aus ähnlichen Gründen wie bei Nbst die De- 
finition nicht hierauf stützen.) Die auf Nbfarb beruhende Ordnung der 
Farben bezeichnen wir als „Farbkörper“. Die Dreidimensiona- 
lität des Farbkörpers läßt sich analog der Zweidimensionalität des 
Sehfeldes als formale Eigenschaft von Nbfarb formulieren. (Konsti- 
tution: § 118.) 

91. Bedenken gegen die gegebene Ableitung der 
Sehfeldordnung und der Farbordnung 

91 Durch die gegebenen Ableitungen haben wir die fünfdimensionale 
Ahnlichkeitsordnung (d. h. Ordnung in bezug auf die Ähnlichkeit 
Aq) der Gesichtsqualitäten zerlegt in eine zweidimensionale Ordnung 
der (Sehfeld-) Stellen und in eine dreidimensionale Ordnung der Far- 
ben. Diese Zerlegung wurde dadurch möglich, daß die beiden Rela- 
tionen der Gleichstelligkeit und der Gleichfarbigkeit ein formal ver- 
schiedenes Verhalten zeigen, indem verschiedene gleichfarbige Quali- 
täten in demselben Elementarerlebnis Vorkommen können, nicht aber 
verschiedene gleichstellige Qualitäten. Demgegenüber könnte man 
nun den Ein wand erheben, der Unterschied zwischen dem Verhält- 
nis zweier verschiedener Farben an derselben Stelle und dem Ver- 
hältnis zweier gleicher Farben an verschiedenen Stellen sei nicht ein 
Unterschied des formalen Verhaltens, sondern ein Qualitäts- oder We- 
sensunterschied; bei der Aufstellung nur einer Grundrelation könne 
man diesem Wesensunterschied nicht gerecht werden ; es sei daher er- 
forderlich, mehrere Grundrelationen zu nehmen, -unter denen eine qua- 
litative und eine lokale Beziehung vertreten sein müßten. Die Frage 
der Anzahl der notwendigen Grundrelationen ist allerdings noch keines- 
wegs endgültig gelöst. Aber auch wenn noch weitere Grundrelationen 


126 


aufgestellt werden würden, so würde der Unterschied zwischen Gleich- 91 
stelligkeit und Gleichfarbigkeit nicht zum Gegebenen gehören, sondern 
abgeleitet werden müssen. Denn er ist ja kein Unterschied zwischen 
Paaren von Elementarerlebnissen selbst, sondern zwischen Paaren von 
Qualitäten; und die Qualitäten müßten auch in diesem Falle (und zwar 
durch Quasianalyse) abgeleitet werden, um so mehr jener Unterschied. 
Allerdings würde der Unterschied hier auf zwei Beziehungen zwischen 
Elementarerlebnissen zurückgehen, die ihrerseits unmittelbar als ver- 
schiedenartig gegeben wären. Mag man nun auch den Unterschied der 
beiden Ordnungen, die wir durch den Unterschied des formalen Ver- 
haltens der zugrunde liegenden Beziehungen getrennt haben, statt 
dessen zurückführen auf den intuitiv erfaßbaren, nicht formalen, son- 
dern qualitativen Unterschied zwischen Farbe und Lokalzeichen (denn 
auf solchen „Lokalzeichen“ in irgendeinem Sinne müssen die „Stellen“ 
beruhen), so ist doch wieder daraufhinzuweisen, daß diese beiden Quali- 
tätsbestimmungen, um deren intuitiv erfaßbaren Unterschied es sich 
hier handelt, an sich gleichberechtigt neben einander stehen. Aber ihre 
Leistung für den Erkenntnisaufbau ist dann ganz verschieden. Die eine 
der beiden Bestimmungen, das Lokalzeichen, dient nämlich zum Fun- 
dament des „principium individuationis" : sie bestimmt eine erste Stel- 
lenordnung, auf der schließlich die Raumordnung beruht. Daß diese 
Funktion nur von der einen der beiden Bestimmungen erfüllt werden 
kann, hat seinen Grund gerade in derjenigen formalen Eigenschaft der 
Gleichstelligkeit, durch die wir sie von der Gleichfarbigkeit gesondert 
haben: daß nämlich nicht-identische, gleichstellige Qualitäten nicht in 
demselben Erlebnis Vorkommen können. Also beruht die von uns vor- 
genommene Sonderung der beiden Ordnungen auf einem zwar formalen, 
trotzdem aber keineswegs unwesentlichen Unterschied, nämlich dem 
Unterschied in denjenigen Eigenschaften, auf denen die verschiedenen 
Leistungen der beiden Bestimmungen in der Wirklichkeitserkenntnis 
beruhen: die Leistungen als Ordnendes (Lokalzeichen) und als Geord- 
netes (Farben). Weitere Überlegungen, die sich an diesen Unterschied 
und die Leistung als Individuationsprinzip anknüpfen, werden wir 
später anstellen (§158). 

92. Andere Möglichkeiten der Ableitung des Sehfeldes 

Die Ableitung der Ordnung der Sehfeldstellen kann nicht nur in der 92 
angegebenenWeise geschehen, sondern es gibt hierfür noch verschiedene 
andere Möglichkeiten. Man könnte meinen, daß nur eine Art der 
Konstitution die richtige sein könne, da nur eine den wirklichen Ablauf 
des Erkenntnisprozesses, wie er beim normalen Individuum unter 

127 


92 normalen Umständen verläuft, richtig wiedergeben, genauer: rational 
nachbilden könne. Der Grund für die Mehrzahl der Möglichkeiten liegt 
darin, daß der wirkliche, im Unterschied zur rationalen Nachkon- 
struktion als intuitiv zu bezeichnende Erkenntnisverlauf über- 
bes timmt is t; daher besteht die Möglichkeit und Notwendigkeit einer 
Auswahl solcher Bestimmungen, die für sich allein schon hinreichen. 

Bei der vorher dargestellten Art der Ableitung des Sehfeldes (§ 89) 
ist nur die Ähnlichkeit des Lokalzeichens benachbarter Sehfeldstellen 
verwendet worden. Möglicherweise ist dieser Faktor, der wohl immer 
mitspielt, erkenntnispsychologisch kein ursprünglicher ; es könnte sein, 
daß die Lokalzeichen ursprünglich im vergleichbar sind und keine Ähn- 
lichkeitsbeziehungen unter einander aufweisen; vielleicht werden be- 
stimmte Paare von Lokalzeichen, erst durch assoziative Verknüpfung 
infolge des Farbqualitätenwechsels bei kleinen Augenbe- 
wegungen zu Ähnlichkeitspaaren gestempelt. Vielleicht sind auch 
die Beziehungen zwischen den Sehfeldstellen erkenntnispsychologisch 
noch anders entstanden zu denken, nämlich durch Verknüpfung mit 
den kinästhetischen Empfindungen des Augenmuskels. Hier- 
auf könnte sich eine von der gegebenen Ableitung abweichende, kon- 
stitutionale Ableitung der Sehfeldordnung stützen. 

Eine dritteMöglichkeit der Ableitung der Sehfeldordnung werde 
noch besprochen, weil in ihr ein grundsätzlich wichtiger Punkt zum 
Ausdruck kommt. Bei dieser Ableitung nehmen wir im Vergleich zu 
den beiden vorigen ganz bedeutend weniger als gegeben an. Wir können 
nämlich auf alles indirekt Gesehene verzichten und lediglich das im 
Blickpunkt Erscheinende als gegeben nehmen. Dabei müssen 
wir es allerdings als möglich ansehen, daß zwei (oder mehr) Farbarten, 
die längs einer Grenze (oder in einem Punkt) Zusammenstößen, zugleich 
Blickpunktempfindungen sind, während wir ja früher einer Stelle des 
Sehfeldes immer nur eine Farbart zugeordnet sein ließen. Die auf- 
tretenden Farben bilden hierbei zunächst eine eindimensionale Ordnung, 
nämlich durch ihre Zeitverhältnisse. Zu höheren Ordnungen, zu einer 
Art von Sehfeld, könnten wir hier leicht durch Mitverwendung der 
Kinästhesie der Augenbewegungen gelangen. Es ist jedoch auch Hier 
möglich, auf die kinästhetischen Empfindungen zu verzichten, wenn 
auch die Konstitution dadurch wesentlich erschwert wird. Obwohl 
hierbei kein Sehfeld vorliegt, würde die Konstitution doch ebenso wie 
bei den früher besprochenen Arten der Ableitung zu einer zweidimen- 
sionalen Ordnung führen. (Davon überzeugen wir uns leicht, wenn wir 
an die Reihe von Blickpunktempfindungen denken, die wir bei unver- 
änderter Umwelt, aber bewegtem Auge haben.) 

128 



Es ist bemerkenswert, daß sich in allen F allen (wenn auch in ganz 92 
verschiedener Weise) zunächst eine zweidimensionale Ordnung 
ergibt, aus der dann erst später die dreidimensionale Ordnung 
konstituiert wird, die wir als die räumliche Ordnung der 
physischen Wirklichkeit aufzufassen pflegen. Ist die physische 
Wirklichkeit voll konstituiert, so können wir rückwärts die verschie- 
denen zweidimensionalen Ordnungen deuten und ihre Zweidimensionali- 
tät aus einer bestimmten Eigenschaft der physischen Wirklichkeit, 
wozu hier wesentlich auch die physiologischen Dinge und Vorgänge 
mitgehören, „erklären“. Daß das Sehfeld sich bei der ersten Ableitungs- 
art, also auf Grund der Lokalzeichen, als zweidimensional ergibt, wird 
dann aus der zweidimensionalen Ordnung der Netzhautorgane erklärt; 
für die Konstitution mit Hilfe der Augenbewegungen geht die Erklärung 
auf die Tatsache zurück, daß die Bewegung des Auges relativ zum Kopf 
zwei Freiheitsgrade hat. Nun haben wir zuletzt noch die Möglichkeit 
der Konstitution der zweidimensionalen Ordnung des Gesehenen auf 
Grund der Blickpunktempfindungen allein, ohne Verwertung der Augen- 
bewegungsempfindungen, gezeigt; und zwar hauptsächlich wegen der 
jetzt zu besprechenden Folgerung. Diese dritte Möglichkeit, bei der 
ja auch die Beziehungen der Lokalzeichen ausgeschaltet sind, beweist 
nämlich, daß weder in der Beschaffenheit der Netzhaut noch in der der 
Augenbewegungen der eigentliche Grund dafür liegt, daß sich die erste 
lokale Ordnung des Gesehenen als zweidimensional ergibt. Der Grund 
hierfür (immer vom Gesichtspunkt der fertig konstituierten, drei- 
dimensionalen, physischen Welt aus betrachtet) liegt vielmehr in der 
Tatsache, daß die auf einen Punkt treffenden Lichtstrahlen ein Strahlen- 
büschel zweiter Stufe bilden und daher zweidimensional geordnet sind. 
Dagegen ist die Beschaffenheit des Sehorgans sowohl in bezug auf die 
Anordnung der Nervenendigungen als auch in bezug auf die Art seiner 
Beweglichkeit zwar im Hinblick auf jene Tatsache als zweckmäßig 
zu bezeichnen, da sie die Erkennung der zweidimensionalen Ordnung* 
erleichtert; aber sie ist für die Konstitution dieser Ordnung nicht un- 
bedingt notwendig. 

93. Die „Empfindungen“ als individuelle Erlebnis- 
bestandteile 

Wir haben früher die Qualitätsklassen als Klassen von Elementar- 93 
erlebnissen konstituiert, die die Bestandteile der Elementarerlebnisse 
als Quasibestandteile repräsentieren. Gehören zwei Elementarerlebnisse 
zu derselben Qualitätsklasse, so sagen wir : die beiden Erlebnisse stim- 
men in einem bestimmten Bestandteil überein. Wollen wir die bei- 

129 


93 den gleichartigen Bestandteile der beiden Elementarerlebnisse unter- 
scheiden, so müssen wir sie nicht nur ihrer Qualität nach bezeichnen, 
sondern die Angabe des Elementarerlebnisses, zu dem sie gehören, 
hinzufugen. Erst ein so bezeichneter Bestandteil ist im eigentlichen 
Sinne ein individueller, streng einmaliger Bestandteil; wir wollen ihn 
im Unterschied zum nur der Qualität nach bestimmten Bestandteil, 
wie er in einer Qualitätsklasse repräsentiert wird, als „Empfindung“ 
bezeichnen. Dabei ist dieses Wort aber nur seiner Kürze wegen gewählt; 
(es bezieht sich nach dem früher Gesagten (§ 76, 85) auch auf die ein- 
fachen Gefühle). Formal zu definieren haben wir die Empfindung 
demgemäß als ein geordnetes Paar aus einem Elementarerlebnis und 
einer Qualitätsklasse, zu der das Erlebnis gehört; ( P die Qualität ist Be- 
standteil des Erlebnisses«* ; K das Erlebnis ist Element der Qualität*). 

Die Gleichzeitigkeit zwischen Erlebnisbestandteilen bezieht 
sich auf Empfindungen: zwei solche heißen „gleichzeitig“, wenn die 
Elementarerlebnisse, also die Vorderglieder der Paare, identisch sind. 
(Konstitution der Empfindungen und der Gleichzeitigkeit: § 116.) 

LITERATUR. Im Unterschied zu den Empfindungen, die zum Gegenstands- 
bereich der Psychologie gehören, gehören die Qualitäten zum Bereich der Phänomeno- 
logie oder der Gegenstandstheorie; dort werden sie als „Empfindungsgegen- 
stände“ bezeichnet: Meinong [Gegenstandsth.] 512, [Stellung] 8ff. 

Es ist zu beachten, daß in unserem Konstitutionssystem nicht die 
Qualitäten aus den Empfindungen (etwa als Klassen von solchen) kon- 
stituiert werden (wie es einer bestimmten positivistischen Auffassung 
entsprechen würde), sondern umgekehrt die Empfindungen aus den 
Qualitäten ; freilich diese Qualitäten dann (wie es im allgemeinen Sinne 
des Positivismus liegt), aus den Elementarerlebnissen. Daß die Emp- 
findungen aus den Qualitätsklassen konstituiert werden und nicht tim- 
gekehrt, ist eine Konsequenz unserer Grundauffassung, daß nämlich 
die Einzelbestandteile eines Erlebnisses nioht in dem Einzelerlebnis 
hervortreten, sondern erst durch Abstraktion gewonnen werden, und 
zwar durch Einfügung des Erlebnisses in Ordnungen, die die übrigen 
Erlebnisse mit umfassen. Ein einzelnes Erlebnis für sich ist un- 
zerlegbar; die Erlebnisse als viele sind vergleichbar und 
ordenbar, und erst durch ihre Ordnung ergeben sich die 
(Quasi-)Bestandteile der einzelnen. 

94. Ausblick auf weitere Ableitungen 

Wir haben nun für die wichtigsten Gegenstände der unteren Stufen 
die Ableitung gegeben, d. h. festgestellt, wie sie konstituiert werden 
können, also ihre „Gegenstandsform“ bestimmt. Dabei haben wir bisher 




130 


die Relation der Ähnlichkeitserinnerung als einzige Grundrelation ver- 94 
wendet. Wir wollen nun noch einen kurzen Blick auf die Ableitung 
einiger weiterer Gegenstände werfen und auch dabei besonders darauf 
achten, ob neue Grundrelationen erforderlich werden. 

Die Konstitution der dreidimensionalen räumlichen Ordnung aus 
der zweidimensionalen, des Sehraumes aus dem Sehfeld, bildet einen 
besonders wichtigen Schritt im Konstitutionssystem. Durch ihn werden 
zum ersten Male Dinge der „Wirklichkeit“ (im Sinne der „Außenwelt“) 
konstituiert. Im wirklichen Erkenntnisprozeß spielen dabei Tast- und 
Muskelempfindungen eine wichtige Rolle. Doch liegt auch hierbei 
wieder Überbes timmun g vor: die Konstitution kann auch allein mit 
Hilfe der Gesichtsempfindungen durchgeführt werden. Bei dieser Durch- 
führung zeigt sich, daß keine neue Grundrelation erforderlich ist. Die 
Ableitung soll hier nur kurz soweit angedeutet werden, daß ihre Durch- 
führbarkeit erkennbar wird. 

Die Gesichtsempfindungen (als individuelle Erlebnisbestandfeile) 
werden in einer eindimensionalen Reihe (Zeitreihe) von dreidimensio- 
nalen Gefügen (Räumen) so angeordnet, wie es aus der zeitlichen Reihe 
der räumlich geordneten Sehfelder (der einzelnen Erlebnisse) zu er- 
schließen ist, wenn angenommen wird, daß das Gesehene seine Be- 
schaffenheit in bezug auf Farbe, Gestalt und Lage beibehält, soweit 
nicht Änderungen entweder gesehen oder aus Analogie erschlossen 
werden. Genauer werden die Bestimmungen der Konstitution der 
Raum-Zeit-Weit später angegeben werden (§ 125— 127). Die „Seh- 
dinge“ ergeben sich dann durch gewisse, in bestimmter Weise zu- 
sammengehörige „Weltlinien" dieses vierdimensionalen Gefüges (§ 128). 

Es ist bemerkenswert, daß zur Konstitution der Sehdinge und des 
dreidimensionalen Raumes weder andere Sinne als der Gesichtssinn 
erforderlich sind, noch die Komponenten der Gesichtsqualitäten (Farb- 
ton, Sättigung, Helligkeit), die ja durch die bisherigen Ableitungen noch 
nicht von einander getrennt sind. Dieser Umstand bewirkt zwar keine 
Ersparung an Grundrelationen, aber er ermöglicht eine methodische 
Vereinfachung der Konstitution. 

Im wirklichen Erkenntnisprozeß pflegt die dreidimensionale Räum- 
lichkeit der Dinge anscheinend unmittelbar gegeben zu sein, wenigstens 
bei dem bis zur vollen Bewußtheit entwickelten Menschen. Es gibt 
jedoch Fälle, wo die Raumordnung Ergebnis einer Tätigkeit des Ein- 
ordnens ist, in denen sich also zeigt, daß die Konstitution keine bloße 
Fiktion ist, sondern eine rationalisierende Nachkonstruktion von wirk- 
lichem Geschehen. Bei der Raumordnung läßt sich das freilich nur 
zeigen, wenn die der Konstitution entsprechende Synthese im wirk- 


94 liehen Erkenntnisprozeß infolge besonderer Schwierigkeiten nicht so 
schnell und unbewußt vor sich geht, wie gewöhnlich. Das ist z. B. bei 
der Orientierung eines Blinden der Fall (vgl. die interessanten Auf- 
zeichnungen von Ahlmann [Opt. Vorst.]). 

An die genannten Konstitutionen werden dann die weiteren an- 
knüpfen. Unter den Sehdingen wird „mein Leib“ durch gewisse Be- 
stimmungen ausgezeichnet (§ 129). Mit seiner Hilfe können die anderen 
wichtigsten Sinne einzeln gekennzeichnet werden, nachdem bisher nur 
der Gesichtsinn herausgehoben war (§ 129, 131). Auch lassen sich die 
verschiedenen Komponenten (z. B. Qualität im engeren Sinne, Intensi- 
tät, Lokalzeichen) der in den Qualitätsklassen repräsentierten Quali- 
täten ableiten. So werden schließlich alle psychischen Gebilde des 
eigenpsychischen Gebietes, — nur um dieses, noch nicht um das fremd- 
psychische, handelt es sich ja bei den bisher besprochenen oder ange- 
deuteten Konstitutionen — , konstituiert, in Hauptgebiete eingeteilt 
(„Sinnesklassen“) und in ihren Komponenten erfaßt (§ 131 f.). Die 
Konstitution des Eigenpsychischen erfordert keine weiteren Grund- 
relationen. 

Durch Zuordnung von Qualitäten anderer Sinne zu den Sehdingen 
sind die „Wahrnehmungsdinge“ zu konstituieren (§ 133 f.); mit Hilfe 
der „Wahrnehmungswelt“ wird die „physikalische Welt“ konstituiert 
(§ 136). In solcher Weise läßt sich das ganze Gebiet der physischen 
Gegenstände konstituieren. 

Die Möglichkeit der Konstitution der fremdpsychischen Gegen- 
stände folgt aus den früheren Überlegungen über die Zurückführbarkeit 
dieser Gegenstände auf physische (§ 57, 58) ; die Möglichkeit der Kon- 
stitution der geistigen Gegenstände aus den Überlegungen über ihre 
Zurückführbarkeit auf psychische (§ 55, 56). Wir kommen später auf 
die Konstitution der fremdpsychischen Gegenstände (§ 140) und der 
geistigen Gegenstände (§ ryof.) zurück, ohne aber ihre genauen Gegen- 
standsformen anzugeben. Es wird jedoch erkennbar werden, daß auch 
für die Konstitution dieser Gegenstands arten keine neuen Grund- 
relationen erforderlich sind. 


132 



E. DIE DARSTELLUNGSFORMEN EINES 
KONSTITUTIONSSYSTEMS 

95. Die vier Sprachen 

Es ist zweckmäßig, die Darstellung eines Konstitutionssystems 95 
parallel in mehreren Ausdrucksweisen oder „Sprachen“ zu geben, um 
das Verständnis und die Nachprüfung zu erleichtern. Wir werden bei 
der Darstellung des Entwurfs unseres Konstitutionssystems im nächsten 
Abschnitt vier Sprachen an wenden, die sich teils nur formal von 
einander unterscheiden, teils aber auch dem Sinne nach. Mit dieser 
Verschiedenheit des Sinnes ist die Verschiedenheit der Vorstellungen 
gemeint, die sich je nach dem Gesichtspunkt mit der formalen, in bezug 
auf den Sinn neutralen Konstitutionsformel eines Gegenstandes ver- 
binden können. Es handelt sich also um Verschiedenheit des Sinnes 
(oder Erkenntnis wertes) bei gleichem logischen Wert (§ 50). 

Die Grundsprache des Konstitutionssystems ist die 
symbolische Sprache der Logistik. Sie allein gibt den eigent- 
lichen und genauen Ausdruck der Konstitutionen; die anderen 
Sprachen dienen nur als erleichternde Hilfssprachen. Indem 
folgenden Entwurf werden wir aber nur die Konstitutionen der unteren 
Stufen in dieser Sprache geben. Der Grund hierfür liegt nicht etwa 
darin, daß die Gegenstände höherer Arten besondere Schwierigkeiten 
für die Ausdrückbarkeit in dieser Sprache böten, sondern darin, daß 
das Problem der Konstitution der höheren Gegenstände selbst noch 
nicht genau gelöst ist und diese Konstitution daher nur in groben Zügen 
angegeben werden kann. Sobald die Konstitution irgendeines Gegen- 
standes inhaltlich genau bekannt ist, bietet die logistische Formulierung 
keine Schwierigkeiten mehr. Die logistische Grundsprache wird in 
§ 96 näher erörtert ; in § 97 werden die wichtigsten Zeichen erklärt. 

Die übrigen drei Sprachen geben nur Übersetzungen der logis tischen 
Grundsprache. Zunächst wird nach jeder konstitutionalen Definition 
eine einfache Übersetzung in Worttext gegeben (hierüber § 98). 
Dann folgt die Übersetzung in die realistische Sprache, wie sie in 
den Realwissenschaften üblich ist. Sie dient hauptsächlich zur leich- 
teren Erkennung der inhaltlichen Richtigkeit der Konstitution, zur 
Nachprüfung, ob durch die konstitutionale Definition tatsächlich der 

133 


95 gemeinte, bekannte Gegenstand getroffen wird (§ 98). Schließlich wird 
die Sprache einer fiktiven Konstruktion angewendet, die die 
Konstitutionen als Vorschriften für eine konstruktive Operation auf- 
faßt. Sie dient besonders zur leichteren, anschaulichen Erkennung der 
formalen Richtigkeit der Konstitutionen, zur Nachprüfung, ob jede 
konstitutionale Definition konstruktiv ist (d. h. nicht mehrdeutig, 
nicht leer und rein extensional) (§ 99, 101, 102). 

LITERATUR. Das Verhältnis zwischen verschiedenen Sprachen über den- 
selben Sachverhalt wird von Gätschenberger [Symbola] ausführlich behandelt. 
Seine Darstellungen können dazu dienen, das Verständnis der von uns angewendeten 
Mehrsprachigkeit zu erleichtern. Die Grundsprache unseres Konstitutionssystems 
stellt einen Entwurf der von G. geforderten Einheitssprache dar, die auch den von ihm 
geforderten Charakter eines Rechensymbolismus hat. Mit diesem Entwurf soll aber 
das Problem der Einheitssprache nicht etwa gelöst sein; sondern da3 Problem wird 
nur wie durch ein Beispiel deutlicher gemacht und die Methode zu seiner Lösung auf- 
gewiesen. 

96. Die symbolische Sprache der Logistik 

96 Die eigentliche Sprache des Konstitutionssystems ist die 
symbolische Sprache der Logistik. Die Konstitutionen der ein- 
zelnen Gegenstände (der unteren Stufen), sowie auch einige Aussagen 
(„Lehrsätze“) als Beispiele, werden also in „logistischer Fassung“ 
(.§ 46) gegeben. Für die Anwendung dieser symbolischen Sprache 
sprechen zwei Gründe. Zunächst muß ein konstituiertes Gebilde 
unbedingt unterschieden werden von dem ihm entsprechenden, be- 
kannten Gegenstand des täglichen Lebens oder der Wissenschaft. 
Diese Unterscheidung ist im vorigen Abschnitt schon als notwendig 
dargelegt und stellenweise durch unterscheidende Beizeichen deutlich 
gemacht worden (P-Zeichen, K-Zeichen, § 75). Wichtiger noch wird die 
Anwendung der Symbolik für die Erfüllung der zweiten Forderung : es 
muß nachgewiesen werden, daß alle Gegenstände auf die Grundgegen- 
stände zurückführbar sind, d. h. daß die Sätze über die weiteren Gegen- 
stände umformbar sind in Sätze, die nur die Bezeichnungen der Grund- 
gegenstände und logische Zeichen enthalten. Es leuchtet ein, daß der 
Wert eines Konstitutionssystems mit der Reinheit dieser Zurückfuhrung 
steht und fällt, genau wie der Wert der aromatischen Darstellung einer 
Theorie mit der Reinheit der Ableitung der Lehrsätze aus den Axiomen. 
Die Reinheit der Zurückführung kann nun am besten durch die An- 
wendung einer geeigneten Symbolik gesichert werden. Bei Anwendung 
der Wortsprache ohne besondere Symbolik würde diese Reinheit nur 
gewährleistet sein, wenn es ein wortsprachlich ausgedrücktes System 
der Begriffe der Logistik gäbe, insbesondere der Relationstheorie als 


134 


des für das Konstitutionssystem wichtigsten Zweiges der Logistik. Ein 96 
solches Wortsystem liegt nicht vor ; und es darf sogar bezweifelt werden, 
ob man jemals ein solches aufstellen wird, da sich jedem, der mit der 
Relationstheorie zu tun hat, die Vorzüge der symbolischen Behandlung 
zu stark aufdrängen. Es sind dieselben Vorzüge, die in der Mathematik 
die Anwendung der Symbolik gegenüber einem Verfahren hat, bei dem 
man alle mathematischen Gleichungen und Operationen in Wortsprache 
ausdrücken würde. 

Das System der Konstitutionen muß aber nicht nur „rein“ sein 
(d. h. frei von imvermerkt sich einschleichenden, fremden Begriffs- 
elementen), sondern auch formal einwandfrei. Damit eine konstitu- 
tionale Definition ihre Gegenstand-konstituierende Funktion erfüllt, 
darf sie weder mehrdeutig noch leer sein, d. h. sie muß nicht mehr als 
einen, aber auch mindestens einen Gegenstand (im allgemeinsten Sinne, 
einschließlich der Quasigegenstände, also entweder ein Individuum 
oder eine Klasse oder eine Relation) bezeichnen. Bei sprachlicher 
Formulierung der Definitionen ist diese Forderung (und auch die mit 
ihr zusammenhängende, später bei der Erörterung der Konstruktions- 
sprache aufzustellende Forderung der „Konstruktivität“ der Konstitu- 
tionen, § 102), nur schwer zu erfüllen, dagegen leicht und sozusagen 
automatisch bei Anwendung einer geeigneten Symbolik, z. B. bei An- 
wendung der logistischen Formen für Einführung von Klassen oder 
Relationen und für eindeutige Kennzeichnungen von Individuen. Daß 
durch diese Formen Eindeutigkeit und logische Existenz gewährleistet 
sind, ist aus der Logistik bekannt; denn die Formen sind im Hinblick 
auf diese geforderten Eigenschaften geschaffen. 

97. Erklärung einiger logistischer Zeichen 

Die Kenntnis der Logistik ist nicht Vorbedingung für das 97 
Verständnis der Konstitutionstheorie, und auch nicht für das 
Verständnis des später folgenden Entwurfs eines Konstitutionssystems, 
da alle dort aufgestellten logistischen Formeln auch in Wortumschrei- 
bung übersetzt werden. Doch soll hier' die Bedeutung der später ver- 
wendeten logistischen Zeichen kurz angegeben werden, soweit sie nicht 
schon früher erklärt worden sind. 

LITERATUR. Eine ausführlichere Darstellung der Logistik: Caraap [Logistik]. 
Weitere Literaturangaben s. § 3. 

Erklärung logistischer Zeichen. 

Kons t ante : Klassen mit kleinem, Relationen mit großem Anfangs- 
buchstaben. 



135 


97 Variable: Klassen a, Relationen P, Q, R, . . allgemein 

x, y, z. 

Aussagen: ~ Negation, d Implikation; ein oder mehrere Punkte: 
Und-Verbindung (oder auch Ersatz für Klammern). = (oder I) Iden- 
tität. = 01 Defini tionszeichen . 

Aussagefunktionen (§ 28): Ist fx eine Aussagefunktion, so be- 
deutet: (x) . fx „fx gilt für alle x“; (3 x) . fx „es gibt ein x, für das fx 
gilt“. 

Klassen (§ 33): a n ß Durchschnitt; a u ß Vereinigung; a c ß 
Subsumtion ; a — ß Restklasse, et Fr ß „a und ß sind elementefremd“. 
3 ! a „a ist nicht leer“ ; [x] oder t‘x die Klasse, deren einziges Element x 
ist. Ist x eine Klasse von Klassen: s‘« die Vereinigung der «-Klassen. 
Jede Klasse a hat eine Kardinalzahl Nc‘a (§ 40); für die Zahlen gelten 
die üblichen Zeichen, z. B. >, / (Bruchstrich). 

Relationen (§ 34, 11): Q,R seien Relationen, n , u , c wie bei den 

Klassen (der Einfachheit halber hier ohne Punkt). R‘x: die R-Vorder- 
glieder von x. Rj N a, R\)ß: die Relation, die aus R durch Beschränkung 
des Nachbereiches auf a bzw. des Feldes auf ß entsteht. a\ß\ die Rela- 
tion, die jedes a-Element zu jedem /?- Element hat. x|y: die Relation, 
deren einziges Paar x, y ist. 

as, sym, refi: die Klasse der asymmetrischen, bzw. der symmetri- 
schen, bzw. der reflexiven Relationen. 

Quasianalyse (§ 71, 73): Sim‘R: die Klasse der Ähnlichkeits kreise 
in bezug auf R; Aeq‘R: die Klasse der Abstraktionsklassen in bezug 
auf R. Topologie : Dzp(n, a, x, U) : a hat im Element x die Dimen- 
sionszahl n in bezug auf die Umgebungsrelation U. Umgr‘Q: die 
durch die (Nachbarschafts-) Relation Q bestimmte Umgebungsrelation, 
n Dzhomum Q : das Feld von Q hat die homogene Dimensionszahl n 
in bezug auf Umgr‘Q, 

98. Die Umschreibung in Wortsprache und die realistische 

Sprache 

98 Zu jeder symbolischen Konstitutionsformet werden wir eine Um- 
schreibung in Worten geben. Diese Umschreibung ist aber nicht als 
strenge Fassung der Konstitution anzusehen. Sie hat den Zweck, den 
Sinn der Formel leichter verständlich, wenn auch weniger genau, an- 
zugeben. Jede der beiden folgenden Sprachen dagegen gibt einen neuen 
Sinn für jede Konstitution. 

Während die Umschreibung in Wortsprache bei Anwendung der 
früheren Bezeichnungsweise (§ 75) in K-Zeichen eingeschlossen werden 

136 


müßte, entspricht die realistische Sprache den früher durch P- 98 
Zeichen bezeichneten Ausdrücken. Bei jeder Konstitution werden wir 
den ihr zugrundeliegenden Sachverhalt in realistischer Sprache 
angeben. 

Die Einführung eines neuen Zeichens durch eine konstitutionale 
Definition hat nicht nur den ökonomischen Wert, daß das konstituierte 
Gebilde in Aussagen und weiteren Konstitutionen mit dem einfachen 
Zeichen an Stelle des zusammengesetzten, konstituierenden Ausdruckes 
bezeichnet werden kann, sondern außerdem soll das konstituierte Ge- 
bilde als rationale Nachkonstruktion eines in täglichem Leben oder 
Wissenschaft schon in gemischt intuitiv-rationaler Weise konstituierten 
Gebildes hingestellt werden; dessen Name leitet deshalb die Wahl des 
Zeichens. Die Definition enthält demnach auch eine Behauptung, 
nämlich die, daß ein gewisser bekannter Gegenstand sich seinem ratio- 
nalen Begriffe nach aus den und den Grundbegriffen in der und der 
Form ableiten läßt. Allerdings ist zuweilen nicht leicht zu erkennen, 
daß ein konstituiertes Gebilde tatsächlich einem bestimmten, bekannteh 
Gegenstände entspricht. Denn die schematischen Konstitutionsformen 
erscheinen zunächst fremdartig; fällt es doch anfangs auch schwer, in 
einer Landkarte das schematische Abbild- der Landschaft zu erkennen. 

Die Erkennung dieser Übereinstimmung wird durch die Übersetzung 
der Konstitution eines Gegenstandes in die realistische Sprache er- 
leichtert. Denn diese Übersetzung spricht den Sachverhalt aus, daß 
dem gemeinten Gegenstände und nur ihm gewisse Eigenschaften als 
unterscheidende Kennzeichen zu ko mm en. 

99. Die Sprache der fiktiven Konstruktion 

Die einzelnen Konstitutionen werden noch in eine vierte Sprache 99 
übersetzt, in die Sprache einer fiktiven Konstruktion. Hier 
werden die konstitutionalen Definitionen nicht als Namen- 
gebung (wie in der ersten und zweiten Sprache) oder als Kennzeichnung 
bekannter Gegenstände (wie in der dritten Sprache) aufgefaßt, sondern 
als Operationsvorschriften für ein konstruktives Verfahren. 
Wenn einige zweckdienliche Fiktionen eingeführt werden, die sogleich 
genauer angegeben werden sollen, so lassen sich die Konstitutionen ge- 
wissermaßen als handgreifliche Vorgänge ausdrücken; und so wird die 
Übersetzung der Konstitutionen in diese Sprache am besten dem Be- 
dürfnis nach Anschaulichkeit gerecht; diese Anschaulichkeit erleichtert 
nicht nur das Verständnis, sondern hat auch einen heuristischen Wert. 
Während die realistische Übersetzung den Aufbau durch ständige 
Fühlung mit den Tatsachen der Wissenschaft inhaltlich lenkt, wirkt 


137 


99 die Konstruktionssprache mehr in formaler Hinsicht regulierend. Sie 
schaltet eine etwa versuchte Konstitution, die den neuen Gegenstand 
mit den alten nicht rein formal verknüpft, schon in den vorbereitenden 
Überlegungen sozusagen automatisch aus, indem eine solche Konstitu- 
tion sich gar nicht konstruktiv aussprechen läßt, d. h. in Form einer 
Vorschrift zur Aufstellung einer Bestandsliste. 

Die zweckmäßigen Fiktionen ergeben sich aus dem Zweck der 
Konstitutionen als rationaler Nachkonstruktionen der Gegenstands- 
erkenntnis. Und zwar soll diese Nachkonstruktion die formale Struktur 
der Gegenstandsbildung wiedergeben. Dazu werden wir zunächst die 
Fiktion der zeitlichen Trennung der Verarbeitung des Erkenntnis- 
materials vom Erleben der unverarbeiteten Inhalte einführen, danach 
die Fiktion der Festhaltbarkeit des Gegebenen (§ ioi). Als Rahmen- 
fiktion nehmen wir an, daß wir die Aufgabe haben, einem bestimmten 
Subjekt, das wir mit A bezeichnen wollen, die Operationen Schritt für 
Schritt vorzuschreiben, durch die A zur Konstruktion gewisser Schemata 
(der „Bestandslisten“) gelangt, die den einzelnen, zu konstituierenden 
Gegenständen entsprechen (§ 102). Läßt sich eine konstitutionale 
Definition in eine solche Operationsvorschrift übersetzen, so sind wir 
sicher, daß die Konstitution rein extensional ist, wie es die Konstitu- 
tionstheorie von jeder Konstitution verlangt. 

Die Voraussetzungen und die Methode der Konstruktionssprache 
sollen im Folgenden (§ 100 — 102) genauer dargelegt werden. Es sei 
betont, daß das Konstitutionssystem selbst nichts mit den 
Fiktionen zu tun hat; sie beziehen sich nur auf die vierte Sprache, 
und diese dient nur dem didaktischen Zweck der Illustration. 

100. Die Konstitution als rationale Nachkonstruktioni 

100 Das „Gegebene“ liegt im Bewußtsein niemals als bloßes, unver- 
arbeitetes Material vor, sondern immer schon in mehr oder weniger ver- 
wickelten Bindungen und Gestaltungen. Die Erkenntnissynthese, die 
Verarbeitung des Gegebenen zu Gebilden, zu Vorstellungen der Dinge, 
der „Wirklichkeit“, geschieht meist unabsichtlich, nicht nach bewußtem 
Verfahren. 

BEISPIEL. Beim Anschauen eines Hauses wird dieses unmittelbar und intuitiv 
als körperlicher Gegenstand wahrgenommen, seine nicht wahrgenommene Rückseite 
wird mitgedacht, seine Fortexistenz beim Wegblicken wird gedacht, es wird das be- 
stimmte, bekannte Haus in ihm wiedererkannt usw., meist ohne daß dabei Schluß- 
ketten in ausdrücklichem Denken vollzogen würden. 

Auch in der Wissenschaft geschieht die Verarbeitung, Gegenstands- 
bildung und Erkennung meist intuitiv und nicht in der rationalen Form 
logischer Schlüsse. 

138 


BEISPIEL. Der Botaniker vollzieht in der Wahrnehmung ohne bewußte Denk- 100 
tätigkeit die Gegenstandsbildung einer einzelnen Pflanze als eines physischen Dinges 
und auch meist intuitiv die Erke nnung dieses Dinges als Pflanze von der und der Art. 

Daß diese Erkenntnissynthese, nämlich die Gegenstandsbildung 
nnd die Erkennung oder Einordnung in Arten, intuitiv geschieht, hat 
den Vorzug der. Leichtigkeit, Schnelligkeit und Evidenz. Aber die 
intuitive Erkennung (z. B. der Pflanze) kann nur deshalb für weitere 
wissenschaftliche Verarbeitung verwertet werden, weil es möglich ist, 
die Kennzeichen (der betreffenden Pflanzenart) auch ausdrücklich an- 
zugeben, mit der Wahrnehmung zu vergleichen und so die Intuition 
rational zu rechtfertigen. 

Das Konstitutionssystem ist eine rationale Nachkon- 
struktion des gesamten, in der Erkenntnis vorwiegend intuitiv 
vollzogenen Aufbaues der Wirklichkeit. Der Botaniker muß sich 
bei der Nachkonstruktion der Erkennung der Pflanze fragen: was war 
in der erlebten Wiedererkennung das eigentlich Gesehene, und was war 
daran die apperzeptive Verarbeitung?; aber er kann doch diese beiden 
im Ergebnis vereinten Komponenten nur durch Abstraktion trennen. 

So muß die Konstitutionstheorie in der rationalen Nachkonstruktion, 
nicht für den einzelnen Fall, sondern für den gesamten Bewußtseins- 
verlauf, durch eine Abstraktion die Trennung zwischen dem reinen 
Gegebenen und der Verarbeitung machen. 

101. Die Fiktionen der Trennung und der Festhaltbarkeit 

des Gegebenen 

Für die zur Ver ans chaulichung der Konstitutionen dienende, vierte 101 
Sprache, die der „fiktiven Konstruktion“, wollten wir die An- 
nahme machen, wir müßten einem Subjekt A Operationsvorschriften 
geben, wie es das Gegebene zu Gegenständen verarbeiten solle. Die so- 
eben besprochene Notwendigkeit für die Konstitutionstheorie, in der 
Abstraktion eine Trennung zwischen dem reinen Gegebenen und den 
synthetischen Komponenten, also den Konstitutionsformen, zu machen, 
drückt sich im Rahmen dieser Annahme durch die Fiktion der zeit- 
lichen Trennung des Gegebenen von der Verarbeitung aus: 

A nimmt während des ersten Teiles seines Lebens nur Gegebenes auf, 
ohne es zu verarbeiten, und verarbeitet dann das aufbewahrte Material 
im zweiten Teil seines Lebens gemäß den von uns zu gebenden Vor- 
schriften, ohne während dieses Teiles weiteres Gegebenes aufzunehmen. 

Die einzige fiktive Annahme über das Erleben, also den Inhalt des 
ersten Lebensteiles des A, ist diese Herauslösung aller synthetischen 
Momente. Die weiteren Fiktionen beziehen sich nur auf den zweiten 


139 


ioi Lebensteil; es werden da dem A bestimmte Fähigkeiten zugeschiieben 
werden, damit er die Verarbeitung überhaupt vornehmen kann, schließ- 
lich ihm auch bestimmte Kenntnisse abgesprochen, damit die Ver- 
arbeitung sich nur innerhalb des durch die konstitutionale Methode be- 
stimmten Rahmens bewegen kann. Die Abtrennung des synthetischen 
Momentes, also auch aller Denk Vorgänge, aus den Erlebnissen denken 
wir uns nur hier zum Zwecke der erleichternden Sprache der fiktiven 
Konstruktion. Bei der eigentlichen Konstitution müssen selbstver- 
ständlich alle Inhalte, die wirklich in den Erlebnissen Vorkommen, auch 
konstitutiv zum Vorschein kommen : auch die Denkakte müssen kon- 
stituiert werden, vgl. § 85. 

Damit wir die angegebene Fiktion der Trennung anwenden können, 
müssen wir die weitere fiktive Annahme machen, daß das erlebte Ge- 
gebene nicht vergessen werde, sondern von A im Gedächtnis bewahrt 
oder protokolliert werde, da sonst für die Verarbeitung im zweiten 
Lebensteil kein Material vorhanden wäre. Diese Fiktion der Fest- 
haltbarkeit des Gegebenen weicht nach verschiedenen Seiten von 
der Wirklichkeit ab. Zunächst wird im wirklichen Leben vieles ver- 
gessen ; dann aber wird gewöhnlich nicht das unverarbeitete Gegebene 
im Gedächtnis behalten, sondern Verarbeitetes hoher Stufe, z. B. 
physische oder fremdpsychische Gegenstände. 

Bei der Konstitution kommt es nicht darauf an, den Erkenntnispro- 
zeß in allen Teilen nachzubilden. Sondern es werden, wie bei der Unter- 
suchung des Problems der Grundrelationen schon erklärt worden ist, 
von den zwischen dem Erlebten bestehenden Beziehungen nur soviele 
als gegeben angesetzt, wie erforderlich sind, um grundsätzlich aus ihnen 
die Wirklichkeit konstituieren zu können. „Grundsätzlich“, das soll 
heißen : abgesehen davon, ob für die Konstitution defc einzelnen Gegen- 
standes viel oder wenig Material erforderlich ist. Jede Konstitution 
ist gewissermaßen so zu verstehen: „dieser Gegenstand ist in der 
und der Weise aus Gegebenem konstituierbar, vorausgesetzt, daß 
Gegebenes in genügender Menge vorliegt.“ Dieser Sinn der Kon- 
stitution ist es, der in der Konstruktionssprache durch die genannte 
Fiktion zum Ausdruck ko mm en soll, daß A von dem Gegebenen nichts 
vergißt. 

Zu der Fiktion von der Festhaltbarkeit des Gegebenen gehört auch 
noch die Annahme, daß jedes Element des Gegebenen, also jedes 
Elementarerlebnis als ein identisches festgehalten wird, so daß 
es bei der Verarbeitung mehr als einmal aufgegriffen und dabei jedesmal 
als dasselbe festgestellt werden kann. In der Fiktion können wir das 
etwa dadurch ausdrücken, daß die einzelnen Elementarerlebnisse mit 


140 


willkürlichen, aber beständigen Merkzeichen versehen, also etwa num- 101 
meriert sind (in beliebiger Ordnung). 

102. Die Fiktion der Grundrelationslisten 

Wir überlegten früher (§ 75), daß die Konstitutions theorie als Aus- 102 
gangsmaterial für das Konstitutionssystem nicht eine Eigenschafts- 
beschreibung, sondern lediglich eine Relationsbeschreibung über die 
Elementarerlebnisse annehmen darf, und zwar die Relationsbeschrei- 
bung in bezug auf die Grundrelationen des Konstitutionssystems. In 
der Sprache der Konstruktion drückt sich diese Auffassung darin aus, 
daß A von den im ersten Lebensteil durchlebten Elementarerlebnissen 
nicht etwa die Beschaffenheit im einzelnen für die Verarbeitung be- 
halten oder protokollieren darf, sondern nur die Relationsbeschreibung 
in bezug auf die Grundrelationen, also die „Bestandsliste“ einer 
jeden Grundrelation als Liste der Nummernpaare derjenigen 
Elementarerlebnisse, zwischen denen die betreffende Grundrelation 
besteht, in unserem Konstitutionssystem also nur die Paarliste der 
einen Grundrelation Er. Konstitutionen von unzulässiger (nämlich 
nicht rein „konstruktiver“ oder „extensionaler“) Form lassen sich nicht 
als Opera tionsvorschriften ausdrücken ; darin liegt der regulative Wert 
der genannten Fiktion. 

Das Konstitutionssystem ist eine rationale Nachkonstruktion eines 
in seinen Ergebnissen schon bekannten Erkenntnisprozesses. Dem- 
gemäß fügen wir in die Fiktion der Konstruktionssprache die Annahme 
ein, daß zwar nicht A, wohl aber wir, die wir ihm das Verfahren vör- 
scnreiben sollen, die volle Wirklichkeit kennen. Nur aus dieser Kenntnis 
heraus wissen wir, welche Konstitutionsschritte auf jeder Stufe zweck- 
mäßig sind und zu was für einem Gebilde ein jeder führt, auch ohne zu 
wissen, wie die Erlebnisse gerade des A beschaffen sind. Wir gestalten 
deshalb die Fiktion so aus, daß uns der Beziehungssinn der Grund- 
relation(en) bekannt ist, damit wir von ihr (ihnen) aus den A zu den von 
uns gemeinten Gebilden führen können ; die Grundrelationsliste(n) des 
A dagegen sind uns nicht bekannt ; diese Fiktion zwingt uns, die Kon- 
stitutionen als Operationsvorschriften unabhängig vom individuellen 
Subjekt zu formulieren. Dem A dagegen ist (sind) nur die Relations- 
liste(n) bekannt, nicht der Sinn der Grundrelation(en). 

Die Zweckmäßigkeit der eingeführten Fiktionen ist nun 
deutlich geworden. Sie dienen zur leichteren Beachtung und Nach- 
prüfung der begrifflichen Reinheit der Operations Vorschriften und damit 
der konstitutionalen Definitionen. Es ist imbedingt erforderlich, daß 
diese Reinheit streng gewahrt wird, sei es mit Hilfe solcher Fiktionen 

| 141 


102 oder sonstwie. Allzu häufig findet sich in den philosophischen Erörte- 
rungen, die es irgendwie mit Konstitution zu tun haben, gerade dieser 
Fehler der Überschreitung der Grenzen dessen, was in der Angabe einer 
Gegenstandskonstitution Vorkommen darf. 

Die Übersetzung einer jeden Konstitution in die Konstruktions- 
sprache hat also die Form einer Vorschrift, nach der A an Hand seiner 
Bestandsliste der Grundrelation(en) Schritt für Schritt die Bestands- 
liste eines jeden konstituierten Gegenstandes aufstellt. Wird 
ein Gegenstand als Klasse konstituiert, so führt die Bestandsliste die 
Elemente der Klasse auf; bei einer Relation die Gliederpaare. Alle 
konstituierten Gebilde werden von A mit individuellen, aber beliebigen 
Merkzeichen, etwa Nummern, versehen, um in weiteren Listen genannt 
werden zu können. Nach jeder Aufstellung einer neuen Bestandsliste 
soll A die „Rückübertragung“ vornehmen. Für jeden Gegenstand 
legt nämlich A außer der Bestandsliste, die mit einem Male end- 
gültig aufgestellt wird, noch eine „Gegenstandsbeschreibung“ an, 
die durch Rückübertragung aus den späteren Konstitutionen dauernd 
erweitert wird. Die Rückübertragung der Bestandsliste einer Klasse 
besteht darin, daß in der Gegenstandsbeschreibung eines jeden ihrer 
Elemente die Zugehörigkeit zu dieser Klasse vermerkt wird; Beispiele 
hierfür haben wir schon bei der Quasianalyse besprochen, wo gewisse 
Kassen ihren Elementen als Quasibestandteile zugeschrieben wurden. 
Die Rückübertragung der Bestandsliste einer Relation besteht darin, 
daß in der Gegenstandsbeschreibung eines jeden ihrer Glieder vermerkt 
wird, zu welchen anderen Gliedern es diese Relation hat und welche 
anderen zu ihm. Bestandsliste und Gegenstandsbeschreibung 
eines Gegenstandes in der Konstruktionssprache entsprechen dem, was 
in der realistischen Sprache als Kennzeichnung und Be- 
schreibung eines Gegenstandes unterschieden wird: die Kenn- 
zeichnung gibt nur notwendige und hinreichende Merkmale an für die 
Feststellung, daß gerade dieser Gegenstand vorliegt, die Beschreibung 
nennt dann alle weiteren festgestellten Eigenschaften und Beziehungen 
des Gegenstandes. Wie die Aufstellung der Bestandslisten und der 
Gegenstandsbeschreibungen vor sich geht, wird in der späteren An- 
wendung deutlich (Abschn. IV A, § io 8 ff., jeweils unter dem Stichwort 
„fiktive Konstruktion“). 

Ist es nun stets möglich, die konstitutionale Definition zu übersetzen 
in eine solche Operationsvorschrift zur Aufstellung der Bestandsliste 
eines neuen Gebildes aus den Bestandslisten der Grundrelation(en) und 
der vorher schon konstituierten Gebilde? Diese Forderung der 
„Konstruktivität“ der Konstitutionen ist bei Verwendung der 


142 



logistischen Sprache leicht zu erfüllen : die konstitutionalen Definitionen 102 
müssen die Form von Extensionsdefinitionen haben. Aus der logischen 
Theorie der Extensionen folgt, daß die Bestandsliste eines neu defi- 
nierten Begriffes aufstellbar ist, wenn dieser Begriff als Extension 
(Klasse oder Relation) definiert ist und wenn die Bestandslisten der in 
der Definition genannten anderen Begriffe bekannt sind. (Über den 
Begriff der Extension vgl. § 32; über die extensionale Methode der 
Konstitution vgl. § 43, 45.) 

103. Über die allgemeinen Regeln der Konstitution 
(§ 103 —105 überschlagbar) 

Systemform und Gegenstandsformen des Konstitutionssystems sind 103 
empirisch bestimmt ; d. h. diese Formen richten sich nach der Wirklich- 
keit und den einzelnen Gegenständen, die als erfahrungsbekannt voraus- 
gesetzt werden. Nun muß es aber von irgend etwas, und zwar von 
formalen Eigenschaften, abhängen, daß bei bestimmter empirischer 
Situation einer Stufe gerade in der und der Weise oder in den und den 
Weisen weitergegangen wird und nicht anders, und zwar sowohl im 
wirklichen Erke nntni sprozeß als auch entsprechend im Konstitutions- 
system als seiner Nachkonstruktion. Jeder Konstitutionsschritt 
läßt sich demgemäß auffassen als Anwendung einer allgemeinen, 
formalen Regel auf die empirische Situation der vorliegenden 
S tufe. Unter dieser Situation sind die zwar formalen, aber sich doch 
erst aus der Empirie ergebenden Eigenschaften der schon konstituierten 
Gebilde zu verstehen, z. B. ob eine konstituierte Relation sich ihrem 
empirischen Befunde nach als transitiv herausstellt oder nicht und dgl., 
oder ob zwei Klassen sich teilweise decken oder nicht und dgl. Dabei 
ist aber die formale Regel selbst nicht empirisch, insofern als sie eine 
Implikation darstellt, die nicht nur für eine besondere Stufe, sondern 
für jede Stelle des Konstitutionssystems gilt. 

Diese allgemeinen Regeln können insofern als Regeln apriori be- 
zeichnet werden, als die Konstitution und die Erkenntnis der Gegen- 
stände logisch auf ihnen beruht. Zum Bewußtsein bringen können wir 
uns die Regeln aber erst auf Grund einer vorliegenden, schon geformten, 
konstituierten Erfahrung durch Abstraktion. Da die Konstitutionen 
der einzelnen Gegenstände zumeist nur erst ungenau bekannt sind (das 
später dargelegte Konstitutionssystem gibt sie nur für die unteren 
Stufen und auch da nur versuchsweise an, während sie für die weiteren 
Stufen nur angedeutet werden), so sind wir auch noch nicht imstande, 
diese Abstraktion vorzunehmen. Die Regeln sind aber nicht als „Er- 
kenntnis apriori“ zu bezeichnen, denn sie stellen nicht Erkenntnisse, 


143 


103 sondern Festsetzungen dar. Im wirklichen Erkenntnisverlauf ge- 
schehen diese Festsetzungen unbewußt. Selbst im wissenschaftlichen 
Verfahren werden sie selten bewußt gemacht und ausgesprochen. 

104. Versuch der Aufstellung einiger Konstitutionsregeln 

104 Ein System der allgemeinen (d. h. für eine beliebige Stufe geltenden) 
Konstitutionsregeln kann aus den angegebenen Gründen noch nicht 
aufgestellt werden. Doch seien wenigstens versuchsweise einige solche 
Regeln aufgestellt, um zu zeigen, was unter den „allgemeinen Regeln“ 
verstanden werden soll und wie sie etwa aussehen würden. Die Auf- 
stellung soll nur den Charakter eines versuchsweisen Beispiels haben. 
(Über die relationstheoretischen Bezeichnungen s. §11, 34.) 

1. Liegt irgendeine Relation vor (gleichviel, ob Grundrelation oder konstituierte 
Relation beliebiger Stufe), so wird ihr Vorbereich, ihr Nachbereich und (wenn möglich, 
nämlich bei einer homogenen Relation) ihr Feld konstituiert. (Diese Regel wird später 
angewendet bei der Konstitution von erl , § 109.) 

Der Zweck der Regeln 2 — 7 besteht in der Ermöglichung der Quasianalyse 
gemäß Regel 8 und 95 die Regeln bilden eine vollständige Disjunktion aller Fälle 
von homogenen Relationen. (Zur Anwendung der Quasianalyse ist nach § 71 Sym- 
metrie und Reflexivität der Relation erforderlich ; für die einfachste Form nach § 73 
außerdem Transitivität.) 

2. Liegt eine homogene Relation P vor, die nicht symmetrisch und nicht reflexiv 
ist, so konstituieren wir die Relation Q als Vereinigung von P, seiner Konversen und 
P,°. Q ist dann symmetrisch und reflexiv, so daß Regel 7, 8 oder 9 anwendbar wird. 
(Diese Regel wird angewendet bei der Konstitutiom von Ae , § 110.) 

3. Liegt eine nicht symmetrische, reflexive Relation P vor, so konstituieren wir Q 
als Vereinigung von P und seiner Konversen. Q ist dann symmetrisch und reflexiv, 
so daß Regel 7, 8 oder 9 anwendbar wird. 

4. Liegt eine symmetrische, nicht reflexive, nicht transitive Relation P vor, deren 
Kette (Potenzrelation) trivial wird, d. h. für alle Paare ihres Feldes gilt, so konsti- 
tuieren wir Q als Vereinigung von P und P°. Q ist dann symmetrisch, reflexiv, nicht 
transitiv, so daß Regel 7 oder 8 anwendbar wird. 

5. Liegt eine symmetrische, nicht reflexive, nicht transitive Relation P vor, deren 
Kette nicht trivial wird (vgl. R. 4), so konstituieren wir Q als Kette (einschl. Identität) 
von P. Q ist dann symmetrisch, reflexiv und transitiv, so daß Regel 9 anwendbar 
wird. (Wird angewendet für Glfarb , § 118.) 

6. Liegt eine symmetrische, nicht reflexive, transitive Relation P vor, so kon- 
stituieren wir Q als Vereinigung von P und P°. Q ist dann symmetrisch, reflexiv, und 
transitiv, so daß Regel 9 anwendbar wird, 

7. Liegt eine symmetrische, reflexive, nicht transitive Relation P vor, deren Kette 
nicht trivial wird (vgl. R. 4), so konstituieren wir Q als Kette von P. Q ist dann 
symmetrisch, reflexiv und transitiv, so daß Regel 9 anwendbar wird. (Angewendet 
für sinn, § 115.) 

8. Liegt eine symmetrische, reflexive, nicht transitive Relation Q vor, deren 
Kette trivial wird (vgl. R. 4), so wenden wir die Quasi an alyse (gemäß § 71) auf Q 
an, d. h. wir konstituieren die Klasse der Ähnhchkeitskreise von Q. (Angewendet für 
ähnl , § in; stelle, §117.) 



9. Liegt eine symmetrische, reflexive, transitive Relation Q vor, so wenden wir 
die Quasianalyse (in der einfachsten Form, gemäß § 73) auf Q an, d. h. wir konsti- 
tuieren die Klasse der Abstraktionsklassen von Q. (Angewendet für sinn , zerleg! , 
färbe, § 115, 116, 118.) 

10. Überdecken sich die Ähnlichkeitskreise von Q, die sich durch die Quasianalyse 
nach Regel 8 oder 9 ergeben, nicht oder nur wenig gegenseitig, so fassen wir sie als 
Quasibestandteile ihrer Elemente auf. 

11. Überdecken sich dagegen die Ähnlichkeitskreise von Q in beträchtlichem 
Maße und in systematischer Ordnung, so bestimmen wir die Quasibestandteile, indem 
wir die größtmöglichen Teilklassen der Ähnlichkeitskreise von Q konstituieren, die 
durch deren Überschneidungen (von kleinen Abspaltungen abgesehen) nicht zerteilt 
werden (vgl. § 72). (Angewendet für quäl , § 112.) 

12. Gibt es unter den Quasibestandteilen, die auf Grund von Q gemäß Regel 10 
oder 11 gebildet sind, Paare derart, daß alle Elemente des Vordergliedes des Paares 
zu allen des Hintergliedes in der Relation Q stehen, so konstituieren wir die durch diese 
Paare bestimmte Relation S als Nachbarschaftsrelation zwischen den Quasibestand- 
teilen. (Angewendet für Aq, § 114.) 

13. Auf Grund der nach Regel 12 konstituierten Relation S teilen wir die Quasi- 
bestandteile in zusammenhängende Gebiete ein, indem wir die Abstraktionsklasscn 
der S-Kette konstituieren. (Angewendet für sinn , § 115.) 

14. Auf Grund von S (nach R. 12) bestimmen wir die Eigenschaften der Ordnung 
der Quasibestandteile innerhalb eines jeden der zusammenhängenden Gebiete (nach 
R. 13), insbesondere die Dimensionszahl. 

15. Hat die Ordnung eines der Gebiete (nach R. 14) bestimmte allgemeine Eigen- 
schaften (z. B. Dimensionszahl), die von denen aller anderen Gebiete abweichen, so 
wird dieses Gebiet durch eine konstitutionale Definition herausgehoben. (Angewendet 
für gesicht , § 115.) 

105. Das Problem der Deduktion der Konstitutionsregeln 

Es erhebt sich die Frage, ob die allgemeinen Konstitutionsregeln, 105 
für die wir versuchsweise einige Beispiele genannt haben, sich vielleicht 
aus einem obersten Prinzip herleiten lassen, und wie dieses Prinzip 
lautet. Die Frage kann hier, wo nicht einmal die allgemeinen Regeln 
selbst aufgestellt sind, nicht beantwortet, sondern nur gestellt werden. 
Auch nur die Existenz eines solchen obersten Prinzips kann nicht mit 
Sicherheit behauptet werden. 

Der Weg zur Bestimmung des Prinzips der Konstitution ist in ge- 
wisser Hinsicht analog dem der Bestimmung einer einzigen Weltformel 
für das physikalische Geschehen. In beiden Fällen ist zunächst induktiv 
von der Erfahrung auszugehen. Und zwar sind hier aus den einzelnen 
Schritten der Konstitution, die sich im Konstitutionssystem finden, 
allgemeine Regeln solcher Schritte zu abstrahieren, etwa die der ge- 
nannten Beispiele. Ferner muß versucht werden, Gruppen solcher 
Regeln unter allgemeinere Regeln zusammenzufassen (etwa die Regeln 
2 —7 der Beispiele in eine allgemeinere Regel von der ungefähren Form: 


144 


145 


2Q5 eine homogene Relation ist in möglichs t einfacher Weise so umzuformen, 
daß die Quasianalyse auf sie anwendbar wird), bis sich schließlich eine 
einzige, allgemeinste Regel ergibt. Und wie in der Physik ans der Welt- 
formel, wenn sie schon bekannt wäre, die einzelnen Naturgesetze ohne 
Bezugnahme auf die Erfahrung deduktiv abgeleitet werden könnten, 
so würde auch die Deduktion aller allgemeinen Konstitutions- 
regeln aus dem obersten Prinzip der Konstitution ohne Bezug- 
nahme auf die Erfahrung, d. h. auf die konkreten Konstitutionen im 
Konstitutionssystem, möglich sein. Hier wie dort ist das oberste Prinzip 
nicht bekannt, sondern bildet zunächst nur ein Richtungsziel für die 
Forschung, dessen Erreichbarkeit noch nicht einmal feststeht. Wie in 
einem deduktiven System der Physik die einzelnen formal deduzierten 
Gesetze und Stabilitätsformen dann mit empirisch bekannten Natur- 
gesetzen und Gegenstands arten, z. B. den chemischen Elementen, 
identifiziert werden würden, so würden in einem deduktiven Konstitu- 
tionssystem die einzelnen, formal deduzierten Gebilde mit den einzelnen, 
empirisch bekannten Gegenständen (Dingen, Eigenschaften, Bezie- 
hungen, Vorgängen) identifiziert werden. 

Wäre das oberste Konstitutionsprinzip schon bekannt, so bestände 
eine weitere Aufgabe darin, zu ergründen, wie es sich aus dem Sinn der 
Erkenntnis, genauer: aus der Leistung des Erkennens für den 
umfassenderen Zweckzusammenhang des Lebens als notwen- 
dig verstehen läßt, daß die Formung der Erlebnisse zu Gegenständen 
gerade in der Weise geschieht, wie sie sich im Konstitutionssystem dar- 
stelit, in den allgemeinen Konstitutionsregeln zum Ausdruck kommt 
und schließlich im obersten Konstitutionsprinzip im konzentriertesten 
Sinne zusammengefaßt ist. Dieses teleologische Problem der Er- 
kenntnisformung kann bei dem gegenwärtigen Stand der Erkenntnis 
höchstens in bestimmten Teüfragen, nicht aber als Ganzes in Angriff 
genommen werden. Solche Teilfragen betreffen z. B. die auf den 
höheren Konstitutionsstufen zur Geltung kommenden Tendenzen der 
Suöstantiaüsierang und Kausierung. Hier soll auf dieses Problem nicht 
weiter eingegangea werden* 



IV. ENTWURF EINES KONSTITUTIONSSYSTEMS 

A. DIE UNTEREN STUFEN: 

EIGENPSYCHISCHE GEGENSTÄNDE 

106. Über Form, Inhalt und Zweck des Entwurfs 
Im Folgenden soll das Konstitutionssystem in seinen unteren 106 
Stufen versuchsweise angegeben werden (Teil A), in den weiteren 
Stufen nur durch einige Andeutungen Umrissen werden (Teil B undC). 

Im großen und ganzen umfaßt Teil A etwa die eigenpsychischen, Teil B 
die physischen, Teil C die fremdpsychischen und geistigen Gegenstände. 

Die angewendeten Konstitutionsformen entsprechen den Er- 
gebnissen der vorhergegangenen Untersuchungen (Abschn. III): als 
S tufenfor men sind gemäß Teil III A Klasse und Relation verwendet ; 
die Systemform ist die mit .eigenpsychischer Basis gemäß Teil III B; 
als Grundelemente sind die Elementarerlebnisse genommen gemäß 
Teil III Ci, als einzige Grundrelation die Ähnlichkeitserinnerung 
gemäß Teil IIIC 2 ; die Gegenstandsförmen der untersten Stufen 
entsprechen den Ableitungen in Teil III C 2 und III D. 

Die Form der Darstellung ergibt sich aus dem im letzten Teil 
(III E) Entwickelten. Insbesondere wird die einzelne Konstitution je- 
weils zuerst als Definition in der logistischen Grundsprache gegeben 
(unter dem Stichwort „Konstitution“); dann folgen die Übersetzungen 
in die drei Hüfssprachen : Wortumschreibung, realistische Sprache, 
Konstruktionssprache (unter den Stichworten „Umschreibung“, „rea- 
listischer Sachverhalt“, „fiktive Konstruktion“); ferner Aussagen über 
die konstituierten Gebilde und Erläuterungen. 

Die Aussagen oder „Lehrsätze“ eines Konstitutionssystems zer- 
fallen in zwei verschiedene Arten. (Als Beispiele für Lehrsätze sind ge- 
geben: L 1 —6 in § 108, 110, 114, 117, 118.) Die Lehrsätze erster Art 
können allem aus den Definitionen deduziert werden (unter Voraus- 
setzung der Axiome der Logik, ohne deren Verwendung überhaupt 
keine Deduktion möglich ist). Wir nennen sie „analytische“ Lehr- 
sätze. Die Lehrsätze zweiter Art geben dagegen eine nur durch Er- 
fahrung festzustellende Beziehung zwischen konstituierten Gegen- 
ständen an. Wir nennen sie „empirische“ Lehrsätze. Umgeformt in 


147 


10 6 Aussagen über die Grundrelation(en), ergibt ein analytischer Lehrsatz 
eine Tautologie; ein empirischer gibt empirische, formale Eigenschaften 
der Grundrelation(en) an. In realistischer Sprache : die analytischen 
Lehrsätze sind tautologische Aussagen über Begriffe (wenn auch, ebenso 
wie bei den mathematischen Lehrsätzen, die Tautologie erst durch Um- 
formung zum Vorschein kommt, also keine Trivialität vorzuliegen 
braucht); die empirischen Lehrsätze drücken einen erfahrungsmäßig 
erkannten Sachverhalt aus. 

LITERATUR. In Kantischer Ausdrucksweise sind die analytischen Lehrsätze 
analytische Urteile a priori, die empirischen Lehrsätze synthetische Urteile a posteriori. 
Die für die Problemstellung der Kantischen Erkenntnistheorie grundlegenden „syn- 
thetischen Urteile a priori“ kommen nach der Auffassung der Konstitutionstheorie 
überhaupt nicht vor. 

Was den Inhalt des dargestellteü Konstitutionssystems betrifft, 
so sei wiederholt ausdrücklich betont, daß es sich nur tim einen bei- 
spielsweisen Versuch handeln kann. Der Inhalt ist von den inhalt- 
lichen Ergebnissen der Realwissenschaften, und zwar für die unteren 
Stufen insbesondere der Phänomenologie der Wahrnehmungen und der 
Psychologie, abhängig. Da die Ergebnisse dieser Wissenschaften selbst 
noch umstritten sind, so kann für ihre Übersetzung in die Sprache eines 
Konstitutionssystems nicht durchgängige inhaltliche Richtigkeit ge- 
währleistet werden. Unsere Darstellung der Konstitutions- 
theorie hat ihren eigentlichenZweckin der Stellung der Auf- 
gabeeines Konstitutionssystems und in der logischen Unter- 
suchung der zu einem solchen System führenden Methode, 
nicht in der Aufstellung des Systems selbst. Daß nun doch 
wenigstens einige Stufen des Systems hier durchgeführt und weitere 
Stufen angedeutet werden, geschieht mehr in der Absicht, durch dieses 
Beispiel die Aufgabe zu illustrieren, als den Beginn ihrer Lösung zu 
versuchen. 

107. Die logischen und die mathematischen Gegenstände 

107 Noch vor der Einführung der Grundrelation(en) müssen die logi- 
schen Gegenstände oder Gegenstände der reinen Logistik kon- 
stituiert werden ; durch Einführung der Grundbegriffe irgendeines 
Sachgebietes, z. B. der Gründrelation(en) des Konstitutionssystems, 
wird dann aus der reinen die angewandte Logistik, insbesondere Rela- 
tionstheorie. Das System der reinen Logistik braucht hier nicht aus- 
führlich dargestellt zu werden. 

LITERATUR. Dieses System ist von Russell und Whitehead [Princ, Math.J 
vollständig aufgebaut worden, und zwar einschließlich der mathematischen Gegen- 

148 



stände. Vgl. die Literaturangaben über Logistik in § 3 und die Erklärung logistischer 107 
Zeichen in § 97. 

Als Grundbegriffe sind erforderlich: die Unvereinbarkeit zweier 
Aussagen und die Gültigkeit einer Aussagefunktion für alle Argumente. 

Aus den Grundbegriffen werden zunächst die weiteren Verknüpfungen 
zweier Aussagen und die Negation als die ersten logischen Gegenstände 
konstituiert; ferner Identität und Existenz. Dann werden die Klassen 
mit ihren Verknüpfungen und die Relationen mit ihren Verknüpfungen 
eingeführt, und weiterhin alle Gegenstände der allgemeinen Relations- 
theorie. (Über die Selbständigkeit der logischen Gegenstände gegenüber 
den psychischen und den physischen Gegenständen vgl. § 25.) 

Die Mathematik bildet einen Zweig der Logistik, d. h. sie erfordert 
keine neuen Grundbegriffe. Der Aufbau des Systems der mathemati- 
schen Gegenstände braucht hier nicht dargestellt zu werden; es sei 
nur an seine Hauptstufen erinnert. 

Auf Grund der logischen Gegenstände werden zunächst die arith- 
metischen Gegenstände konstituiert: die Kardinalzahlen (vgl. §40); 
dann die (mathematisch weniger benutzten) allgemeinen Relations- 
zahlen (oder „Strukturen“, vgl. §11) und als besondere Art von diesen 
die Ordinalzahlen; zu jeder Zahlart ihre Verknüpfungen; ferner die 
(allgemeinen) Reihen; die rationalen Zahlen, die reellen Zahlen, die 
Vektoren usw. 

Auch die geometrischen Gegenstände sind rein logische Gegen- 
stände, d. h. innerhalb des Systems der Logistik mit den angegebenen 
Grundbegriffen konstituierbar. Unter „Geometrie“ ist hier die rein- 
mathematische, abstrakte Geometrie zu verstehen, die nicht vom 
Raum im eigentlichen Sinne dieses Wortes handelt, sondern von ge- 
wissen mehrdimensionalen Ordnungsgefügen, die auch „Raum“, ge- 
nauer: „abstrakter Raum“, genannt werden. Die anschaulichen, 
phänomenal-räumlichen Gebilde bilden ein besonderes Sachgebiet; sie 
gehören zu den Realgegenständen und können daher erst später, nach 
Einführung der Grundrelation(en) des Konstitutionssystems, konsti- 
tuiert werden (§125). 

LITERATUR. Die Ableitbarkeit der geometrischen Begriffe aus der 
Logistik ist nachgewiesen durch die Untersuchungen von Pieri, Peano, Huntington, 
Russell, Veblen u. a. Eine zusammenfassende Darstellung mit Liter aturangaben gibt 
Couturat [Prinz.] Kap. VI; vgl. auch die Beispiele geometrischer Systeme in Carnap 
[Logistik]. Bd. IV der [Princ. Math.] von Whitehead und Russell, der die Ableitung 
der Geometrie aus der Logistik ausführlich darstellen soll, ist noch nicht erschienen. 

Über den Unterschied zwischen dem nur so genannten „Raum“ der reinen 
Relationstheorie und dem eigentlichen Raum der Anschauung: Carnap [Raum] (dort 
auch Literaturangaben hierzu, S. 78ff-). Der logische Sinn der abstrakten Geometrie 


149 


IOJ a ^ s einer bloßen Theorieform (Theoriefunktion, „doctrmal funcrion“) wird von 
Keyser [Math. Phil.] ausführlich dargestellt; vgl. auch Weyl [Handb.]. 

Es ist wichtig, zu beachten, daß die logischen und mathemati- 
schen Gegenstände nicht eigentliche Gegenstände im Sinne 
der Realgegenstände (der Objekte der Realwissenschaften) sind. Die 
Logik (einschl. der Mathematik) besteht nur aus konven- 
tionellen Festsetzungen über den Gebrauch von Zeichen und aus 
Tautologien auf Grund dieser Festsetzungen. Die Zeichen der Logik 
(und Mathematik) bezeichnen daher nicht Gegenstände, sondern dienen 
nur zur symbolischen Festlegung jener Festsetzungen. Gegenstände 
dagegen im Sinne der Realgegenstände (wozu auch die Quasigegen- 
stände gehören) sind nur die Grundrelation(en) und die daraus weiter 
konstituierten Gegenstände. Zum Unterschied von den „Variabein“ 
(§ 28) heißen alle Zeichen, die eine bestimmte Bedeutung haben, 
„Konstante“; die „logischen Konstanten“ sind die Zeichen für 
logische Gegenstände, die „nichtlogischen Konstanten“ sind 
Zeichen für Realgegenstände (Begriffe eines Sachgebietes). 

108. Die Grundrelation (Er) 

108 Grundrelation: Er 

Umschreibung: „Ähnlichkeitserinnerung“ (s. § 78). 

Realistischer Sachverhalt: x und y sind Elementarerlebnisse, 
die durch Vergleich einer Erinnerungsvorstellung von x mit y als teil- 
ähnlich erkannt sind, d. h. als in einem Erlebnisbestandteil annähernd 
übereinstimmend (§ 78). 

Fiktive Konstruktion: A hat als einziges Material für die Be- 
arbeitung die „Grundrelationsliste“, die Bestandsliste von Er. 
Diese Liste enthält Paare von Relationsgliedern, jedes Glied bezeichnet 
durch ein willkürliches, aber eindeutiges Zeichen (Nummer) (s. § 102). 
Diese Liste ist nur dem A, nicht uns bekannt. Andererseits ist wohl uns, 
nicht aber dem A der Sinn der Grundbeziehung bekannt (wie er in 
§ 78 angegeben ist). Ohne diesen .S inn zu kennen, kann A aus seiner 
Grundrelationsliste, also empirisch, den nachstehenden Lehrsatz L 1 
feststellen ; dieser drückt aus, daß kein Paar mit beiden Anordnungen 
der Glieder (a,b und b,a) in der Liste vorkommt. Für die Glieder der 
Grundrelation legt A je eine „Gegenstandsbeschreibung“ an. 
Diese werden später inhaltsreicher; einstweilen vermerkt A nur ah 
Hand seiner Grundrelationsliste in einer jeden solchen Gegenstands- 
beschreibung eines Gliedes, zu welchen Gliedern es in der Grund- 
relation steht und welche zu ihm. Dieser Auswertung der Grund- 
relationsliste für die Gegenstandsbeschreibungen der Glieder ent- 


150 


sprechen später bei den konstituierten Gegenständen die „Rück- 108 
Übertragungen“. 

Lehrsatz: L 1. Er e as (empirisch). 

Umschreibung: Er ist asymmetrisch. 

109. Die Grundelemente (erl) 

Konstitution: erl=DfC‘Er 109 

Umschreibung:Die Er-Glieder heißen,, Elementarerlebnisse“. 
Realistischer Sachverhalt: Die Ähnlichkeitserinnerung be- 
steht zwischen Elementarerlebnissen; diese sind damit, als Glieder der 
Grundbeziehung, die Grundelemente (§ 67). 

Fiktive Konstruktion: A stellt die Bestandsliste der Klasse 
erl auf als Nummemliste aller Glieder, die in der Grundrelationsliste 
Vorkommen. Die Rückübertragung ist hier einigermaßen trivial, 
da A unterschiedslos für jedes Element in seine vorher (§ 108) aufge- 
stellte Gegenstandsbeschreibung den Vermerk einträgt, daß es zur 
Klasse erl gehört. 

110. Die Teilähnlichkeit (Ae) 

Konstitution: Ae~ D f Er u Eru Er 0 110 

Umschreibung: Zwei Elementarerlebnisse x und y heißen „teil- 
ähnlich“, wenn entweder zwischen x und y oder zwischen y 
und x die Relation Er besteht, oder x und y identische Er-Glieder 
sind. 

Realistischer Sachverhalt: Wenn zwischen den Elementar- 
erlebnissen x und y eine Ähnlichkeitserinnerung besteht, so ist ein Be- 
standteil von x einem von y ähnlich und ein Bestandteil von y einem 
von x (s. § 78, 77). 

Fiktive Konstruktion: Asteilt die Bestandsliste der Relation 
Ae auf, indem er alle Paare der Er-Liste in sie einträgt, ferner auch die 
umgekehrten Paare (d. h. außer a, b stets auch b, a) und schließlich alle 
Identitätspaare von Gliedern der Liste (a, a; b, b; usw.). Die Rück- 
übertragung besteht hier darin, daß A in jeder der früher (§ 108) 
aufgestellten Gegenstandsbeschreibungen eines Er-Giiedes (also eines 
Elementarerlebnisses) an Hand der Ae-Liste vermerkt, zu welchen 
anderen es in der Relation Ae steht. 

Während A die empirischen L ehr s ätze an Hand seiner Listen fest- 
stellt, folgen die analytischen aus den Definitionen, bedürfen also 
einer Bestätigung durch die Bestandslisten nicht. Z. B. folgen L 2 und 3 
unmittelbar aus der Konstitution von Ae. 

151 




m 


no Lehrsätze: L 2. Ae e sym (analytisch). 

L 3. Ae £ refl (analytisch). 

Umschreibungen: Ae ist symmetrisch; Ae ist reflexiv. 

in. Die Ähnlichkeitskreise (ähnl) 

hi Konstitution: ähnl = Dt Sim‘Ae 

Umschreibung: Die (durch Quasianalyse gebildeten) Ähn- 
lichkeitskreise in bezug auf Ae heißen kurzweg „Ähnl ich keits- 
kreise“ 

Erläuterung: Die gegebene Konstitution besteht in der Anwen- 
dung der Quasianalyse (§ 71) «mf Ae gemäß der Ableitung in § 80. 
Nach L 2, 3 hat Ae die hierfür erforderlichen Eigenschaften der 
Symmetrie und Reflexivität. 

Realistischer Sachverhalt: Bestimmen wir in irgendeinem 
Qualitätengebiet eine größtmögliche Klasse von Qualitäten, die alle 
einander benachbart sind, und danach die Klasse der Elementar- 
erlebnisse, in denen diese Qualitäten Vorkommen, so sind zwei beliebige 
dieser Elementarerlebnisse einander teilähnlich und kein Elementar- 
erlebnis außerhalb ist allen diesen teilähnlich (s. § 80). 

Fiktive Konstruktion: A soll für alle Klassen von Elementar- 
erlebnissen, die Ahnlichkeits kreise in bezug auf Ae sind, die Bestands- 
liste aufstellen. Zu diesem Zwecke bestimmt A zunächst alle Klassen 
von unter einander teil ähnlichen Elementarerlebnissen; er fängt dazu 
mit den Einzelklassen der Elementarerlebnisse an, die wegen der 
Reflexivität von Ae schon zu jenen Klassen gehören, bildet dann die 
Zweierklassen, indem er die Paare der Relationsliste von Ae nimmt, 
dann die Dreierklassen usf. Schließlich streicht er aus der Liste dieser 
Klassen alle, die in einer anderen als Teilklasse enthalten sind. Die 
übrigbleibenden Klassen sind die gesuchten Ahnlichkeits kreise. A num- 
meriert die gefundenen Klassen, um sie weiterhin einzeln anführen zu 
können (diese Nummerierung hat nichts mit der der Elementarer- 
lebnisse zu tun). In die Bestandslis te der Klasse „ähnl“ trägt er alle 
diese Klassen numm ern ein; in die Bestandsliste einer jeden ge- 
fundenen Klasse die Nummern der zu ihr gehörenden Elementar- 
erlebnisse. Rüc küb er tr agung der Ahnlichkeitskreise : in der Gegen- 
standsbeschreibung eines jeden Elementarerlebnisses vermerkt A, zu 
welchen Ahnlichkeits kreisen (bezeichnet durch die neu eingeführten 
Nummern) es gehört. 



112. Die Qualitätsklassen (quäl) 

Konstitution: quäl = Dta {(y) : yeähnl.Nc l (an.}') / Nc‘ct> V a . D, 112 
ac y : . (x) : x~ea , D . (3 5) . <5 e ähnl , ac <5. x—ed} 

Umschreibung: Eine Klasse k von Elementarerlebnissen heißt 
eine „Qualitätsklasse“, wenn k in jedem Ahnlichkeitskreis, in dem 
k mindestens zur Hälfte enthalten ist, ganz enthalten ist, und wenn es 
für jedes Elementarerlebnis x, das nicht zu k gehört, einen Ahnlichkeits- 
kreis gibt, in dem k enthalten ist, zu dem x aber nicht gehört. (Gemäß 
der Ableitung in § 81.) 

Realistischer Sachverhalt: Die Klassen von Elementarer- 
lebnissen, die einen bestimmten Bestandteil gemein haben, sind die 
größten Klassen, die bei der Zerteilung der Ähnlichkeitskreise durch 
gegenseitige teilweise Überdeckung unzerteilt bleiben, abgesehen von 
der Abspaltung geringfügiger Teile (vgl. §81). 

(Bei der Übersetzung aus der konstitutionalen in die realistische 
Sprache muß der schon mehrfach erörterte Umstand beachtet werden, 
daß eine Klasse nicht aus ihren Elementen besteht (§ 37). Eine Quali- 
tätsklasse ist nicht das Ganze oder die Kollektion der einzel- 
nen Erlebnisse, die zu ihr gehören; sondern sie ist einQuasigegenstand, 
der das ihren Elementen, also den Elementarerlebnissen, Gemeinsame 
repräsentiert.) 

Fiktive Konstruktion: A stellt für jedes Paar von Ähnlichkeits- 
kreisen, die einen beträchtlichen Teil (mindestens die Hälfte des einen) 
mit einander gemein haben, die gemeinsame Teilklasse und die beiden 
Restklassen auf. Die sich so ergebenden Klassen werden wieder, wenn 
sie einen beträchtlichen Teil mit irgendeinem Ähnlichkeitskreise gemein 
haben, dadurch zerlegt, usf., bis die Klassen erreicht sind, die durch 
keinen Ähnlichkeitskreis mehr in der angegebenen Weise zerteilt werden. 


152 


1 12 jeder Gegenstand, sofern überhaupt mit Sinn von ihm wissenschaftliche 
Aussagen gemacht werden können, konstituiert werden kann. Diese 
These wird in der Konstruktionssprache dadurch bestätigt, daß wir 
dem A die genannten Kennzeichnungen später angeben können. 

Die Bestandsliste der Klasse „quäl“ führt alle den einzelnen 
Qualitätsklassen gegebenen Nummern auf. Die Rückübertragung 
aus den Bestandslisten der einzelnen Qualitätsklassen geschieht da- 
durch, daß A in der Gegenstandsbeschreibung eines jeden Elementar- 
erlebnisses vermerkt, zu welchen Qualitätsklassen es gehört. 

ii 3. Die Teilgleichheit (Gl) 

113 Konstitution: Gl= Dfßl s qual| e 

Umschreibung: Zwei Elementarerlebnisse heißen „teilgleich“, 
wenn es eine Qualitätsklasse gibt, zu der beide gehören. 

Realistischer Sachverhalt: (Trivial.) Gibt es für zwei Elemen- 
tarerlebnisse eine Qualität, die in beiden vorkommt, so stimmen sie 
in einem Bestandteil überein. (Vgl. § 7 6, 82.) 

Fiktive Konstruktion: Die Übersetzung in die Konstruktions- 
sprache ist hier und weiterhin im allgemeinen nicht mehr nötig; 
die vorher gegebenen Beispiele dürften genügen. Die Methode bleibt 
dieselbe : A bekommt von uns eine Vorschrift, auf Grund deren er die 
Bestandsliste des neuen Gegenstandes aufstellt; dann nimmt er die 
Rückübertragung für die an dem neuen Gegenstand beteiligten alten 
Gegenstände vor, wodurch deren Gegenstandsbeschreibungen imm er 
weiter bereichert werden. 

114. Die Ähnlichkeit zwischen Qualitäten (Aq) 

114 Konstitution: Aq = Df aß{a, /Sequal „ a f ßc Ae} 

Umschreibung: Zwei Qualitätsklassen heißen „ähnlich“, wenn 

jedes Element der einen jedem der anderen teilähnlich ist. 

Realistischer Sachverhalt: Aus dem Sinn der Teilähnlich- 
keit folgt, daß dann und nur dann, wenn zwei Qualitäten ähnlich, 
d. h. qualitativ benachbart sind, jedes Erlebnis, in dem die eine vor- 
kommt, jedem, in dem die andere vorkommt, teilähnlich ist (§ 77, 85). 

Fiktive Konstruktion: Die Rückübertragung von Aq geschieht 
in die hiermit anfangenden Gegenstandsbeschreibungen der einzelnen 
Qualitätsklassen. 

Lehrsatz: L 4. Aqesymnrefl (analytisch). 

Umschreibung: Aq ist symmetrisch und reflexiv. 


154 



115. Die Sinnes klassen und der Gesichtssinn 
(sinn, gesicht) 

Konstitution: sinn = di Aeq‘Aq po 115 

Umschreibung: Die Abstraktionsklassen der Aq-Kette heißen 
„Sinnes klassen“. 

Erläuterung: Die Konstitution geschieht durch Quasianalyse 
(einfachster Form, § 73). Die Aq-Kette ist transitiv, ferner nach L 4 
symmetrisch, und reflexiv. 

Eine Rückübersetzung der Definition von sinn in einen Ausdruck 
in Er wird in § 1 19 gegeben, die Ableitungsrelation von sinn in § 121. 

Realistischer Sachverhalt: Zwei Qualitäten können dann und 
nur dann durch eine Reihe von Qualitäten, die stets nur von einer 
Qualität zu einer ähnlichen fortschreitet, verbunden werden, wenn sie 
demselben Sinnesgebiet angehören (§ 85). 

Fiktive Konstruktion: Wenn A die Bestandsliste der Klasse 
sinn , deren Elemente die Sinnesklassen sind, aufgestellt hat, so wissen 
wir, daß eine dieser Sinnesklassen die der Gesichtsqualitäten ist, eine 
andere die der Gerüche, u.s.f., auch eine die der Gefühle (vgl. § 76, 85) ; 
aber wir können dem A zunächst noch nicht angeben, welche es sind. 

A wiederum darf uns nicht die Bestandslisten der einzelnen angeben. 

So werden im Rahmen unserer Fiktionen die engen Grenzen deutlich, 
innerhalb deren die Aufgabe der Heraushebung der einzelnen 
Sinnesgebiete oder wenigstens des für die weiteren Konstitutionen 
grundlegenden Gesichtssinnes gelöst werden muß. 

Konstitution: gesicht = di« {( 3 A) .Aesinn.Dzp (Ö.A.a.Umgr'Aq)} 

Umschreibung: Die Klasse „gesicht“ (der „Gesichtssinn“) 
umfaßt diejenigen Qualitätsklassen, in denen eine Sinnesklasse die 
Dimensionszahl 5 in bezug auf Aq hat (genauer : in bezug auf die durch 
Aq bestimmte Umgebungsrelation; vgl. Carnap [Logistik] § 34b). 

Realistischer Sachverhalt: Das Sehfeld ist eine zweidimensio- 
nale Ordnung von Stellen, jeder der Stellen kann eine der Farben des 
dreidimensionalen Farbkörpers zugeordnet werden. Die Aq-Ordnung 
der anderen Sinne ist von kleinerer Dimensionszahl (vgl. § 86). 

11 6. Die Empfindungen (emp) und die Zerlegungen 
eines Elementarerlebnisses 

Konstitution: emp = Df Ö{(3 «) rusqual .xea. Q= x \ a} 116 

Umschreibung: Ein (geordnetes) Paar aus einem Elementar- 
erlebnis und einer Qualitätsklasse, zu der das Erlebnis gehört, heißt 
eine „Empfindung“. (Über diesen Ausdruck vgl. § 93.) 


155 


n6 Realistischer Sachverhalt: Vgl. § 93. 

Konstitution: Glzt= Df (DjD)|)emp 

Umschreibung: Zwei emp-Paare mit demselben Vorderglied 
heißen „gleichzeitige“ Empfindungen. 

Realistischer Sachverhalt: Zwei individuelle Erlebnisbestand- 
teile („Empfindungen") sind gleichzeitig, wenn sie Bestandteile des- 
selben Erlebnisses sind (vgl. § 87). 

Die Zerlegungen: Gemäß einer früheren Überlegung (§ 93) 
haben wir zu unterscheiden zwischen individuellen und generellen 
Erlebnisbestandteilen (emp bzw. quäl). Bezeichnen wir eine Klasse, 
die die Bestandteile eines Elementarerlebnisses umfaßt, als seine „Zer- 
legungsklasse“, so haben wir dementsprechend zwei Arten von Zer- 
legungsklassen zu unterscheiden, die wir mit zerleg, und zerleg» 
bezeichnen. 

Konstitution: zerleg 1 = D f Aeq'Gizt 

Umschreibung: Die Abstraktionsklassen in bezug auf Glzt hei- 
ßen „Zerlegungskiass en erster Art“. Eine solche ist somit die 
Klasse der Empfindungen eines Elementarerlebnisses. 

Realistischer Sachverhalt: Die mit einer Emp fin dung gleich- 
zeitigen Empfindungen (in dem allgemeinen Sinne der individ uell en 
Erlebnisbestandteile) sind die Empfindungen desselben Erlebnisses. 

Konstitutionen: Zerleg 2 = Df A x {x e erl . X = a[ae quäl . x e a)} 
zerleg 2 = Df D‘Zerleg 2 

Umschreibungen: Die Klasse X derjenigen Qualitätsklassen, zu 
denen das Elementarerlebnis x gehört, heißt „die Zerlegungsklasse 
zweiter Art von x“ (A — Zerleg 2 ‘x); eine solche Klasse heißt eine 
„Zerlegungsklasse zweiter Art“. 

117. Die Sehfeldstellen und das Sehfeld 
(stelle, Glstell, Nbst) 

117 Konstitutionen: Fre = D f (Fr u l)|) gesicht 

stelle = Df £ {3 1 x : (3 A) . A e Sim'Fre . x = X — s* (Sim‘Fre — [A])} 

Umschreibungen: Fre bezeichnet (nur hier, zur Abkürzung) die 
Relation „fremd oder identisch“ zwischen Qualitätsklassen des Ge- 
sichtssinnes. Eine Klasse von Qualitätsklassen des Gesichtssinnes heißt 
eine „Sehfeldstelle“ oder kurz „Stelle“, wenn sie nicht leer ist und 
diejenigen Elemente eines Ahnlichkeitskreises X von Fre umfaßt, 
die nur zu A, nicht zu einem der anderen Ahnlichkeitskreise von Fre 
gehören. 

Realistischer Sachverhalt: s. § 88. (Die hier konstituierten 
Stellen bedeuten nicht unbedingt eine vollständige Einteilung der 

156 



Gesichtssinnqualitäten. Nach den früheren Überlegungen bleibt mög- 117 
Iicherweise für einige Ausnahmequalitäten die Stellenzugehörigkeit 
unbestimmt.) 

Konstitution: Glstell = Df stelle |e 

Umschreibung: Qualitätsklassen des Gesichtssinnes heißen 

„gleichstellig“, wenn sie zu derselben Stellenklasse gehören. 

Konstitution: Nbst = di (e j Aq | e) |) stelle 

Umschreibung: Stellenklassen heißen „Nachbarsteilen“ von 
einander, wenn eine Qualitätsklasse der einen einer der anderen ähn- 
lich ist. 

Realistischer Sachverhalt: Zwei Gesichtsqualitäten sind dann 
und nur dann einander ähnlich, wenn sie zu derselben oder zu benach- 
barten Sehfeldstellen gehören (vgl. § 89). 

Bemerkung: Die Nbst-Ordnung ist das Sehfeld. 

Lehrsatz: L 5. 2 Dzhomum Nbst (empirisch). 

Umschreibung: Die Ordnung der Stellen auf Grund von Nbst 
(genauer: auf Grund der durch Nbst bestimmten Umgebungsrela- 
tion) hat die homogene Dimensionszahl zwei; d. h.: das Sehfeld ist 
zweidimensional. 

Fiktive Konstruktion zu L 5: A kann auf Grund der von ihm 
aufgestellten Bestandsliste von Nbst die Dimensionszahl der Nbst- 
Ordnung bestimmen ; (in dieser Möglichkeit zeigt sich besonders deut- 
lich die Tatsache, daß die Dimensionszahl nicht eine räumliche, son- 
dern eine rein relationstheoretische Eigenschaft ist, die rein extensional 
definiert ist). A findet $0 diese Dimensionszahl empirisch gleich 
zwei. 

118. Die Farben und der Farbkörper 
(Glfarbnb, Glfarb, färbe, Nbfarb) 

Konstitutionen: Glfarbnb = D f a js{(3 *. X, /u) m x Nbst A Nbst jw. 

ANbstjU.aex.ßeA./zn Aq‘a— fx n Aq*/S} 
Glfarb = Df Glfarbnbpo 

Umschreibungen: 1. Zwei Qualitätsklassen a, ß (des Gesichts- 118 
sinnes) stehen in der Beziehung der „Gleichfarbigkeit an Nach- 
barstellen“ (a Glfarbnb ß), wenn die Stelle von a und die Stelle von 
ß Nachbarstellen sind und es eine Stelle (/u) gibt, die eine Nachbar- 
stelle der Stelle von a und der von ß ist und deren mit a ähnliche Quali- 
tätsklassen dieselben sind wie ihre mit ß ähnlichen Qualitätsklassen. 

2. Die Glfarbnb-Kette heißt „Gleichfarbigkeit“ (Glfarb). 

Realistischer Sachverhalt: s. § 90. 


157 


n8 Konstitutionen: färbe ~ D f Aeq'Glfarb 

Nbfarb = di fr | Aq | e) |) färbe 

Umschreibungen: i. Die Abstraktionsklassen von Glfarb hei- 
ßen „Farbklassen“ oder kurz „Farben“. 2, Zwei Farben heißen 
„Nachbarfarben“, wenn eine Qualitätsklasse der einen einer der 
anderen ähnlich ist. 

Bemerkungen: Die Konstitution von Nbfarb ist genau analog 
der von Nbst (§ 117). Es besteht überhaupt eine gewisse Analogie 
zwischen der Einteilung der Gesichtsqualitätsklassen in Stellen und 
ihrer Einteilung in Farben, und damit eine Korrelation zwischen 
stelle und färbe , zwischen Glstell und Glfarb , zwischen Nbst und 
Nbfarb. Aber die Konstitutionsformeln zeigen nur für das dritte dieser 
Korrelationspaare eine Analogie, nicht für die beiden ersten. Das liegt 
daran, daß die Relation Glstell aus der Klasse stelle (§ 117), aber 
umgekehrt die Klasse färbe aus der Relation Glfarb abgeleitet worden 
ist. Das nicht analoge Verhalten der beiden Ordnungen in bezug auf 
den Formalismus der Konstitution geht darauf zurück, daß die räum- 
liche Ordnung ein principium individuationis ist, die Farbordnung 
nicht. Das kommt formal darin zum Vorschein, daß in einem Erleb- 
nis zwei verschiedene Qualitäten wohl zu derselben Farbe, aber nicht 
zu derselben Stelle gehören können. Dieser formale Unterschied ist 
es ja auch gewesen, der uns die konstitutionale Trennung der beiden 
Ordnungen ermöglicht hat (vgl. § 88, 91). 

Die Nbfarb-Ordnung ist der Farbkörper (vgl. § 90). 

Realistische Sachverhalte: s. § 90. 

Lehrsatz: L 6. 3 Dzhomum Nbfarb (empirisch). 

Umschreibung: Die Qrdnung der Farben auf Grund von Nb- 
farb hat die homogene Dimensionszahl 3, d. h.: der Farbkörper 
ist dreidimensional. 

119. Beispiel der Rückübersetzung einer Definition 
und einer Aussage 

119 Die Konstitutionstheorie enthält die These, daß jeder wissen- 
schaftliche Begriff eine Klasse oder eine Relation ist, die 
sich durch die Grundrelation(en) allein ausdrücken läßt. Um 
den Sinn dieser These anschaulich vor Augen zu führen, wollen wir als 
Beispiel für den Begriff der Sinnes kl assen (sinn) einen Ausdruck 
bilden, der (außer logischen Konstanten) nur das Zeichen „Er“ der 
Grundrelation enthält. Zunächst haben wir gemäß der konstitutio- 
nalen Definition von sinn (§ 115) die Identität: 

sinn ~ Aeq‘Aq P o (1) 



Da jede Definition eine Einsetzungsregel ist, die die Erlaubnis gibt, 119 
überall an Stelle des Definiendums das Definiens zu setzen, so können 
wir in (1) für Aq sein Definiens setzen (§ 114). Wir erhalten dann: 

sinn — Aeq *(a ß{a, Ae quäl , a f ßc Ae})po (2) 

Hierin setzen wir das Definiens für quäl ein, dann weiter das für 
ähnl und schließlich das für Ae . Wir erhalten dann zum Schluß : 

sinn = Aeq ‘(ä ß{a,ßs | (fr) :yeS\m ‘(Er u Er u Er 0 ) . Nc ‘fr n y) /Nc 
‘£> % < 3. f c y (x) :x ~ « f . d . (3<5) .de Sim '(Er u Er u Er 0 ) . «c 
d . x~ e d) . a t ß c Er u Er u Er°}) p0 (3) 

Hiernach ist sinn identisch (d. h. von gleichem logischen Wert) mit 
dem rechts vom Identitätszeichen stehenden Ausdruck; und in diesem 
ist Er die einzige nichtlogische Konstante (die griechischen Buch- 
staben und x sind Variable, die anderen Zeichen logische Konstanten). 

Eine zweite These der Konstitutions theorie besagt, daß jede 
wissenschaftliche Aussage im Grunde eine Aussage über die 
Grundrelation(en) ist, genauer: jede Aussage läßt sich unter Bei- 
behaltung des logischen Wertes (nicht aber des Erkenntniswertes) 
umformen in eine solche, die (außer logischen Konstanten) nur die 
Grundrelation(en) enthält. Diese These möge am Beispiel des Lehr- 
satzes L 6 von der Dreidimensionalität des Farbkörpers deut- 
lich gemacht werden. L 6 kann durch Einsetzung mit Hilfe der kon- 
stitutionalen Definition von Nbfarb umgeformt werden in den Satz: 

3 Dzhomum fr|Aq |e)j) färbe (4) 

Durch schrittweise weitere Einsetzungen gemäß den Definitionen von 
färbe, Glfarb, Glfarbnb, Nbst, stelle, Fre, gesicht, sinn, Aq, quäl, ähnl, 

Ae und nach einer formalen Vereinfachung erhalten wir sc hließ lich 
aus (4) die folgende Form für L 6; in dieser Form kömmt „Er“ als ein- 
ziges nichtlogisches Zeichen vor (Q, x und die griechischen Buchstaben 
sind Variable, die übrigen Zeichen logische Konstanten): 

(3Q,v).3Dzhomum(e|Q|£)!)Aeq‘{aA((3^^^).«efQleA.«£|Q|£)ti. 

Äe j Q |e^ „ {3 1£: (3 g) | — s ‘fr— [5])}. aea. ße% M 

^nQ*a = ^nQ ‘A)} po . v = Sim ‘((Fr u I) £ a {(3 (x) . fi e Aeq ‘Q p0 . 

Dzp (5, f. 1 , a, Umgn ‘Q)}) . Q - a ß (a, ß s £ {fr) : y e Sim ‘(Er u Er u Er 0 ) . 
Nc‘(£n y)/Nc'C>V«. D.Ccy: .(x):x~ e£. 0 .(3<5). deSim'CEru 
Eru Er 0 ), acd. x~ «dj.af ßc Er u Er u Er 0 ) (5) 

(zum leichteren Verständnis : es ist v— Sim'Fre, Q = Aq). 


158 


159 


ii9 Wie wir sehen, ist der Ausdruck, der nur die Grundrelation ver- 
wendet, selbst für diese Aussage einer noch recht niedrigen Stufe doch 
schon sehr verwickelt. Das steigert sich für die höheren Stufen noch 
in erheblichem Maße, sodaß die Rückübersetzung schließlich kaum mehr 
praktisch ausführbar ist. Das ist vielleicht mit ein Grund dafür, daß 
die These von der Zurückführbarkeit aller Gegenstände und Aussagen 
auf eine oder wenige Grundrelationen zunächst sehr wenig einleuchtet. 
Zwar hat der Einwand, daß die Erkenntnisgegenstände eine überaus 
reiche Mannigfaltigkeit bilden, vollkommen recht. Jedoch folgt hier- 
aus nicht, daß der Aufbau dieser Mannigfaltigkeit auf Grund einer engen 
Basis unmöglich ist, sondern nur, daß die Aufbaustruktur hinreichend 
verwickelt sein muß, um durch die Mannigfaltigkeit der Bauformen 
trotz der Einfachheit der Bausteine iene Mannigfaltigkeit abbilden zu 
können. 

Die angegebenen Übertragungen sollen nur veranschaulichende 
Beispiele sein. Auf die genaue Form im einzelnen kommt es hier nicht 
an. Die angeknüpften Gedanken sind daher auch unabhängig von der 
hier angenommenen Anzahl (i) und Art (Er) der Grundrelationen. Das 
durchgeführte Beispiel zeigt, wie sich die empirische Aussage über die 
Dreidimensionalität des Farbkörpers bei unserer Wahl der 
Basis als eine Aussage über eine bestimmte rein formale, freilich 
sehr verwickelte Eigenschaft der Grundrelation Er darstellen 
läßt. In gleicher Art können alle empirischen Aussagen der 
Wissenschaft ausgedrückt werden als Aussagen über rein 
formale Eigenschaften der Grundrelation(en); das gilt all- 
gemein, welche Grundrelationen und was für ein Konstitutionssystem 
auch immer gewählt werden möge. 

120. Die vorläufige Zeitordnung 

120 Konstitutionale Bemerkung: Wir können Er po als Relation 
einer vorläufigen, noch nicht lückenlosen und nicht streng reihenför- 
migen Zeitordnung ansehen. Ein neues Zeichen wollen wir hierfür 
nicht einführen. 

Umschreibung: Ein Elementarerlebnis heißt „zeitlich früher“ 
als ein anderes, im Sinne der vorläufigen Zeitordnung, wenn 
zwischen ihnen die Er-Kette besteht. 

Realistischer Sachverhalt: s. § 87. 

Bemerkung: Die Relation der vollständigen Zeitordnung muß eine 
Reihenrelation sein, d. h. nicht nur, wie Er po , transitiv und irreflexiv, 
also asymmetrisch, sondern auch zusammenhängend (§ 11). Er po ist 
nicht zusammenhängend: es gibt manche Paare von Elementarerleb- 

160 


nissen, zwischen denen in keiner Richtung eine Er-Kette besteht. 120 
Die vollständige Zeitreihe kann erst später mit Hilfe der Gesetzmäßig- 
keit der Vorgänge der Außenwelt konstituiert werden. 

.121. Die Ableitungsrelation eines Gegenstandes 

Nach der Hauptthese der Kons titutionstheorie ist es für jeden wissen- 121 
schaftlichen Gegenstand (oder Begriff) prinzipiell möglich, ihn in das 
Konstitutionssystem einzufügen. Nim kann jeder Gegenstand des 
Konstitutionssystems dargestellt werden durch einen Ausdruck, der 
die Grundrelation als einzige nichtlogische Konstante enthält (§ 119). 

Die logische Form dieses Ausdrucks erhalten wir, wenn wir in ihm 
das Zeichen „Er“ der Grundrelation durch eine Variable, etwa R, 
ersetzen. Die Relation dieses Ausdrucks zu R nennen wir die »Ab- 
leitungsrelation“ des betreffenden Gegenstandes; es ist ja zugleich 
die Relation, die zum Ausdruck bringt, wie der Gegenstand aus der 
Grundrelation abgeleitet ist. 

Handelt es sich um einen Gegenstand, der im Konstitutionssystem 
als Klasse, etwa k, konstituiert ist, so gibt es einen Ausdruck für k, 
der nur Er enthält. Dieser Ausdruck sei abgekürzt als CP(Er), so daß 
k = 0 (Er) ; seine logische Form ist dann $(R). Die Ableitungs- 
relation von k ist dann die Relation zwischen 0 (R) und R, also (da 

d>(R) eine variable Klasse ist): aR{a = (P(R)}. 

Ist der Gegenstand als Relation, etwa G, konstituiert, so gibt 
es einen Ausdruck ’F(Er) derart, daß G = tf'(Er). Die Ableitungs- 
relation von G ist dann: Q R{Q = JP(R)}. 

In den beiden genannten Ausdrücken für die Ableitungsrelationen 
kommen keine nichtlogischen Konstanten mehr vor. Wir sehen also, 
daß die Ableitungsrelation eines jeden Gegenstandes ein 
rein logischer Begriff ist. 

BEISPIEL. Wir nehmen der Einfachheit halber einen Gegenstand niederer 
Stufe, nämlich die Klasse der Sinnesgebiete (sinn, § 115). Der Ausdruck für, sinn , der 
nur Er enthält, ist früher angegeben worden (§ 119* (3))* Daraus ergibt sich die 
folgende Definition für die Ableitungsrelation von sinn , die wir mit Abl(sinn) be- 
zeichnen wollen. 

Abl(sinn) = Df i R {A = Aeq‘(ä ß{a,ß ei (00 : y e Sim ‘(R u R u R°) . 

Nc ‘(C n y) / Nc‘£ > % . C c y : . (x) : x~s£ . D . (3 6 ) . 5 e Sim ‘(R u 

RuR 0 ).aCö.x~e 3 ).at/ 3 c R u R u R 0 }) po } 

Aus der Theorie der Axiomatik ist bekannt; daß ein axiomatischer 
Aufbau (z. B. eines geometrischen Systems) zunächst als rein logischer 
Aufbau errichtet werden kann, der dann später durch Einsetzung von 


121 Realbegriffen an Stelle der aromatischen Grundbegriffe zu einer 
Realtheorie (z. B. einer physischen Geometrie) wird. In genau analoger 
Weise kann das Konstitutionssystem zunächst als rein lo- 
gisches System aufgebaut werden, indem eine jede Konstitution 
durch die entsprechende Ableitungsrelation vertreten wird. Durch 
Einsetzung des Realbegnffes Er (als des einzigen Grundbegriffes des 
Systems) an Stelle der Variabein R kann dann dieses rein logische 
System in das eigentliche Konstitutionssystem aller Realbegriffe ver- 
wandelt werden. 

122. Die dargestellten Konstitutionen sind nur Beispiele 

122 Die Aufstellung der Konstitutionen in der ausführlichen Form, — 
konstitutionale Definition in logistischer Sprache und (teilweise) Über- 
setzungen in die anderen Sprachen, — soll an dieser Stelle abgebrochen 
werden. 

Es sei hier beim Abschluß des ersten Teils des Konstitutionssystems 
noch einmal ausdrücklich betont, daß die inhaltliche Bestimmung der 
angegebenen Konstitutionen nicht zur These der vorliegenden Ab- 
handlung gehört. Zu ihr gehört nur die Behauptung der Möglichkeit 
eines Konstitutionssystems überhaupt und insbesondere eines 
solchen von der hier angewendeten Form, sowie die Behauptung der 
Anwendbarkeit und Fruchtbarkeit der beschriebenen Methode. Der 
genauere Inhalt dieser Behauptungen wird am Schluß der Darstellung 
des Konstitutionssystems angegeben (§ 156). Die konkreten Kon- 
stitutionen selbst sollen hier nur dazu dienen, die. Aufgabestellung der 
Konstitutionstheorie deutlicher erkennen zu lassen und die Methode 
zu illustrieren. Die Durchführung ist von den Einzelergebnissen der 
Realwissenschaften abhängig; sind die Sachverhalte, die den auf- 
gestellten Konstitutionen zugrunde gelegt sind, wissenschaftlich nicht 
haltbar, so müssen wir statt dessen die in der Wissenschaft an ihre 
Stelle tretenden Sachverhalte in die konstitutionale Sprache einkleiden 
und in das Konstitutionssystem einfügen. Die Übersetzbarkeit 
aller wissenschaftlichen Aussagen in Aussagen innerhalb 
eines Konstitutionssystems bleibt dabei grundsätzlich aufrecht 
erhalten. 



B, DIE MITTLEREN STUFEN: PHYSISCHE GEGENSTÄNDE 

123. Über die Darstellung der weiteren Konstitutionsstufen 

Die weiteren Konstitutionsstufen geben wir nicht in der strengen, 123 
logistisch-symbolischen Form, sondern nur in andeutender Umschrei- 
bung. Auch überspringen wir zuweilen Konstitutionen, deren Zwischen- 
schaltung sich leicht aus dem Zusammenhang ergibt, nennen also nur 
die wichtigsten Schritte. 

Die nächsten Konstitutionen verfolgen den in § 94 schon angedeu- 
teten Weg. Zunächst wird die Methode zur Konstitution des drei- 
dimensionalen, physischen Raumes erörtert (§ 124) und diese Kon- 
stitution sowie die auf ihr beruhende Konstitution der Sehdinge durch- 
gefiihrt (§ 125 —128). Das für das Konstitutionssystem wichtigste Seh- 
ding, nämlich „mein Leib“ (§ 129), verhilft zur Kennzeichnung ver- 
schiedener Sinne, so daß damit das Gebiet des Eigenpsychischen ver- 
vollständigt werden kann (§ 130 —132). Dann wird die Konstitution 
der Wahrnehmungswelt beschrieben (§ 133— 135), sowie die der 
von ihr verschiedenen physikalischen Welt (§ 136). Zum Schluß 
werden einige physische Gegenstände erörtert (die Menschen, die 
Ausdrucksbeziehung; § 137h), die für die spätere Konstitution der 
fremdspychischen Gegenstände erforderlich sind. 

124. Verschiedene Möglichkeiten zur Konstitution 
des physischen Raumes 

Der nächste Konstitutiohsschritt, der Übergang von der zwei- 124 
dimensionalen Ordnung des Sehfeldes zur dreidimensionalen 
des Raumes der Sehdinge, ist einer der wichtigsten Schritte 
des Konstitutionssystems. Das Problem, das in seiner Durch- 
führung liegt, hat schon verschiedene Lösungsversuche gefunden; wir 
wollen die wichtigsten nennen und die Gründe für unsere Abweichung 
von ihnen angeben. 

LITERATUR. Die einzige ausführliche Erörterung des Problems aus früherer 
Zeit ist die von Kauffmann [Imman. J 9—31, auf die jedoch nicht näher eingegangen 
zu werden braucht. Gerhards [Außenwelthyp.] hat zum erstenmal eine genauere, 
mathematische Hilfsmittel benutzende Untersuchung über die Ableitung der drei- 
dimensionalen Raumordnung (des „Ontogramms“) aus der zweidimensionalen (dem 

163 


162 


124 „Phänogramm“) angestellt. Unsere Ableitung unterscheidet sich von dieser dadurch, 
daß wir nicht eine unveränderliche Umwelt voraussetzen und aus den einzelnen 
Aspekten konstruieren, sondern sogleich die ganze, alle Vorgänge umfassende, vier- 
dimensionale Raum-Zeit-Weit aufbauen. 

Russell ([Extemal W.], [Const. Matter], [Sense-Data]) konstituiert die Seh- 
dinge als Klassen ihrer Aspekte, und zwar nicht nur der realen, erlebten, sondern der 
möglichen Aspekte. Dieser Weg ist gangbar, wenn man, wie Russell, solche Aspekte 
als Grundelemente nimm t. Da wir unseren Bau um mehrere Stufen weiter unten be- 
ginnen, so würden wir, um den gleichen Weg einschlagen zu können, zunächst die 
Aspekte aus unseren Grundelementen, den Elementarerlebmssen, konstituieren müssen. 
Das aber dürfte für die „nichtgesehenen“ Aspekte entweder unmöglich sein oder doch 
erhebliche Schwierigkeiten bieten. Wir schlagen daher lieber einen anderen Weg ein, 
indem wir nicht die einzelnen Sehdinge, sondern die ganze Sehwelt auf einmal kon- 
stituieren. Die Russellsche Methode hat den Vorzug der größeren logischen Einfach- 
heit. Der Vorzug unserer Methode liegt erstens in der Verwendung der eigenpsychi- 
schen Basis, die auch Russell als erstrebenswertes Ziel ansieht (vgl. § 64), zweitens in 
dem Umstand, daß die nicht wahrgenommenen Punkte und Zustände eines Dinges in 
unserem System nicht erschlossen, sondern konstituiert werden; auch dies Verfahren 
hält Russell für wünschenswert (s. Motto vor §1, § 3 > [Sense-Data] 157E, I 59 )* Es muß 
jedoch zugestanden werden, daß unsere Art der Konstitution der physischen Punkte 
und des physischen Raumes noch keineswegs eine voll befriedigende Lösung darstellt. 

Ähnliche Gründe wie die soeben angegebenen veranlassen uns auch, nicht den von 
Whitehead([Space], [Nat. Knowledge], [Nature]) eingeschlagenen Weg zu verfolgen. 
Whitehead konstituiert Raum und Zeit erst nach den Dingen, als Struktur der Rela- 
tionen, die sich im Verhalten der Dinge zu einander zeigen, und betont besonders, daß 
nicht räumliche oder zeitliche Punkte, sondern Ausdehnungen erlebt werden, aus 
denen die Punkte erst nach der Methode der „Ausdehnungsabstraktion („extensive 
abstraction“) zu konstituieren sind. Dieser Weg hat sicherlich in methodischer und 
inhaltlicher Hinsicht große Vorzüge. Wir können ihn jedoch nicht einschlagen, weil 
das Problem (dessen Lösung auch W . nicht angibt) der Konstitution der dreidimen- 
sionalen Dinge oder vierdimensionalen Vorgänge aus den Lage verhältnissen im Sinnes- 
feld, besonders im Sehfeld, noch unüberwundene Schwierigkeiten bietet. 

Für das behandelte Problem kommen noch die Erörterungen von Poincare 
([Wiss.], [Wert], [Letzte Ged.]) über die Dreidimensionalität des Raumes in Betracht, 
sowie die von Becker ([Geom.] 44dff‘) über „die konstitutiven Stufen der Räumlich- 
keit“, im Anschluß an Husserlsche Gedanken; ferner die vonCamap [Dreidimens.] 
und Jacob y [Ontol.] 100 ff. (in diesen beiden wird die Auffassung vertreten, daß die 
Erhöhung der Dimensionszahl in dem behandelten Konstitutionsschntt von zwei auf 
drei den Zweck hat, Kausalgesetzlichkeit konstituieren zu können). 

Die genannten Untersuchungen sind wichtig, weil sie (im Unterschied zu einigen 
anderen Systemen) überhaupt das Problem des Überganges von der zweidimensionalen 
zur dreidimensionalen Ordnung in seiner Bedeutung erkennen und behandeln; sie 
irren jedoch alle (auch meine eigene [Dreidimens.]) in der Auffassung, daß die Zwei- 
dimensionalität der Sehfeldordnung als ursprünglich angesehen werden müsse. Wir 
haben in der Konstitutionstheorie erkannt, daß diese zweidimensionale Ordnung 
ebenso wie die dreidimensionale als abgeleitet anzusehen ist und daher ein Problem 
ihrer Konstitution aufgibt. Ein Versuch zur Lösung dieses Problems ist in § 89 
erörtert und in § 117 als Teil des Konstitutionssystems dargestellt worden; (vgl. auch 
die in § 92 behandelten anderen Möglichkeiten einer Lösung). 

164 



Es fragt sich, ob es zweckmäßig oder sogar notwendig ist, vor der 124 
Welt der Sehdinge und ihrem physischen Raum den Sehraum zu 
konstituieren. Psychologisch liegt der dreidimensionale, metrische, 
nichteuklidische (nämlich sphärische) Sehraum als Zwischenstufe 
zwischen der zweidimensionalen Ordnung des Sehfeldes und der drei- 
dimensionalen, euklidischen Ordnung der Außenwelt. Es dürfte aber 
für das Konstitutionssystem zweckmäßig sein, diese Stufe zu über- 
gehen. Denn weder bewirkt ihre Zwischenschaltung eine formale Ver- 
einfachung der Konstitution, noch befinden sich auf der Zwischenstufe 
Gegenstände, die als „wirklich“ angesprochen werden. Nach unseren 
früheren Überlegungen ist eine solche vereinfachende Abweichung vom 
psychologischen Verlauf des Erkenntnisprozesses für das Konstitutions- 
system statthaft (vgl. § 100). (Auch Gerhards und Russell (s. o.) über- 
springen bei ihrer Konstitution des dreidimensionalen Raumes der 
Sehdinge die Zwischenstufe des Sehraumes.) 

125. Die Raum-Zeit-Weit 

Als „Weltpunkte“ bezeichnen wir die Punkte des n-dimensionalen, ^5 
reellen Zahlenraumes, also n-gliedrige Zahlgruppen, insofern sie zur 
Unterlage der folgenden Zuschreibung dienen. 

Einigen Weltpunkten werden Farben (später auch Qualitätsklassen 
oder Klassen von solchen aus anderen Sinnesgebieten) zugeschrieben, 
d. h. einmehrdeutig zugeordnet derart, daß die nachstehenden For- 
derungen 1 —12 (§ 126) möglichst weitgehend erfüllt werden. 

Die Dimensionszahl n wird nicht konstitutiv festgelegt; es wird 
nur die Bestimmung getroffen, daß n die kleinste Zahl sein soll, für 
die die geforderte Zuschreibung durchführbar ist. Aus den Forderungen 
3 und 5 und dem empirischen Lehrsatz L 5 (§ 117) über die Zweidimen- 
sionalität des Sehfeldes folgt : n ^ 3 ; also Dimensionszahl des Raumes 
(n—i) mindestens gleich zwei. Aus dem (in realistischer Sprache:) 
Verschwinden und Wiederauftauchen von Dingen im Sehfeld folgt: 
n ^ 4, also ist die Dimensionszahl des Raumes mindestens gleich drei. 
Schließlich zeigt sich empirisch, daß die Konstitution für n = 4 durch- 
führbar ist, also die Dimensionszahl der Ordnung der Weltpunkte zu 
vier, die des Raumes zu drei anzusetzen ist. 

Die n Zahlen jedes Weltpunktes bilden eine geordnete Menge; sie 
heißen seine Koordinaten, und zwar die erste Zahl seine Zeitkoordi- 
nate, die übrigen n — 1 Zahlen seine Raumkoordinaten. Weltpunkte 
mit derselben Zeitkoordinate heißen „gleichzeitig“ (absolutes Zeit- 
system); eine Klasse aller unter einander gleichzeitiger Weltpunkte 
(also ein Querschnitt t= const.) heißt eine „Raumklasse“. 

165 


125 In dem n-dimensionalen Zahlenraum gelte eine euklidische Metrik 
auf Grund einer pythagoräischen Entfernungsbestimmung. Die Aus- 
drücke „Gerade“, „Ebene“, „kongruent“, „Winkel“ usw. seien in der 
üblichen Weise durch Zahlbeziehungen definiert. Wir verwenden dar- 
aufhin der Kürze und Anschaulichkeit wegen die geometrische Sprache. 
Doch ist zu beachten, daß damit stets nur arithmetische Beziehungen 
zwischen Zahlen, nämlich den Koordinaten der Weltpunkte, gemeint 
sind. Denn was „Raum“ (nicht im abstrakt-mathematischen, sondern 
im eigentlichen, phänomenalen Sinne), „räumliche Lage , „r äum - 
liche Gestalten“ usw. sind, haben wir ja weder als Grundsetzungen 
angesetzt, noch bisher definiert; diese Gegenstände werden erst hier- 
mit konstituiert. Im Konstitutionssystem tritt die eigentümliche Qua- 
lität des Räumlichen, obwohl sie erlebnismäßig einen so wesentlichen 
Zug der Außenwelt bildet, so wenig als Qualität auf, wie die übrigen 
Qualitäten: Farben, Töne, Gefühle usw. Denn das Konstitutions- 
system befaßt sich nur mit dem Strukturellen, also beim Raume nur 
mit den formalen Eigenschaften dieses Gefüges. Damit geht dem Kon- 
stitutionssystem aber nicht etwa ein erkennbarer, d. h. begrifflich 
faßbarer Gegenstand verloren. Denn das Nicht-Strukturelle kann 
nach der These der Konstitutionstheorie nicht Gegenstand einer wissen- 
schaftlichen Aussage sein. Der hier konstituierte Raum, obwohl nur 
strukturell behandelt, muß jedoch wohl unterschieden werden von 
dem sog. „Raum“ der reinen, abstrakten Geometrie, der vor Einführung 
der Grundrelation konstituiert worden ist (§ 107). Dieser abstrakte 
Raum wird hier als schon konstituiert vorausgesetzt und angewendet, 
um jetzt den Raum im eigentlichen Sinne zu konstituieren, den phy- 
sischen Raum; nur wegen dieser Anwendbarkeit auf den physischen 
Raum wird auch jenes eigentlich unräumliche Ordnungsgefüge „Raum“ 
(oder „abstrakter Raum“) genannt (vgl. auch § 25). 

126. Die Zuschreibung der Farben zu den Weltpunkten 

126 Die Zuschreibung der Farben zu den Weltpunkten und die wei- 
teren damit verknüpften Konstitutionen geschehen so, daß die fol- 
genden Forderungen möglichst weitgehend erfüllt werden. Eine ge- 
naue Erfüllung wird verhindert durch (in realistischer Sprache:) Hallu- 
zinationen, Störungen des Auges und des Zwischenmediums, Defor- 
mationen und Zerreißungen der Körper und dergl. Die empirischen 
Sachverhalte, in denen die Begründung für diese einzelnen Forderungen 
oder Konstitutionsbestimmungen liegt, werden in § 127 in der realisti- 
schen Sachverhaltssprache angegeben. 

1. Es gibt eine ausgezeichnete Reihe von Weltpunkten, die wir 


166 


die „Ausblickpunkte“ nennen. Sie bilden eine stetige Kurve von 126 
der Art, daß jede der n-i Raumkoordinaten eine einwertige, stetige 
Funktion der Zeitkoordinate ist. 

2. Unter den „Blicklinien“ eines Ausblickpunktes verstehen wir 
diejenigen Halbgeraden, die von ihm ausgehen und mit der negativen 
Zeitrichtung den Winkel y bilden. 

3. y ist konstant und mit großer Annäherung gleich einem Rech- 
ten. Daher können als Blicklinien des Ausblickpunktes mit der Zeitkoor- 
dinate tj die von diesem Punkte ausgehenden Halbgeraden seiner 
Raumklasse (Querschnitt t = t x ) genommen werden. 

4. Den Elementarerlebnissen werden eineindeutig einige der Aus- 
blickpunkte zugeordnet derart, daß einem zeitlich späteren Erlebnis 
(Er^, vgl. § 120) ein Ausblickpunkt mit größerer Zeitkoordinate ent- 
spricht. 

5. Möglichst jeder Gesichtsempfindung (§ 116) eines Elementar- 
erlebnisses wird eine Blicklinie des entsprechenden Ausblickpunktes 
zugeordnet derart, daß a) zu Empfindlingen mit benachbarten Ge- 
sichtsfeld-Stellen (Nbst, §117) Blicklinien gehören, die nur einen klei- 
nen Winkel mit einander bilden und umgekehrt, 

und daß b) die Paare von Blicklinien, die den Gesichtsempfindungen 
zweier bestimmter Stellen in den verschiedenen Elementarerlebnissen 
zugeordnet sind, alle den gleichen Winkel bilden. 

6. Die Farbe der Gesichtsempfindung wird einem Weltpunkt 
der entsprechenden Blicklinie zugeschrieben. Die so besetzten Punkte 
heißen „von dem betreffenden Ausblickpunkt gesehene Weltpunkte“ 
oder kurz „gesehene F arbpunkte“. Über die Wahl der Lage dieser 
Punkte auf ihren Blicklinien vgl. n. 

7. Außerdem wird gewissen anderen Weltpunkten unter Beachtung 
der Forderungen 8 —10 je eine Farbe zugeschrieben. Diese Weltpunkte 
heißen „nichtgesehene Farbpunkte“. Sie bilden innerhalb der 
Punkte eines jeden Blicklinienbüschels (also nach 3 mit großer An- 
näherung: innerhalb der Punkte einer jeden Raumklasse) höchstens 
zweidimensionale Gebiete, meist zusammenhängende Flächen. 

8. Ein nichtgesehener Farbpunkt darf nicht auf der Strecke einer 
Blicklinie zwischen Ausblickpunkt und einem gesehenen Farbpunkt 
liegen. 

9. Die Zuschreibung zu nichtgesehenen Farbpunkten gemäß 7 
wird so vorgenommen, daß möglichst jeder gesehene Farbpunkt einer 
„Weltlinie“ angehört. Eine Weltlinie ist eine stetige Kurve bzw. 
ein Kurvenbogen, von dem zu jedem Wert der Zeitkoordinate inner- 
halb eines bestimmten Intervalls genau ein Weltpunkt gehört, und zwar 

167 


126 ein gesehener oder ein nichtgesehener Farbpunkt. Innerhalb des Inter- 
valls ist jede Raumkoordinate des Bogens eine einwertige, stetige Funk- 
tion der Zeitkoordinate. 

10. Die dpn nichtgesehenen Farbpunkten nach 7 zuzuschreibenden 
Farben werden unter Berücksichtigung der Farben der gesehenen Farb- 
punkte vorläufig so gewählt, daß die Farbe der Punkte einer Welt- 
linie als Funktion der Zeit möglichst kleine Änderungsgeschwindig- 
keiten zeigt, also möglichst konstant bleibt. 

11. Die Lage der Weltlinien wird (außer durch 8 ) vorläufig durch 
folgende Forderungen bestimmt, nach denen die Wahl der Lage sowohl 
der nichtgesehenen als auch der gesehenen Farbpunkte (nach 6 ) auf 
ihren Blicklinien entsprechend getroffen werden muß: 

a) die Weltlinien sollen möglichst wenig gekrümmt sein; 

b) die Weltlinien sollen möglichst kleine Winkel mit der Zeitrichtung 
bilden ; 

c) zwei Weltlinien, die durch ein oder mehrere Paare von einander 
benachbarten, gesehenen Farbpunkten gehen, sollen möglichst auch im 
übrigen benachbart sein, besonders in den Zwischenzeiten; 

d) eine Menge von Weltlinien, die zu einer oder mehreren Zeiten 
pin räumlich zusammenhängendes Parallelbüschel bilden, soll auch im 
übrigen möglichst dasselbe tun, besonders in denZwischenzeiten zwischen 
solchen Zeiten. 

12. Die Zuschreibung wird später noch weiter ergänzt oder korri- 
giert; vgl. § 135 (Erg änz ung teilweise beobachteter Dinge oder Vor- 
gänge durch Analogie ) und § 144 (Verwertung fremder Beobachtungen). 
Dabei sollen aber die bisherigen Forderungen in möglichst weitem Um- 
fange erfüllt bleiben. 

127. Die Sachverhalte in realistischer Sprache 

127 Für die genannten Forderungen, die die Zuschreibung der Farben 
zu den Weltpunkten bestimmen, seien hier zum leichteren Verständ- 
nis die zugrundeliegenden Sachverhalte in realistischer Sprache an- 
gegeben. 

1. Der Punkt im Inneren meines Kopfes, von dem aus die Welt 
gesehen erscheint, hat eine stetige Kurve als seine Weltlinie in der 
Raum-Zeit-Weit. (Auf das binokulare Sehen braucht die Konsti- 
tution keine Rücksicht zu nehmen, da die Tiefenbest immun g ander- 
weitig genügende und genauere Grundlagen hat.) 

2. Das optische Medium zwischen Auge und gesehenen Dingen kann 
gewöhnlich als homogen angenommen werden. Bei dieser Annahme 
bilden die auf das Auge wirkenden Lichtstrahlen Gerade, die mit der 


168 



negativen Zeitrichtung den Winkel arc tg c einschließen (c bezeichnet 127 
die Lichtgeschwindigkeit). 

3. Die Lichtgeschwindigkeit c ist konstant und sehr groß. Die 
Lichtlinien sind daher angenähert Gerade eines Momentanraumes. 

4. Jede Gesichtswahrnehmung beruht auf einem Sehen von einem 
der Ausblickpunkte aus. 

5. a) Auf benachbarten Sehfeldstellen bilden sich stets und nur 
solche Punkte der Außenwelt ab, deren Blicklinien vom Auge aus nur 
einen kleinen Winkel bilden; 

b) zu einem bestimmten Paar von Sehfeldstellen gehört stets der- 
selbe Sehwinkel. 

6. Aus einer Gesichtsempfindung ist zu schließen, daß ein Punkt 
der Außenwelt, der auf der entsprechenden Blicklinie liegt, die Farbe 
der Gesichtsempfindung hat. 

7. Viele Punkte der Außenwelt haben zu irgendeiner Zeit eine Farbe, 
ohne zu dieser Zeit gesehen zu werden. Diese sichtbaren, aber (von 
mir ) nicht gesehenen Weltpunkte sind meist Punkte von Körperober- 
flächen. 

8. Ein sichtbarer, farbiger Punkt der Außenwelt, der zu einer ge- 
wissen Zeit von mir nicht gesehen wird, kann zu dieser Zeit nicht vor 
einem gesehenen Punkt liegen. 

9. Von einem einmal gesehenen Punkt der Außenwelt ist, soweit 
nichts anderes dagegen spricht, zu vermuten, daß er auch vorher und 
nachher da ist; seine Orte bilden eine stetige Weltlinie. 

10. Dabei wird, soweit nichts entgegensteht, vermutet, daß jener 
Punkt der Außenwelt die an ihm zeitweise gesehene Farbe oder doch 
eine möglichst gleichartige auch zu den anderen Zeiten hatte. 

11. Die Vermutungen über die Bewegung von Punkten, insbeson- 
dere für die Zeit, während deren sie nicht gesehen werden, sind nach 
folgenden Regeln anzustellen: 

a) Änderungen der Geschwindigkeit oder der Richtung der Be- 
wegung werden nicht als größer angenommen, als es nach den Be- 
obachtungen nötig ist; wo nichts entgegensteht, wird also die Träg- 
heitsbewegung (Konstanz von Richtung und Geschwindigkeit) an- 
genommen ; 

b) die Geschwindigkeit wird nicht als größer angenommen, als es 
nach den Beobachtungen nötig ist; wo nichts entgegensteht, wird also 
Ruhe angenommen; 

c) werden zwei Punkte ein- oder mehrmals nebeneinander beob- 
achtet, so wird vermutet, daß sie inzwischen auch nebeneinander 
bleiben; 

169 


127 d) bewegen sich mehrere Punkte nach den Beobachtungen wie ein 
zusammenhängendes Flächenstück, so wird für die Zeit der Nicht- 
Beobachtung das gleiche Verhalten vermutet. 

12. Die Schlüsse vom Beobachteten auf das Nicht-Beobachtete 
sind zunächst spärlich, später reichhaltiger z. B. durch Wiedererken- 
nung eines teilweise gesehenen Dinges (§ 135), durch Schluß auf 
Grund eines Naturgesetzes (§ 135), durch Hilfe fremder Beobach- 
tung (§ 144). 

128. Die Sehdinge 

128 Bleiben in einem Bündel von Weltlinien, die nach den gegebenen 
Bestimmungen (§ 126, 127) konstituiert sind, die Nachbarschafts- 
Verhältnisse während einer längeren (Zeit-) Strecke wenigstens an- 
nähernd dieselben, so heißt die Klasse der zugehörigen Weltpunkte 
ein „Sehding“. Bleiben außer den Nachbarschaftsverhältnissen auch 
die Maßverhältnisse konstant, so heißt das Ding „starr“. Der Durch- 
schnitt eines Sehdinges mit einer Raumklasse heißt ein „Zustand“ 
des Dinges. (Möglicherweise ist es zweckmäßiger, zuerst die Dingzu- 
stände zu konstituieren und danach die Dinge als Klassen zusammen- 
gehöriger, „genidentischer“ Dingzustände; auf die Untersuchung die- 
ser Frage soll hier nicht eingegangen werden.) 

Zwei Weltpunkte derselben Weltlinie nennen wir „geni den tisch“; 
ebenso auch zwei Zustände desselben Dinges. 

Die Klasse der von einem Ausblickpunkt gesehenen Weltpunkte 
eines Dinges heißt „gesehener Teil“ des Dinges in dem Elementar- 
erlebnis, dem der Ausblickpunkt zugeordnet ist. Da die von einem 
Ausblickpunkt gesehenen Punkte annähernd gleichzeitig mit dem 
Ausblickpunkt sind, so kann in erster Annäherung der gesehene Teil 
eines Dinges als eine Teilklasse eines Zustandes des Dinges ge- 
nommen werden. 

Die Klasse derjenigen Gesichtsempfindungen eines Elementar- 
erlebnisses, die den gesehenen Punkten eines bestimmten Dinges ent- 
sprechen, heißt „Aspekt“ des Dinges in dem Erlebnis. Danach ent- 
sprechen den Aspekten eines Dinges die „gesehenen Teile“ des Dinges, 
also angenähert Teile von Zuständen des Dinges. 

LITERATUR. Zum Begriff der Genidentität (diese Bezeichnung stammt von 
Lewin) vgl. Lewin [Zeitl.], Russell [Extemal W.] 108 ff. Vgl. auch § 159, besonders 
auch in bezug auf die notwendige Unterscheidung zwischen Genidentität und 
Identität. 


129. „Mein Leib" 



Es gibt ein bestimmtes Sehding L, das die folgenden Bedingungen I2 9 
erfüllt. Es ist durch diese Bestimmungen, und auch schon durch einen 
geeigneten Teil von ihnen, eindeutig konstitutional gekennzeichnet. 
Dieses Sehding heißt „mein Leib“. 

1. Jeder Zustand von L ist dem entsprechenden Ausblickpunkt 
sehr nahe. 

2. Nicht nur der von einem Ausblickpunkt gesehene Teil von L 
bildet eine offene Fläche (das ist auch bei den anderen Sehdingen der 
Fall), sondern auch jeder ganze Zustand von L, 

3. Die Weltlinien von L oder zusammenhängende Gebiete von 
solchen sind den Qualitäten (oder Klassen von solchen) einer be- 
stimmten Sinnesklasse, die dadurch als „Drucksinn“ gekennzeichnet 
wird, so zugeordnet, daß bei Berührung durch die Weltlinie eines an- 
deren Sehdinges oder eines anderen Teiles von L gleichzeitig die be- 
treffende Tastqualität in dem Erlebnis vor kommt. 

4. In ähnlicher Weise sind bestimmte Bewegungen von L den Qua- 
litäten einer anderen Sinnesklasse zugeordnet, die dadurch als „kin- 
ästhetischer Sinn“ gekennzeichnet wird. 

5. Auf Grund von L wird später die konstitutionale Kennzeichnung 
der übrigen Sinnesklassen möglich (§ 131). 

Die angegebenen konstitutionalen Bestimmungen beruhen auf den 
folgenden empirischen Sachverhalten (in realistischer Sprache): 

1. Mein Leib ist immer in der Nähe meines Auges. 

2. Bei keinem Körper kann die ganze Oberfläche gleichzeitig ge- 
sehen werden ; der auf einmal gesehene Teil der Oberfläche eines Kör- 
pers ist daher nie eine geschlossene Fläche. Wohl aber ist für manche 
Körper die ganze Oberfläche sichtbar, also die sichtbare Fläche eine ge- 
schlossene. Bei meinem Leib dagegen ist auch die überhaupt sichtbare 
Fläche eine offene, da einige Teile seiner Oberfläche, z. B. Auge und 
Rücken, nicht sichtbar sind. 

3. Den Stellen der Oberfläche meines Leibes entsprechen die 
Qualitäten (oder Lokalzeichen) des Drucksinnes derart, daß eine 
Druckempfindung von bestimmter Qualität erlebt wird, wenn die ent- 
sprechende Hautstelle durch einen anderen Körper oder durch einen 
anderen Teil meines Leibes berührt wird. 

4. Die Qualitäten der kinästhetischen Empfindungen entsprechen 
bestimmten Arten von Bewegung«! meines Leibes. 

5. Die übrigen Sinne hangen in bestimmter Weise mit gewissen Tei- 
len meines Leibes, nämlich den Sinnesorganen, zusammen. 


171 


129 LITERATUR. Die Konstitution „meines Leibes“ ist wegen ihrer besonderen 
erkenn tnistheore tischen Bedeutung mehrfach untersucht worden, s, z. B.: Kauff- 
mann [Imman.j 39 — 54, Ziehen [Erkth.] 58, 277, 445 ff., Driesch [Ordnungsl.] 354ff. 

130. Die Tast-Sehdinge 

130 Früher haben wir einigen Weltpunkten Farben, also Klassen von 
Gesichtsqualitätsklassen, zugeschrieben ; das Gleiche tun wir jetzt in 
etwas anderer Weise mit Qualitätsklassen des Drucksinnes bzw. gewis- 
sen Klassen von solchen, nämlich denen, die im Lokalzeichen überein- 
stimmen. Wie früher gesehene und nichtgesehene Farbpunkte unter- 
schieden worden sind, so hier getastete und nichtgetastete Tast- 
punkte. Die Lage der getasteten Tastpunkte kann genauer bestimmt 
werden als die der gesehenen Farbpunkte; denn diese Tastpunkte 
berühren die entsprechende Stelle meines Leibes, es braucht hier also 
keine Entfernung oder Tiefendimension bestimmt zu werden, wenn 
die räumliche Lage meines Leibes als schon bestimmt angenommen 
wird. In den meisten Fällen sind die Tastpunkte auch Farbpunkte, 
teils gesehene, teils nichtgesehene. Dadurch kann in vielen Fällen die 
Lage der Weltlinien der Farbpunkte genauer bestimmt werden. Zu- 
weilen aber sind die Tastpunkte keine Farbpunkte. Dann werden von 
ihnen aus neue Weltlinien bestimmt. In manchen Fällen bilden die 
Weltlinien der Farbpunkte erst zusammen mit diesen Weltlinien der 
bloßen Tastpunkte die geschlossene Oberfläche eines Tast- Seh- 
dinges. Das ist z. B. gerade für das wichtigste Tast-Sehding der Fall, 
für meinen Leib. Ein großer Teil der Fläche meines Leibes besteht aus 
Weltlinien, zu denen keine Farbpunkte, sondern nur Tastpunkte ge- 
hören; also wird mein Leib erst durch die Zuschreibung der Qualitäten 
des Drucksinnes zu einem vollständig geschlossenen Ding. 

LITERATUR. Das Problem der Zuschreibung der Druckqualitäten zu den Welt- 
punkten, denen zunächst die Sehqualitäten (Farben) zugeschrieben sind, und dann 
weiterhin der Zuschreibung noch anderer Sinnesqualitäten (§ 133) kann auch formuliert 
werden als Problem der gegenseitigenZuordnung der verschiedenen „Sinnes- 
räume“. Untersuchungen zu diesem Problem geben Poincar£ [Wert], Schlick 
[Raum u. Zeit] 95 ff. (Methode der Koinzidenzen) und Jacob y [Ontol.]. 

131. Kennzeichnung der übrigen Sinne 

13 1 Nachdem mein Leib als vollständiges Ding, und zwar Tast-Seh- 
ding, konstituiert ist, können nach Bedarf verschiedene seiner Teile 
durch ihre Gestalt oder gegenseitige Lage gekennzeichnet werden; 
alle räumlichen Gestalt- und Lageverhältnisse sind ja mit Hilfe der 
konstituierten Raumkoordinaten ausdrückbar. So können auch die 
„Sinnesorgane“ als die für die weiteren Konstitutionen wichtigsten. 
Teile des Leibes konstitutional gekennzeichnet werden. Dadurch, daß 

172 



Vorgänge an diesen Organen in besonderer Korrelation zu bestimmten 13 1 
Sinnen stehen, können dann diese Sinne einzeln gekennzeichnet 
werden. Nachdem z. B. Ohr, Nase, Zunge usw. durch räumliche Be- 
stimmungen aus den übrigen Körperteilen herausgehoben sind, können 
Gehör, Geruch, Geschmack usw. etwa dadurch gekennzeichnet wer- 
den, daß die Qualitätsklassen dieser Sinnesklassen meist nicht Vorkom- 
men, sobald das entsprechende Organ in bestimmter Weise gegen die 
Umgebung abgesperrt ist. 

Beim Schmerzsinn, Wärmesinn und Kältesinn stimmt das Organ, 
die Haut, mit dem des früher schon gekennzeichneten Drucksinnes 
(§ 129) überein. Die konstitutionale Kennzeichnung dieser Sinne ist 
in verschiedener Weise möglich, z. B. durch Zuordnung zu den Reiz- 
vorgängen. Die Qualitäten des Schmerzsinnes pflegen häufig mit ge- 
wissen Qualitäten des Drucksinnes (nämlich denen von großer Inten- 
sität) zusammenzutreffen. Wärme- und Kältesinn sind u. a. dadurch 
gekennzeichnet, daß bei gewissen Vorgängen häufig eine Qualitäten- 
reihe des einen und anschließend eine Qualitätenreihe des anderen durch- 
laufen wird, oder dadurch, daß die meisten Qualitäten des einen Sinnes 
die meisten des anderen für dieselbe Organstelle ausschließen. 

So können schließlich auf die eine oder andere Weise alle einzelnen 
Sinnesklassen herausgehoben, konstituiert werden. Wie früher erwähnt 
(§ 76, 85), ist unter den Sinnesklassen auch das Gebiet der Gefühle 
mitverstanden. Und nach der Erläuterung der Konstitution der Sinnes- 
klassen (§ 85) bilden für den Fall, daß es neben den Sinnesempfindungen 
und den Gefühlen noch psychische Gebilde besonderer Art (etwa 
Wöllungen) gibt, die nicht auf jene zurückgeführt werden können, 
auch die verschiedenen Arten solcher Gebilde je eine Sinnesklasse. 
Auch diese weiteren Sinnesklassen würden sich entweder durch ge- 
wisse Zuordnungen zu anderen Sinnesklassen kennzeichnen lassen (für 
die Wöllungen, falls es solche als gesonderte Art von Gebilden gibt, 
käme z. B. die Zuordnung zu kinästhetischen Empfindungen in Betracht) 
oder durch Zuordnungen zu Vorgängen des Leibes (z. B. Zuordnung 
zwischen Gefühlen und Ausdrucksbewegungen). 

Nach der Kennzeichnung der einzelnen Sinne ist mm auch die 
Konstitution der verschiedenen Komponenten der in den Qualitäts- 
klassen repräsentierten Qualitäten möglich. Unter „Komponenten“ 
verstehen wir z. B. Tonhöhe, Tonstärke, Klangfarbe; Farbton, Sätti- 
gung, Helligkeit; allgemein: Qualität (im engeren Sinne) und 
Intensität bei verschiedenen Sinnen, bei den Hautsinnen auch noch 
Lokalzeichen; ferner die (vielleicht drei) Richtungskomponenten der 
Gefühle, usw. Die Konstitution dieser Komponenten, als Klassen von 

173 


131 Qualitätsklassen des betreffenden Sinnesgebietes, wird zumeist er- 
möglicht durch eine Beziehung auf diejenigen äußeren Vorgänge, mit 
denen bestimmte Werte oder bestimmte Änderungen der einzelnen 
Komponenten häufig parallel gehen. Solche äußeren Vorgänge sind 
ja nach den bisherigen Konstitutionen zum großen Teil schon kon- 
stitutional formulierbar; weitere Möglichkeiten ergeben sich nach 
der späteren Konstitution der Wahmehmungsdinge (§ 134). 

132. Das Gebiet des Eigenpsychischen 

* 3 2 Wir haben früher die Elementarerlebnisse in individuelle Bestand- 
teile, die Empfindungen, und andererseits in generelle Bestandteile, 
die Qualitäten, zerlegt (§ 93, 116). Diese Bestandteile sind durch die 
bisherigen Konstitutionen in Hauptgebiete (Sinnesklassen) eingeteilt 
und in Komponenten (hauptsächlich Qualität im engeren Sinne, In- 
tensität, Lokalzeichen) zerlegt worden. Ferner sind sie innerhalb der 
Hauptgebiete qualitativ und teilweise auch rä uml ich geordnet. Die 
Elementarerlebnisse selbst sind zunächst in eine vorläufige Zeitordnung 
(Er po , § 120) gebracht, dann mit Hilfe der Zeitkoordinate des Aus- 
blickpunktes in der Sehwelt (§ 126) in eine vollständige Zeitreihe 
eingeordnet. 

Die so geordneten Elementarerlebnisse selbst, ihre Bestandteile und 
Komponenten und die aus diesen zu konstituierenden komplexeren 
Gebilde stellen das „Gebiet der eigenbewußten Gegenstände“ 
oder „mein Bewußtsein“ dar. Dieses Gebiet bildet die Grundlage 
des Gebietes des Eigenpsychischen. Es wird zu diesem ergänzt 
durch Einfügung der „unbewußten“ Gegenstände. Die Konstitution 
der imbewußten Gegenstände auf Grund der bewußten ist analog der 
Konstitution der nichtgesehenen Farbpunkte auf Grund der gesehenen 
(§ 126). Dort wurde eine Zuschreibung zu den Weltpunkten vorge- 
nommen, also zu Koordinatenquadrupeln; hier nur eine solche zu 
Zeitpunkten, d. h. zu den einzelnen Werten der Zeitkoordinate. Ge- 
wissen Zeitpunkten ist durch die frühere Konstitution des Gesehenen, 
nämlich durch Vermittlung der Ausblickpunkte, ein Elementarerleb- 
nis zugeordnet. Nun werden auch den dazwischen liegenden Zeit- 
punkten, denen kein Ausblickpunkt und kein Elementarerlebnis ent- 
spricht, generelle Erlebnisbestandteile, also Qualitätsklassen zuge- 
schrieben, ferner auch Komponenten von Qualitäten und komplexere 
Gebilde aus solchen. Die methodischen Grundsätze der Konstitutions- 
theorie verlangen, daß alle diese „unbewußten“ Gebilde aus den bis- 
her konstituierten, also den „bewußten“, konstituiert werden; aber 
die unbewußten Gebilde können aus den Erlebnisbestandteilen und 

174 



ihren Komponenten auch in anderer Weise aufgebaut sein als die be- 132 
wußten. 

Die Konstitution der unbewußten Gegenstände hat den Zweck, 
das Gebiet der eigenpsychischen Gegenstände als ein Gebiet zu kon- 
stituieren, in dem eine vollständigere Gesetzmäßigkeit der Vor- 
gänge gilt, als in dem Teilgebiet des Bewußten. Die Konstitutions- 
form hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der der physischen Welt, ins- 
besondere mit dem später zu besprechenden Verfahren der Ergänzung 
nach Analogie (§ 135): auch hier gelten die Tendenzen der Erhaltung 
der Zustandsgleichheit und der Ablaufsgleichheit (also gewissermaßen 
eine psychologische Substanzkategorie und eine psychologische Kau- 
salitätskategorie). Eine bemerkenswerte Eigentümlichkeit besteht aber 
darin, daß hier im Gegensatz zur physischen und noch mehr zur physi- 
kalischen Welt eine durchgängige Gesetzmäßigkeit weder genau noch 
auch nur in konvergierender Annäherung zu erreichen ist; gewisse Vor- 
gänge (nämlich die Wahrnehmungen) entstehen immer unvermittelt, 
nicht bedingt durch die vorhergehenden. 

Die konstitutionalen Gegenstandsformen können wir hier nicht im 
Einzelnen angeben. Im Unterschied zur Konstitution (oder Erkenntnis- 
Synthese) der physischen Welt, die ja schon im vorwissenschaftlichen 
Denken ziemlich vollständig vorgenommen wird, geschieht die Kon- 
stitution des eigenpsychischen Gebietes — abgesehen von geringfügi- 
gen Ansätzen — erst in der Wissenschaft, und zwar in einer noch im 
frühen Entwicklungsstadium stehenden Wissenschaft, nämlich der 
Psychologie. So ist es verständlich, daß die Konstitution bei weitem 
noch nicht vollständig durchgeführt ist. Es herrscht in der Wissenschaft 
noch keine Einigkeit über die Grundsätze, nach denen sie sich richten 
soll; in bezug auf den größeren Teil der Konstitution, nämlich die 
Vervollständigung des Zusammenhanges durch Einfügung des Un- 
bewußten, herrscht nicht einmal Einigkeit über die Frage, ob sie über- 
haupt vorgenommen werden soll, ob sie zweckmäßig und zulässig ist. 

Die Frage der Zweckmäßigkeit wird von der psychologischen Forschung 
zu entscheiden sein und vermutlich in absehbarer Zeit entschieden 
werden. Die vielumstrittene Frage der methodischen (logischen 
oder erkenntnistheoretischen) Zulässigkeit der Konstitution des 
Unbewußten ist dagegen auf Grund der Konstitutionstheorie mit 
Sicherheit zu bejahen. Denn die Konstitution des Unbewußten ist 
völlig analog der Konstitution der nichtgesehenen Farbpunkte aus den 
gesehenen; die Zulässigkeit dieser Konstitution wird von niemandem 
bestritten oder auch nur in Frage gestellt. Auf Grund dieser Analogie 
ist es auch leicht, zu erkennen, daß die Konstitution solcher vervoll- 


175 


132 ständigter Gebiete, die auch Gegenstände enthalten, die nicht unmittel- 
bar in den Erlebnissen Vorkommen, in nichts Anderem besteht, als in 
einer geeigneten Umordnung der unmittelbar vorkommenden Gegen- 
stände. Vielleicht richtet sich die Ablehnung des Begriffes des unbe- 
wußten Psychischen auch weniger gegen die Ansetzung solcher Gegen- 
stände, als gegen die Behauptung ihrer Wirklichkeit. Aber auch dieses 
Bedenken wird sich angesichts der Analogie zu den nichtgesehenen 
Farbpunkten und allen nicht wahrgenommenen Punkten der Wahr- 
nehmungswelt nicht aufrecht erhalten lassen. (Später soll auf das 
Wirklichkeitsproblem näher eingegangen werden, § 170 ff.) 

Entsprechend den „Zuständen“ der „physischen Dinge“ pflegt auch 
hier das, was einem einzelnen Zeitpunkt als Eigenpsychisches zugeord- 
net ist, — sei es nun ein Elementarerlebnis mit seinen (Quasi-) Bestand- 
teilen allein oder ein durch Unbewußtes vervollständigtes Erlebnis oder 
Unbewußtes allein, — als „Zustand“ eines beharrenden Trägers, ge- 
wissermaßen eines psychischen Dinges, aufgefaßt zu werden. Aus der 
Analogie dieser Erkenntnissynthese zu der der physischen Dinge er- 
gibt sich, daß dieser Träger, den wir nicht „psychisches Ding“, sondern 
„das Ich“ oder „meine Seele“ zu nennen pflegen, zu konstituieren 
ist als Klasse der eigenpsychischen Zustände. Der schon oft 
genannte Umstand, daß eine Klasse nicht die Kollektion ihrer Elemente 
ist (§ 37), sondern ein Quasigegenstand zur Ermöglichung von Aus- 
sagen über das den Elementen Gemeinsame, muß gerade hier besonders 
beachtet werden. Das zunächst naheliegende Bedenken gegen diese 
konstitutionale Definition erweist sich dann als unbegründet. Die kon- 
stitutionale Definition soll ja nur das Strukturelle, Ordnungshafte am 
„Ich“ als das allein rational Faßbare wiedergeben. Die Frage dagegen, 
ob allen eigenpsychischen Zuständen eine letzte, unauflösbare Einheit 
als „Ich“ zugrunde liege, ist nicht eine Frage der Ordnung, sondern 
eine Frage des Wesens; ihre Aufstellung und Beantwortung gehört 
daher nicht in das Konstitutionssystem, sondern in die Metaphysik 
(vgl. § 163). 

133. Zuschreibung anderer Sinnesqualitäten 

133 Bisher sind nur Qualitäten des Gesichtssinnes und des Drucksmnes 
bestimmten Weltpunkten zugeschrieben worden (§ 126, 130)- Da auch 
die übrigen Sinne jetzt einzeln gekennzeichnet sind (§ 131)3 so kann 
auch mit ihren Qualitäten oder Klassen von solchen dieselbe Zu- 
schreibung zu Weltpunkten vorgenommen werden. In Anlehnung 
an die Erkenn tnis synthese des wirklichen Lebens wird jedoch die Kon- 
stitution diese Zuschreibung nicht mit allen Qualitäten vornehmen, son- 

176 


dem nur mit solchen, bei denen die Zuschreibung sich in geeigneter 133 
Weise durchführen läßt, so daß z. B. die Zuschreibung zu den einzelnen 
Punkten einer (Seh-) Weltlinie nicht zu viele Änderungen der zuge- 
schriebenen Qualitäten im Zeitverlauf ergibt. So ist z. B. die Zu- 
schreibung für die Qualitäten des Geschmackssinnes möglich: wird 
einem bestimmten Zustand eines bestimmten Stückes Zucker die 
Qualität „süß“ zugeschrieben, so kann die Zuschreibung zu „ge- 
schmeckten Punkten“ auch auf die „nichtgeschmeckten Punkte“ der 
Weltlinien (in Analogie zu den gesehenen und nichtgesehenen Punkten, 

§ 126) ausgedehnt werden, ohne daß hierbei häufige Widersprüche durch 
Zuschreibung anderer Geschmacksqualitäten zu Punkten derselben 
Weltlinie auftreten würden. In ähnlicher Weise gelingt die Zuschrei- 
bung für die Qualitäten des Geruchsinnes. Für den Gehörsinn läßt 
sich die Zuschreibung nicht so einfach durchführen: den einmal an 
einem Ding gehörten Ton können wir ihm nicht einfach weiterhin 
dauernd zuschreiben, ohne dadurch zu häufigen Widersprüchen zu 
kommen. Die Qualitäten gewisser Sinne (z. B. des statischen Sinnes, 
des kinästhetischen Sinnes, der Organempfindungen) lassen sich kaum 
oder überhaupt nicht bestimmten Weltlinien oder Bündeln von solchen, 
also Sehdingen, zuschreiben. 

Es besteht jedoch keine scharfe Grenze zwischen zuschreib- 
baren und nicht-zuschreibbaren Sinnesqualitäten. Betrach- 
ten wir z. B. die Gefühle und etwa noch die Wollungen (wenn wir 
sie einmal als selbständiges Qualitätengebiet, also als einen „Sinn“, 
ansetzen wollen, ohne die Notwendigkeit oder auch nur Möglichkeit 
dieser Ansetzung hier zu entscheiden, vgl. § 85). Unserem wissenschaft- 
lich geschulten Denken Hegt es auch außerhalb der Wissenschaft, im 
täglichen Leben, fern, Gefühlsquahtäten oder WollungsquaHtäten den 
Dingen der Außenwelt als Eigenschaften zuzuschreiben. Doch ist zu 
vermuten, daß die Ablehnung dieser Zuschreibung erst das Ergebnis 
eines Abstraktionsprozesses ist und nicht von vornherein gilt. Für die 
imkritische, kindhche Vorstellung schmeckt der Apfel nicht bloß „säuer- 
Hch“, sondern er schmeckt „lecker“, ja er schmeckt „nach mehr“ ; 
und hierin Hegt doch wohl, daß ihm nicht nur eine GeschmacksquaHtät, 
sondern auch eine Gefühlsqualität und sogar eine WollungsquaHtät 
zugeschrieben wird. In ähnHcher Weise ist ein Wald „melanchofisch“, 
ein Brief „schmerzHch“, ein Mantel „stolz“. (Dabei sind diese Gegen- 
stände nicht etwa auf Grund einer Einfühlung als Subjekte gemeint, 
sondern als Objekte mit den betreffenden Eigenschaften.) Diese Zu- 
schreibungen müssen als durchaus berechtigt anerkannt werden; 
denn genau so, wie der Zucker süß genannt werden darf, weil er eine 


177 


133 Geschmacksempfindung von entsprechender Qualität erregt, darf eine 
Melodie „heiter“, ein Brief „schmerzlich“, eine Tat „empörend“ ge- 
nannt werden, weil durch diese Gegenstände die entsprechenden Ge- 
fühle erregt werden; ferner sieht ein Apfel „verlockend“ aus, ein Ge- 
sicht sieht „zum Ohrfeigen“ aus, ein Lärm ist „zum Davonlaufen“, 
weil diese Gegenstände Wollungen entsprechender Art erregen. Daß 
die Zuschreibung von Gefühls- und Wollungsqualitäten in der Ent- 
wicklung des begrifflichen Denkens gewöhnlich doch fallen gelassen 
wird, liegt vielleicht weniger an zu starken zeitlichen Änderungen dieser 
Qualitäten an demselben Ding, — denn die Änderungen sind hierbei 
häufig geringer als z. B. beim Wärmesinn, Kältesinn und Geruch, — 
als vielmehr an den Widersprüchen, die sich später (bei der Konstitution 
der intersubjektiven Welt) zwischen den Zuschreibungen in Hinsicht 
auf die verschiedenen Subjekte ergeben. Mit Rücksicht hierauf ist 
vielleicht die Annahme berechtigt, daß die Gefühle (und die Wollun- 
gen, wofern sie ein selbständiges Gebiet bilden) im Grunde durchaus 
auf derselben Stufe stehen wie die Sinnesempfindungen (im engeren, 
üblichen Sinne) und nur infolge ihrer graduell stärkeren Varia- 
tion von Subjekt zu Subjekt in bezug auf denselben Gegenstand 
nicht unter die der Außenwelt zuzuschreibenden Qualitäten aufgenom- 
men zu werden pflegen und daher als in besonderer Weise unserem 
„Innern“ zugehörig angesehen werden. Die Ablehnung dieser 
Qualitäten für die Konstitution der Sinnesdinge gilt aber auch keines- 
wegs durchweg ; vorhin wurde das kindliche Denken schon angeführt, 
etwas Ähnliches gilt häufig für die Welt der Lyrik. 

Daß es sich nur um graduelle Unterschiede handelt, zeigt sich auch 
darin, daß im Fortgang der wissenschaftlichen Entwicklung auch die 
Zuschreibung der Qualitäten des Geschmackes und des Geruches fallen 
gelassen wird, ja schließlich sogar die der Qualitäten desTast- und des 
Gesichtsinnes. Diese Ablehnung ergibt sich als notwendige Folge der 
Erkenntnis, daß auch die Zuschreibungen der Qualitäten dieser Sinnes- 
gebiete von Subjekt zu Subjekt variiert und daher nicht in eindeutiger 
widerspruchsfreier Weise durchführbar ist. M. a. W.: die Begriffs- 
bildung (und damit auch die sie nachkonstruierende Konstitution) 
der Wahrnehmungswelt hat nur eine provisorische Gültig- 
keit; sie muß im Fortgang der Erkenntnis (bzw. der Konstitution) 
der streng eindeutigen, aber völlig qualitätsfreien physikalischen 
Welt Platz machen (s. § 136). 


178 



134. Die Wahrnehmungsdinge 

Es sind fast ausschließlich die Punkte der Tast-Sehdinge, denen 134 
in der angegebenen Weise Qualitäten der übrigen Sinne zugeschrieben 
werden. Ist die Zuschreibung erfolgt, so bezeichnen wir diese Dinge 
als „Wahrnehmungsdinge“. Die ganze Raum-Zeit-Weit mit den 
Zuschreibungen der Sinnesqualitäten zu den einzelnen Weltpunkten 
bezeichnen wir als „Wahrnehmungswelt“ . 

Wie früher schon einzelne Teile meines Leibes durch ihre räumlichen 
Gestalt- und Lageverhältnisse als Sehdinge gekennzeichnet werden 
konnten (§ 131), so können 1 jetzt in weitestem Umfange einzelne Gegen- 
stände oder Arten von solchen als Wahmehmungsdinge einzeln gekenn- 
zeichnet werden. Darauf kann sich dann weiter die konstitutionale 
Kennzeichnung der einzelnen Farben, der einzelnen Gerüche usw. 
stützen (z. B. Grün als Farbe des Laubes, und dergl.). Diese Kon- 
stitution geht parallel zur wirklichen Begriffs- und Wortbildung für 
die einzelnen Empfindungsqualitäten, wie wir aus der Sprachgeschichte 
ersehen. Wie an dieser Stelle, so tritt auch noch an manchen weiteren 
Stellen eine nachträgliche Vervollständigung der Konstitution des 
Eigenpsychischen mit Hilfe der Konstitution der höheren Stufen auf; 
doch können wir an den weiteren Stellen nicht mehr darauf eingehen. 

135. Vervollständigung der Wahrnehmungswelt 
durch Analogie 

Stimmt die Zuschreibung von Sinnesqualitäten in größeren Teil- 135 
gebieten zweier Raum-Zeit-Gebiete ganz oder annähernd überein, 
während das Restgebiet in dem einen Raum-Zeit-Gebiet Zuschrei- 
bungen für Punkte aufweist, deren korrespondierende Punkte in dem 
anderen Gebiet keine zugeschriebenen Qualitäten des betreffenden 
Sinnes haben, so werden hier analoge Zuschreibungen vorgenommen. 

Die Anwendung dieses Konstitutionsverfahrens der „Zuschrei- 
bung nach Analogie“ hat für die gewöhnliche Anschauung ein völlig 
verschiedenes Aussehen, je nachdem das Restgebiet sich an das größere 
Teilgebiet in zeitlicher oder in räumlicher Richtung anschließt. Im 
ersten Fall kann der Sinn des Verfahrens anschaulich etwa so formu- 
liert werden (in realistischer Sprache): wiederholt sich ein zeitlich 
größerer Teil eines bekannten Vorganges in gleicher oder ähnlicher 
Weise, während für die Restzeit der Vorgang unbeobachtet ist, so neh- 
men wir an (falls nicht andere Schlüsse dem widersprechen), daß der 
zweite Vorgang während der nichtbeobachteten Zeit in einer dem ersteh 
Vorgang analogen Weise abgelaufen ist ; oder kurz : die Vorgänge unter- 


179 


135 liegen gegenseitiger Analogie. Im zweiten Fall, bei Vervollständigung 
in räumlicher Richtung, kann der Sinn des Verfahrens etwa so formu- 
liert werden (in realistischer Sprache): wird ein räumlicher Teil eines 
schon einmal wahrgenommenen Dinges in gleicher oder ähnlicher Weise 
wieder wahrgenommen, während das restliche Raumgebiet unbeob- 
achtet bleibt, so nehmen wir an (falls nicht andere Schlüsse dem wider- 
sprechen), daß in demnichtbeobachteten Raumteil ein dem entsprechen- 
den Teil des ersten Dinges analoges Dingteil vorhanden sei; oder 
kurz: die Dinge unterliegen gegenseitiger Analogie. 

Beide Arten der Anwendung des Verfahrens sind früher schon vor- 
gekommen, als es sich darum handelte, die gesehenen Farbpunkte 
durch nichtgesehene zu Weltlinien zu ergänzen (die erste Art in § 126, 
Regel 10, 11c, d; die zweite Art in Regel 11 c, d); ebenso bei der Er- 
gänzung der getasteten Tastpunkte durch nichtgetastete (§ 130). 

In gewissem Sinne kann die erste Art der Anwendung der Zu- 
schreibung nach Analogie aufgefaßt werden als Durchführung eines 
Kausalitätspostulats, die zweite als Durchführung eines Sub- 
stanzpostulats. Oder umgekehrt ausgedrückt: die beiden Kate- 
gorien der Kausalität und der Substanzialität bedeuten die 
Anwendung derselben Analogie-Konstitution auf verschie- 
dene Koordinatenrichtungen. 

Die Anwendung des Verfahrens bringt schon allein für die Farb- 
punkte eine beträchtliche Vervollständigung der Zuschreibung. Noch 
weitere Ergänzungen ergeben sich dann durch die gegenseitige Unter- 
stützung der verschiedenen Sinne. Durch solche Vervollständigung 
werden wiederum Dinge und Ablaufgesetze neu oder genauer bekannt, 
durch deren Hilfe dann wieder weitere Ergänzungen möglich sind; 
so steigern sich gegenseitig einerseits die Erkennung der allgemeinen 
Gesetze, die für die Dinge und für das Geschehen gelten, und anderer- 
seits die Ergänzung der Zuschreibung der Qualitäten zu den Punkten 
der Wahrnehmungsweit. 

136. Die physikalische Welt 

136 Von der Wahrnehmungswelt, die durch Zuschreibung von Sinnes- 
qualitäten konstituiert wird, ist die physikalische Welt zu unter- 
scheiden, bei der den Punkten des vierdimensionalen Zahlenraumes 
bloße Zahlen, die„physikalischenZustandsgrößen“ zugeschrieben 
werden. Der Zweck dieser Konstitution besteht darin, ein Gebiet auf- 
zustellen, das durch mathematisch faßbare Gesetze determiniert 
ist. Mathematisch faßbar sollen die Gesetze sein, damit mit ihrer 
Hilfe gewisse Bestimmungen aus denjenigen anderen, durch die sie 

180 



determiniert sind, berechnet werden können. Die Notwendigkeit der 
Konstitution der physikalischen Welt beruht ferner auf dem Umstand, 
daß nur diese, nicht aber die Wahrnehmungswelt (vgl. § 132, Schluß), 
die Möglichkeit eindeutiger, widerspruchsfreier Intersubjektivierung 
(§ 146—149) gibt. 

Daß die Physik, wenn sie ein Gebiet durchgängiger Gesetzmäßigkeit 
aufbauen will, die Qualitäten eliminieren und bloße Zahlen an ihre 
Stelle setzen muß, ist nicht von vornherein selbstverständlich. Die 
gegenteilige Auffassung (die z. B. Goethe im polemischen Teil 
seiner „Farbenlehre“ mit aller Schärfe gegen Newton vertritt) geht 
dahin, daß man im Gebiet der Sinnesqualitäten selbst bleiben und die 
zwischen ihnen bestehenden Gesetzmäßigkeiten feststellen müsse. Das 
käme also darauf hinaus, die Gesetzmäßigkeiten in dem Gebiet, das 
wir die Wahrnehmungswelt nannten, aufzufinden. Gesetze von der 
Art der physikalischen Naturgesetze gelten dort freilich nicht. Es läßt 
sich aber zeigen, daß doch immerhin Gesetzmäßigkeiten bestehen 
müssen, wenn die Konstitution der gesetzmäßigen physikalischen Welt 
überhaupt möglich sein soll; freilich Gesetzmäßigkeiten von viel ver- 
wickelterer Gestalt als die physikalischen. Darauf kann hier jedoch 
nicht näher eingegangen werden. Der weitaus einfachere Weg, um zu 
einem Gebiet von durchgängiger Gesetzmäßigkeit und Berechenbar- 
keit zu kommen, besteht jedenfalls in der Konstitution der physi- 
kalischen Welt als einer reinen Zahlenwelt. 

Welche physikalischen Zustandsgrößen für die Konstitution der 
physikalischen Welt gewählt werden müssen, ist durch den genannten 
Zweck dieser Konstitution noch nicht eindeutig bes timm t., wenigstens 
nicht bei dem gegenwärtigen Stand der physikalischen Erkenntnis. 
Die Wahl kann in verschiedener Weise getroffen werden. Die verschie- 
denen Systeme der Physik, die sich dadurch ergeben, stehen, an der 
Empirie gemessen, gleichberechtigt nebeneinander; es wird aber wahr- 
scheinlich einmal eine eindeutige Entscheidung getroffen werden (zwar 
unter Berücksichtigung der Empirie, aber geleitet durch methodologi- 
sche Grundsätze, z. B. den der Einfachstheit). 

Von der Wahl der Zustandsgrößen und des physikalischen Systems 
hängt auch die Formulierung der Naturgesetze ab. Trotzdem liegt 
aber Art und Grad der durch die Naturgesetze angegebenen Deter- 
mination unabhängig vom System empirisch fest: die Zuschreibung 
aller Zustandsgrößen zu allen Weltpunkten ist nämlich determiniert 
durch die Zuschreibung der Zustandsgrößen zu den Punkten eines drei- 
dimensionalen Querschnittes quer zur Richtung der ersten Koordinate 
(die der Zeit entspricht). 


18 1 


136 


136 Die Konstitution der physikalischen Welt ist, abgesehen von der 
Gesetzmäßigkeit, zu der sie hinführen soll, im Wesentlichen durch 
eine besondere Beziehung zwischen ihr und der Wahrnehmungs weit be- 
stimmt, die wir als „physikalisch-qualitative Zuordnung“ be- 
zeichnen wollen. Zunächst sind nämlich die physikalischen Weltpunkte 
eineindeutig denen der Wahrnehmungswelt zugeordnet (die Metrik 
der physikalischen Welt kann trotzdem eine andere sein, etwa die 
von der allgemeinen Relativitätstheorie geforderte nichteuklidische Me- 
trik). Dann besteht eine einmehrdeutige Zuordnung zwischen Quali- 
täten und Zustandsgrößen derart, daß, wenn in einem physikalischen 
Punkt und seiner Umgebung eine Zuschreibung physikalischer Zustands- 
größen von irgendeiner (rein zahlenmäßigen) Struktur besteht, dann 
stets dem zugeordneten Weltpunkt der Wahmehmungswelt die dieser 
Struktur zugeoEdnete Qualität zugeschrieben ist oder wenigstens 
widerspruchsfrei zugeschrieben werden kann. In der umgekehrten 
Richtung ist die Zuordnung aber nicht eindeutig: durch die Zuschrei- 
bung einer Qualität an einen Weltpunkt der Wahmehmungswelt ist 
nicht bestimmt, welche einzelne Zustandsgrößenstruktur der Um- 
gebung des zugeordneten physikalischen Zeitpunktes zugeschrieben 
ist, sondern nur eine Klasse ist bestimmt, zu der diese Struktur gehören 
muß. Die physikalisch- qualitative Zuordnung kann allerdings nicht 
frei sein von der Ungenauigkeit, die der Wahmehmungswelt über- 
haupt anhaftet. 

LITERATUR. Über das Problem der Entscheidung zwischen den möglichen 
Systemen der Physik: Camap [Aufg. d. Phys.]; hier auch Näheres über die phy- 
sikalisch-qualitative Zuordnung. Über Art und Grad der Determination der phy- 
sikalischen Welt: Camap (Dreidimens.]. Daß die physikalische Welt völüg frei von 
Sinnesqualitäten ist, wird gezeigt von Schlick [Raum u. Zeit] 93L, und Camap 
[Phys. Begr.]; hier auch (S. 51 ff.) Darlegung der Gründe für den Übergang von der 
qualitativen Wahmehmungswelt zur quantitativen physikalischen Welt. 

137. Die biologischen Gegenstände; die Menschen 
137 Nachdem die physikalische Welt konstituiert ist, kann jeder Vor- 
gang und jedes Ding in ihr einzeln gekennzeichnet werden, sei es durch 
Angabe von Ort und Zeit oder durch die Beziehung zu anderen Vor- 
gängen und Dingen oder durch Eigenschaften in bezug auf das Zu 
geschriebene.- Früher haben wir schon die einzelnen Sinnesorgane meines 
Leibes als gekennzeichnet angenommen (§ 13t) ; ebenso ist nun auch 
eine konstitutionale Kennzeichnung möglich für alle anderen Teile 
und Vorgänge an meinem Leibe, ferner für alle sonstigen einzelnen 
physischen Dinge, ihre Teile und die Vorgänge an ihnen. Danach kön- 
nen dann diese physischen Dinge nach übereinstimmenden Eigen- 


182 



schäften in Klassen oder in ganze Systeme von Klassen verschiedener 137 
Stufen eingeordnet werden. So ergeben sich etwa die anorganischen 
und organischen Substanzen, ferner die anorganischen und organischen 
Einzelgegenstände, auch das ganze System der Organismen, der Pflan- 
zen und der Tiere; aber auch die von Menschen verfertigten Dinge. 

In solcher Weise ist das gesamte Gebiet der physischen Gegen- 
stände konstituierbar. 

Die Organismen sind gekennzeichnet durch besondere Eigen- 
schaften der an ihnen geschehenden Vorgänge oder durch bestimmte, 
auf Grund der vorkommenden Vorgänge zu konstituierende „Ver- 
mögen“, z. B. Stoffwechsel, Fortpflanzung, Regulation und dergl. Die 
kennzeichnenden Eigenschaften brauchen hier nicht ausführlicher er- 
örtert zu werden. Wichtig ist nur, daß es physische Eigenschaften sind, 
d. h. solche, die wir hier nach der Konstitution der physikalischen Welt 
als konstituiert voraussetzen dürfen. Die Organismen mit ihren wesent- 
lichen Eigenschaften und Beziehungen, und die gerade bei ihnen vor- 
kommenden Vorgänge heißen „biologische Gegenstände“. 

Es zeigt sich empirisch, daß das früher konstituierte Ding „mein 
Leib“, das zuerst als Sehding (§ 129) konstituiert und dann durch die 
weiteren Zuschreibungen in die Wahmehmungswelt eingefugt wird, 
zu den Organismen gehört. Als Klasse der „Menschen“ wird eine 
Klasse der biologischen Klassifikation der Organismen konstituiert, zu 
der mein Leib gehört; diese Klasse ist konstitutional zu kennzeichnen 
durch die Angabe, bis zu welchem Grade ihre Elemente mit meinem 
Leib in Größe, Gestalt, Bewegungen, sonstigen Vorgängen usw. über- 
einstimmen sollen. Die außer dem Ding „mein Leib“ zu dieser Klasse 
gehörenden „anderen Menschen“ (als physische Dinge) bilden eine 
Gegenstandsart, die für das Konstitutionssystem von ganz besonderer 
Bedeutung ist. An sie werden die Konstitutionen des Fremdpsychi- 
schen (§ 140) und damit die aller höheren Gegenstände anknüpfen. 

138. Die Ausdrucksbeziehung 

Die Konstitution meines Leibes, seiner Teile, seiner Bewegungen 138 
und der sonstigen Vorgänge an ihm sind schon erörtert worden (§ 129, 

131, 137). Ob wir dabei unter „meinem Leib“ das bloße Tast-Sehding 
verstehen, das ursprünglich diese Bezeichnung bekam, oder das ent- 
sprechende physische Ding, ist verhältnismäßig unwichtig, da die Vor- 
gänge, die wir für die weiteren Konstitutionen brauchen, durch Tast- 
und Sehqualitäten schon hinreichend kennzeichenbar sind. 

Für die spätere Konstitution des Fremdpsychischen (§ 140) ist die 
„Ausdrucksbeziehung“ von grundlegender Bedeutung. Wie früher 

183 



138 schon erläutert (§ 19), verstehen wir darunter die Beziehung zwischen 
den Ausdrucksbewegungen, also Mienen, Gesten, Körperbewegungen, 
auch OrgaDVorgängen, und denjenigen gleichzeitigen psychischen Vor- 
gängen, die sich in ihnen „ausdrücken“. Diese Erläuterung soll nicht 
etwa die konstitutionale Definition der Ausdrucksbeziehung sein; das 
wäre ja eine Zirkeldefinition. Sondern sie soll nur auf Bekanntes hin- 
weisen, um das Wort deutlicher verstehen zu lassen. Die Konstitution 
der Ausdrucksbeziehung besteht dagegen darin, daß einer Klasse von 
eigenpsychischen Vorgängen, die häufig gleichzeitig mit bestimmten 
wahrnehmbaren physischen Vorgängen meines Leibes Vorko mmen , die 
Klasse dieser physischen Vorgänge als „Ausdruck“ zugeordnet wird. 

Die Konstitution des Fremdpsychischen könnte sich, anstatt auf 
die Ausdrucksbeziehung, auch auf die psychophysische Beziehung 
(§ 19, 21) stützen, wenn diese schon genau bekannt wäre. In diesem 
Falle würde diese Beziehung dadurch zu konstituieren sein, daß einer 
Klasse von eigenpsychischen Vorgängen, die häufig gleichzeitig mit 
bestimmten physischen Vorgängen meines Zentralnervensystems Vor- 
kommen, die Klasse dieser physischen Vorgänge „psychophysisch“ zu- 
geordnet wird. 


184 



i 


C. DIE OBEREN STUFEN: 

FREMDPSYCHISCHE UND GEISTIGE GEGENSTÄNDE 

139. Über dieDarstellung der weiteren Konstitutionsstufen 

Für die weiteren Stufen des Konstitutionssystems müssen wir uns 139 
damit begnügen, nur so viele Andeutungen zu geben, als nötig sind, um 
die Möglichkeit einer Konstitution des betreffenden Gegenstandes auf 
Grund der vorhergegangenen Konstitutionen erkennen zu lassen. 

Zunächst werden auf Grund bestimmter Vorgänge an den als physi- 
schen Dingen schon konstituierten „anderen Menschen“ (§ 137) mit 
Hilfe der Ausdrucksbeziehung (§ 138) die fremdpsychischen Gegen- 
stände konstituiert (§ 140). Bestimmte Vorgänge an den anderen Men- 
schen werden weiterhin als „Zeichengebung“ aufgefaßt; mit ihrer 
Hilfe wird die „Welt des Andern“ konstituiert (§ 141 —145). Zwischen 
der bisher konstituierten Welt, „meiner Welt“, und dieser „Welt des 
Andern“ besteht eine bestimmte Zuordnung, auf die sich die Kon- 
stitution der „in ter subjektiven Welt“ gründet (§ 146—149). Auf 
Grund der (eigen- oder fremd-)psychischen Gegenstände ist schließ- 
lich die Konstitution der Gegenstände der höchsten Stufen möglich: 
der geistigen Gegenstände (§ i5of.) und der Werte (§ 152). Nach 
der Erörterung dieser Konstitutionen wird noch das Problem der Eli- 
minierung der Grundrelation(en) als des letzten, nicht rein formalen 
Momentes am Konstitutionssystem behandelt (§ 153— 155). Zuletzt 
wird in Thesen zusammengefaßt, was nach der vorangegangenen Dar- 
stellung des Konstitutionssystems als Behauptung ausgesprochen wer- 
den kann (§ 156), im Unterschied zu dem konkreten Inhalt des dar- 
gestellten Systems, der nur Beispielscharakter haben soll. 

140. Das Gebiet des Fremdpsychischen 

Wir haben früher (§ 137) die „anderen Menschen“ konstituiert als 140 
diejenigen Organismen, die in bestimmter Weise meinem Leib ähnlich 
sind; sie sind damit als physische Dinge konstituiert, die Konstitu- 
tion des Psychischen der anderen Menschen, des „Fremdpsychi- 
schen“, wird erst jetzt vorgenommen. Diese Konstitution besteht 
darin, daß auf Grund der physischen Vorgänge an einem anderen Men- 

185 


140 sehen mit Hilfe der früher konstituierten Ausdrucksbeziehung (§ 138) 
diesem Menschen psychische Vorgänge zugeschrieben werden. Außer 
der Ausdrucksbeziehung wird auch noch die „Zeichengebung“ ver- 
wertet, d. h. die Angaben, die der andere Mensch mir macht (§ 141 — 
144). 

Zwei Punkte sind hier besonders beachtenswert : bei der Konstitution 
des Fremdpsychischen kann es sich nur um eine Zuschreibung an den 
Leib des Andern handeln, nicht etwa an seine Seele, die ja nicht anders 
als auf Grund erst dieser Zuschreibung konstituiert werden kann, also 
für die Zuschreibung konstitutional noch nicht vorhanden ist; und 
ferner: die zugeschriebenen psychischen Vorgänge sind eigenpsychi- 
sche, aus genau dem gleichen Grunde, nämlich weil anderes Psychische 
als das Eigenpsychische noch nicht konstituiert ist und auch nicht vor 
der Zuschreibung konstituiert werden kann, da keine andere Mög- 
lichkeit zu seiner Konstitution besteht als eben mit Hilfe dieser Zu- 
schreibung. 

Auf Grund der aus den Elementarerlebnissen gefundenen Zustands- 
gesetze (daß mit Erlebnisbestandteilen von der Art a andere von der 
Art b gleichzeitig vorzukommen pflegen) und der Ablaufgesetze (daß 
auf Erlebnisse und Erlebnisbestandteile und Reihen von solchen von 
der Art a andere von der Art b zu folgen pflegen) wird diese Zuschrei- 
bung noch ergänzt, um eine mehr oder weniger vollständige Erlebnis- 
reihe des Anderen zu erhalten. Diese ganze Erlebnisreihe des an- 
deren Menschen besteht dabei in nichts anderem als einer Um- 
ordnung meiner Erlebnisse und ihrer Bestandteile. Für den 
Anderen können allerdings Erlebnisse konstituiert werden, die mit 
keinem meiner Erlebnisse übereinstimmen. Aber die Bestandteile des 
neuartigen Erlebnisses des Anderen müssen als Bestandteile meiner 
Erlebnisse Vorkommen, denn (in konstitutionaler Sprache:) es ist nichts 
da, was zugeschrieben werden könnte, als die Elementarerlebnisse und 
das aus ihnen Konstituierte, also ihre Quasibestandteile (im weitesten 
Sinne, einschließlich der Komponenten usw.) ; (in realistischer Sprache :) 
was mir nicht seiner Art nach von mir aus bekannt ist, auf das kann 
ich auch nicht bei dem anderen Menschen aus den Ausdrucksvor- 
gängen, die ich beobachte, schließen. 

Wie früher erörtert worden ist (§ 132), werden meine Erlebnisse oder 
Bewußtseinsvorgänge durch Einfügung der unbewußten Vorgänge zu 
dem vollständigen eigenpsychischen Gebiet ergänzt, das eine zwar nicht 
in sich abgeschlossene, aber doch weitgreifende Gesetzmäßigkeit auf- 
weist. In genau analoger Weise wird nun die Erlebnisreihe oder „das 
Bewußtsein des Anderen" durch „unbewußte Vorgänge des 


186 



Anderen“ zu dem vollständigen Gebiet des „Psychischen des An- 140 
deren“ ergänzt. Dabei werden dieselben determinierenden Gesetze 
angenommen, wie bei der Ergänzung zum Eigenpsychischen. Das so 
konstituierte Psychische des Anderen wird als Klasse der „psychischen 
Zustände des Anderen“ analog „meiner Seele“ „die Seele des An- 
deren“ genannt. Das allgemeine Gebiet des „Fremdpsychischen“ 
umfaßt das Psychische aller der anderen Menschen, die (d. h. deren 
Leiber) als physische Dinge in der konstituierten physikalischen Welt 
Vorkommen. 

Aus der angegebenen Art der Konstitution des Fremdpsychischen 
folgt: es gibt kein Fremdpsychisches ohne Leib. Denn (in kon- 
stitutionaler Sprache:) Fremdpsychisches kann nur durch Vermittlung 
eines Leibes konstituiert werden, und zwar eines solchen, bei dem ge- 
wisseVorgänge(die„ Ausdrucks Vorgänge“) Vorkommen, die denen meines 
Leibes ähnlich sind; (in realistischer Sprache:) Fremdpsychisches, das 
nicht an einen Leib gebunden wäre, durch den es sich äußert, würde 
grundsätzlich unerkennbar sein und könnte daher nicht Gegenstand 
einer wissenschaftlichen Aussage werden. (Auf das Problem der T ele- 
pathie sei hier nicht eingegangen; die nähere Untersuchung würde 
zeigen, daß auch telepathische Erkenntnis von Fremdpsychischem der 
Vermittlung eines Leibes bedarf.) 

Wenn wir hinreichende (heute noch nicht vorliegende) Erkenntnisse 
der Gehirnphysiologie voraussetzen (durch die das Zuordnungsproblem 
der psychophysischen Beziehung gelöst wäre, vgl. § 21), so ist das Psychi- 
sche eines anderen Menschen genauer und vollständiger konstituierbar 
mit Hilfe der psychophysischen Beziehung als mit Hilfe der Aus- 
drucksbeziehung (samt Zeichengebung). Sind die Gehirnvorgänge des 
Anderen als Teil der physikalischen Welt bis in ihre Einzelheiten kon- 
stituiert, so ist aus ihnen das Bewußte und das Unbewußte des Anderen, 
also mit einem Male das gesamte Psychische des Anderen, konstituier- 
bar. Die vorhin gegebenen Folgerungen bleiben auch bei dieser Art der 
Konstitution bestehen. 

LITERATUR. Das Problem der Konstitution des Fremdpsychischen 
wird im Verhältnis zu seiner großen Bedeutung für den Aufbau der erkennbaren -Welt 
selten als Aufgabe gestellt; noch seltener sind Versuche zur Lösung gemischt worden. 
Hauptsächlich sind wohl nur zu nennen: Kauffmann [Imman.] 106 — 121; Dingler 
[Naturphil.] 140 ff. ; Driesch [Ordnungsl.] 371 ff. (hier auch Literaturangaben) ; Ziehen 
[Erkth,] 277fr; Becher [Geisteswiss/j 119fr., 285#.; Jacoby [Ontol.] 307fr. In den 
genannten und anderen Untersuchungen dieser Art wird jedoch das Fremdpsychische 
meist erschlossen anstatt konstituiert; eine Ausnahme machen Kauffmann und 
Dingler. Dieses Erschließen bedeutet eine Verletzung des „Konstruktionsprin- 
zips“ von Russell (s. Motto vor § 1, und § 3), das freilich R. selbst auf dieses Problem 

iS? 


140 nicht anwendet. Eingehende Erörterungen der erkenntnistheoretischen Zurückfüh- 
rung des Fremdpsychischen auf Physisches : Camap [Realismus], 

Über die Zurückführung nicht nur des Fremdpsychischen, sondern alles Psychi- 
schen auf Physisches im Behaviorismus vgl. § 59. 


141. Die Zeichengebung 

141 Außer den Ausdrucksvorgängen sind noch gewisse andere physische 
Vorgänge an den anderen Menschen als physischen Dingen von ganz 
besonderer Bedeutung für die Erweiterung der Erkenntnis, und daher 
auch für die Weiterführung des Konstitutionssystems. Es sind dies die 
zeichengebenden Äußerungen, vor allem gesprochene und geschriebene 
Worte; wir nennen sie „Zeichengebungen“. Sie ermöglichen eine 
Verbreiterung des Konstitutionssystems, eine Vermehrung der Anzahl 
der konstituierbaren Gegenstände beinahe aller Arten. 

Wir haben früher schon die Zeichenbeziehung erläutert und ihre 
Unterscheidung von der Ausdrucksbeziehung betont (§ 19). Eine Teil- 
beziehung von ihr ist die Beziehung zwischen „Zeichengebung“ 
und B ezeichne tem. Die Konstitution dieser Beziehung ist schwieriger 
als irgendeine der bisherigen Konstitutionen. Es können zwar Regeln 
darüber aufgestellt werden, wie etwa aus dem Vergleich des Vorkom- 
mens der Laute der fremden Sprache mit den Vorgängen am Sprechen- 
den und in seiner Umgebung die Bedeutung dieser Laute zu erschließen 
ist. Aber es ist nicht möglich, diese Regeln so zu geben, daß aus ihnen 
stets schon beim ersten Vorkommen des Lautes seine Bedeutung er- 
schlossen werden könnte. Es kann vielmehr nur angegeben werden, wie 
zunächst Vermutungen aufzustellen sind und wie diese Vermutungen 
nach öfterem Vorkommen der Laute entweder verworfen oder mehr 
und mehr bestätigt werden, bis sie Gewißheit erlangen. 

Um die konstitutionale Definition der Beziehung der Zeichengebung 
zu erhalten, müßte man solche Regeln (zur Erkennung der Bedeutung 
der Zeichengebungen) in die konstitutionale Sprache übersetzen. Da- 
her würde auch diese Definition eine sehr komplizierte Form annehmen. 
Zunächst wäre festzusetzen, daß ein physischer Vorgang an einem an- 
deren Menschen dann als Zeichengebung gilt, wenn die folgende Kon- 
stitution sich für ihn als vollständig durchführbar erweist. Die Kon- 
stitution selbst würde etwa besagen, daß derjenige Gegenstand als das 
Bezeichnete einer Zeichengebung eines anderen Menschen anzusehen 
ist, dem nach einem bestimmten Verfahren das größte Gewicht in bezug 
auf diese Zeichengebung zugeschrieben wird. Dabei gilt die Bedeutung 
als um so stärker gesichert, je mehr das Gewicht des betreffenden Gegen- 
standes die Gewichte der übrigen Gegenstände in bezug auf dieselbe 

188 



Zeichengebung übertrifft. Die Regeln über die Zuschreibung des Ge- 
wichts an die verschiedenen Gegenstände in bezug auf eine bestimmte 
Zeichengebung können hier nur angedeutet werden. 

Die Regeln würden u. a. etwa besagen, daß das einem physischen Ding in bezug 
auf eine bestimmte Zeichengebung zuzuschreibende Gewicht steigt, wenn das Ding 
dem Leib des Zeichengebenden zur Zeit der Zeichengebung nahe ist, ferner wenn es 
zu den Sinnesorganen des Zeichengebenden in gewissen Beziehungen (nämlich den 
Reizbeziehungen) steht, ferner in zweiter Linie, wenn es die Nähe zu dem Zeichen- 
gebenden oder die Reizbeziehung zu seinem Sinnesorgan zwar nicht zur Zeit der 
Zeichengebung, aber doch nicht zu lange Zeit vorher hatte; ferner steigt das Gewicht, 
wenn das Ding in Bewegung ist oder wenn es seinen Bewegungszustand ändert oder 
wenn an ihm ein unstetiger Vorgang stattfindet oder wenn es sich in seinen physischen 
Eigenschaften besonders von der Umgebung abhebt und dgl. Wir begnügen uns 
mit solchen einfachen Andeutungen, die nur die Möglichkeit derartiger Regeln dar tun 
sollen. 

Die Zeichengebung wird nach dem angedeuteten Verfahren zu- 
nächst auf Physisches bezogen. Und zwar werden nicht nur, wie 
in den angedeuteten Regeln, den physischen Dingen Gewichte zu- 
geschrieben, sondern den physischen Gegenständen aller Arten (Vor- 
gängen, Zuständen, Eigenschaften, Beziehungen usw.). Nun wird aber 
weiterhin auch — immer noch in bezug auf eine bestimmte Zeichen- 
gebung — nach ähnlichen Regeln eine Verteilung von Gewichten auf 
die psychischen Gegenstände des Zeichengebenden vorgenommen, 
und zwar auch wieder auf die psychischen Gegenstände verschiedener 
Arten (Erlebnisse, Bestandteile, Komponenten usw.); und ferner auch 
noch auf die psychischen Gegenstände der anderen Menschen ein- 
schließlich des Ich. Nachdem später die Konstitutionen noch höherer 
Stufen durchgefdhrt sind, werden auch den durch sie eingeführten 
Gegenständen Gewichte zugeschrieben, je nach der engeren oder wei- 
teren Verbindung zwischen dem betreffenden Gegenstände und dem 
Zeichengebenden. 

Die wichtigste Gewichts Verteilung auf die Gegenstände, freilich 
auch die schwierigste, ergibt sich jedoch erst (in realistischer Sprache) 
durch Verstehen des Wortes aus dem Zusammenhang. In bezug auf 
ein bestimmtes Wort, das in einem Satz vorkommt, ist denjenigen 
Gegenständen erhöhtes Gewicht beizulegen, die zu den von den an- 
deren Worten des Satzes bezeichneten Gegenständen in naher Ver- 
bindung stehen (etwa durch gleiche Gegenstandsart, räumliche und 
zeitliche Nähe, Übereinstimmung in gewissen Eigenschaften, Verknüp- 
fung durch einen gewissen Vorgang usw.). Ist die Bedeutung der an- 
deren Worte noch nicht genügend gesichert, so sind hierbei für jedes 
Wort mehrere Gegenstände je nach Maßgabe ihres Gewichtes zu berück- 
sichtigen. 


141 


189 


142. Die Angaben der anderen Menschen 

142 Die angedeutete Berücksichtigung der anderen Worte für die Deu- 
tung eines Wortes ist nur die primitivste Form der Berücksichti- 
gung des Zusammenhanges. Eine fruchtbarere Form ergibt sich 
aus dem Umstand, daß die Worte Sätze bilden und die Sätze Sach- 
verhalte bezeichnen. Eine Zeichengebung, die einen ganzen Satz 
bildet, also einen Sachverhalt bezeichnet, nennen wir eine „An- 
gabe“. Die Angabebeziehuüg (zwischen einer Angabe und ihrem 
Sachverhalt) ist zusammen mit der Zeichengebungsbeziehung (zwischen 
einem Wort und dem bezeichneten Gegenstand) zu konstituieren, da 
die beiden Konstitutionen aufeinander Bezug nehmen und sich gegen- 
seitig unterstützen. Die Konstitution der Angabebeziehung ist 
aber noch schwieriger als die der Zeichengebungsbeziehung für Worte, 
besonders, weil sie die verschiedenen möglichen Satzformen berück- 
sichtigen muß. 

BEISPIEL. Um anzudeuten, welche Form die Konstitution etwa hat, wollen 
wir sie auf eine möglichst einfache Satzform beziehen, n ämli ch auf Sätze, die aus drei 
Worten bestehen, die Vorderglied, Beziehung und Hinterglied bezeichnen (Beispiel: 
„Karl schlägt Fritz“). Die konstitutionale Definition der Angabebeziehung 
würde hier etwa durch folgende Bestimmungen auszudrücken sein. Als Bedeutung 
einer Angabe gilt derjenige Sachverhalt, der das größte Gesamtgewicht in bezug auf 
diese Angabe hat. Das Gesamtgewicht ist eine Funktion (etwa das Produkt) einzelner 
Gewichtsfaktoren des Sachverhaltes in bezug auf die bestimmte Angabe. Für die Be- 
stimmung dieser Faktoren müßten besondere Regeln aufgestellt werden, unter denen 
etwa solche der folgenden Art oder ä hnli che Vorkommen könnten. Ein Sachverhalt 
betrifft zwei Gegenstände (im Beispiel: Karl und Fritz) und eine zwischen ihnen be- 
stehende Beziehung (das Schlagen). Der erste Faktor für das Gesamtgewicht eines 
bestimmten Sachverhaltes in bezug auf eine bestimmte Angabe ist das (nach den 
Regeln von § 141 zu bestimmende) Gewicht des ersten Gegenstandes des Sachverhaltes 
in bezug auf das erste Wort der Angabe („Karl“); der zweite Faktor ist das Gewicht 
der Beziehung des Sachverhaltes in bezug auf das zweite Wort der Angabe („schlägt“) ; 
der dritte Faktor ist das Gewicht des zweiten Gegenstandes des Sachverhaltes in 
bezug auf das dritte Wort der Angabe („Fritz“). Ein vierter Faktor, der bedeutend 
stärker ins Gewicht fällt als die drei genannten, wird in etwa folgender Art bestimmt. 
Er ist dann am größten, wenn der Sachverhalt besteht (d. h. wenn die betreffende Be- 
ziehung zwischen den beiden Gegenständen gilt; im Beispiel: wenn Karl den Fritz 
wirklich schlägt); er ist kleiner, wenn nicht bekannt ist, ob der Sachverhalt besteht 
oder nicht ; noch kleiner, wenn der Sachverhalt nicht besteht, aber wenigstens der erste 
Gegenstand zum Vorbereich, der zweite zum Nachbereich der Beziehung gehört ; noch 
kleiner, wenn nur eine dieser beiden Bedingungen erfüllt ist ; noch kleiner, wenn beide 
Bedingungen nicht erfüllt sind, aber die Gegenstände wenigstens zur Gegenstandsart 
oder wenigstens zur Sphäre des Vorbereichs bzw. des Nachbereichs gehören; usf. 

Die Bedeutung einer Angabe ist als um so stärker gesichert anzu- 
sehen, je mehr das nach Regeln der angedeuteten Art berechnete Ge- 
samtgewicht des betreffenden Sachverhaltes in bezug auf diese Angabe 

190 



die Gesamtgewichte der übrigen Sachverhalte übertrifft. Nach Maß- 142 
gäbe der hiernach festgestellten Sicherheit werden dann die gefundenen 
Zuordnungen der Angabebeziehung wiederum verwertet für die Zeichen- 
gebungsbeziehung für Worte, nämlich der drei Worte der Angabe: 
ein Gegenstand erhält ein um so größeres Gewicht in bezug auf ein Wort, 
je stärker gesichert ein Angabe-Sachverhalt-Paar ist, in dem Wort 
und Gegenstand an korrespondierenden Stellen Vorkommen. Der 
hiernach dem Gegenstand zugeschriebene Gewichtsfaktor ist von be- 
sonders großem Einfluß auf die Bestimmung seines Gewichtes. Darin 
drückt sich der besondere Wert des „Zusammenhanges“ für die Be- 
stimmung der Bedeutung eines Wortes aus. 

143. Intuitives Verstehen und funktionale Abhängigkeit 

Wir haben früher erörtert (§ 100), daß die Kons ti tu tion den wirk- 143 
liehen Erkenntnisprozeß nicht in seiner konkreten Beschaffenheit dar- 
stellen, sondern in seinem formalen Gefüge rationalnachkonstruie- 
ren soll. Die vom Gesichtspunkt dieses Zweckes aus gestattete und 
geforderte Abweichung der Konstruktion vom wirklichen Erkenntnis- 
prozeß ist in den zuletzt erörterten Fällen besonders groß, nämlich bei 
der konstitutionalen Verwertung der Ausdrucksb ewegungen, der Zeichen- 
gebungen und der Angaben. Wenn das Kind lernt, die Bedeutung 
gesprochener Worte und Sätze zu verstehen, so geschieht das in 
assoziativ-intuitiver Weise und nicht (oder nur zu einem sehr geringen 
Teil) durch schließendes Denken. Und in noch stärkerem Maße ist das 
Verstehen der Ausdrucksb ewegungen anderer Menschen auf das 
intuitive Verfahren beschränkt. Nach dem Verstehen eines Satzes ist 
es zwar meist möglich, sich an die einzelnen Teile des Satzes zu er- 
innern, aus ihren Teilbedeutungen die Bedeutung des Ganzen zu er- 
schließen und dadurch das intuitive Verstehen rational nachzuprüfen. 
Dagegen ist es nach dem Verstehen des Mienenspiels eines Anderen 
in den meisten Fällen nicht mehr möglich, sich die einzelnen Mienen 
noch genau zu vergegenwärtigen j die Eindrücke von den rein physischen 
Vorgängen sind sehr flüchtig, im wesentlichen bleibt nur die Erinnerung 
an die verstandene Bedeutung. 

Nun besteht zwischen Zeichengebung oder Ausdrucksbewegung 
und der bezeichneten bzw. ausgedrückten Bedeutung eine bes timm te 
Abhängigkeit, und diese ist es, die in der Konstitution zur Darstellüng 
kommen soll. Diese Abhängigkeit gilt in jedem Falle, gleichviel ob das 
Verstehen der Äußerung intuitiv oder rational geschieht. Die Abhängig- 
keit besteht zunächst darin, daß jedes Verstehen von Fremdpsychischem 
auf der Vermittlung einer Zeichengebung oder einer Ausdrucksbewegung 

191 


143 beruht. Aber mehr noch : der verstehbare und verstandene Inhalt ist 
in seiner ganzen Beschaffenheit bedingt durch die Beschaffenheit der 
vermittelnden Äußerung. Mit anderen Worten : Fremdpsychisches ist 
(auch intuitiv) nur erkennbar als Bedeutung einer Äußerung (Aus- 
drucksbewegung oder Zeichengebung) ; die Bedeutung einer Äus- 
serung ist eine eindeutige Funktion der physischen Be- 
schaffenheit der Äußerung („Funktion“ im mathematischen, nicht 
im psychologischen Sinne). Da die Konstitution diese Funktion an- 
gibt, so wird der Ablauf des Erkenntnisprozesses durch die Konsti- 
tution nicht etwa falsch dargestellt (nämlich als ein ratiorial-diskur- 
siver anstatt eines intuitiven), ja nicht einmal fiktiv in solcher Weise 
nachkonstruiert. (Das Letztere geschieht nur in der Sprache der fikti- 
ven Konstruktion, die als Anschauungshilfe beigegeben werden kann.) 
Die Konstitution selbst gibt gar keinen Ablauf an, sondern nur jene 
logische Funktion. 

Diese Bemerkungen gelten über das vorliegende Problem hinaus 
auch allgemein für den Sinn der Konstitutionen. Besonders in diesem 
Abschnitt (IV C), in dem der Kürze und Anschaulichkeit halber meist 
die realistische Sprache angewendet wird, ist zu beachten, daß die 
(hier nicht formulierten) Konstitutionen selbst auch bei den hier be- 
handelten Gegenständen nur den neutralen Charakter logischer Funk- 
tionen haben. 

LITERATUR. Über die Notwendigkeit der er kenntnis theoretisch-logi- 
schen „Rechtfertigung“ oder Legitimierung der Erkennung des Fremdpsychischen, 
die in Wirklichkeit durch Einfühlung oder „apperzeptive Ergänzung“ (B. Erdmann) 
vor sich geht, vgl. Becher [Geisteswiss.] 28sff. Eine genauere Analyse des Sinnes 
der erkenntnistheoretischen Zurückführung überhaupt und besonders der 
des Fremdpsychischen auf das Physische: Carnap [Realismus]. 

144. Die Verwertung der Angaben der anderen Menschen 

144 Die Angaben der anderen Menschen werden im Erkenntnisprozeß 
und daher auch im Konstitutionssystem nach zwei verschiedenen 
Richtungen hin verwertet. Durch eine Angabe erfahre ich zunächst 
(sofern sie zuverlässig ist) einen Sachverhalt; ferner aber erfahre ich, 
daß dieser Sachverhalt dem Anderen bekannt ist. 

Wir betrachten zunächst die Verwertung des Inhalts der An- 
gaben. Bevor eine Angabe verwertet wird, ist ihre Zuverlässigkeit zu 
prüfen, einerseits durch Vergleich mit schon mehr oder weniger gesicher- 
ten Sachverhalten und Gesetzen der Beziehung zwischen solchen, an- 
dererseits durch Berücksichtigung der Glaubwürdigkeit des Aussagen- 
den, wofür die Kriterien allmählich empirisch gewonnen werden. Wir 



wollen hier nicht näher auf die Prüfung der Glaubwürdigkeit eingehen 148 
und voraussetzen, daß die Auswahl der zuverlässigen Angaben bereits 
getroffen sei. 

Die Verwertung des Inhalts der Angaben bewirkt, wie ohne weiteres 
einleuchtet, eine außerordentliche Bereicherung der Konsti- 
tutionsmöglichkeiten, und zwar genauer: eine Vermehrung der 
Anzahl der konstituierbaren Gegenstände in den verschiedenen Ge- 
bieten auf ein Vielfaches. Nur für das Gebiet des Eigenpsychischen 
ist die Erweiterung verhältnismäßig gering; bedeutend dagegen für 
das Gebiet des Physischen; und die Konstitution der Gebiete des 
Fremdpsychischen und schließlich des Geistigen beruhen beinahe voll- 
ständig auf der Verwertung von Angaben. Darauf braucht hier nicht 
näher eingegangen zu werden. 

Wir wollen noch einmal unser Augenmerk auf die Tatsache richten, 
daß auf keiner Stufe des Konstitutionssystems, also auch nicht 
durch die Verwertung der Angaben der anderen Menschen, etwas 
elementar Neues in das System hineinkommt, sondern nur 
eine (allerdings recht verwickelte) Umordnung der gegebenen Ele- 
mente stattfindet; die neue Ordnung, zu der die Umordnung führt, 
ist nicht durch etwas bestimmt, das außerhalb des Gegebenen läge, 
sondern auch wiederum durch das Gegebene selbst, genauer: durch 
den Bestand der Gnmdrelation(en). Es wird also durch diese Ver- 
wertung der Angaben nicht etwa die eigenpsychische Basis 
verlassen, auf der das ganze Konstitutionssystem ruht. Trotzdem 
werden aber die anderen Menschen nicht als bloße Maschinen kon- 
stituiert, sondern mit allen ihren Erlebnisinhalten, soweit sie eben 
(in realistischer Sprache:) erkennbar sind. Das war ja die These der 
Konstitutionstheorie, daß das Konstitutionssystem trotz seiner eigen- 
psychischen Basis imstande sei, alle rechtmäßigen Aussagen über be- 
liebige Gegenstände auszudrücken, genauer: alle Aussagen, die in 
einer Realwissenschaft als gültig angesehen oder auch nur als Fragen 
aufgestellt werden können (nicht auch die Aussagen der Metaphysik). 

145. Die Welt des Anderen 

Die Erlebnisse eines bestimmten anderen Menschen M (der gemäß 145 
§ 137 als physisches Ding konstituiert ist) seien nach den zuletzt be- 
schriebenen Verfahren, also mit Hilfe der Ausdrucksbeziehung und 
der Angabebeziehung, konstituiert. Wenn sie auch weder so zahlreich 
noch so reichhaltig konstituiert werden können, wie mir die eigenen 
Erlebnisse, die Elementarerlebnisse, gegeben sind, so können wir 
trotz der Lückenhaftigkeit doch dieselben Konstitutionsformen auf 

193 


192 


145 s * e anwenden, die wir, von Beginn des Konstitutionssystems an, auf 
die Elementarerlebnisse angewandt haben. Genauer: die früher mit 
der Grundrelation Er vorgenommenen Konstitutionsschritte werden 
jetzt mit einer zwischen den Erlebnissen des M bestehenden, analogen 
Relation Er M vorgenommen. Es werden also neue konstitutionale 
Definitionen aufgestellt, indem alle bisherigen konstitutiönalen De- 
finitionen umgeformt werden durch Substitution von Er M an Stelle 
von Er und durch Anhängung eines auf M hinweisenden Index an 
das definierte Zeichen (z. B. qual M , farb M usw.). So werden die 
„Gegenstände des M“ konstituiert, die „die Welt des M“ bilden. 

Auch hierbei wird die eigenpsychische Basis nicht ver- 
lassen. alle „Gegenstände des M“ sind doch Gegenstände des einen 
Konstitutionssystems und gehen daher schließlich auf dessen Grund- 
gegenstand zurück, also auf eine Relation, die zwischen den Elementar- 
erlebnissen (meinen Erlebnissen!) besteht. Man kann allerdings in 
einem gewissen Sinne vom „Konstitutionssystem des M" sprechen, 
aber darunter ist dann nichts anderes zu verstehen als ein gewisser 
Zweig „des“ (oder „meines“) Konstitutionssystems, der auf 
hoher Stufe abzweigt. Dieser Zweig kann nur deshalb auch als ein 
Konstitutionssystem aufgefaßt werden, weil er das ganze Konstitu- 
tionssystem noch einmal durch eine gewisse Analogie widerspiegelt; 
und er wird nur deshalb Konstitutionssystem „des M“ genannt, weil 
er innerhalb „des“ (oder „meines“) Konstitutionssystems in einem 
gewissen Zusammenhang mit dem Leib des M konstituiert wird. 

146. Die intersubjektive Zuordnung 
146 Aus der angedeuteten Art der Konstitution der „Welt des M“ 
ergibt sich, daß zwischen dieser und „meiner Welt“ eine gewisse Ana- 
logie besteht; genauer: zwischen dem ganzen Konstitutionssystem 
(S) und dem „Konstitutionssystem des M“ (S M ). Dabei ist aber 
S M nur ein Teilsystem innerhalb S; die Welt des M ist innerhalb 
meiner Welt konstituiert, sie ist nicht zu denken als von M aufgebaut, 
sondern als von mir für M aufgebaut. 

Die Analogie zwischen S und S M bedeutet eine zwar sehr weit- 
gehende, aber doch nicht völlige Übereinstimmung. Zunächst kommt 
für beinahe jede Konstitution von S eine entsprechende Konstitution 
in $ M vor, die eine analoge Definitionsform besitzt, und deren Zeichen 
durch den Index M kenntlich gemacht ist. Ferner gelten auch von 
den entsprechend konstituierten Gegenständen fast durchweg ent- 
sprechende Aussagen. Das gilt besonders für die Stufen vor der Kon- 
stitution der Raum-Zeit-Weit. Später jedoch, bei den Konstitutionen 


194 



des Physischen und des Fremdpsychischen, gilt diese einfache Ent- 146 
sprechung, die auf analoger Konstitution beruht, nicht mehr; dafür 
tritt dann aber eine neue Entsprechung auf. 

Ist in der früher beschriebenen Weise (§ 129) „mein Leib“ konsti- 
tuiert, und zwar zunächst als Sehding, d ann als physisches Ding, das 
mit ml bezeichnet werde, so wird in S M in analoger Weise ein Gegen- 
stand ml M konstituiert, nämlich der Leib des M (aber nicht, wie 
das physische Ding M, das ja auch der Leib des M ist, von mir aus 
konstituiert, sondern von den Erlebnissen des M aus). Aus der Analogie 
der Konstitutionsform folgt, daß ml und ml M in gewissen Eigen- 
schaften übereins timmen, z. B. sind beide physische Dinge. In man- 
chen Eigenschaften dagegen stimmen sie nicht überein. Hat z. B. 

M eine andere Haarfarbe als ich, so ergeben sich hieraus zwei nicht 
übereinstimmende Aussagen über ml und ml M . 

Auch die übrigen physischen Dinge innerhalb S stimmen nicht 
mit den entsprechenden von S M überein (denn die zu meinem Leib 
in bestimmten räumlichen Beziehungen stehenden Dinge stehen im 
allgemeinen nicht in denselben Beziehungen zu M). Aber nun findet 
sich eine Übereinstimmung neuer Art: zwischen der physikalischen 
Welt in S und der in S M besteht eine einemdeutige Zuordnung derart, 
daß zwischen den physikalischen Weltpunkten von S M dieselben 
raum-zeitlichen und qualitativen (d. h. auf Grund der Zuschreibungen 
bestehenden) Beziehungen gelten wie zwischen den zugeordneten Welt- 
punkten von S. Diese Zuordnung wollen wir (aus später zu erklärenden 
Gründen) „intersubjektive Zuordnung“ nennen. Während wir 
den einem Gegenstand G von S durch analoge Konstitution zu- 
geordneten Gegenstand in S M mit g m bezeichnet haben, wollen 
wir den dem Gegenstand G intersubjektiv zugeordneten Gegen- 
stand von S M mit G M bezeichnen. Zwei einander intersubjektiv 
zugeordnete Gegenstände von S und S M stellen (in realistischer 
Sprache) „denselben“ Gegenstand dar, das eine Mal, wie er von 
mir erkannt wird, das zweite Mal, wie er (meines Wissens) von M er- 
kannt wird. 

BEISPIEL. Der Leib eines dritten Menschen N ist zwar in eicht durch analoge 
Konstitution zu kennzeichnen wie in S (er kann also nicht etwa mit bezeichnet 
werden) ; aber es gibt (unter günstigen Bedingungen) in ein physisches Ding, das 
dem N intersubjektiv zugeordnet ist, also mit zu bezeichnen ist. N M stellt den '? 

Menschen N dar, wie er von M erkannt wird. mag zwar auf ganz anderem Wege 

innerhalb der physikalischen Welt von konstitutional gekennzeichnet sein als N 
in S; aber beide Gegenstände weisen die gleichen physikalischen Eigenschaften auf. 

In diesem Falle ergibt sich auch eine gewisse Übereinstimmung in bezug auf die 
Konstitutionsform, indem sowohl N in S wie in Sj^ als „ein anderer Mensch“ 
konstituiert wird. 

195 


146 Besonders an zwei Stellen weichen die Konstitutionsfonnen der 
einander intersubjektiv zugeordneten Gegenstände in S und S M er- 
heblich voneinander ab. ml (mein Leib) und ml M (mein Leib, von M 
aus gesehen) sind zwar beide physische Dinge. Aber ml M hat nicht, 
wie ml M (Leib des M, von ihm selbst gesehen), eine zu ml analoge 
Konstitutionsform; denn ml wird in S in der Form „mein Leib“ 
konstituiert, dagegen ml M in S M in der Form „Leib eines Anderen“. 
Im zweiten Fall liegt die Sache gerade umgekehrt: M (der Leib des M 
von mir gesehen) und M M (der Leib des M, von ihm selbst gesehen) 
sind zwar beide physische Dinge, im übrigen aber verschieden konsti- 
tuiert. Einen zu M analog konstituierten Gegenstand in S M (der also 
mit M m zu bezeichnen wäre) gibt es nicht (die Konstitutionsform von 
ml ist zwar ähnlich, aber doch nicht genau analog der von M). 
Während M in S in der Form „Leib eines Anderen“ konstituiert wird^ 
wird M m S M in der Form „mein Leib“ konstituiert (M m = ml M ). 

147. Die intersubjektive Zuordnung gilt für alle 
Gegenstands arten 

147 Die intersubjektive Zuordnung besteht nun nicht nur zwischen 
physischen Gegenständen, sondern auch zwischen den psychi- 
schen. Und zwar entspricht meist Fremdpsychischem auch Fremd- 
psychisches. Das in S dem N, einem Leib eines anderen Menschen, zu- 
geschriebene Fremdpsychische entspricht intersubjektiv dem Fremd- 
psychischen, das in S M dem intersubjektiv entsprechenden Gegen- 
stand, also N M , auch hier einem Leib eines anderen Menschen, zu- 
geschrieben ist. Und zwar stimmt das Psychische von N in S und das 
Psychische von N M in S M (soweit überhaupt die Konstitution für beide 
durchführbar und durchgefuhrt ist) in der qualitativen Beschaffenheit 
überein. 

Auch hier, bei den Konstitutionen des Psychischen, ergibt sich wie- 
der der größte Unterschied der konstitutionalen Formen für inter- 
subjektiv zugeordnete Gegenstände an den beiden Punkten, die mit 
den vorhin genannten in Verbindung stehen, nämlich bei der Kon- 
stitution des Psychischen, das dem ml und dem M zugeordnet ist 
(das ist mein Psychisches und das Psychische des M). 

Früher sagten wir, daß diese intersubjektive Zuordnung nicht 
für die unteren Konstitutionsstufen gilt, sondern erst für die Stufen 
von der Konstitution der Raum-Zeit- Welt ab, während wir für die 
unteren Stufen nur die konstitutionale Entsprechung aufwiesen. Nach- 
dem nun aber die intersubjektive Zuordnung, ursprünglich für die 
physikalische Welt aufgestellt, nunmehr auch für die psychische durch- 

196 


geführt ist, haben wir inihreinedurchgehendeZuordnung s ämtlicher 147 
W Gegenstände von S und S M . Den unteren Stufen von S, z. B. den 

Gegenständen Er, erl, quäl, sinn, gesicht, entsprechen nun inter- 
subjektiv nicht etwa die konstitutional entsprechenden Gegenstände 
Er M , erl M usw., die sich auf M und seine Erlebnisse beziehen, sondern 
gewisse Gegenstände Er M , erl M usw. 

BEISPIEL, erl sind die (also „meine“) Element arerlebnisse, erl^ wären 
die Erlebnisse des anderen Menschen M, erl M aber sind wiederum meine Erlebnisse, 
aber so, wie sie in S M konstituiert werden, (in realistischer Sprache :) wie sie von M 
erkannt werden. Freilich sind auch diese Gegenstände, wie alle, in S (also „von mir“) 
konstituiert, denn andere gibt es nicht. S M ist ja ein Teil des Systems S. In realisti- 
scher Sprache: erl M sind meine Erlebnisse, aber nicht so, wie sie mir bekannt sind, 
sondern so, wie sie dem anderen Menschen M auf Grund davon, daß er mich beob- 
achtet und von mir Angaben bekommt, bekannt sind; genauer: so, wie ich aus seinen 
Angaben und sonstigen Schlüssen weiß, daß sie ihm bekannt sind ; erl« stellt also dar, 
was meines Wissens M Über meine Erlebnisse weiß. Genau Entsprechendes wie über 
die Zuordnung erl — erl M gilt über die anderen Gegenstände der unteren Konstitu- 
tionsstufen. 

Die intersubjektive Zuordnung zwischen S und S M betrifft nicht 
von vornherein schon alle Gegenstände der beiden Systeme, sondern erst 
dann, wenn noch bestimmte Ergänzungen vorgenommen worden sind. 

Denn es ist ja z. B. die physikalische Welt jedes der beiden Systeme 
stets unvollständig, und zwar sind die Lücken nicht etwa durchweg 
an denselben Stellen. Daher sind in dem einen System Zuschreibungen 
zu physikalischen Weltpunkten vorhanden, wo im anderen System 
solche fehlen oder andere, unvereinbare Zuschreibungen gelten. (Der 
Fall der widersprechenden Zuschreibungen ist verhältnismäßig selten; 
wo er vorkommt, muß nach besonderen Kriterien, auf die hier nicht 
eingegangen werden soll, eine Entscheidung getroffen werden, auf 
Grund deren nur die eine der beiden Zuschreibungen als rechtmäßig 
anerkannt, die andere aber gestrichen wird.) In den weitaus meisten 
Fällen dagegen treffen, wenn die Zuschreibungen nicht übereinstim- 
men, solche des einen Systems auf leere Stellen des anderen. In diesen 
Fällen wird in dem anderen System, unter Berücksichtigung der früher 
für Ergänzungen gegebenen Regeln (§ 135), eine entsprechende, er- 
gänzende Zuschreibung vorgenommen. (In realistischer Sprache:) 
die einander zugeordneten Gegenstände der beiden Systeme stimmen 
zunächst in ihren Eigenschaften überein; wo die Übereinstimmung 
noch nicht nachzuweisen ist, wird sie als Hypothese aufgestellt. Ist 
das überall durchgefuhrt, so gilt die intersubjektive Zuordnung zwischen 
den beiden Systemen durchgängig. 

Die beiden Aussagen, daß in S enthalten ist und zwar einen echten Teil von S 

bildet, daß andererseits aber die Gegenstände beider Systeme einander durch die 


197 


147 intersubjektive Beziehung eindeutig zugeordnet sind, stehen nicht im Widerspruch 
zueinander, da beides unvoUendbare Systeme sind. Der Sinn der zweiten Aussage 
ist: für jeden Gegenstand, der in dem einen System konstituiert ist, kann in dem ande- 
ren ein intersubjektiv entsprechender Gegenstand konstituiert werden, wenn dieses 
System genügend weit ausgebaut wird. 

148. Die intersubjektive Welt 

148 Wie wir schon sahen, unterscheiden sich die intersubjektiv zuge- 
ordneten Gegenstände von S und S M im allgemeinen durch die Art, 
wie sie konstituiert sind, stimmen aber in den Eigenschaften, die nicht 
die besondere Form des Konstituiertseins betreffen, sondern etwa als 
inhaltliche Eigenschaften bezeichnet werden könnten, überein. Wir 
wollen die übereinstimmenden Eigenschaften und die Aussagen über 
solche Eigenschaften als „intersubjektiv übertragbar“ bezeich- 
nen (genauer : „intersubjektiv übertragbar zwischen S und )> 
dagegen die Eigenschaften, die nur dem Gegenstand in S oder nur dem 
in S M zuko mm en, und die Aussagen über solche Eigenschaften als 
„subjektiv in S bzw. S M “. Es ist leicht zu sehen, daß zu den inter- 
subjektiv übertragbaren Aussagen z. B. solche über die Ähn- 
lichkeit zweier Qualitäten gehören, ferner, solche über Farbe, Größe, 
Geruch usw. eines bestimmten physischen Dinges, über das Gefühl 
eines bestimmten Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt, usw. 
Es sin 4 aber auch einige Aussagen über die konstitutionale Form inter- 
subjektiv übertragbar, z. B. Aussagen darüber, ob ein Gegenstand als 
Klasse oder als Relation konstituiert sei, und ähnliche. Die meisten 
Aussagen über die Form der Konstitution eines Gegenstandes in S 
oder S M sind aber als subjektiv in S bzw. S M zu bezeichnen, z. B. 
häufig Aussagen über die notwendige Reihenfolge der Konstitution 
bestimmter Gegenstände, über die erforderliche Anwendung der Er- 
gänzungen (nach § 126, Regel 7, 10) oder der Analogieschlüsse (nach 
§ 135) bei der Konstitution eines bestimmten physischen Gegenstandes 
und dergl. 

Wir haben bisher die intersubjektive Zuordnung nur zwischen den 
Systemen S und S M betrachtet, also als eineindeutige Zuordnung der 
Gegenstände meiner Welt und der Gegenstände der Welt eines bestimm- 
ten anderen Menschen M. Nun gilt aber alles, was von dem Menschen 
M gesagt worden ist, ebenso von allen übrigen „anderen Men- 
schen“, also etwa von N, P, usw. Daher gibt es auch eine eineindeutige 
intersubjektive Zuordnung zwischen den Systemen S und S N , ferner 
auch zwischen den Systemen S und S P , usw. Was über die Zuordnung 
zwischen S und S M gesagt worden ist, gilt ebenso auch von allen diesen 
Zuordnungen. Besteht nun eine eineindeutige Zuordnung zwischen 

198 



S M und S, und auch zwischen S und S N , so ist damit eine eineindeutige 148 
Zuordnung zwischen S M und S N gegeben, die dieselbe Beschaffen- 
heit hat wie jene. So besteht also eine allgemeine eineindeutige Zu- 
ordnung zwischen allen solchen Systemen, also den Welten aller (mir 
bekannten, normalen) Menschen, das Ich eingerechnet. Unter „inter- 
subjektiver Zuordnung“ wollen wir fortan diese allgemeine Zu- 
ordnung verstehen, nicht mehr die Zuordnung zwischen zwei bestimm- 
ten Systemen. In entsprechender Weise verstehen wir jetzt unter 
„intersubjektiv übertragbaren Eigenschaften“ und „inter- 
subjektiv übertragbaren Aussagen“ solche, die gültig bleiben, 
wenn an Stelle ihres Gegenstandes der intersubjektiv zugeordnete 
Gegenstand eines beliebigen anderen Systems tritt. Als „intersub- 
jektivenGegenstand“ bezeichnen wir die Klasse aller zu einem be- 
stimmten Gegenstand irgendeines Systems intersubjektiv zugeordneten 
Gegenstände der verschiedenen Systeme; ferner als „intersubjektive 
Eigenschaft“ eine Eigenschaft einer solchen Klasse, die sie auf Grund 
einer intersubjektiv übertragbaren Eigenschaft ihrer Elemente be- 
sitzt, und als „intersubjektive Aussage“ eine Aussage über eine 
intersubjektive Eigenschaft eines intersubjektiven Gegenstandes. 

BEISPIELE. Ist etwa die Aussage f(G) über den Gegenstand G des Systems S 
intersubjektiv übertragbar, so bedeutet das, daß auch die entsprechenden Aus- 
sagen fCG* 1 *), f(G N ) usw. gelten, deren Gegenstände die dem Gegenstand G in den 
Systemen S M , S N usw. intersubjektiv zugeordneten Gegenstände G M , G N usw. sind 
Dieser Sachverhalt läßt sich am einfachsten durch eine entsprechende Aussage über 
die Klasse darstellen, die die Gegenstände G, G M , G N usw. umfaßt. Wenn die inter 

subjektive Zuordnung mit Int bezeichnet wird, so ist diese Klasse mit Int’G zu be- 
zeichnen ; ebensogut aber auch mit Int’G* 1 oder Int’G 1 '* usw. Diese neue Aussage, 

etwa F (Int’G), ist nach den gegebenen Definitionen eine intersubjektive Aussage, 
die abgeleitet ist aus den intersubjektiv Übertragbaren Aussagen f(G), f(G M ) usw. 

Als intersubjektive Gegenstände haben wir nun die Klassen von der genannten 

Art zu bezeichnen, also z. B. die Klasse Int’G, (Int’G* 1 , Int’G N usw. sind identisch 

hiermit), ferner etwa in bezug auf einen anderen Gegenstand H die Klasse Int^H der 
Gegenstände H, H M , H N usw. 

Die intersubjektiven Gegenstände sind (wie wir an dem Beispiel 
leicht erkennen können) die Abstraktionsklassen (§ 73) der intersub- 
jektiven Zuordnung. Die Welt dieser Gegenstände nennen wir die 
„intersubjektive Welt“. Das angegebene (quasianalytische) Ver- 
fahren der Konstitution eines intersubjektiven Gegenstandes auf Grund 
der einander intersubjektiv zugeordneten Gegenstände der Einzel- 
systeme bezeichnen wir als „Intersubjektivierung“. 

Im Unterschied zu anderen Auffassungen (z. B. Christiansen [Kantkritik]) beruht 

199 


48 bei uns die Intersubjektivierung nicht auf einer Fiktion. Das Konstitutions- 
system beschränkt sich darauf, die Angaben der anderen Menschen zur Konsti- 
tution zu benutzen, und zwar zunächst zur konstitutionalen Ergänzung der physischen 
Welt, dann auch zur Konstitution von Fremdpsychischem $ diese Konstitutionen 
bestehen aber nicht in der hypothetischen Erschließung oder fiktiven Ans etzung 
eines Nicht-Gegebenen, sondern in einer Umordnung des Gegebenen (vgl. 
§ 140)5 dasselbe gilt für die Konstitution der intersubjektiven Welt. Metaphysische 
Behauptungen über diese durch Umordnung konstituierten Gegenstände werden 
innerhalb des Konstitutionssystems nicht aufgestellt. 

149. Die intersubjektive Welt als Welt der Wissenschaft 

49 Die intersubjektive Welt (im Sinne der soeben gegebenen Kon- 
stitution) bildet das eigentliche Gegenstandsgebiet der Wissen- 
schaft. Die Wissenschaft enthält aber nicht nur intersubjektive 
Aussagen, sondern auchsolchenicht-intersubjektiven, denen intersubjek- 
tive entsprechen oder die in intersubjektive umgeformt werden können. 
Diese Umformung gehört zur Aufgabe der Wissenschaft; das Bestreben 
der Wissenschaft geht dahin, zu einem Bestände von nur intersubjek- 
tiven Aussagen zu gelangen. Diese Aufgabe pflegt nicht ausdrück- 
lich ausgesprochen zu werden, weil die Umformung fast stets unsicht- 
bar vor sich geht. Denn es pflegt fast durchweg dasselbe Zeichen (Wort 
oder Spezialzeichen) für die verschiedenen, einander intersubjektiv 
zugeordneten Gegenstände verwendet zu werden und außerdem noch 
für den ihnen allen entsprechenden intersubjektiven Gegenstand (den 
wir als ihre Klasse konstituiert hatten). 

Eine nicht intersubjektiv übertragbare, sondern subjektive Aus- 
sage ist aber durch diese Eigenschaft nicht endgültig aus dem Bereich 
der Wissenschaft ausgeschlossen. Auch sie kann wissenschaftlich ge- 
faßt werden durch eine Umformung, die das Subjekt mit in die Aus- 
sage hineinzieht. 

Auch die später noch zu konstituierenden Gegenstände, insbesondere 
die geistigen, haben intersubjektiv entsprechende in den Systemen S M 
usw. Auch von ihnen sind daher intersubjektive Gegenstände ableit- 
bar. Das Verfahren der Intersubjektivierung ist dabei stets das gleiche; 
es ist daher nicht nötig, es für die im Folgenden angedeuteten Kon- 
stitutionen höherer Stufen im einzelnen anzugeben. 

150. Die primären geistigen Gegenstände 

|0 Wir haben früher die Gegenstandsart des Geistigen (im Sinne der 
kulturellen Gegenstände) kurz charakterisiert und ihre Selbständig- 
keit gegenüber den Gegenstandsarten des Physischen und des Psychi- 
schen betont (§ 23). Für die Konstitution der geistigen Gegenstände 



200 


ist vor allem die Manifestationsbeziehung (§ 24) von grundlegender 150 
Bedeutung. Die primären geistigen Gegenstände, d. h. dieje- 
nigen, deren Konstitution nicht schon andere geistige Gegenstände als 
konstituiert voraussetzt, werden nämlich durchweg auf Grund ihrer 
Manifestationen konstituiert (vgl. § 55 f.), also auf Grund derjenigen 
psychischen Vorgänge, in denen sie sich aktualisieren oder in Erschei- 
nung treten. Die Konstitution der geistigen Gegenstände auf Grund 
ihrer Manifestationen steht in einer gewissen Analogie zur Konsti- 
tution der physischen Dinge auf Grund der Erlebnisse, in denen sie 
wahrgenommen werden. Daß diese Konstitutionen hier nicht ausführ- 
lich angegeben werden können, liegt daran, daß die Psychologie (oder 
Phänomenologie) der Kulturerkenntnis noch nicht in dem Maße durch- 
forscht und systematisch dargestellt ist wie die der Wahrnehmungen. 

Wir geben daher nur einige Beispiele und andeutende Hinweise auf die 
Verallgemeinerung. Da es sich hier hauptsächlich um die Frage der Mög- 
lichkeit der Konstitution der geistigen Gegenstände aus psychi- 
schen handelt, und weniger um die Frage, in welcher genauen Form 
diese Konstitution vorzunehmen ist, so werden diese Hinweise genügen. 

BEISPIEL. Die Sitte des Grüßens durch Abnehmen des Hutes würde etwa 
in der folgenden Form zu konstituieren sein : „die Sitte des „Grüßens durch Abnehmen 
des Hutes“ besteht dann in einem Volke (oder in einem sonstigen soziologischen Bezirk) 
zu einer gewissen Zeit, wenn bei den Gliedern dieses Volkes zu dieser Zeit eine psychische 
Disposition solcher Art vorliegt, daß bei Situationen von der und der Art ein Willens- 
vorgang von der und der Art geschieht.“ 

Alle primären geistigen Gegenstände sind auf Grund ihrer Mani- 
festationen in der angedeuteten Art zu konstituieren. Welche Gegen- 
stände der verschiedenen Kulturgebiete als primäre geistige Gegen- 
stände zu konstituieren sind, müßte von einer Logik der Geistes- 
wissenschaften untersucht werden; und eine Phänomenologie 
der Geistes Wissenschaften müßte dann für den einzelnen pri- 
mären geistigen Gegenstand feststellen, auf Grund welcher psychischen 
Gegenstände als seiner Manifestationen und in welcher Art er zu kon- 
stituieren ist. 

151. Die höheren geistigen Gegenstände 

Auf Grund der primären geistigen Gegenstände werden die übrigen 15 1 
geistigen Gegenstände konstituiert. Dabei werden auch psychische, 
zuweilen auch physische Gegenstände benutzt. Hier noch mehr als 
bei den primären geistigen Gegenständen ist die Konstitutionstheorie 
genötigt, auf die fachwissenschaftlichen Untersuchungen zu warten, 
um einwandfreie konkrete Beispiele der Konstitution angeben zu kön- 
nen. Wir begnügen uns daher mit der Andeutung eines Beispiels, ohne 


201 


15 1 die Richtigkeit oder Zweckmäßigkeit gerade dieser Konstitutions- 
form behaupten zu können. 

BEISPIEL. Der Gegenstand „Staat“ kann etwa in der folgenden Form kon- 
stituiert werden: „Staat“ licißt ein RelationsgefUge von Menschen^ das in der und 
der Art charakterisiert ist durch seine Manifestationen, nämlich das psychische Ver- 
halten dieser Menschen und die Dispositionen zu solchem Verhalten, insbesondere 
die Dispositionen zum Handeln der einen Menschen, bedingt durch Willensakte anderer 
Menschen. 

Zu den wichtigsten der höheren geistigen Gegenstände gehören u. a. 
die soziologischen Gruppen oder Verbände. Ein solches Gebilde 
(z. B. ein Stamm, eine Familie, ein Verein, ein Staat usw.) muß als 
Relation konstituiert werden, nicht als Klasse, weil die Ordnung der 
Glieder innerhalb einer soziologischen Gruppe zum Charakter der 
Gruppe gehört. Die Unzulässigkeit der Konstitution als Klasse folgt 
schon aus der Möglichkeit des Zusammenfallens der Personenbestände 
zweier verschiedener Gruppen. 

In ähnlicher Weise wie in dem angedeuteten Beispiel des Staates 
sind auch die übrigen soziologischen Gruppen zu konstituieren; in 
solcher oder anderer Weise können dann überhaupt die höheren geisti- 
gen Gegenstände auf Grund von primären geistigen Gegenständen und 
zuweilen auch von Gegenständen der vorher konstituierten Arten kon- 
stituiert werden. So lassen sich, teils primär, teils abgeleitet, die geisti- 
gen Gegenstände aller Kulturgebiete konstituieren, also die Gebilde, 
Eigenschaften, Beziehungen, Vorgänge, Zustände usw. der Technik, 
der Wirtschaft, des Rechts, der Politik, der Sprache, der Kunst, der 
Wissenschaft, der Religion u.s.f. Auch die Einteilung in solche Ge- 
biete und die Charakterisierung der einzelnen Gebiete kann durch 
weitere Konstitutionen vorgenommen werden. 

LITERATUR. Versuche zu einer echten (d. h. bis auf das Gegebene zurück- 
gehenden) Konstitution eines geistigen Gegenstandes liegen anscheinend in 
der erkenntnistheoretischen, geschichtsphilosophischen, geschichtlichen und sozio- 
logischen Literatur kaum vor; selbst Angaben der letzten Schritte solcher Konstitu- 
tionen, vom Psychischen ausgehend, sind verhältnismäßig selten. Zu nennen sind 
wohl nur die Untersuchungen von Driesch [Ordnungsl.] 421fr., Abschn. E: die 
Ordnungsformen des Geistigen; [Wirklichk.] 194: „Einzelstaat also ist ein durch 
den Inhalt gewisser Bücher geregeltes seelisches Verhalten einer Anzahl von Einzel- 
menschen.“ 

Durch die angegebene Art der Konstitution des Geistigen auf 
Grund des Psychischen, wie sie auch in dem angedeuteten Beispiel 
des Staates zur Darstellung kommt, könnte vielleicht der Anschein 
erweckt werden, als würden hier die geistigen Gegenstände 
in unzulässiger Weise „psychologisiert“. Um dies Bedenken 
zu zerstreuen, sei wieder einmal nachdrücklich darauf hingewiesen, 



daß die Konstitution eines Gegenstandes auf Grund bestimmter an- 15 1 
derer Gegenstände nicht nur nicht besagt, daß der Gegenstand mit den 
anderen gleichartig sei, sondern im Gegenteil : wenn die Konstitution 
(wie es bei den geistigen Gegenständen besonders der höheren Stufen 
in hohem Grade der Fall ist) zur Bildung neuer logischer Stufen führt, 
so gehören die konstituierten Gegenstände einer anderen Seinsart, 
genauer: einer neuen Gegenstandssphäre an (§ 29, 41I). In 
unserer Art der Konstitution der geistigen Gegenstände liegt also 
kein Psychologismus (vgl. hierzu auch § 56). 

Andererseits sei wiederum betont, daß die Behauptung von der 
Zugehörigkeit der geistigen Gegenstände zu neuen Gegenstandssphären 
nicht irgendwie im metaphysischen Sinne zu verstehen ist. Wie sich 
aus der angegebenen Definition des Begriffes der Gegenstandssphären 
ergibt, bedeuten sie eine rein logisch-formale Abgrenzung der Gegen- 
stände untereinander. Nach der Auffassung der Konstitutionstheorie 
kann ein anderes Verhältnis zwischen zwei Gegenstandsarten, als das 
logisch-formale, durch die Konstitutionsform der Arten bedingte Ver- 
hältnis nicht Gegenstand einer wissenschaftlichen Aussage sein. 

152. Das Gebiet der Werte 

Bisher sind die Konstitutionen der wichtigsten, Vorwissenschaft- 152 
lieh und wissenschaftlich am genauesten bekannten Gegenstands- 
arten, nämlich des Physischen, des Psychischen und des Geistigen 
dargestellt oder angedeutet worden. Zum Schluß sei nun noch die Kon- 
stitution der Werte wenigstens in ihrer allgemeinen methodischen Form 
kurz angedeutet. Hierbei kann noch weniger als bei den anderen Gegen- 
standsarten von fertigen Formulierungen die Rede sein, da das Gebiet 
der Werte in bezug auf den Charakter seiner Gegenstände und die Art 
ihrer Erkennung in besonders hohem Grade umstritten und proble- 
matisch ist. 

Die Konstitution der Werte baut nicht auf den schon behandelten 
Stufen des geistigen oder des fremdpsychischen weiter, sondern knüpft 
an einer früheren Stelle des Konstitutionssystems wieder an. Es sind 
verschiedene Arten von Werten zu unterscheiden, z. B. die ethi- 
schen, die ästhetischen, die religiösen, die biologischen (im 
weitesten Sinne, einschließlich der technischen, wirtschaftlichen, in- 
dividual- und rassehygienischen) u. a. Die Konstitution der Werte aus 
gewissen Erlebnissen, den „Werterlebnissen“, zeigt in mehrfacher 
Hinsicht eine Analogie zur Konstitution der physischen Dinge aus 
den „Wahmehmungserlebnissen“ (genauer: aus den Sinnesqualitäten). 
Einige Beispiele für solche Erlebnisse mögen als Andeutungen genügen. 


202 


203 


152 So kommen etwa (unter manchen anderen) für die Konstitution der 
ethischen Werte Gewissenserlebnisse, Erlebnisse der Pflicht oder der 
Verantwortung und dergl. in Betracht; für die ästhetischen Werte 
Erlebnisse des (ästhetischen) Gefallens oder anderer Haltungen bei 
Kunstbetrachtung und Erlebnisse der Kunstschöpfung usw. Im ein- 
zelnen wird die Beschaffenheit der Werterlebnisse der verschiedenen 
Wertarten von der Wertphänomenologie untersucht; hier kann darauf 
nicht näher eingegangen werden. Die charakteristischen Eigenschaften 
der verschiedenen Werterlebnisse lassen sich dann, wenn die phäno- 
menologische Analyse durchgeführt ist, mit Hilfe der früher (§ 131E) 
konstituierten Qualitäten des Eigenpsychischen und der Komponenten 
von solchen, insbesondere der der Gefühle und der Wollungen, kon- 
stitutional ausdrücken. Dadurch ist es dann möglich, die Konsti- 
tutionen der verschiedenen Wertarten auf Grund jener Konstitutionen 
aufzustellen. Das bedeutet keine Psychologisierung der Werte, 
so wenig wie die Konstitution der physischen Gegenstände aus Sinnes- 
qualitäten etwa eine Psychologisierung des Physischen bedeutet. In 
realistischer Sprache: der Wert ist nicht selbst erlebnishaft oder psy- 
chisch, sondern besteht unabhängig vom Erlebtwerden und wird in 
dem Erlebnis (genauer: in dem Wertgefühl, dessen intentionales Ob- 
jekt er bildet) nur erkannt; ebenso, wie das physische Ding nicht 
psychisch ist, sondern unabhängig von der Wahrnehmung besteht 
und in der Wahrnehmung, deren intentionales Objekt es ist, nur er- 
kannt wird. Allerdings spricht die Konstitutionstheorie nicht diese 
realistische Sprache, sondern ist neutral gegenüber der metaphysischen 
Komponente der realistischen Aussage. Aber sie übersetzt die genannte 
Aussage über das Verhältnis zwischen Wert und Wertgefühl in die 
konstitutionale Sprache in einer bestimmten Weise, die analog ist 
zu der Weise, in der sie die Aussage über das Verhältnis zwischen phy- 
sischem Ding und Wahrnehmung übersetzt, nämlich durch Heraus- 
hebung der rein logischen Beziehung des Bestimmtseins des Einen 
durch die Beschaffenheit des Anderen. 

Hiermit schließen wir den Entwurf des Konstitutions- 
systems ab. 

153. Das Problem der Eliminierung von Grundrelationen 
(§ 153— 155 überschlagbar) 

53 Jedes Konstitutionssystem beruht auf Grundrelationen, die als 
Undefinierte Grundbegriffe eingeführt werden. Alle konstituierten 
Gegenstände sind somit Komplexe (§ 36) der Grundrelationen. Alle 


204 


Aussagen, die im Konstitutionssystem aüftreten, sind Aussagen 153 
über die Grundrelationen allein. Der Form nach enthalten sie 
zwar zunächst auch noch andere Gegenstände; aber durch Einsetzung 
der konstitutionalen Definitionen dieser Gegenstände können sie schritt- 
weise so umgeformt werden, daß sie auch der äußeren Satzform nach 
schließlich (außer logischen Zeichen) nur die Zeichen der Grundrela- 
tionen enthalten. Für das hier behandelte Konstitutionssystem, dessen 
Entwurf nur eine Grundrelation (Er) verwendet, ist das in § 1 19 an 
dem Beispiel des Lehrsatzes L 6 von der Dreidimensionalität des Farb- 
körpers erläutert worden. 

Diese Beschaffenheit der Aussagen eines Konstitutionssystems steht 
nun aber nicht im Einklang zu der früher aufgestellten These, daß 
die Aussagen der Wissenschaft reine Strukturaussagen seien 
bzw. in solche grundsätzlich übergeführt werden könnten und im Fort- 
schreiten der Wissenschaft auch übergeführt werden sollten (§ ijf.).- 
Eine reine Strukturaussage kann nur logische Zeichen enthalten, in 
ihr dürfen keine Undefinierten Grundbegriffe irgendeines Realgebietes 
Vorkommen. So erhebt sich das Problem, nachdem im Konstitutions- 
system die Formalisierung der wissenschaftlichen Aussagen so weit 
geführt worden ist, daß sie nur noch Aussagen über einige wenige (viel- 
leicht nur eine) Grundrelationen sind, - ob es möglich ist, diese For- 
malisierung dadurch zu vollenden, daß auch diese Grundrelationen 
als die letzten nicht-logischen Gegenstände aus den Wissenschafts- 
aussagen eliminiert werden. 

Die Möglichkeit dieser Eliminierung wird durch folgende 
Überlegung ersichtlich. Wenn ein Konstitutionssystem auf bestimmten 
Grundrelationen aufgebaut ist, so wird zwar die Möglichkeit bestehen, 
es auf Grund einer anderen Auswahl von Grundrelationen aufzubauen. 
Dabei würde aber die Konstitution eines jeden Gegenstandes eine andere 
Form bekommen müssen. Wollte man etwa versuchen, die alten kon- 
stitutionalen Definitionen einfach durch Einsetzung der neuen Grund- 
relationen an Stelle der alten umzuformen, so könnte es zwar auf den 
unteren Stufen geschehen, daß die so umgeformten Definitionen nicht 
bedeutungslos oder leer würden. Aber für eine einigermaßen hohe Stufe 
wird die Wahrscheinlichkeit eines solchen Zufalles ungeheuer klein. 

Noch weniger werden die empirischen Aussagen des Konstitution^ 
Systems über die konstituierten Gegenstände zufällig auch noch nach 
der Umformung gelten. Daraus folgt, daß die alten Grundrelationen 
dadurch charakterisiert werden können, daß die aus ihnen in der und 
der Art konstituierten Gegenstände sich empirisch in der und der 
Art verhalten ; und zwar würde diese Kennzeichnung der Grundrela- 


205 


153 tionen dann eindeutig sein, wenn auf das Verhalten von Gegenständen 
hinreichend hoher Stufe Bezug genommen wird. So ergibt sich die 
Möglichkeit einer Definition der zunächst als Undefinierte Grund- 
begriffe eingeführten Grundrelationen durch rein logische Begriffe. 

154. „Fundierte“ Relationen 

154 Die Aufgabe der Eliminierung der Grundrelationen, als der einzigen 
nicht-logischen Gegenstände des Konstitutionssystems, enthält je- 
doch noch eine Schwierigkeit, auf die näher eingegangen werden muß. 
Wir hatten überlegt, daß bei Ersetzung der Grundrelationen durch 
andere die Konstitutionsformeln des Systems nicht anwendbar und 
noch weniger die empirischen Aussagen gültig bleiben würden. Diese 
Überlegung besteht jedoch nur dann zu Recht, wenn die neuen Re- 
lationen nicht beliebige, imzusammenhängende Paarlisten sind, son- 
dern wenn von ihnen gefordert wird, daß sie (um es zunächst einmal 
vage auszudrücken) irgendwelchen erlebbaren, „natürlichen“ Bezie- 
hungen entsprechen. 

Wird diese Forderung nicht gestellt, so gibt es gewiß auch andere 
Relationen, für die sich sämtliche Konstitutionsformeln auch durch- 
führen lassen; allerdings führen dabei die Konstitutionen zu anderen 
Gebilden als bei den ursprünglichen Relationen, aber für diese anderen 
Gebilde gelten dann doch genau dieselben empirischen Aussagen wie für 
die ursprünglichen (d. h. den Zeichen nach dieselben Aussagen, die aber 
jetzt etwas Anderes bedeuten). Wir brauchen nämlich nur eine ein- 
eindeutige Transformation der Menge der Grundelemente in sich selbst 
vorzunehmen und als neue Grundrelationen diejenigen Relationen zu 
bestimmen, deren Bestand der transformierte Bestand der alten Grund- 
relationen ist. Dann sind die neuen Relationen den alten struktur- 
gleich („isomorph“, s. § n). Daraus folgt, daß jedem früher konsti- 
tuierten Gegenstand genau ein neuer mit denselben formalen Eigen- 
schaften entspricht; daher bleiben alle Aussagen des Konstitutions- 
systems, da sie ja nur formale Eigenschaften betreffen, gültig. Freilich 
ist dann kein Beziehungssinn für die neuen Grundrelationen zu finden ; 
es sind Listen von Paaren von Grundelementen ohne irgendeine (er- 
lebnismäßig aufzuweisende) Verwandtschaft; und noch weniger ist 
für die konstituierten Gegenstände ein irgendwie zusammenhängendes 
Gebilde aufzuweisen. 

Im Gegensatz zu derartigen Relationen wollen wir Relationen, die 
einer erlebbaren, „natürlichen“ Beziehung entsprechen, deren zuge- 
ordnete Glieder also etwas Erlebbares miteinander gemein haben, als 
„fundierte Relationen“ bezeichnen. 

206 



Wir sahen (§ 153)» daß die El imini erung von Grundrelationen darin 154 
bestehen muß, daß die Grundrelationen durch das Verhalten der aus 
ihnen konstituierten Gegenstände hinreichend hoher Stufe gekenn- 
zeichnet werden. Diese Kennzeichnung muß nun, — und darin besteht 
die Wichtigkeit des Begriffs der fundierten Relationen für das Kon- 
stitutionssystem, — auf fundierte Relationen eingeschränkt werden, 
wenn sie eindeutig werden soll. Denn nicht unter allen Relationen 
(im formal-logischen Sinne beliebiger Paar-Zusammenstellungen) sind 
die Grundrelationen die einzigen so gekennzeichneten, wohl aber unter 
den fundierten. Diese Kennzeichnung werden wir am Beispiel unseres 
Konstitutionssystems durchführen (§ 155). 

Die angegebene Erläuterung des Begriffs der Fundiertheit soll 
keine Definition sein, sondern nur verständlich machen, was gemeint 
ist. Der Begriff der Fundiertheit ist undefinierbar. Als unterster 
Begriff des Konstitutionssystems kann er nicht aus den konstituierten 
Begriffen abgeleitet werden. Er läßt sich auch nicht aus den (üblichen) 
Grundbegriffen der formalen Logik ableiten. Aber er gehört auch nicht 
zu einem bestimmten außerlogischen Sachgebiet, wie sonst alle nicht- 
logischen Gegenstände; unsere Überlegungen über die Kennzeichnung 
der Grundrelationen eines Konstitutionssystems als fundierter Rela- 
tionen bestimmter Art gilt für jedes Konstitutionssystem eines belie- 
bigen Gebietes. Wegen dieser Allgemeinheit dürfen wir die Fundiert- 
heit vielleicht als einen Begriff der Logik ansehen und wegen ihrer Un- 
definierbarkeit als einen Grundbegriff der Logik aufstellen. 

Daß dieser Begriff gerade die Anwendung auf irgendein Sachgebiet 
betrifft, ist kein stichhaltiger Einwand dagegen, ihn als logischen Grund- 
begriff aufzufassen. Denn mit dem logischen Grundbegriff der Allge- 
meinheit verhält es sich ebenso: „(x) . f x“ bedeutet, daß die Aussage- 
funktion f x innerhalb des Sachgebietes, für das sie einen Sinn hat, für 
jedes Argument den Wert das Wahre hat. Die Logik ist überhaupt nicht 
ein eigenes Gebiet, sondern enthält diejenigen Aussagen, die (als Tau- 
tologien) von den Gegenständen jedes beliebigen Gebietes gelten. Da- 
raus folgt, daß sie gerade von den Begriffen handeln muß, die sich auf 
ein beliebiges Gebiet anwenden lassen. Und zu diesen Begriffen gehört 
ja die Fundiertheit. Im Hinblick auf die gen ann ten Gründe mögen wir 
einmal die Klasse der fundierten Relationen als logischen Grund- 
begriff annehmen (logistisches Zeichen: fund ), jedoch ohne hiermit das 
Problem als schon gelöst zu betrachten. 


207 


155 - Eliminierung der Grundrelation Er 

155 Am Beispiel unseres Konstitutionssystems werde gezeigt, wie die 
Eliminierung von Grundrelationen und damit die letzte Formalisierung 
des Konstitutionssystems vorzunehmen ist, wenn die genannte Anna hme 
gemacht wird, daß fund als logischer Grundbegriff angesehen werden 
kann. Die Undefinierte Grundrelation Er definieren wir in der Form, 
daß Er die einzige fundierte Relation ist, aus der sich ein bestimmter] 
noch zu wählender Gegenstand hinreichend hoher Stufe in der und der 
Art konstituieren läßt, der sich empirisch so und so verhält. 

Wir haben einen empirischen Lehrsatz hinreichend hoher Stufe über 
Er zu wählen. Dieser werde zur Abkürzung mit L(Er) bezeichnet. 
Wir fassen ihn auf als hervorgegangen aus der Aussagefunktion L(R) 
durch Einsetzung des Argumentes *Er . „Er« ist nun eindeutig zu kenn- 
zeichnen als diejenige fundierte Relation, die L(R) befriedigt. Wir de- 
finieren also : 

Er = Df f*{fu n d n R (L(R))} ( 1 ) 

Um die praktische Durchführung zu zeigen, wählen wir als empi- 
rische Aussage den Lehrsatz L 6 von der Dreidimensionalität des Farb- 
körpers (§ 11 8). Wir haben früher gezeigt, wie dieser Lehrsatz als Aus- 
sage ausschließlich über Er ausgedrückt werden kann (§ 119 [5]). 
Bei der Kompliziertheit dieser Aussage über Er dürfen wir vielleicht 
annehmen, daß sie von hinreichend hoher Stufe ist. Die Aussagefunk- 
tion L(R), deren Wert für Er diese Aussage darstellt, hat somit die 
folgende Form (abgekürzt): 

Ü Q. *0 ■ 3 Dzhomum (e | Q j e) |) Aeq *{a ß ((3 x,X, fj ) . ... 

■ . ■ (3<5).^£Sim‘(RuRuR°),aCÖ.x — e^}.at/?cRuRuR°) ( 2 ) 
Wir definieren nun die Grundrelation Er als die einzige 
fundierte Relation, die diese Aussagefunktion befriedigt: (abgekürzt) 

Er — Df ’i ‘{fund n R ((3 Q, v) . 3 Dzhomum . , . 

... (3 <5) . <5eSim‘(Ru R u R°).aC ö.x~sd}.afßc R u Ru R 0 ))} (3) 
Der Ausdruck, durch den hier Er definiert ist, enthält nur noch 
logische Zeichen und Variable. Da alle Gegenstände und Aus- 
sagen des Konstitutionssystems sich durch Er ausdrücken lassen, so 
lassen sich jetzt auch alle Gegens tände und Aussagen des Kon- 
stitutionssystems rein logisch ausdrücken. Damit ist das ge- 
steckteZiel der vollständigen Logisierung des Konstitutions- 
systems erreicht: es ist nachgewiesen, daß (und durch die im Ent- 
wurf des Konstitutionssystems angedeuteten Grundzüge auch: wie) 
alle Gegenstände der Wissenschaft als strukturelle Gegen- 

208 



stände aufgefaßt und alle Aussagender Wissenschaft als Struk- 155 
turaussagen aufgefaßt und in Struktursätze umgeformt werden kön- 
nen. Allerdings ist hierbei vorausgesetzt, daß fund ein logischer Be- 
griff ist; darin liegt noch ein ungelöstes Problem. 

156. Thesen über das Konstitutionssystem 

Zum Abschluß der Darstellung des Konstitutionssystems sei noch- 156 
mals betont, worauf es bei diesem Systementwurf ankommen soll 
und worauf nicht. Der Aufbau eines Konstitutionssystems ist zunächst 
zu dem Zweck versucht worden, um den eigentlichen Inhalt der Kon- 
stitutionstheorie, nämlich die Formulierung der Aufgabe zur Er- 
richtung eines solchen Systems, beispielhaft zu illustrieren. 

Um diesen Zweck zu erfüllen, mußte der Entwurf in einer gewissen Aus- 
führlichkeit dargestellt werden, trotz seiner inhaltlichen Unzulänglich- 
keit; diese beruht weniger auf den Schwierigkeiten, die einige noch un- 
gelöste logische Probleme bieten, als. auf den Schwierigkeiten und Un- 
geklärtheiten der empirischen Erkenntnisse der einzelnen Realwissen- 
schaften. 

Weiter hat der Entwurf auch noch den Zweck, die grunds ätzliche 
Möglichkeiteines Konstitutionssystems allerWissenschafts- 
gegens tände erkennen zu lassen, unabhängig von der Frage, wie es 
im einzelnen aufgebaut werden muß. Es soll jedoch hier nicht nur be- 
hauptet werden, daß es überhaupt möglich ist, irgendein Konstitutions- 
system aufzubauen, sondern es soll die These aufgestellt werden, daß 
es möglich (wenn auch nicht in allen Punkten notwendig) ist, dem 
Konstitutionssystem die folgenden Eigenschaften des in 
unserem Entwurf' versuchsweise aufgestellten Systems zu geben: 

a) Formale Thesen: 

1. Die Grundelemente sind alle von gleicher Art. 

2. Die Grund-Ordnungssetzungen sind Relationen (§ 75). 

3. Die Grundrelationen sind alle von gleicher Stufe. 

4. Alle Grundrelationen sind Relationen erster Stufe (d. h. Rela- 
tionen zwischen den Grundelementen). 

5. Es genügt eine kleine Anzahl von Grundrelationen. 

6. (Als Vermutung): es genügt eine Grundrelation (§ 82). 

b) Materiale Thesen: _J 

7. Die Grundelemente sind Erlebnisse als unzerlegte Einheiten 

(§6 7 f.). ^ ' 

8. „Meine“ Elementarerlebnisse sind die Grundelemente („eigen- 
psychische Basis“) (§ 64). 

209 


m 


9. (Als Vermutung): Er (die ÄhnÜchkeitsermnerung) kann als 

einzige Gnmdrelation genommen werden (§ 78). 

10. Die folgenden Gegenstände treten auf, und zwar in der ange- 
gebenen Reihenfolge: die Qualitätsklassen, die Sinnesklassen, der Ge- 
sichtssinn, die Sehfeldstellen, die Farben (vielleicht auch vor den Seh- 
feldstellen), Raum- und Zeitordnung, die Sehdinge, mein Leib, die 
übrigen eigenpsychischen Gegenstände (vielleicht auch vor der Raum- 
ordnung), die physischen Gegenstände, die anderen Menschen, das 
Fremdpsychische, die geistigen Gegenstände; Gegenstände aller Arten 
als intersubjektive Gegenstände (§ 112 — 151). 

11. Die Konstitution der physikalischen Welt besteht in einer Zu- 
schreibung von Zahlen („Zustandsgrößen“) zu den Elementen („Welt- 
punkten“) eines vierdimensionalen Zahlengefuges (Raum-Zeit-System) ; 
die Zuschreibung geht zurück auf die Verteilung der Qualitätsklassen 
(§ 125-136). 

12. Die Konstitution des Fremdpsychischen beruht auf der Aus- 
drucksbeziehung (einschl. der Angabebeziehung) oder auf der psy- 
chophysischen Beziehung (§ 140, 57L). 

13. Die Konstitution des Geistigen beruht auf der Manifestations- 
beziehung (§ 55 f., 150). 

These 6, daß nur eine Grundrelation erforderlich sei, und erst recht 
These 9 von der speziellen Art der Grundrelation sollen ausdrücklich 
als Vermutungen bezeichnet werden. Der These 5 von der nur kleinen 
Anzahl der Grundrelationen glauben wir jedoch eine größere Sicher- 
heit beilegen zu können. Die bisherigen Versuche von Tafeln 
der Kategorien oder Grundsetzungen von Aristoteles bis Driesch 
scheinen uns jedenfalls sämtlich zu reichhaltig zu sein (vgl. § 83). 
Die Ursache dieses Überreichtums liegt in der Unzulänglichkeit der 
verwendeten methodischen Hilfsmittel: erst die Anwendung der logisch- 
konstruktiven Methode läßt erkennen, in wie manchen, für irredu- 
zibel gehaltenen Fällen eine Zurückführung und damit eine Kon- 
stitution möglich ist. 



V. KLÄRUNG EINIGER PHILOSOPHISCHER 
PROBLEME AUF GRUND DER KONSTITUTIONS- 
THEORIE 

i 57 .Das Konstitutionssystem alsGrundlage philosophischer 
Untersuchungen 

Nachdem wir im vorigen Abschnitt einen Entwurf des Konsti- 157 
tutionssystems dargestellt haben, soll mm an einigen Beispielen gezeigt 
werden, welchen Wert ein solches System für die Klärung philosophi- 
scher Probleme hat. Die Leistung des Konstitutionssystems liegt da- 
bei nicht etwa in einer Darbietung inhaltlich neuer Erkenntnisse, die 
zur Lösung jener Probleme verwertet werden könnten, sondern eigent- 
lich nur in der einheitlichen Ordnung der Begriffe, aus der heraus 
die Frage des einzelnen Problems schärfer gefaßt und da- 
mit einer Lösung nähergebracht wird. 

Da es sich bei dem dargestellten Konstitutionssystem nur um einen 
vorläufigen Entwurf handelt, $0 sollen im Folgenden nicht die Einzel- 
heiten dieses Systems als Grundlage dienen, sondern nur die Beschaffen- 
heit im Ganzen, also die Möglichkeit eines Einheitssystems der Be- 
griffe und die Möglichkeit, dieses System aus Erlebnisbeziehungen als 
seinen Grundbegriffen aufzubauen in der Reihenfolge: Eigenpsychi- 
sches, Physisches, Fremdpsychisches, Geistiges; vorausgesetzt wird 
also etwa das in den Thesen des § 156 Ausgesprochene. Die erörter- 
ten Probleme sollen nur als Beispiele dienen. Im Rahmen dieses 
Buches, dessen Schwerpunkt in der Konsti tu tionstheorie 
selbst, nicht in deren Anwendung liegt, können die einzelnen 
Probleme nicht etwa eingehend erörtert werden; das muß 
für eine gesonderte Behandlung Vorbehalten bleiben. Noch weniger 
kann eine erschöpfende Übersicht über die im Anschluß an die Kon- 
stitutionstheorie behandelbaren Probleme gegeben werden. Hier kann 
nur angedeutet werden, in welcher Weise von der Konstitutionstheorie 
aus ein Licht auf verschiedene Problemsituationen fallt, und in welcher 
Richtung eine eingehende Behandlung danach etwa vorzugehen haben 
wird. 

Zuerst werden einige Wesensprobleme ganz kurz erörtert. 


157 darunter die Probleme der Identität, des Ich, des Dualismus zwischen 
Physischem und Psychischem, der Kausalität (§ 158 — 165). Weiterhin 
wird das psychophysische Problem (§ 166—169) und das Wirk- 
lichkeitsproblem (§ 170—178) behandelt; bei beiden wird die kon- 
stitutionale Seite des Problems von der metaphysischen Seite deutlich 
abgehoben. Zum Schluß wird die Frage der Begrenztheit der 
(rationalen) Erkenntnis erörtert und die Unterscheidung 
zwischen Wissenschaft und Metaphysik deutlich gemacht 
(§ 179-183). 



A. EINIGE WESENSPROBLEME 

158. Über den Unterschied zwischen Individualbegriffen 
und Allgemeinbegriffen 

Man pflegt die Begriffe einzuteilen in Individualbegriffe und All- 158 
gemeinbegriffe: der Begriff Napoleon ist ein Individualbegriff, der 
Begriff Säugetier ein Allgemeinbegriff. Vom Standpunkt der Kon- 
stitutionstheorie aus besteht diese Einteilung nicht zu Recht, oder 
vielmehr: sie ist nicht eindeutig, jeder Begriff kann je nach dem Ge- 
sichtspunkt als Individualbegriff und auch als Allgemeinbegriff auf- 
gefaßt werden. Dies ist schon früher (§ 5) ausgesprochen und daraus 
die Berechtigung abgeleitet worden, bei jedem Begriff von dem ihm 
entsprechenden Gegenstand zu sprechen. Jetzt, nach Kenntnis der 
Konstitutionsformen, genauer : der Stufenformen (III A, bes. § 40), 
wissen wir, daß (fast) alle sog. Individualbegriffe ebenso Klassen 
oder Relationen sind wie die Allgemeinbegriffe. 

BEISPIEL. Zur Erläuterung diene die folgende absteigende Stufenfolge von 
Gegenständen (oder Begriffen). Der Hund (Species) ist eine Klasse, zu der mein 
Hund Luchs gehört; der Luchs ist eine Klasse, deren Elemente die „Zustände“ des 
Luchs sind; ein einzelner Zustand des Luchs (als eines Wahmehmungsdinges) ist eine 
Klasse, deren Elemente Punkte der Wahmehmungswelt sind; ein solcher Punkt ist 
eine mehrgliedrige Relation, deren Glieder vier Reihentenne (nämlich die Raum-Zeit- 
Koordinaten) und eine oder mehrere Sinnesqualitäten sind; eine Sinnesqualität ist 
eine Klasse „meiner Erlebnisse“; diese werden hier als Grundelemente angesehen. 

Die Begriffe des Beispiels wären nach üblicher Auffassung teils 
als individuell, teils als allgemein anzusprechen. Dabei ist aber ein 
jeder (außer dem letzten) konstituiert als Klasse oder Relation, und der 
folgende ist jeweils ein Element dieser Klasse bzw. ein Glied dieser Re- 
lation; jeder stellt also ein Allgemeines anderer Gegenstände dar. 

Woran liegt es nun, daß in der üblichen Betrachtungsweise etwa 
die Hundespecies und die Sinnesqualität Braun als etwas Allgemeines, 
dagegen der Hund Luchs und ein bestimmter Weltpunkt und ein be- 
stimmtes Erlebnis als etwas Individuelles angesehen werden, ja zu- 
weilen nur diese als „Gegenstände“, jene dagegen als „bloße Begriffe“ 
bezeichnet werden? 

Die Untersuchung dieser und ähnlicher Beispiele zeigt zunächst, 
daß den sogenannten individuellen Gegenständen gemeinsam ist, daß 


212 


213 


158 ihnen eine Zeitbestimmung zukommt, und zwar entweder ein be- 
stimmter Zeitpunkt oder eine zusamme nh än g ende Zeitstrecke. Ferner 
kommt ihnen, soweit sie räumlicher Bes timmun g zugänglich sind, ent- 
weder ein bestimmter Raumpunkt oder ein zusammenhängendes Raum- 
gebiet zu. Dagegen sind z. B. der Sinnesqualität Braun viele, unter- 
einander nicht zusammenhängende Raumzeitgebiete zugeordnet (näm- 
lich die Gebiete derjenigen Raum-Zeit-Punkte, an denen dieses Braun 
laut Erfahrung vorkommt, d. h. denen es bei der Konstitution der 
Wahrnehmungswelt zugeschrieben ist). 

Es gibt nun aber auch Ordnungen (freilich nicht raum-zeitliche), 
in denen den sogenannten Allgemeinbegriffen entweder ein Punkt 
oder ein zusammenhängendes Gebiet zukommt. Z. B. kommt dem 
Braun, falls es sich um einen ganz bestimmten Farbton handelt, ein 
Punkt des Farbkörpers zu, oder, falls es sich um Braun überhaupt 
handelt, ein zusammenhängendes Teilgebiet des Farbkörpers. Ebenso 
kommt der Species Hund sozusagen ein Punkt des zoologischen Kör- 
pers (des Systems der Tierarten) zu, und der Säugetierklasse ein zu- 
sammenhängendes Teilgebiet dieses Körpers. 

Der Unterschied zwischen Individual- und Allgemeingegenständen 
(oder -begriffen) beruht also auf dem Unterschied zwischen der zeitlich- 
räumlichen Ordnung und den anderen Ordnungen. Das Problem, 
weshalb gewöhnlich nur die in bezug auf die erste Ordnung individu- 
alisierten Gegenstände als individuell aufgefaßt werden, läuft somit 
auf die Frage hinaus, wodurch die Ordnungen der Zeit und des Raumes 
vor den übrigen Ordnungen ausgezeichnet sind. Wie wir später sehen 
werden, sind die beiden Ordnungen auch für die Charakterisierung der 
wirklichkeitsartigen Gegenstände grundlegend (§ 172 fr.). Der gesuchte 
Unterschied geht zurück auf den Unterschied zwischen zwei Arten 
von Relationen, die zwischen Qualitätsklassen bestehen. Da der Ge- 
sichtssinn hierbei vor allem in Betracht kommt, nehmen wir jetzt nur 
auf ihn Bezug. Es handelt sich dann um den Unterschied zwischen 
der Gleichstelligkeit und der Gleichfarbigkeit zweier Qualitätsklassen 
des Gesichtssinnes. Auf der ersten dieser Relationen beruht die Kon- 
stitution der Sehfeldordnung und damit indirekt die der Raumordnung, 
auf der zweiten die qualitative Ordnung der Farben, der „Farbkörper“. 
Früher schon (§ 91) haben wir gesehen, daß die beiden Relationen einen 
formalen Unterschied aufweisen, der darauf zurückgeht, daß ver- 
schiedene gleichstellige Qualitätsklassen nie zu demselben Elementar- 
erlebnis gehören können, wohl aber gleichfarbige. Nur mit Hilfe dieses 
Unterschiedes gelang es damals, die beiden Relationen und damit die 
beiden Ordnungen (Sehfeld und Farbkörper) zu trennen und jede für 





sich zu konstituieren (§ 88 ff., H7f.). Wir überlegten damals auch schon, 158 
daß der Unterschied nicht nur eine formal-logische Bedeutung hat; 
die genannte formal-logische Eigenschaft der Gleichstelligkeit ist es 
gerade, die die besondere Leistung der aus dieser Relation abgeleiteten 
Raumordnung für die Erkenntnissynthese und damit auch für die 
Konstitution ermöglicht. Diese Leistung der Raumordnung und, wie 
wir hinzufügen müssen, der beim Aufbau der physischen Welt mit ihr 
verknüpften Zeitordnung besteht darin, als principium individuationis 
zu dienen, und auch (gemäß den später folgenden Darstellungen, 

§ I72ff.) als „principium realisationis“, nämlich als Prinzip zunächst 
der Setzung als wirklichkeitsartig, dann der Setzung als wirklich. Daß 
auch die*Zeitordnung beide Leistungen erfüllt, sowohl die eines Prin- 
zips der Individuation wie die eines Prinzips der Wirklichkeitssetzung, 

— und zwar primär, nämlich logisch vor der Raumordnung, — hat seinen 
Grund darin, daß die Zeitordnung vor allem eine Sonderung der Be- 
stimmungen (insbesondere der Qualitätsklassen) der Elementarerleb- 
nisse mit sich bringt, indem Bestimmungen nicht-identischer Erleb- 
nisse als zeitlich verschieden gelten und umgekehrt. 

Die Stellung der Konstitutionstheorie zur Unterscheidung indi- 
vidueller und allgemeiner Gegenstände läßt sich hiernach etwa so for- 
mulieren. Es gibt zwei Arten von Ordnungen, — zunächst für Qua- 
litätsklassen, dann abgeleitet für irgendwelche Gegenstände, — die 
sich dadurch unterscheiden, daß die ihnen zugrunde liegenden Rela- 
tionen einen formal-logischen Unterschied in bezug auf die Zuge- 
hörigkeit zweier Qualitätsklassen zu demselben Elementarerlebnis auf- 
weisen. Die erste Art umfaßt die Ordnungen, die wir als zeitliche und 
räumliche bezeichnen, die zweite Art die übrigen. Die formal-logischen 
Eigenschaften der den Ordnungen erster Art zugrundeliegenden Re- 
lationen machen es möglich, diese Ordnungen als Prinzipien der In- 
dividuation und danach auch der Wirklichkeitssetzung (die ihrem Sinne 
nach Individuation voraussetzt) zu verwenden. So ergibt sich ein 
formal feststellbarer Unterschied zwischen solchen Gegenständen, die 
(entweder selbst oder durch Vermittlung ihrer Elemente usw.) in den 
Ordnungen erster Art einem Punkt oder einem zusammenhängenden 
Teilgebiet zugeordnet sind, den „Gegenständen erster Art“, und den 
Gegenständen, die diese Eigenschaft nicht haben, den „Gegenständen 
zweiter Art“. Es zeigt sich, daß für einen Gegenstand zweiter Art 
stets eine Ordnung zweiter Art vorhanden ist (d. h. konstituiert werden 
kann), in bezug auf die er sich analog verhält, indem er n ämli ch einem 
Punkt oder zusammenhängenden Teilgebiet dieser Ordnung zugeordnet 
ist. Den so unterschiedenen Gegenständen erster und zweiter Art 


215 


258 mag man nun, wenn man will, die üblichen Bezeichnungen „individuell“ 
bzw. „allgemein“ beilegen, wofern man mit diesen Ausdrücken nur die 
angegebenen unterscheidenden Eigenschaften meint und vor allem be- 
achtet, daß die sog. individuellen Gegenstände nicht etwa in irgendeinem 
Sinne logisch einfacher oder einheitlicher sind als die allgemeinen. 


I 59* Über die Identität 


Das Problem der Identität hängt mit dem soeben behandelten Pro- 
blem der Unterscheidung zwischen individuellen und allgemeinen Gegen- 
ständen zusammen. Es setzt zu seiner Klärung die Lösung jenes Pro- 
blems, die Erkenntnis der logischen Bedeutung jenes Unterschiedes 
voraus. 


Das Problem der Identität entsteht nur infolge des Umstandes, 
daß nicht jeder Gegenstand nur einen Namen (im weitesten Sinne) 
hat. Denn das Problem besteht im Grunde in der Frage, wann zwei 
verschiedene Bezeichnungen denselben Gegenstand bezeichnen. Daß 
es mehrere verschiedene Bezeichnungen desselben Gegenstandes gibt, 
ist nicht nur eine empirische Unvollkommenheit des Bezeichnungs- 
systems. Die Mehmamigkeit ist vielmehr logisch dadurch bedingt, 
daß es für jeden Gegenstand nicht nur einen Eigennamen geben kann 
(mehr als em Eigenname ist überflüssig), sondern außerdem noch 
Kennzeichnungen, und zwar stets mehrere (vielleicht sogar im 
allgemeinen beliebig viele). Wie früher erklärt worden ist (§ 13), be- 
steht eine Kennzeichnung darin, daß ein Gegenstand durch Angabe von 
überschneidenden Klassen, zu denen er gehört, oder von Relationen 
zu anderen Gegenständen, oder auch durch bloße strukturelle Beschrei- 
bung semer Stelle in einem Relationsgefüge so bezeichnet wird, daß die 
Beschreibung nur für ihn allein und für keinen anderen Gegenstand zu- 
trifft. Wir haben gesehen, welche grundlegende Bedeutung den Kenn- 
zeichnungen gerade in der Konstitutionstheorie zukommt; besteht 
doch das Konstitutionssystem aus nichts Anderem als solchen Kenn- 
zeichnungen in der Form konstitutionaler Definitionen. Aber auch bei 
allen übrigen Fragen erkenntnismäßiger, besonders wissenschaftlicher 
Bestimmung spielen die Kennzeichnungen eine große Rolle. „Der 
Vater des Herrn A“, „der Geburtstag des Herrn A“, „die Species dieses 
Katers hier", „der spezifische Widerstand von Kupfer“ und dergl. 
sind Kennzeichnungen, die in Fragen Vorkommen können. Als Ant- 
wort werden dann andere Bezeichnungen derselben Gegenstände ver- 
langt, nämlich Personennamen, Daten, Zahlen und dergl. Die Fragen 
haben nur deshalb einen Sinn,- weil es verschiedene Bezeichnungen des- 
selben Gegenstandes gibt, nämlich die Bezeichnung in der Frage („der 


216 



Geburtstag des Herrn A“) und die in der Antwort („der 22. März 159 
1832“). Die Bezeichnungen desselben Gegenstandes nennen wir „gl eich- 
bedeutend“. Der Unterschied zwischen Bedeutung und Sinn eines 
Gegenstandszeichens ist dabei zu beachten; er entspricht dem Unter- 
schied zwischen logischem Wert und Erkenntniswert von Aussagen 
(§ 50). Die Ausdrücke „der Geburtstag des Herrn A“ und „der 22. März 
1832“ haben dieselbe Bedeutung, denn es ist derselbe Tag, den beide 
bezeichnen. Dabei haben sie aber offenbar verschiedenen Sinn. Das 
zeigt sich schon darin, daß ihre Identisch-Setzung keine Trivialität 
ergibt. 

Das Kriterium für gleiche Bedeutung besteht in der Sub- 
s ti tuier b a r kei t : zwei Bezeichnungen gelten dann als gleichbedeutend, 
wenn jede Aussagefunktion, die bei Einsetzung der einen Bezeichnung 
einen wahren Satz liefert, dasselbe bei Einsetzung der anderen Bezeich- 
nung tut. Das ist die Definition der logischen Identität. 

BEISPIEL. Die Sätze „Goethe starb am 22. März 1832“ und „Goethe starb am 
Geburtstage des Herrn A“ sind gleicherweise wahr. Das Entsprechende gilt auch 
für alle anderen Sätze über dieses Datum. Daß der eine der beiden Sätze wertvoll, der 
andere wertlos ist, ist hierbei gleichgültig. Es kommt für das Kriterium der gleichen 
Bedeutung, der „Identität“, nur auf den Wahrheitswert der Sätze an. 

Die Identität wird im gewöhnlichen Sprachgebrauch, auch in 
dem der Wissenschaft, nicht immer in ihrem strengsten Sinne 
genommen. Auch Gegenstände, die nicht im streng logischen Sinne 
identisch sind, pflegt man sprachlich als identisch zu behandeln ; welche 
Gegenstände als identisch angesehen werden, zeigt sich gewöhnlich 
in der Verwendung des Wortes „derselbe“ oder einfach „dieser“. 
Häufig gilt die Identität nicht für den Gegenstand selbst, auf den sie 
sprachlich bezogen wird, sondern für seine Art, als deren Vertreter er 
also genommen wird. 

BEISPIELE. Die Frage „hast du schon dieses Buch, diesen Schmetterling?“ 
meint nicht den vorgewiesenen Gegenstand selbst, sondern die Art, als deren Vertreter 
der Gegenstand genommen wird. Diese uneigentliche Identifizierung kann auch 
mehrere von einander verschiedene Richtungen haben, wie sich in den folgenden 
vier Sätzen zeigt: „die Straßenbahn in A. hat dieselben Wagen wie die in B“; „ich 
bin heute mit demselben Wagen herausgekommen wie gestern, nämlich 6-“; „dies 
ist derselbe Wagen, der bisher auf der Linie 10 fuhr“; „ich saß in dem Wagen, den du 
hast vorbeifahren sehen.“ 

Wie die angeführten Beispiele zeigen, ist zwar in manchen Fällen 
eindeutig, worauf sich die Identität beziehen soll, d. h. als Vertreter 
welcher Art der Gegenstand gemeint ist. Z. B. wird bei einem Tier 
oder einer Pflanze in der Regel die Species gemeint sein. In anderen 
Fällen dagegen gilt ein Gegenstand je nach dem Zusammenhang als 


217 


159 Vertreter ganz verschiedener Klassen; die sprachlich auf den Gegen- 
stand selbst bezogene Identität gilt dann jeweils nur von einer dieser 
Klassen. So liegt es im Beispiel der vier Sätze über den Wagen. Um 
die in solchen Fähen auftretende Verschiedenheit der Richtung 
der Identifizierung zu charakterisieren, können wir zwei verschie- 
dene Betrachtungsweisen oder Ausdrucksweisen anwenden. Nach der 
ersten Betrachtungsweise handelt es sich (z. B. bei jenen vier 
Sätzen) nicht um Identität, sondern um verschiedene andere Re- 
lationen, die aber (sei es nur sprachlich, sei es auch in der Auffassung) 
als Identität genommen werden. Nach der zweiten Betrachtungs- 
weise dagegen handelt es sich nicht um Gleichartigkeit (dieser oder 
jener Richtung), sondern um Identität im strengen Sinne; aller- 
dings nicht um Identität zwischen den jeweils auftretenden Einzel- 
gegenständen selbst, sondern zwischen Gegenständen höherer 
Stufe (Klasse oder Relation), auf die die Gegenstände als Re- 
präsentanten hinweisen. 

BEISPIEL. Wenden wir auf das angeführte Beispiel der vier Sätze über den 
Wagen die erste Betrachtungsweise an, so sagen wir: zwischen den Gegen- 
ständen besteht streng genommen nicht die Identität, die der Sprachgebrauch ansetzt, 
sondern andere Relationen, nämlich a) die Gleichartigkeit in Bau ünd Aussehen, 
b) die gleiche Tageszeit oder die gleiche Stelle im Fahrplan, c) die „Genidentität“ 
(siehe § 128), d. h. Zugehörigkeit verschiedener „Dingzustände“ zu demselben Ding; 
d) die mtersubjektive Zuordnung zwischen Dingzuständen (vgl. § 146). Bei der zweite n 
Betrachtungsweise dagegen nehmen wir die Wagen als Repräsentanten von Gegen- 
ständen höherer Stufe ; diese Gegenstände höherer Stufe, für die strenge Identität gilt, 
sind in den vier Fällen: a) der Bautypus (als Klasse von Wagen); b) die Institution, 
die darin besteht, daß täglich um 6^ ein Wagen herausfährt, als Klasse von Wagen 
(-fahrten); c) das physische Ding „Wagen“ als Klasse seiner Zustände; d) der inter- 
subjektive Gegenstand „Wagen“ als Klasse der einander intersubjektiv zugeordneten 
Gegenstände (§ 148), also ein einzelner Wagen im intersubjektiven Sinne. Daß strenge 
Identität nur gilt a) für den Bautypus an den beiden Orten, b) für die von mir an den 
beiden Tagen benutzte Institution, c) für das physische Ding zu verschiedenen Zeiten, 
nicht dagegen für die Gegenstände selbst, die nur Vertreter dieser Gegenstände höherer 
Stufe sind, ist leicht zu sehen; nicht so leicht aber im Falle (d), daß die Identität nur 
für den als Klasse konstituierten intersubjektiven Gegenstand gilt, nicht für die ein- 
ander intersubjektiv zugeordneten; doch müssen wir uns hier mit einem Hinweis auf 
die frühere Darstellung der Intersubjektivierung begnügen (§ 146—149). 

Aus den angestellten Überlegungen geht hervor, daß bei jeder Aus- 
sage über Identität genau zu beachten ist, ob die Identität im strengen 
Sinne gemeint ist oder nicht. Man darf sagen, daß in den meisten 
Fällen sprachlicher Identität (also bei Anwendung des Wortes 
„derselbe" oder „auch dieser“, oder auch schon bei mehrmaliger Be- 
nutzung desselben Wortes) uneigentliche Identität vorliegt. Hier 
sind dann (nach der zweiten Betrachtungsweise) die Gegenstände als 


218 



Vertreter streng identischer Gegenstände höherer Stufe genommen; 159 
(in der ersten Betrachtungsweise:) es handelt sich anstatt um Identität 
um andere Gleichheitsrelationen (§ n). Als Relationen dieser Art 
kommen besonders in Betracht: die Gleichheit irgendwelcher Art, 
im Sinne der Übereinstimmung in irgendeiner Eigenschaft; die Gen- 
identität (§ 128) und die intersubjektive Zuordnung (§ I46f.). 

Die beiden letzteren werden besonders häufig mit der (eigentlichen) 
Identität verwechselt; vielleicht trägt ihre bisherige Namenlosigkeit 
einen Teil der Schuld daran. In allen Fällen solcher Relationen wird 
der Gegenstand höherer Stufe, für den die Identität gilt, erst aus den 
nicht-identischen Gegenständen mit Hilfe der betreffenden Relation 
konstituiert; und durch diese Konstitution entsteht dann erst die Be- 
rechtigung, hier von Identität zu sprechen. 

LITERATUR. Manche sachlich richtigen, früheren Bemerkungen über 
Genidentität, die aber diese als „Identität“ bezeichnen, kommen erst durch die 
deutliche Unterscheidung der beiden Relationen zu ihrem Recht. So besteht z. B. 
die Forderung von Cornelius (gegenüber dem Widerspruch vonGomperz [Weltansch.] 

163) zu Recht, daß die „Identität“ (womit C. die Genidentität meint) aus gewissen' 
Übereinstimmungen an Erlebnissen konstituiert werden müsse. Ferner trifft die 
kritische Bemerkung von Volkelt [Gewißheit] 130 gegen Avenarius zu: Die „Iden- 
tität“ (womit auch hier die Genidentität gemeint ist) ist nicht ursprünglich gegeben, 
darf also nicht zur „reinen Erfahrung“ gerechnet werden. 

Es ist bemerkenswert, daß zuweilen der zeitliche Verlauf der 
Begriffsentwicklung dergestalt ist, daß zunächst eine Relation 
der vorhin charakterisierten Art sprachlich als Identität genommen und 
dann erst der Gegenstand höherer Stufe konstituiert wird, durch den 
dieser Sprachgebrauch gerechtfertigt wird; und zwar wird er sozu- 
sagen gerade durch diesen uneigentlichen Sprachgebrauch konstituiert. 
Hierher gehört auch die Methode der Konstitution eines Gegenstandes 
auf Grund anderer Gegenstände durch die Angabe, wann immer zwei 
der zugrunde liegenden Gegenstände als identisch angesprochen werden 
sollen. 

BEISPIELE. Die auf der Genidentität beruhende Konstitution von Wahrneh- 
mung s dingen kann etwa die Form annehmen: „ein wahrgenommenes Ding a und 
ein wahrgenommenes Ding b sind dasselbe Ding, wenn a und b die und die Bedingungen 
erfüllen (nämlich die Genidentitätskriterien)“. Ferner werden z. B. die Tierarten 
(und in analoger Weise die Pflanzenarten) dadurch konstituiert, daß die Zoologie von 
„demselben“ Tier spricht, wenn die und die Kriterien erfüllt sind. Auch die vorhin 
genannten vier Fälle der Redeweise von „demselben“ Wagen können hier herange- 
zogen werden. Ein wichtiges Beispiel bildet die Charakterisierung der ver schie denen 
geometrischen Disziplinen. Nach F. Klein können sie aufgefaßt werden als 
Theorien der Eigenschaften, die in bezug auf verschiedene Arten der Transformation 
invariant sind. Dementsprechend kann die Begriffsbildung und daher auch die Kon- 
stitution der Topologie dadurch charakterisiert werden, daß geometrische Gebilde als 


219 


159 identisch angesprochen werden (z. B. zwei gezeichnete Figuren als Darstellungen 
„desselben“ Sachverhaltes), wenn sie homöomorph sind; entsprechend in der projek- 
tiven Geometrie, wenn sie projektive Verwandtschaft aufweisen ; entsprechend in der 
metrischen (oder äquiformen) Geometrie, wenn sie ähnlich (oder äquiform) sind; 
schließlich in einer nicht vorhandenen, etwa der Topographie entsprechenden, aber 
rein geometrischen Disziplin, wenn sie kongruent sind, (Die Bezeichnungen Homöo- 
morphie, projektive Verwandtschaft, Ähnlichkeit und Kongruenz werden in der Regel 
nur auf Gebilde desselben Systems angewandt, nicht auf zwei Figuren, also disparate 
Gebilde; genauer müßten wir deshalb sagen: „wenn die Figuren so beschaffen sind, 
daß sie, in ein System gebracht, die Beziehung der Homöomorphie, . . . haben würden.") 

160. Das Wesen der Gegenstandsarten des Psychischen, 
Physischen und Geistigen 

160 Es sei zunächst noch einmal kurz zusaramengefaßt, wie das Wesen 
der verschiedenen Gegenstandsarten (hier nur der hauptsächlichsten) 
und ihre Unterschiede sich auf Grund des Konstitutionssystems dar- 
stellen. Für die nachher zu erörternden Probleme ist das von grund- 
legender Bedeutung. Die Unterschiede innerhalb der Hauptgegen- 
standsarten lassen wir jetzt unberücksichtigt, um nicht auf Einzel- 
heiten eingehen zu müssen. Wir greifen deshalb von jeder Gegenstands- 
art die wesentlichsten Vertreter heraus: im Eigenpsychischen die Er- 
lebnisse, ihre einmaligen Bestandteile und die Qualitäten (der Sinnes- 
empfindungen, Gefühle, Wollungen usw.); im Physischen die physischen 
Dinge ; im Fremdpsychischen auch wieder die Erlebnisse, ihre einmaligen 
Bestandteile und die Qualitäten; im Geistigen die primären geistigen 
Gegenstände und allgemeine höhere. 

Das Konstitutionssystem zeigt, daß alle Gegenstände sich aus „mei- 
nen Elementarerlebnissen“ als Grundelementen konstitutieren lassen; 
mit anderen Worten (denn das bedeutet der Ausdruck „konstituieren“) : 
alle (wissenschaftlichen) Aussagen lassen sich unter Beibehaltung des 
logischen Wertes umformen in Aussagen über meine Erlebnisse (ge- 
nauer: über Beziehungen zwischen ihnen). Jeder Gegenstand, der 
nicht selbst eins meiner Erlebnisse ist, ist somit ein Quasigegenstand; 
sein Name ist ein abkürzendes Hilfsmittel, um über meine Er- 
lebnisse zu sprechen. Und zwar ist der Name innerhalb der Konsti- 
tutionstheorie und damit innerhalb der rationalen Wissenschaft nur 
eine Abkürzung; ob er außerdem noch etwas „an sich Bestehendes“ 
bezeichnet, ist eine Frage der Metaphysik, die innerhalb der Wissen- 
schaft keinen Platz hat (vgl. § 161 und 176). 

Die eigenpsychischen Gegenstände (und zwar die wichtigsten, 
oben genannten) sind teils selbst meine Erlebnisse, teils Klassen von 
solchen, die mit Hilfe der Grundrelation(en) gebildet worden sind, 


220 



teils Relationen zwischen ihnen selbst und diesen Klassen; es sind 160 
also meine Erlebnisse selbst und Hilfsausdrücke (Quasigegenstände) 
der nächsten Stufen. 

Die physischen Gegenstände sind vierdimensionale Anordnun- 
gen von Qualitäten (bzw. von Zahlen, die die Qualitäten vertreten), 
also von Klassen meiner Erlebnisse. Die Erlebnisse sind zunächst in 
Klassen und diese in Vierfachsysteme von Reihen gefaßt; gewisse Teil- 
systeme hiervon sind die physischen Gegenstände. 

Die fremdpsychischen Gegenstände bestehen in einer neuen 
Anordnung der eigenpsychischen Gegenstände nach Maßgabe gewisser 
physischer Gegenstände (nämlich meines Leibes und der Leiber der 
anderen Menschen). Sie stimmen also mit den physischen Gegenstän- 
den darin überein, daß auch sie Ordnungen der eigenpsychischen Gegen- 
stände sind. Während aber diejenige Ordnung der eigenpsychischen 
Gegenstände, die zu den physischen führt, eine der Ordnung des Eigen- 
psychischen ganz fremde Beschaffenheit hat (nämlich jenes vierfache 
Reihensystem), hat diejenige Ordnung der eigenpsychischen Gegen- 
stände, die die fremdpsychischen ergibt, eine weitgehende Ähnlichkeit 
mit der Ordnung der eigenpsychischen Gegenstände selbst, zwar nicht 
in bezug auf die Nachbarschaft im Einzelnen (nämlich die Anordnung 
in der Zeit), aber in bezug auf die allgemeinen Gesetze der Ordnungs- 
nachbarschaft (nämlich die psychologischen Gesetze des Verlaufs in 
der Zeit). 

Die geistigen Gegenstände sind Ordnungen fremdpsychischer 
(und in geringerem Maße auch eigenpsychischer) Gegenstände, die 
gewöhnlich mehrere Stufen über ihnen stehen. 

161. Konstitutionales und metaphysisches Wesen 

Die gegebenen Antworten auf die Frage nach dem Wesen der ver- 161 
schiedenen Gegenstands arten werden sicherlich vielfach als unbe- 
friedigend empfunden, nämlich dann, wenn mit der Frage nicht das 
konstitutionale, sondern das metaphysische Wesen gemeint war. Die 
Frage nach dem konstitutionalen Wesen eines Gegenstandes will 
wissen, wie er im konstitutionalen Zusammenhang des Systems steht, 
insbesondere, wie er sich aus den Grundgegenständen herleitet. Die 
Frage nach dem metaphysischen Wesen dagegen will wissen, was 
der betreffende Gegenstand an sich sei. Daß sie voraussetzt, es gebe den 
Gegenstand nicht nur als bestimmte Konstitutionsform, sondern auch 
als „Gegenstand an sich“, charakterisiert gerade diese Frage als zur 
Metaphysik gehörig. Häufig wird dies übersehen und daher diese Frage 


221 



i auch in der nicht-metaphysischen Wissenschaft gestellt, wo sie keine 
Berechtigung und keinen Sinn hat. 

Es muß noch genauer angegeben werden, was unter dem konsti- 
tutionalen Wesen eines Gegenstandes zu verstehen ist. Genau genom- 
men kann m der Wissenschaft gar nicht von dem Wesen, auch nicht 
dem konstitutionalen, eines Gegenstandes gesprochen und folglich 
auch nicht danach gefragt werden. Nur in einem gewissen uneigent- 
hchen Sinne hat ein Gegenstand ein Wesen, hat ein Gegenstands- 
name eme Bedeutung, hat also die Frage nach der Bedeutung eines 
Gegenstandsnamens einen Sinn. Genau genommen muß die Frage nicht 
lauten: „welche Bedeutung hat dieses Gegenstandszeichen?“, sondern: 
„welche Sätze, in denen dies Gegenstandszeichen auftreten kann, sind 
wahr?“ Eindeutig beurteilbar ist nur die Wahrheit oder 
Falschheit eines Satzes, nicht die Bedeutung eines Zeichens, 
auch nicht eines Gegenstandszeichens. Die Angabe des We- 
sens eines Gegenstandes oder, was dasselbe ist, die Angabe der Be- 
deutung des Zeichens eines Gegenstandes, besteht deshalb in der 
Angabe von Kriterien der Wahrheit derjenigen Sätze, in 
denen dasZeichen dieses Gegenstandes auftreten kann. Solche 
Kriterien können in der verschiedensten Weise formuliert werden; 
dadurch ist dann die jeweilige Art der Wesensangabe charakterisiert! 
Bei der Angabe des konstitutionalen Wesens eines Gegenstandes 
besteht das Kriterium in der Konstitutionsformel des Gegenstandes als 
einer Umformungsregel, mit deren Hilfe jeder Satz, in dem das Zeichen 
des Gegenstandes auftreten kann, schrittweise in Sätze über Gegen- 
stände niederer Konstitutionsstufe übersetzt werden kann und schließ- 
lich in einen Satz über die Grundrelation(en) allein. Fassen wir die in 
der Relationsliste der Grundrelation(en) zusammengestellten Erlebnis- 
paare, für die die Grundrelation gilt, als Angabe der Ur- Sach- 
verhalte auf, so besteht also das Kriterium der soeben genann- 
ten Art in einer Zurückführung aller Sätze über den Gegenstand, 
nach dessen konstitutionalem Wesen gefragt wird, auf solche Sätze, 

die sich durch die Ur-Sachverhalte als wahr oder falsch erweisen 
lassen. 

Der früher (§ 20) erwähnte Begriff der „Wesensbeziehung“, der 
in den Erörterungen über Wesensprobleme eine große Rolle spielt 
(besonders bei den Problemen der Kausalität und des psychophysi- 
schen Parallelismus), ist mit dem des metaphysischen Wesens vei 
wandt. Eine Wesensbeziehung kann nicht in das Konstitutionssystem 
eingeordnet werden. Aussagen über sie können also nicht in eine veri- 
fizierbare Form gebracht werden. Also kann die Wissenschaft auch 


222 


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schon eine Frage über die Wesensbeziehung nicht stellen. Dieser Be- 161 
griff erweist dadurch seine Zugehörigkeit zur Metaphysik. 

LITERATUR. Vgl. Hertz [Einleitg.] I2 9 f. über die Frage nach dem „Wesen“ 
der Kraft oder der Elektrizität. 

162. Uber den Leib-Seele-Dualismus 

Sind Leib und Seele, Physisches und Psychisches zwei verschiedene 162 
Substanzen (oder Prinzipien oder Gegenstandsarten oder Seiten) der 
Welt oder gibt es nur eine Substanz (oder Gegenstandsart usw ) ? (Die- 
ses Dualismusproblem ist wohl zu unterscheiden von dem eigentlichen 
„psychophysischen Problem“, nämlich dem Problem der gegenseitigen 
Abhängigkeitsbeziehungen zwischen physischen und psychischen Vor- 
gängen, das nachher besonders behandelt werden soll (§ 166 —169).) 
Betrachten wir die genannte Frage vom Gesichtspunkte der Konsti- 
tutionstheorie aus, so wird der Dualismus etwa in folgender Weise ar- 
gumentieren. Obwohl die Konstitutionstheorie Wert darauf legt, beim 
Aufbau des Konstitutionssystems von einer einheitlichen Basis aus- 
zugehen, so muß sie doch, um alle Gegenstände der Wissenschaft mit 
dem System zu erfassen, verschiedene Gegenstandsarten konstituieren, 
vor allem die des Physischen und des Psychischen. Daraus folgt (so 
sagt der Dualismus), daß es trotz der Einheit der Basis doch Unter- 
schiede zwischen den Gegenstandsarten gibt, insbesondere den Haupt- 
unterschied zwischen Physischem und Psychischem. Demgegenüber 
ist aber darauf hinzuweisen, daß die Konstitutions theorie nur der reali- 
stischen Sprechweise der Realwissenschaften zuliebe von „Gegenstands- 
arten“, überhaupt von konstituierten „Gegenständen“ spricht. 
Innerhalb ihres Rahmens würde sie statt dessen passender von „Ord- 
nungsformen“ und deren Arten sprechen. Bei jedem Monismus- 
Duahsmus-Problem irgendeines Gebietes ist genau zu unterscheiden, 
ob sich die Frage der Einheitlichkeit oder Mehrheitlichkeit auf das zu 
Ordnende beziehen soll oder auf die Ordnungsformen. Die Ordnungs- 
formen sind in j edem Fallein mehreren verschiedenen Arten vorhanden, 
und zwar in beliebig großer Zahl. Daher ist die Frage nur von Belang 
in bezug auf das zu Ordnende, die Grundelemente. In diesem Bezug 
aber ist sie für das Konstitutionssystem, und damit für das Monismus- 
Duahsmus-Problem des Physischen und Psychischen, wegen der Ein- 
heitlichkeit der Grundelemente des Systems zugunsten des Monismus 
zu entscheiden. 

Der Sachverhalt möge durch ein Gleichnis anschaulich gemacht werden. Wir 
betrachten den nächtlichen Sternhimmel weder Wolken noch Mond sollen zu 
sehen sein, nur Sterne. Wir können Unterscheidungen und Einteilungen der Sterne 

223 


IÖ 2 vornehmen; wir bemerken verschiedene „Gegenstandsarten“, unterschieden nach Art 
des Lichtes, Helligkeit, Farbe. Hier ist also das zu Ordnende selbst verschiedenartig. 

Nun wollen wir im Gegensatz dazu einmal den (fiktiven) Fall annehmen, es seien 
nur Fixsterne gleicher Helligkeit und gleicher Farbe zu sehen. Hier würden wir auf 
die Frage nach der Zahl der Gegenstandsarten zu antworten haben: wir bemerken nur 
Gegenstände von ferner Art. Wir würden uns in der Berechtigung dieser Antwort nicht 
dadurch irre machen lassen, daß jemand einwendet: „nein, es sind eine ganze Reihe 
verschiedener Gegenstands arten zu bemerken: erstens die Sterne selbst, zweitens die 
Abstände je zweier Sterne, drittens die Größenverhältnisse je zweier Abstände, viertens 
die Dreiecke je dreier Sterne, fünftens die Überdeckungsbeziehung zweier Dreiecke, 
usf.; diese Gegenstandsarten sind tatsächlich völlig verschieden von einander : ein 
Abstand ist kein Stern, ein Verhältnis zweier Abstände ist kein Abstand, usf.“ Gegen 
diesen Einwand würden wir erwidern: die aufgezählten verschiedenen Gegenstands- 
arten sind (außer der der Sterne selbst) keine autonomen Gegenstandsarten; sie um- 
fassen überhaupt nicht Gegenstände im eigentlichen Sinne, die den Sternen koordiniert 
werden könnten, sondern Beziehungen und Beziehungsgefüge an den Sternen; wenn 
wir überhaupt Sterne bemerken, so bemerken wir sie an bestimmten Stellen, und damit 
sind dann Abstände, Figuren und Verhältnisse notwendig mitgegeben. Die Frage, ob 
wir eine, zwei oder mehrere Arten von Gegenständen bemerken, kann nicht die Anzahl 
der feststellbaren Arten solcher Ordnungsformen an den Elementen meinen, denn die 
sind, wie die angeführten fünf Beispiele schon erkennen lassen, in unbegrenzter Anzahl 
vorhanden; die Frage kann nur die Arten der Elemente selbst meinen. 

Das Gleichnis von den Sternen (und zwar der zweite Fall mit 
den eigenschaftslosen, nur beziehungsverknüpften Sternen) gibt ein 
gutes Bild von dem, was die Konstitutionstheorie meint: alle 
Gegenstände der Realwissenschaften (außer den Elementar- 
erlebnissen selbst, die den Sternen entsprechen) sind Sternbilder 
nebst Verhältnissen und Verknüpfungen von solchen, die aus eigen- 
schaftslosen, aber ordenbaren Sternen gebildet werden; die 
Verschiedenheit der sogenannten Gegenstandsarten, ins- 
besondere der Unterschied zwischen Physischem und Psy- 
chischem, bedeutet nur eine verschiedene Art der Stern- 
bilder (oder ihrer Verknüpfungen) infolge verschiedener Zu- 
sammenfassungsweisen. 

Wenden wir nun das, was in dem Gleichnis deutlich geworden ist, 
auf das Problem Monismus-Dualismus an, so sehen wir, daß wir hier 
nicht Physisches und Psychisches als zwei Prinzipien oder Seiten 
der Welt auffassen dürfen. Es sind Ordnungsformen des einen, 
einheitlichen Gebietes eigenschaftsloser, nur beziehungsverknüpf- 
ter Elemente. Solcher Ordnungsformen gibt es unbegrenzt viele. 
Wollten wir die Verschiedenheit zwischen Physischem und Psychi- 
schem als Verschiedenheit zweier Substanzen oder Seiten der Welt 
gelten lassen, so dürften wir daher auch nicht bei diesen beiden stehen 
bleiben. Es gibt auch in der heutigen Wissenschaft schon eine größere 
Anzahl von Gegenstandsarten, die die gleiche Selbständigkeit haben 

224 



und daher den gleichen Anspruch darauf erheben könnten, als Wesens- 162 
seiten der Welt zu gelten. Daß das alte metaphysische Problem des 
Dualismus nur gerade von Physischem und Psychischem spricht, liegt 
allein daran, daß die Wissenschaft zuerst auf die Selbständigkeit dieser 
beiden Gegenstandsarten, genauer: Konstitutionsformen, aufmerksam 
wurde. Inzwischen sind aber andere Gegenstandsarten (besonders die 
der geistigen Gegenstände, der biologischen Gegenstände und der 
Werte) als selbständig erkannt worden, wenn sie auch gegenwärtig 
noch im Kampf um ihr gleiches Recht neben den physischen und psychi- 
schen Gegenständen stehen (vgl. auch die Beispiele weitererGegenstands- 
arten in § 25). Auch diese Aufzählung der Gegenstandsarten nennt 
aber noch zu wenige, weil jede von ihnen Gegenstände verschiedener 
Konstitutionsstufen zusammenfaßt, wie im Entwurf des Konstitutions- 
systems gezeigt worden ist. Diese Zusammenfassung ist zwar für die 
grobe Einteilung zweckmäßig; doch darf nicht übersehen werden, daß 
die Gegenstände verschiedener Stufen verschiedenen Gegenstands- 
sphären angehören (§ 41, 29), also logisch selbständigen und völlig 
getrennten Gebieten. Der Dualismus zeigt sich somit als eine letzten 
Endes willkürliche Beschränkung auf zwei zwar wichtige, aber nicht 
prinzipiell herausgehobene Gegenstandsgebiete; als These über eine 
prinzipielle Beschaffenheit der Welt wäre er jedenfalls nicht haltbar, 
sondern müßte einem Pluralismus weichen, der der Welt un- 
begrenzt viele Seiten oder Substanzen zuerkennt. Aber das wären dann 
eben nur die unbegrenzt vielen möglichen Formen, die Elemente auf 
Grund ihrer Grundrelation(en) zu ordnen. Das Ergebnis bleibt: in 
der Welt der Erkenntnisgegenst^nde gibt es zwar (wie in jedem 
Gebiet, sofern es überhaupt ordenbar ist) unbegrenzt viele Ord- 
nungsformen, aber nur eine, einheitliche Art des zuOrdnen- 
den, der Elemente. 

LITERATUR. Nach Natorps Ansicht, mit dessen Auffassung die angegebene 
verwandt ist, geht diese Überwindung des Dualismus des Physischen und Psychischen 
auf Kant zurück. Nach Kant, so sagt Natorp [Psychol.] 148, „soll die „Materie“, 
nämlich die Empfindungen, für den äußeren und inneren Sinn ein und dieselbe und 
nur die „Form“, d. h. die Ordnungsweise, verschieden sein.“ N. gibt auch weitere 
historische Bemerkungen und systematische Erörterungen zu dem behandelten 
Problem. Ferner stimmt die angegebene Auffassung mit der von Russell [Mind] 
überein, der auch weitere Literatur hierzu nennt (S. 22ff.) ; er leitet die Auffassung 
vonW. James her und führt vor allem auch die „Behavioristen“ an. Eine andere, 
aber verwandte Formulierung bei Ziehen ([Erkth.] I9f., 43 ff. [Gegenw. Stand] 66ff. 
„Binomismus“) und Russell ([Mind] 287ff.) spricht Physisches und Psychisches als 
zwei Arten der Gesetzmäßigkeit für dieselben Elemente an. Die Formulierung von 
Mach ([Anal.] 14, [Erk,] 18): verschiedene Untersuchungsrichtungen in bezug auf 
denselben Stoff, ist ebenfalls mit der gegebenen Auffassung verwandt. 


225 


163. Das Problem des Ich 

163 Das „Ich“ ist die Klasse der Elementarerlebnisse. Es wird 
häufig mit Recht betont, daß das Ich nicht ein Bündel von Vorstellun- 
gen oder Erlebnissen sei, sondern eine Einheit. Dem widerspricht die 
aufgestellte These nicht, denn (wie in § 37 gezeigt und häufig wieder 
betont worden ist) eine Klasse ist nicht die Kollektion, die Summe, das 
Bündel ihrer Elemente, sondern ein Einheitsausdruck für das den Ele- 
menten Gemeinsame. 

Die Existenz des Ich ist kein Ur-Sachverhalt des Gege- 
benen. Aus dem cogito folgt nicht sum; aus dem „ich erlebe“ folgt 
nicht, daß ich bin, sondern, daß ein Erlebnis ist. Das Ich gehört gar 
nicht zum Ausdruck des Grunderlebnisses, sondern wird erst später 
konstituiert, wesentlich zum Zweck der Abgrenzung gegen die „An- 
deren“, also erst auf hoher Konstitutionsstufe, nach der Konstitution 
des Fremdpsychischen. Ein passenderer Ausdruck als „ich erlebe“ 
wäre also „erlebe“ oder noch besser „dies Erlebnis“. An Stelle des 
Descar tesschen Spruches wäre nun zu setzen: „dies Erlebnis ; also 
ist dies Erlebnis“, und das wäre freilich eine bloße Tautologie. Wie 
früher bei Erörterung der eigenpsychischen Basis schon angedeutet 
worden ist, gehört das Ich nicht zum Ur-Sachverhalt (§ 65). Die philo- 
sophische Selbstbesinnung hat bei den Philosophen verschiedener Rich- 
tungen zu dem übereinstimmenden Ergebnis geführt, daß die ursprüng- 
lichen Bewußtseins Vorgänge nicht als Tätigkeiten eines handelnden 
Subjektes, des „Ich“, aufgefaßt werden dürfen. 

LITERATUR. Nicht „ich denke“, sondern „es denkt in mir“, sagt Russell 
[Mind] 18, und wir würden auch noch wie Lichtenberg (nach Schlick [Erkenntnisl.] 
i47f.) das „in mir“ streichen. Eine ähnliche Ablehnung der Tätigkeit im Ur- 
S ach verh alt findet sich bei Nietzsche [Wille] § 304, 309 ; Avenarius. [Kritik] ; Natorp 
[Psychol.] 41 ff.; Driesch [Ordnungsl.] ; Schlick [Erkenntnisl.] 147L Vgl. auch die 
Literaturhinweise in § 65. Wohin die falsche Zerspaltung des Ursachverhaltes in Ich 
und Objekt weiter führen kann, zeigt sich bei N. Hartmann [Metaphysik] 38, 40, wo 
nicht nur jene zwei, sondern schließlich vier Schichten unterschieden werden: Subjekt, 
Objektbild, Objekt, Transobjektives. 

164. Das Wesen der intentionalen Beziehung 

164 Die intentionale Beziehung besteht zwischen einem inhalthabenden 
psychischen Vorgang und seinem Inhalt, z. B. zwischen meiner augen- 
blicklichen Vorstellung des Kölner Domes und diesem Gebäude als 
dem Inhalt oder dem „Gemeinten" dieser Vorstellung. Zum Vor- 
bereich der Beziehung gehören also die „intendierenden“, auf etwas 
gerichteten, psychischen Vorgänge, wie Wahrnehmungen, Vorstellun- 
gen, Gefühle (soweit sie sich auf etwas beziehen) usw. Die umstrittene 


Frage, ob alle psychischen Vorgänge hierher gehören, „intentional“ 164 
sind, mag hier dahingestellt bleiben. Besteht nun die intentionale Be- 
ziehung etwa zwischen einem bestimmten Wahraehmungserlebnis eines 
Baumes und dem in ihm gemeinten Baum, so ist unter dem „gemeinten 
Baum“ zunächst der „sich in der Wahrnehmung darstellende“ Baum 
zu verstehen, der auch ein geträumter oder halluzinierter sein kann; 
ob es nur ein solcher unwirklicher Baum ist, oder ob es einen wirklichen 
Baum gibt, der dem gemeinten entspricht, ist eine sekundäre Frage, 
die für die unmittelbare Beschaffenheit des Erlebnisses noch nicht in 
Betracht kommt. 

Die übliche Auffassung über die intentionale Beziehung besagt 
nun, daß solche intentionalen psychischen Vorgänge in eigentümlicher 
Weise aus sich berausweisen, eben auf ihr „intentionales“ oder „ge- 
meintes“ Objekt, das nicht mit ihnen identisch sei, und daß die Beziehung 
daher von eigener Art und nicht auf Anderes zuxückfuhrbar sei. Rich- 
tig an dieser Auffassung ist, daß das Erlebnis und sein intentionales 
Objekt nicht identisch sind. Aber die intentionale Beziehung 
ist nicht eine Beziehung ganz eigener Art, die sich nirgends 
sonst fände, als zwischen einem psychischen Gebilde und dem, was sich 
in ihm darstellt. Denn vom Standpunkt der Konstitutionstheorie aus 
ist ja der gemeinte Baum eine gewisse, schon recht komplizierte Ord- 
nung von Erlebnissen, nämlich von denjenigen Erlebnissen, von denen 
wir sagen, daß der Baum ihr intentionales Objekt sei ; dabei sind diese 
Erlebnisse Einheiten, die nicht zerlegt, sondern nur in verschiedene 
Ordnungen gebracht werden können, und zwar hier in die Ordnung, 
die den gemeinten Baum darstellt. Wir erkennen hieraus: die inten- 
tionale Beziehung besteht allgemein zwischen einem Erlebnis und einer 
Erlebnisordnung, wenn die folgenden beiden Bedingungen erfüllt sind : 
erstens muß das Erlebnis zu dieser Ordnung gehören, zweitens muß 
diese Ordnung eine von denjenigen Konstitutionsformen sein, in denen 
wirklichkeitsartige Gegenstände konstituiert werden. („Wirklichkeits- 
artig“ heißen diejenigen Gegenstände, für die die Unterscheidung zwi- 
schen wirklich und unwirklich sinnvoll ist, auch bevor diese Unter- 
scheidung noch getroffen ist (§ 172). Das stimmt damit überein, daß 
für das intentionale Objekt die Wirklichkeitsfrage noch nicht ent- 
schieden zu sein braucht.) 

Die Beziehung eines Elementes zu den Relationsgefügen 
bestimmter Struktur, in die es eingeordnet ist, ist eine der 
wichtigsten Beziehungen der angewandten Relationstheorie. Die in- 
tentionale Beziehung ist nichts Anderes als diese Beziehung auf 
einem bestimmten Gebiete, nämlich zwischen einem Erlebnis 



226 


227 


164 (oder Erlebnisbestandteil) und einer Ordnung von wir klichfcei ts- 
artiger Struktur. Allerdings ist nichts dagegen einzuwenden, wenn 
eine solche Beziehung als „Hinweis auf etwas außerhalb seiner selbst“ 
formuliert wird, wofern man sich nur klar macht, daß das „außerhalb“ 
als nichtidentisch oder genauer: als umfassenderer Zusammenhang 
verstanden werden muß. 

BEISPIELE. Es seien Beispiele der genannten allgemeinen Beziehung 
auf anderen Gebieten genannt; auch hier kann der Ausdruck vom „Hinweisen“ 
angewandt werden. Eine bestimmte Pflanze weist auf das botanische System der 
Pflanzen hin; ein bestimmter Farbton weist auf den Farbkörper hin, eine Person 
auf ihre Familie oder ihren Staat oder ihre Berufshierarchie, und dgl. 

Die intentionale Beziehung gehört zu der gleichen Art wie die Be- 
ziehungen der genannten Beispiele. Freilich pflegt bei einem Erlebnis, 
in dem ein Baum auftritt, das Meinen dieses Baumes bewußt zu sein, 
während eine Farbe ohne Bewußtsein des Farbkörpers bewußt zu sein 
pflegt. Aber das ist nur ein gradueller Unterschied; das Bewußtsein 
des Baumes kann unter Umständen auch fehlen, freilich bei einem er- 
wachsenen Menschen verhältnismäßig selten. Wenn man aber sagt, 
es liege im Wesen eines Erlebnisses, auf irgend etwas intentional hinzu- 
weisen, auch wenn nicht bei jedem Erlebnis sein intentionales Objekt 
bewußt werde, so gilt auch dies vom Gesichtspunkt der Konstitutions- 
theorie aus allgemein: es ist für jeden Gegenstand wesentlich, daß er 
gewissen Ordnungszusammenhängen angehört, sonst könnte er über- 
haupt nicht konstituiert sein, also nicht als Erkenntnisgegenstand be- 
stehen. 

LITERATUR. Die traditionelle Theorie der Intentionalität stammt von Bren- 
tano und ist von Husserl [Phänomenol.] 64 ff. weitergeführt worden. 

Unsere Auffassung stimmt im Wesentlichen überein mit der von Russell [Mind]. 
Sie steht auch der Auffassung von Jacob y ([Ontol.] 258fr.) nahe, nach der es sich 
um Überschneidung zweier Systemzusammenhänge handelt: der Bewußtseinssystema- 
tik und einer anderen Systematik, z. B. 5 er der Außenwirklichkeit; J. hebt mit Recht 
hervor, daß durch diese Einsicht die „Verdoppelung der außenwirklichen Bestände 
in Erscheinung und Ding an sich“ als überflüssig wegfällt (S. 257). 

165. Das Wesen der Kausalität 

165 In der Wahrnehmungswelt bestehen gewisse Gesetzmäßigkeiten, 
die die Konstitution dieses Gebietes in beträchtlichem Maße vervoll- 
ständigen und zum großen Teil überhaupt erst möglich machen. Diese 
Gesetzmäßigkeiten haben die Form von Implikationen zwischen Zu- 
schreibungen zweier Stellen oder Stellengebiete, die ein bestimmtes 
Verhältnis in der Stellenordnung zueinander haben. Vorgänge der 
Wahrnehmungswelt sind ja dargestellt durch vierdimensionale Ge- 

228 



biete von Weltpunkten, denen (zum Teü) Qualitäten zugeschrieben 165 
sind (vgl. die Konstitution der Wahraehmungswelt, § 125E, 133!). 

Ein solches Gesetz hat also die Form: „wenn den Weltpunkten eines 
(vierdimensionalen) Gebietes Qualitäten in der und der Weise zuge- 
schrieben sind, so sind den Weltpunkten eines anderen Gebietes, das 
zu jenem Gebiet ein Lageverhältnis von der und der Art hat, Quali- 
täten in der und der Art zugeschrieben oder zuzuschreiben.“ Sind die 
beiden durch die Implikation verbundenen Gebiete gleichzeitig, so 
handelt es sich um ein Zustandsgesetz, sind sie nacheinander, um 
ein Ablaufgesetz. Sind die beiden vierdimensionalen Gebiete be- 
nachbart, so handelt es sich um ein Nachbarschaftsgesetz; bei 
einem Zustandsgesetz liegt in diesem Falle räumliche, bei einem Ab- 
laufgesetz zeitliche Nachbarschaft vor. In diesem letzteren Falle 
(Ablaufgesetz mit zeitlicher Nachbarschaft) heißt das Gesetz ein 
Kausalgesetz. Von den beiden vierdimensionalen, zeitlich benach- 
barten Gebieten, also von den aufeinander folgenden Vorgängen, 
zwischen denen die Abhängigkeit besteht, wird der frühere die „Ur- 
sache“ des späteren, dieser die „Wirkung" jenes genannt. 

Innerhalb der Wissenschaft bedeutet also Kausalität nur funk- 
tionale Abhängigkeit bestimmter Art. Darauf muß hier noch aus- 
drücklich hingewiesen werden, weil immer wieder die Auffassung ver- 
treten wird, daß außer der funktionalen Abhängigkeit zwischen den 
beiden Vorgängen noch eine „reale“ Beziehung oder „Wesensbeziehung“ 
bestehe, ^indem nämlich der erste Vorgang den zweiten „bewirke“, 
„erzeuge“, „hervorbrmge“. Merkwürdigerweise wird noch in der 
Gegenwart häufig, selbst von Physikern und Erkenntnistheoretikern, 
die Meinung vertreten, die Wissenschaft, also hier die Physik, dürfe 
sich nicht mit der Untersuchung jener funktionalen Abhängigkeiten 
begnügen, sondern müsse gerade die „Realursachen“ feststellen. 

Der Irrtum in dieser Ansicht tritt noch deutlicher hervor, wenn wir 
nicht die Wahmehmungswelt, sondern die rein quantitative physi- 
kalische Welt, auf die sich ja die Physik bezieht, betrachten. In 
der physikalischen Welt kann überhaupt nicht von Vorgängen ge- 
sprochen werden, die in dem Verhältnis Ursache-Wirkung zueinander 
ständen. Die Begriffe „Ursache“ und „Wirkung“ haben nur innerhalb 
der Wahmehmungswelt eine Bedeutung. Sie sind daher mit angesteckt 
von der Ungenauigkeit, die die Begriffsbildungen dieser Welt haben. 

Die Ablaufgesetze der physikalischen Welt, also die Kausalgesetze 

der Physik, sprechen nämlich nicht eine Abhängigkeit zwischen 

Vorgängen aus, sondern eine Abhängigkeit zwischen einem 
Zustand und einem gewissen Grenzwert in bezug auf die Zu- 


229 


165 Schreibung der Zustandsgrößen (nämlich dem zeitlichen Differential- 
quotient«! einer Zustandsgröße). Nur diese Kausalgesetze, nicht die 
der Wahmehmungswelt, gelten streng und ausnahmslos; jene dagegen 
gelten nur unstreng, nämlich nur unter der unbestimmten Klausel: 
„wofern nicht noch ein anderer Umstand hindernd eingreift.“ Sprechen 
wir also von strengen Kausalgesetzen, so können nur die physikalischen 
gemeint sein; dann aber ist nichts da, was „Ursache“ und 
„Wirkung“ genannt werden könnte (denn einen Momentanzu- 
stand wird man nicht „Ursache“ nennen wollen, und noch weniger einen 
Differentialquotienten „Wirkung“). Und erst recht kann hier von 
einer Wesensbeziehung des „Bewirkens“ keine Rede sein. Über den 
metaphysischen, außerwissenschaftlichen Charakter der Wesensbezie- 
hungen ist schon mehrfach gesprochen worden. Vgl. auch die all- 
gemeinen Bemerkungen über Wesensprobleme am Schluß von § 169, 
die auch für das Kausalitätsproblem gelten. 

LITERATUR. Die Ablehnung des „realen Bewirkens“ innerhalb der 
Wissenschaft ist seit Hu me so oft und deutlich dargelegt worden (hier sei nur auf 
Mach, Verworn [Kondit.] und Vaihinger [Als Ob] hingewiesen), daß eine aus- 
führlichere Klarlegung vom Standpunkte der Konstitutionstheorie aus überflüssig er- 
scheint; die vielleicht deutlichste Widerlegung hat Russell in seinem Vortrag [Cause] 
gegeben. 



B. DAS PSYCHOPHYSISCHE PROBLEM 

166. Formulierung des Problems 

Unter dem psychophysischen Problem soll hier nicht die Frage 166 
verstanden werden, ob allen psychischen Vorgängen ein gleichzeitiger 
physiologischer Vorgang im Zentralnervensystem zugeordnet ist (und 
zwar so zugeordnet, daß zu ähnlichen psychischen Vorgängen ähnliche 
physiologische gehören). Dies wird hier als empirische Hypothese vor- 
ausgesetzt. Ferner ist aber auch nicht das Problem gemeint, wie die 
einzelnen Himvorgänge beschaffen seien, die den einzelnen Arten psy- 
chischer Vorgänge zugeordnet sind. Dieses „Zuordnungsproblem“ der 
psychophysischen Beziehung (s. § 21) zu lösen, ist eine Aufgabe der 
Physiologie, die in dem philosophischen Problem als schon gelöst 
oder mindestens als lösbar vorausgesetzt wird. Es handelt sich hier um 
das Problem, das wir früher als „Wesensproblem“ der psychophysischen 
Beziehung bezeichnet hatten (§ 22); in ihm wird danach gefragt, wie 
denn die Parallelität der beiden so verschiedenartigen Vorgangs- 
reihen zu denken upd zu er klären sei. Seitdem dieses alte Problem 
durch die neuere Naturphilosophie wieder aufgegriffen worden ist, 
zählt es zu den am meisten behandelten und umstritten«! philoso- 
phischen Problemen. 

LITERATUR. Du Bois-Reymond [Grenzen] 33fr. formuliert das Problem 
so: „Machen wir dagegen dieselbe Voraussetzung astronomischer Kenntnis für das 
Gehirn des Menschen, ... so wird zwar in bezug auf alle darin stattfindenden mate- 
riellen Vorgänge unser Erkennen . . . vollkommen sein. . . . Auch die mit geistigen (in 
unserer Sprache: „psychischen“) Vorgängen der Zeit nach stets, also wohl notwendig 
zusamme nfallenden materiellen Vorgänge wären ebenso vollkommen durchschaut. . . . 

Was aber die geistigen Vorgänge selber anbetrifft, so zeigt sich, daß sie bei astronomi- 
scher Kenntnis des Seelenorgans uns ganz ebenso unbegreiflich wären, wie jetzt. . . . 
Welche denkbare Verbindung besteht zwischen bestimmten Bewegungen bestimmter 
Atome in meinem Gehirn einerseits, andererseits den für mich ursprünglichen, nicht 
weiter definierbaren, nicht wegzuleugnenden Tatsachen: „ich fühle Schmerz, fühle 
Lust“ ... Es ist eben durchaus und für immer unbegreiflich, daß es einer Anzahl von 
Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-, Sauerstoff- usw. Atomen nicht sollte gleich- 
gültig sein, wie sie liegen und sich bewegen ... Es ist in keiner Weise einzusehen, 
wie aus ihrem Zusammenwirken Bewußtsein entstehen könne.“ (Hier ge- 
sperrt.) Das Zitat ist ausführlich hergesetzt, weil sich hijpr in besonders typischer Ge- 
walt zeigt, wie ein Problem durch falsche Fragestellung bis zur völligen Undurchsich- 
tigkeit verdunkelt werden kann. 


231 


230 


Von der überaus reichen Literatur des Problems seien nur die übersichtlichen 
Erörterungen von Busse [Geist] genannt; im gleichen Buche gibt Dürr eine aus- 
führliche Liter aturübersicht; ferner Erdmann [Leib]. 

167. Das psychophysische Problem geht nicht vom 
Fremdpsychischen aus 

Wir wollen nun genauer überlegen, welches eigentlich der S ach- 
verhalt ist, nach dessen Erklärung hier gefragt wird, und in welcher 
Situation dieser Sachverhalt festgestellt wird. 

Wir wollen (ebenso wie Du Bois-Reymond) die Kenntnis der Him- 
vorgänge voraussetzen; das drücken wir durch die Fiktion aus, wir 
seien im Besitze eines „Hirnspiegels“, d. h. eines Apparates, der uns 
gestattet, ein lebendes Hirn genau zu beobachten. 

Zunächst könnten wir auf den Gedanken kommen, den Sachverhalt, 
um den es sich im psychophysischen Problem handelt, dadurch zur 
Beobachtung zu bringen, daß wir die Himvorgänge einer Versuchs- 
person mit Hilfe des Hirnspiegels sehen und gleichzeitig ihre Angaben 
hören über das, was in ihrem Bewußtsein vorgeht, ferner auch ihre 
Ausdrucksbewegungen beobachten. Aber das kann doch nicht der 
typische Fall der Beobachtung des fraglichen Sachverhaltes sein, denn 
hier haben wir nicht zwei parallele Vorgangsreihen auf verschiedenen 
Gebieten vor uns, sondern zwei parallele physische Vorgangsreihen; 
die Reihe der Sehbeobachtungen im Hirnspiegel und die Reihe der Hör- 
beobachtungen der gesprochenen Worte der Versuchsperson (vielleicht 
noch verbunden mit Sehbeobachtungen ihrer Ausdrucksbewegungen). 
Zwar schließen wir aus der zweiten Reihe physischer Vorgänge auf 
eine Reihe psychischer Vorgänge. Aber was wir beobachten, sind 
zwei physische Reihen, die zwar auch eine gewisse, komplizierte Paralle- 
lität aufweisen, aber eine Parallelität, die grundsätzlich nicht pro- 
blematischer ist, als sonst eine Parallelität physischer Vorgänge. Jeden- 
falls ist dies nicht die Situation, in der der fragliche Sachverhalt als 
solcher in Erscheinung tritt. 

Wir haben hier der leichteren Verständlichkeit wegen die Situation 
in realistischer Sprache dargestellt. Bei Anwendung der konstitutio- 
nalen Sprache kommt die grundsätzliche Unmöglichkeit, den 
Grundsachverhalt des psychophysischen Problems an ei- 
nem anderen Menschen zu beobachten, noch schärfer zum Aus- 
druck. Die beiden Parallelreihen sind konstituiert einerseits als Reihe 
physischer Vorgänge am Leib des anderen Menschen, andererseits 
als Reihe fremdpsychischer Vorgänge, die diesem Leibe konstitutional 
zugeschrieben werden. Nun besteht aber die Zuschreibung des Fremd- 

232 



psychischen zu dem Leibe des Anderen darin, daß ausschließlich nach 167 
Maßgabe der physischen Vorgänge dieses Leibes ihm Eigenpsychisches 
zugeschrieben wird. Daß dann zwischen den physischen Vorgängen 
dieses Leibes und dem Zugeschriebenen eine Parallelität besteht, be- 
darf nun keiner Erklärung, sondern ist trivial. Das psychophysische 
Problem vom Fremdpsychischen aus zu stellen, käme also etwa dem 
gleich, daß einer, der sich gewöhnt hat, bei jedem Donnerrollen sich 
einen grollenden Zeus vorzustellen, schließlich die Frage aufwirft, wie 
es wohl zu erklären sei, daß Zeus 5 Zorn und der Donner jedesmal zu- 
gleich auftreten. 

168. Die Grundsituation des psychophysischen Problems 

Da die Grundsituation des psychophysischen Problems nicht vom 168 
Fremdpsychischen ausgehen kann, so muß sie sich auf das Eigen- 
psychische beziehen. Um diese Situation herbeizufuhren, habe ich 
also mein eigenes Hirn durch den Hirnspiegel zu beobachten. Um die 
Situation möglichst zu vereinfachen, wollen wir etwa Gehörwahr- 
nehmungen so geschehen lassen, daß sie die Hauptaufmerksamkeit 
auf sich lenken (während die Gesichtsbeobachtungen durch den Hirn- 
spiegel nur nebenher gemacht werden). Die Gehörwahrnehmungen 
könnte ich etwa dadurch hervorrufen, daß ich bestimmte physische 
Bedingungen schaffe, z. B. von einer Spieldose eine Melodie spielen 
lasse. Aber dann würde wieder genau Entsprechendes gelten wie bei 
dem abgelehnten fremdpsychischen Versuch; ich sehe Himvorgänge 
und höre die Töne einer Spieldose ; also auch hier wieder eine rein 
physische Parallelität. Wir wollen deshalb lieber annehmen, daß ich 
mir die Melodie nur lebhaft vorstelle. Hier liegt mm wirklich die 
verlangte Situation vor: ich höre in der Phantasie eine Melodie, 
und zwar immer wieder dieselbe (psychische Reihe), und gleichzeitig 
beobachte ich im Hirnspieget meine Hirnvorgänge (physische Reihe) ; 
die Parallelität zeigt sich darin, daß bei derselben Phase der Melodie 
stets auch wieder der gleiche Hirnvorgang da ist. 

Wenn wir die geschilderte Grundsituation vom konstitu- 
tionalen Standpunkt aus betrachten, so finden wir, daß in ihr der 
folgende Sachverhalt vorliegt. Es handelt sich um eine zeitliche Reihe 
von Elementarerlebnissen. Wenn wir diese Erlebnisse konstitutional 
in ihre Bestandteile zerlegen (genauer: in Quasibestandteile), so zeigt 
sich, daß da zwei Bestandteilreihen parallel gehen: in jedem Erlebnis 
der Erlebnisreihe ko mm t je ein Bestandteil der beiden Bestandteil- 
reihen vor; zwei Bestandteile, die einmal vereinigt Vorkommen, sind 
auch weiterhin, sobald der eine oder der andere von ihnen auftritt, 

233 


168 gemeinsam da. Das Vorkommen zweier derart mit einander verbun- 
dener Reihen von Erlebnisbestand teilen wollen wir allgemein als 
„Parallel verlauf von Bestandteilen“ bezeichnen. Ein solcher 
kommt, wie wir sehen werden, zwischen den verschiedenartigsten Be- 
standteilreihen vor. In dem Falle der hier betrachteten Grundsituation 
hat der Parallel verlauf der Bestandteile noch die Besonderheit, daß 
die Bestandteile der einen Reihe (Gesichts Wahrnehmungen) zur Kon- 
stitution wirklicher physischer Gegenstände verwendet werden können, 
die der anderen Reihe (Gehörvorstellungen) dagegen nicht; diese 
können vielmehr von jeder beliebigen Art sein. 

Es gibt auch Parallelverläufe von anderer Beschaffenheit. Par- 
allelverläufe zweier Bestandteilreihen, die beide zur Kon- 
stitution physischer Gegenstände verwendbar sind, kommen 
häufig vor. 

BEISPIELE. Parallelität zwischen verschiedenen Sinnesgebieten (in physisch- 
realistischer Sprache:) wenn ein Körper in bestimmter Weise sichtbar vibriert, so tönt 
er gleichzeitig in bestimmter Weise ; wenn ein Körper eine bestimmte Sebgestalt hat, 
so hat er gleichzeitig eine analoge Tastgestalt. Auch Parallelität innerhalb desselben 
Sinnesgebietes ist häufig: hat ein Körper die Sehgestalt eines Pferdes, so auch gleich- 
zeitig eine der Pferdefarben ; hat ein Teil eines Körpers die Sehgestalt eines Pferde- 
kopfes, so hat gleichzeitig der ganze Körper die Sehgestalt eines Pferdes. 

Ferner gibt es Parallelverläufe zweier Bestandteilreihen, 
die beide nicht zur Konstitution wirklicher physischer Gegenstände 
verwendbar sind, sondern (entweder zur Konstitution unwirklicher 
physischer Gegenstände oder) nur (wie alle Bestandteilreihen) zur 
Konstitution psychischer Gegenstände. 

BEISPIEL. (In psychisch-realistischer Sprache :) wenn ich die Vorstellung (nicht 
Wahrnehmung) der Sehgestalt einer Rose habe, so gleichzeitig auch die Vorstellung 
der Farbe und des Duftes einer Rose; wenn ich die Vorstellung vom Geschmack eines 
Apfels habe, so gleichzeitig auch ein Lustgefühl. 


169. Konstitutionales und metaphysisches Problem 

169 Der geschilderte Parallelverlauf, der bei der Grundsituation des 
psychophysischen Problems stattfindet, unterscheidet sich mm von 
den genannten Beispielen anderer Parallelverläufe nur dadurch, daß 
die eine Bestandteilreihe für die Konstitution physischer Gegenstände 
verwendbar ist, während die zweite Reihe für die Konstitution phy- 
sischer Gegenstände zwar verwendbar sein kann, aber nicht verwendbar 
sein muß. Vom konstitutionalen Gesichtspunkt aus bedeutet das keinen 
wesentlichen Unterschied. Dem Eigenwesen des Gegebenen nach gibt 
es keine Wesensunterschiede zwischen den Erlebnissen, und keine 
Wesensunterschiede zwischen den Erlebnisbestandteilen, insbesondere 



nicht auf Grund der Tatsache, daß die einen Bestandteile in der und 169 
der Form geordnet werden können, die anderen aber nur in anderen 
Formen. Für den konstitutionalen Gesichtspunkt bringt daher die 
Aufweisung jener Grundsituation nichts Neues ; sie ist nur ein wei- 
terer Fall der häufig vor kommenden Parallelität vonBestand- 
teilreihen, nicht problematischer als diese Parallelität über- 
haupt, für die ja viele andere Beispiele angeführt werden können. 
Allerdings auch nicht weniger problematisch. Die genannten Fälle 
mit Einschluß der psychophysischen Situation geben zusammen An- 
laß zu dem Problem: wie ist das Vorkommen von Parallelität von 
Bestandteilreihen zu deuten? Konstitutional, also (rational-) wissen- 
schaftlich, ist hier nur der Befund festzustellen, daß das Ge- 
gebene nicht nur überhaupt ordenbar ist, sondern in solchem Grade 
und in solcher Art ordenbar, daß solche Parallelreihen konstitutional 
aufgestellt werden können. Die Frage nach der Deutung des Be- 
fundes liegt außerhalb des Bereiches der Wissenschaft, wie 
sich schon daran zeigt, daß sie nicht in konstituierbaren Begriffen aus- 
gesprochen werden kann; denn die Begriffe „Deutung“, „Erklärung“, 
„Grundlage“ in diesem Sinne finden in einem Konstitutionssystem 
der Erkenntnisgegenstände (nicht nur in dem unserer Art) keinen 
Platz. Die Frage nach der Deutung jener Parallelität gehört vielmehr 
in die Metaphysik. 

Die Metaphysik erklärt bekanntlich die Parallelverläufe erster Art durch reali- 
stische oder phänomenalis tische Setzung physischer Dinge-an-sich: es ist ein und das- 
selbe Ding, das mir einerseits als das Sehding Apfel, andererseits als das Geschmack- 
ding Apfel erscheint. Die Parallelverläufe zweiter Art können durch analoge Setzung 
psychischer Realitäten gedeutet werden: es ist ein und dasselbe psychische Gebilde, 
das sowohl Vorstellung eines Apfels ist, als auch einen bestimmten Geftlhlston an sich 
hat. In beiden Fällen geschieht also die metaphysische Deutung durch Realisation 
(Real-Setzung) oder Substanzialisation (im Sinne der Substanzkategorie). In ähnlicher 
Weise wird zuweilen der Parallelverlauf der dritten Art, wie er sich in der psycho- 
physischen Grundsituation zeigt, durch Real-Setzung von Dingen an sich gedeutet, 
die zwei verschiedene Arten von Eigenschaften haben. 

Soweit es in der Wissenschaft überhaupt möglich und erforder- 
lich ist, kann das psychophysische Problem in der angegebenen Richtung 
auf Grund der Konstitutionstheorie geklärt werden; hier müssen wir 
uns mit den gegebenen Andeutungen begnügen. Über den angegebenen 
Sachverhalt hinaus geht diese Klärung freilich nicht; aber das bedeutet 
keine Lücke in der Wissenschaft: auch nur eine Frage, die weiter- 
geht, kann in der Wissenschaft (d. h. mit wissenschaftlichen, 
konstituierbaren Begriffen) nicht ausgesprochen werden (vgl. 

§ 180). 


234 


235 


169 Außer der psychophysischen Beziehung haben wir früher noch 
verschiedene andere Beziehungen zwischen verschiedenen Gegen- 
standsarten bemerkt, von denen jede zu einem Zuordnungsproblem 
und zu einem Wesensproblem Anlaß gibt (§ 20, 21, 24). In ähnlicher 
Weise, wie es hier für das psychophysische Problem geschehen ist, 
würde sich auch für diese anderen Probleme zeigen lassen : nur als Zu- 
ordnungsprobleme können sie in konstitutionaler Sprache dargestellt 
werden j sie haben dann bestimmte funktionale Abhängigkeiten zur 
Antwort j als Wesensprobleme dagegen gehören sie zum Gebiet der 
Metaphysik. Das gilt insbesondere z. B. für die intentionale Beziehung 
(vgl. § 164), die Kausalbeziehung (vgl. § 165), die Manifestations- und 
die Dokumentationsbeziehung des Geistigen. 

LITERATUR. Die Auffassung, daß die Wissenschaft nur nach funktio- 
nalen Abhängigkeiten, nicht nach „Wesensbeziehungen“ fragen könne, ist be- 
sonders von Mach [Anal.] betont worden und wird gegenwärtig vielfach von den von 
ihm beeinflußten Denkern vertreten. 

Eine Auflösung des psychophysischen Problems mit Hilfe des Gedanken- 
expenmentes des „Gebimspiegels“, und zwar in bezug auf das eigene Gehirn, versucht 
auch Din gier [Naturphil.] 158 ff.; doch biegt sein Gedankengang kurz vor der so 
schön vorbereiteten Lösung in einen Abweg: er glaubt die Gleichzeitigkeit zwischen 
Gehimspiegelbild und entsprechendem Bewußtseinsvorgang durch Hinweis auf den 
Zeitverlust bei der Apparatübermittlung als unmöglich nachzuweisen; diese Zeit- 
differenzist jedoch für das Problem nicht wesentlich, außerdem fällt sie bei stationärem 
oder periodischem Vorgang fort. 



C. DAS KONSTITUTIONALE ODER EMPIRISCHE 
WIRKLICHKEITSPROBLEM 

170. Wirkliche und unwirkliche physische Gegenstände 

Denjenigen Wirklichkeitsbegriff, der als einziger in den Real- 170 
Wissenschaften auftritt, bezeichnen wir als „empirischen Wirk- 
lichkeitsbegriff“. Dieser Begriff ist es, durch den sich ein geogra- 
phisch festgestellter Berg von einem legendären oder erträumten Berg 
unterscheidet und ein erlebtes Gefühl von einem simulierten. Nur 
die Wirklichkeitsfrage im Sinne dieser empirischen Wirklichkeit kann 
mit konstituierbaren Begriffen formuliert werden, nur sie- kann inner- 
halb des Konstitutionssystems gestellt und behandelt werden. Daher 
sprechen wir hier vom „konstitutionalen“ oder „empirischen“ Wirk- 
lichkeitsproblem, zum Unterschied von dem später zu erörternden 
„metaphysischen“ Wirklichkeitsproblem (§ 175 ff.), bei dem es sich um 
einen anderen, den „metaphysischen“ Wirklichkeitsbegriff handelt. 
Dieser tritt nur in der traditionellen Philosophie auf, nicht in den Real- 
wissenschaften. 

Wie betrachten zunächst den Begriff der (empirischen) Wirklich- 
keit, bezogen auf physische Gegenstände, und zwar auf die wichtig- 
sten von ihnen, die physischen Dinge. Solche heißen „wirklich“, 
wenn sie konstituiert sind als Klassen physikalischer Punkte, die auf 
zusammenhängenden Weltlinienbündeln liegen und in das vierdimen- 
sionale Gesamtsystem der physikalischen Raum-Zeit- Welt eingeordnet 
sind (§ 136). Dinge dagegen, die für sich genommen eine gleiche oder 
ähnliche Beschaffenheit haben wie die wirklichen physischen Dinge, 
die also insbesondere auch vierdimensionale Ordnungen von Welt- 
punkten mit physikalischer Zuschreibung sind, die aber nicht Teil- 
gebiete des einen, umfassenden, vierdimensionalen Systems der phy- 
sikalischen Welt bilden, heißen wegen der gleichartigen Beschaffenheit 
zwar auch „physisch“, aber wegen der Nichtzugehörigkeit zu dem 
Gesamtsystem „unwirkliche“ physische Dinge. 

Die Konstitution unwirklicher physischer Dinge kann in 
verschiedener Weise vor sich gehen. Gewöhnlich geschieht die Kon- 
stitution der physischen Dinge, auch der wirklichen, zunächst nur als 


236 


237 


170 physischer Dinge, und die Entscheidung, ob es sich um ein wirkliches 
oder unwirkliches handelt, wird erst darnach gemäß der Möglichkeit 
der Einordnung in das Gesamtsystem getroffen. Das gilt auch schon 
für die W ahmehmungs weit, die Vorstufe der physikalischen Welt. 

BEISPIEL. Auf Grund einer Reihe von Gesichtswahmehmungen wird noch nicht 
ohne weiteres eine Zuschreibung nach den Regeln von § I2öff. zu den Weltpunkten 
des vierdimensionalen Systems vorgenommen, sondern zunächst eine eigene vier- 
dimensionale Ordnung der entsprechenden Farben hergestellt, die etwa ein Sehding 
während eines Zeitabschnitts darstellt. Nim ist zu prüfen, ob dieses Sehding in das 
System der Wahmehmungswelt gemäß den konstitutionalen Formen dieses Systems 
eingebaut werden kann oder nicht. Kann es eingebaut werden, ohne mit den sonstigen 
Konstitutionen von Wahmehmungsdingen in Widerspruch zu geraten, wobei oft auch 
die Angaben der anderen Menschen entscheidend mitsprechen, so ist es dadurch als 
wirkliches Wahmehmungsding (und zwar zunächst als Sehding) legitimiert. Kann 
es nicht eingebaut werden, so ist es ein unwirkliches Wahmehmungsding. 

Bei der Konstitution eines unwirklichen Dinges kann dann eine 
genauere Untersuchung entscheiden, zu welcher Art der unwirklichen 
physischen Dinge es gehört. Ist etwa ein Sehding (wie in dem ange- 
gebenen Beispiel) aus Gesichtswahmehmungen konstituiert, so kämen 
etwa Traum, Halluzination, hypnotische Suggestion und 
dergl. in Betracht. Geschieht dagegen die Konstitution auf Grund von 
Angaben der anderen Menschen (§ 144), so handelt es sich je nach den 
näheren Umständen (der „Absicht“ des Anderen) um Lüge, Irrtum» 
Dichtung (eines Anderen) oder dergl. Die Konstitution kann aber 
auch in freier Weise ein physisches Ding bilden, ohne auf eigene Er- 
lebnisse oder fremde Angaben sich zu stützen ; hier ist der Gegenstand 
als Gegenstand der eigenen Phantasie zu bezeichnen, der etwa für 
(eigene) Lüge, Dichtung, theoretische Fiktion, hypothetische Annahme 
oder freies Phantasiespiel dient. 

Die gegebenen Andeutungen werden genügen, um erkennen zu 
lassen, daß der Unterschied zwischen Wirklichkeit und Un- 
wirklichkeit (Traum, Dichtung und dergl.) auch in einem 
auf eigenpsychischer Basis aufgebauten Konstitutions- 
system seinen vollen Sinn behält und nicht etwa eine Tran- 
szendenz voraussetzt. 

171. Wirkliche und unwirkliche Gegenstände psychischer 
und geistiger Art 

171 Der Unterschied zwischen wirklichen und unwirklichen Gegen- 
ständen anderer Gegenstands arten ist in ganz analoger Weise zu er- 
fassen wie für die physischen Gegenstände. Ist ein Gegenstand, sei es 
auf Grund eigener Erlebnisse, fremder Angaben oder freier Setzung, 

238 



so konstituiert, daß er für sich, nach seiner Innenstruktur, die Be- 171 
schaffenheit derjenigen Gegenstände hat, die wir als eigenpsychische 
Vorgänge oder Zustände konstituiert haben, so bezeichnen wir diesen 
Gegenstand als „psychisch“ . Läßt er sich nun in das zusammenhängende, 
zeitlich geordnete System des Eigenpsychischen einbauen, so heißt 
er ein „wirklicher eigenpsychischer Gegenstand“. Läßt er 
sich einem anderen Menschen, der ein wirklicher physischer Gegen- 
stand im vorhin erläuterten Sinne ist, in den früher (§ 140) dargestellten 
konstitutionalen Formen des Fremdpsychischen zuschreiben, so heißt 
er ein „wirklicher fremdpsychischer Gegenstand“. Ist weder 
die eine, noch die andere Einordnung möglich, so heißt er ein „un- 
wirklicher psychischer Gegenstand“. Auch hierbei sind in glei- 
cher Weise wie vorhin Traum, Lüge usw. zu unterscheiden. 

Für die geistigen Gegenstände ist die Unterscheidung logisch noch 
einfacher (obwohl empirisch schwieriger). Ein Gegenstand, der so kon- 
stituiert ist, daß er für sich genommen die Beschaffenheit der Gegen- 
stände hat, wie wir sie als geistige bezeichnet haben, heißt in jedem 
Falle ein „geistiger Gegenstand“, sei er nun wirklich oder nicht. 

Er heißt „wirklich“, falls seine Manifestationen zu den wirklichen 
psychischen Gegenständen gehören, andernfalls „unwirklich“. Die 
Anwendung dieses Kriteriums ist einfach bei Gegenständen, die als 
primäre geistige Gegenstände konstituiert sind; für die höheren geisti- 
gen Gegenstände kompliziert es sich, indem auf die Wirklichkeit oder 
Unwirklichkeit der zugrundeliegenden primären geistigen Gegenstände 
Rücksicht genommen werden muß. Darauf soll hier nicht weiter ein- 
gegangen werden. 

Durch Vergleich der vorgenommenen Unterscheidungen im Gebiet 
des Physischen, des Psychischen und des Geistigen finden wir die 
folgenden übereinstimmenden Eigenschaften als Kennzeichen des 
Wirklichen gegenüber dem Unwirklichen. 

1. Jeder wirkliche Gegenstand gehört einem umfassenden, 
gesetzmäßigen System an; n äml ich die physischen Gegenstände 
der physikalischen Welt, die psychischen Gegenstände dem psychi- 
schen System eines Subjektes, die geistigen der geistigen Welt. 

2. Jeder wirkliche Gegenstand ist entweder selbst ein 
intersub jektiver Gegenstand oder gibt unmittelbar Anlaß 
zur Konstitution eines solchen. Letzteres sagen wir von einem 
Gegenstände aus, wenn er zum Geltungsbereich der intersubjektiven 
Zuordnung (§ 146L) gehört. 

3. Jeder wirkliche Gegenstand hat eine Stellung in der 
Zeitordnung. 


239 


172. Begriff der wirklichkeitsartigen Gegenstände 

172 Schwieriger als die vorher erörterte Unterscheidung zwischen wirk- 
lichen und unwirklichen Gegenständen ist die Unterscheidung der 
Gegenstände, die entweder wirklich oder unwirklich sind, von den 
übrigen Gegenständen, für die diese Unterscheidung überhaupt nicht 
in Betracht kommt; die ersteren nennen wir „wir klichkeits artig“. 

Wie wir vorher gesehen haben, stimmen die wirklichen und die 
unwirklichen Gegenstände eines Gegenstandsgebietes in manchen Eigen- 
schaften überein; diese sind dann die kennzeichnenden Eigenschaften 
des Wir klichkeits artigen in dem betreffenden Gebiet, die wir noch 
genauer ins Auge fassen werden. Hat z. B. ein physischer Gegenstand 
diese gemeinsamen Eigenschaften der wirklichen und der imwirklichen 
physischen Gegenstände, so ist er ein wirklichkeitsartiger physischer 
Gegenstand. Es kann dann sein, daß wir ihn als wirklichen Gegen- 
stand oder als unwirklichen Gegenstand erkennen; es ist aber auch 
möglich, daß wir die Unterscheidung noch nicht durchgeführt haben, 
vielleicht auch auf Grund der vorhandenen Erkenntnis nicht durch- 
führen können. Trotzdem können wir von ihm wissen, daß er wirklich- 
keitsartig ist. 

LITERATUR. Der Begriff des Wir klichkeits artig en wird beiChristi ans en 
[Kantkritik] als „empirische Objektivität“ bezeichnet; „wie beschaffen muß ein 
Objekt sein, um eingehen zu können in die Realitätsfrage ?“. Nach C.s Ansicht meint 
Kant, wenn er vom „Gegenstand“ spricht, im Grunde die wirklichkeitsartigen Gegen- 
stände. In Meinongs Gegenstands theorie werden die wirklichkeitsartigen Gegen- 
stände als „real“ bezeichnet. 

Der Begriff Wirklichkeit ist noch kein wissenschaftlich festgelegter 
Begriff. Seine Grenzen sind nicht nach einheitlichen Grundsätzen ge- 
zogen, sondern zum Teil bloß traditionell, also von der Sache aus ge- 
sehen zufällig (wie die historischen Grenzen eines Staates). Ferner sind 
diese Grenzen auch (im Unterschied zu denen eines Staates) nicht ein- 
deutig festgelegt. Wenn wir im Folgenden versuchen, die Grenze des 
Wirklichkeitsartigen auf den verschiedenen Gebieten in den Haupt- 
zügen zu bestimmen, so wollen wir uns dabei an den Sprachgebrauch 
halten, wie er in der Wissenschaft und nach klärendem Einfluß durch 
das wissenschaftliche Denken auch im täglichen Leben zu gelten pflegt. 
Doch ist der Sprachgebrauch vielfach noch schwankend. 

Um die Grenze zwischen wirklichkeitsartigen und nicht-wirklich- 
keitsartigen Gegenständen eines bestimmten Gegenstandsgebietes zu 
finden, können wir uns der Einfachheit halber auf das Einheitssystem 
des betreffenden Gebietes beschränken, mit dessen Hilfe wir die wirk- 
lichen Gegenstände von den unwirklichen getrennt hatten (§ 171); 

240 



die physikalische (Gesamt-) Welt, die psychische (Gesamt-) Welt oder 172 
die geistige (Gesamt-) Welt. Nach den dargestellten Kriterien des 
Wirklichen sind die wirklichkeitsartigeil Gegenstände innerhalb eines 
solchen Systems wirklich. Bei Beschränkung auf ein solches System 
fällt daher die gesuchte Grenze des Wirklichkeitsartigen mit der Grenze 
des Wirklichen zusammen. Die Beschränkung dürfen wir vornehmen, 
weil die Grenze des Wirklichkeitsartigen außerhalb eines solchen Systems 
analog zu der innerhalb verläuft. 

173. Die Grenze des Wirklichkeitsartigen im physischen 

Gebiet 

Die Grenze zwischen wirklichkeitsartigen und nicht-wirklichkeits- 173 
artigen Gegenständen wollen wir zunächst für die Gegenstandsart des 
Physischen aufsuchen. Dabei werden wir uns auf das Gesamtsystem 
der physikalischen Welt beschränken, innerhalb dessen die wirklich- 
keitsartigen Gegenstände mit den wirklichen zusammenfallen. Die 
folgende Erörterung hat nicht so sehr den Zweck, den genauen Ver- 
lauf der Grenze festzulegen, als vielmehr zu zeigen, daß der Grenz- 
verlauf ziemlich willkürlich und vielfach auch schwankend 
ist. 

Zunächst sind nach übereinstimmendem Sprachgebrauch die (dem 
System angehörenden) physischen Dinge als wirklich zu bezeichnen; 
daraus folgt für unser Problem, daß die physischen Dinge, ob wirklich 
oder nicht, zum Wirklichkeitsartigen gehören. Auch hier sind schon 
in manchen Fällen Zweifel möglich (z. B. in bezug auf ein virtuelles 
optisches Bild). Die größeren Schwierigkeiten liegen jedoch in einer 
anderen Richtung. Wir haben nämlich nun weiter zu fragen, welche 
physischen Gegenstände außer den Dingen noch als wirklich 
bezeichnet werden. Zunächst herrscht ziemlich allgemein der Sprach- 
gebrauch, daß Vorgänge an diesen Dingen und Zustände dieser 
Dinge wirklich genannt werden. Auch für die sinnlich-qualitativen 
Eigenschaften trifft das noch weitgehend zu, obwohl hier auch schon 
Abweichungen Vorkommen. Für die aus Dingen bestehenden Ganzen 
jedoch treten die Verschiedenheiten des Sprachgebrauchs in größerem 
Umfange auf; das sind diejenigen dmgähnlichen Gegenstände, die aus 
Dingen als ihren rä umli chen Teilen bestehen, aber selbst nicht räum- 
lich zusammenhängend zu sein brauchen; (vgl. über den Begriff des 
Ganzen § 36). Sind die Einzeldinge, die das Ganze bilden, räumlich 
nahe bei einander, so pflegen wir das Ganze wirklich zu nennen, zu- 
weilen auch selbst als Ding zu bezeichnen (z. B. einen Sandhaufen, einen 
Wald). Sind die Einzeldinge räumlich weiter voneinander getrennt, 

241 



173 so wird das Ganze um so eher als wirklich bezeichnet, je gleichartiger 
die Einzeldinge einander sind. 

BEISPIELE, „Mein Mobiliar“, „der noch ungehobene Kohlebestand des deutschen 
Bodens“ werden wohl meist als wirkliche Gegenstände anerkannt werden; bei dem 
Gegenstand „die augenblickliche Vegetation Mitteleuropas“ (im Sinne des Ganzen, 
dessen Teile die gegenwärtig lebenden Pflanzenindividuen sind) werden sicherlich 
schon Zweifel erhoben. Der Gegenstand, dessen Teile bestimmte Bäume sind, wird je 
nach der kennzeichnenden Eigenschaft der Bäume weniger oder mehr Anlaß zum 
Zweifel in bezug auf seine Wirklichkeit geben: stehen die Bäume dicht bei einander, 
so ist der Gegenstand ein Wald oder Waldteil, und der Zweifel ist kaum vorhanden ; 
handelt es sich aber um die Eichen Europas oder um die über 20 m hohen Bäume 
Europas oder um die Bäume Europas, deren Besitzer einen mit A anfangenden Namen 
hat, so dürfte wohl von Fall zu Fall die Auffassung stärker werden, daß es sich nicht 
mehr um einen wirklichen Gegenstand handelt, sondern um eine mehr oder weniger 
willkürliche „begriffliche Zusammenfassung“ ohne einen „real zugrunde liegenden“ 
Gegenstand. 

Die Klassen von Dingen (über den Unterschied zwischen Klasse 
und Ganzem vgl. § 37) werden nicht so leicht als wirklich bezeichnet 
wie die aus Dingen bestehenden Ganzen. Das ist auch insofern be- 
rechtigt, als die Klassen sich ja viel stärker von den Dingen unter- 
scheiden, indem sie zu einer anderen Gegenstandssphäre gehören, 
während die Ganzen zu derselben Gegenstandssphäre gehören wie die 
Dinge selbst. Aber auch hier hat die Grenze keinen einfachen und 
eindeutigen Verlauf. Es gibt Klassen von Dingen, die häufig als wirk- 
lich aufgefaßt werden, nämlich diejenigen, deren kennzeichnende Eigen- 
schaft sinnlich wahrnehmbar ist oder sonstwie als leicht erkennbar 
und wichtig gilt; das stimmt mit dem überein, was vorhin über die 
Eigenschaften gesagt worden ist, denn eine physische Dingeigenschaft 
ist in der Regel zu konstituieren in der Form der Klasse derjenigen 
Dinge, die diese Eigenschaft haben. 

BEISPIEL. Die physischen Stoffe werden zuweilen als wirklich bezeichnet, 
etwa die Substanz Gold als Klasse der goldenen Körper (im Unterschied zu dem 
entsprechenden Ganzen, dem Gesamtgoldbestand der Welt). 

Bei den Relationen zwischen physischen Dingen ist der 
Sprachgebrauch noch schwankender. 

BEISPIELE. Die durch den Stoß eines Dinges auf ein anderes gekennzeichnete 
Relation gilt ziemlich allgemein als wirklich. Die räumliche Entfernung zweier 
Dinge von einander wird zuweilen als etwas Wirkliches aufgefaßt, zuweilen aber als 
bloß Begriffliches, für die selbst wirklichen Dinge Geltendes. Die letztere Auffassung 
tritt noch stärker hervor bei der zeitlichen Entfernung zweier Dingzustände, und 
vielleicht noch mehr bei der auf qualitativer Gleichheit oder Ähnlichkeit be-j 
ruhenden Relation zwischen Dingen. 

Gehen wir von den Klassen zu Klassen von Klassen und zu Re- 
lationen zwischen Klassen über, ebenso von den Relationen zu 



Klassen von Relationen und zu Relationen zwischen Relatio- 173 
nen, so werden solche Gegenstände im allgemeinen nicht mehr als wirk- 
lich bezeichnet. Aber auch unter diesen Gegenständen, die um zwei 
(oder mehr) Stufen höher stehen als die Dinge, gibt es Ausnahmen, näm- 
lich bestimmte Gegenstände, die zuweilen als wirklich aufgefaßt werden. 
Hierin besonders zeigt sich der willkürliche und zufällige Grenz- 
verlauf des Begriffs des Wirklichkeitsartigen. (Übrigens wird 
der Sprachgebrauch auch in bezug auf den Ausdruck „physisch“ auf 
diesen Stufen schwankend.) 

BEISPIEL. Die Relation zwischen einer Generation von Tieren und der nächsten, 
durch sie erzeugten Generation ist eine Relation zwischen Klassen von physischen 
Dingen. Diese Relation der „Vorgeneration“ wird zwar nicht allgemein, aber doch 
zuweilen als wirklich angesprochen. 

174. Die Grenze des Wirklichkeitsa*rtigen in den Gebieten 
des Psychischen und des Geistigen 

Im Gebiet der psychischen Gegenstände verläuft die vom 174 
Sprachgebrauch gezogene Grenze des Wirklichkeitsartigen etwas 
einheitlicher als in dem der physischen Gegenstände. Im allgemeinen 
werden nur die Erlebnisse und die einmaligen Erlebnisbestand- 
teile als wirklich (bzw. unwirklich) angesprochen; zu diesen Er- 
lebnisbestandteilen treten dann noch die unbewußten hinzu, falls solche 
zur Ergänzung der bewußten konstituiert werden (§ 132). Zuweilen 
wird jedoch auch ein bestimmter Sinn eines bestimmten Menschen 
(z. B. der Gesichtssinn des Herrn N.) als etwas Wirkliches aufgefaßt, 
seltener eine bestimmte Qualitätsklasse (z. B. ein bestimmter blauer 
Farbton, nicht als einmal gesehener, sondern allgemein). Bei den 
Relationen zwischen Erlebnissen oder zwischen Erlebnisbestand- 
teilen schwankt auch in diesem Gebiet die Grenze beträchtlich, und zwar 
ähnlich wie im Physischen. 

Am schlimmsten steht es mit der Grenzziehung im Gebiet der 
geis tigen Gegens tände. Hier verläuft die Grenze nicht nur für eine 
bestimmte Auffassung oft recht sprunghaft, sondern sie wechselt be- 
sonders stark von Auffassung zu Auffassung. Oft wird dem ganzen 
Gebiet die Wirklichkeit abgesprochen ; es handele sich bei den geistigen 
Gegenständen nur um „begriffliche Zusammenfassungen“. Werden 
aber geistige Gegenstände als wirklich anerkannt, so kann die Grenze 
auf den verschiedensten Stufen verlaufen und oft auch nur einenTeil der 
Gegenstände der einen oder der anderen Stufe einbeziehen. Das Ge- 
biet der geistigen Gegenstände ist sehr stark nach Stufen gestaffelt. 
Daher ergeben sich hier im Geistigen sehr viel mehr Möglichkeiten 


242 


243 



174 verschiedener Grenzziehung. Daß der Sprachgebrauch auch tatsäch- 
lich viele dieser Möglichkeiten verwirklicht, also in hohem Grade 
uneinheitlich ist, ist vor allem dadurch zu erklären, daß das Gebiet 
des Geistigen erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit als selbständiges 
Gegenstandsgebiet erkannt und anerkannt worden ist. 

Wir haben den Begriff des Wirklichkeitsartigen hier nicht 
vom sachlichen oder systematischen Gesichtspunkt betrachtet, son- 
dern nur in bezug auf den Sprachgebrauch. Dabei findet sich 
dann freilich ein unzusammenhängender und durchaus nicht ein- 
deutig umrissener Begriff. Die Abgrenzung des Begriffes unter- 
liegt einer gewissen Willkür. Man darf wohl vermuten, daß die Varia- 
tionen hier vor allem durch die subjektive Einstellung zu den Erleb- 
nissen und die Lenkung der Aufmerksamkeit bewirkt werden. Aus der 
geschilderten terminologischen Situation wird die Notwendigkeit der 
Festlegung einer klaren, einheitlichen Grenze deutlich, also einer Fest- 
setzung darüber, bei welchen Begriffen der Unterschied zwischen wirk- 
lich und unwirklich überhaupt gemacht werden soll. Der Zweck un- 
serer Darlegungen ist vor allem, zu zeigen, daß es sich hier nicht um eine 
Tatsachenfrage, sondern um eine (fehlende) Festsetzung handelt, und 
ferner, auf die Notwendigkeit einer solchen Festsetzung eindringlich 
hinzuweisen. 



D. DAS METAPHYSISCHE WIRKLICHKEITSPROBLEM ' 

175. Realismus, Idealismus und Phänomenalismus 

Von dem bisher behandelten Wirklichkeitsproblem ist ein anders- 175 
artiges zu unterscheiden, das jetzt behandelt werden soll. Wir haben 
festgestellt, welche konstitutionalen (empirisch festzustellenden) Be- 
dingungen erfüllt sein müssen, damit ein Gegenstand zu dem Gebiet 
derjenigen gehört, die im üblichen Sprachgebrauch der Realwissen- 
schaften als wirklich bezeichnet werden. Über dieses „konstitutionale“ 
oder „empirische“ Wirklichkeitsproblem hinaus geht nun noch dieFrage, 
ob diesen empirisch-wirklichen Gegenständen eine „Wirklichkeit“ 
besonderer Bedeutung zuzuerkennen ist oder nicht. Für diese 
besondere Bedeutung gibt es verschiedene Formulierungen; gewöhn- 
lich wird sie charakterisiert als Unabhängigkeit vom erkennenden 
Bewußtsein. Wir haben also zwei verschiedene Bedeutungen des 
Wortes „Wirklichkeit“ zu unterscheiden. Wo es erforderlich ist, wollen 
wir sie durch die Bezeichnungen „empirische“ und „metaphysische 
Wirklichkeit“ kenntlich machen; die Begründung für die zweite Be- 
zeichnung wird später gegeben (§ 176). 

BEISPIELE. DerUnterschied der beiden Bedeutungen wird deutlich durch 
die folgenden beiden Fragen: „ist der trojanische Krieg ein wirkliches Ereignis oder 
nur erdichtet?“ und „sind die nicht erdichteten oder vorgetäuschten Gegenstände, 
z. B. die wahrgenommenen physischenDinge, wirklich (oder nur Bewußtseinsinhalte) ?“. 

Die erste Frage wird von der Geschichtswissenschaft behandelt; sie ist mit empirisch- 
konstitutionalen Mitteln zu lösen und wird daher von denAnhängem der verschiedenen 
philosophischen Richtungen Übereinstimmend beantwortet. Die zweite Frage pflegt 
in der Philosophie behandelt zu werden; sie wird von den verschiedenen Richtungen 
verschieden beantwortet; wie wir später sehen werden, ist sie außer-konstitutional, 
daher außer- wissenschaftlich, metaphysisch. 

LITERATUR. Wir verwenden hier, wie meist üblich, die Ausdrücke „wirklich“ 
und „real“ als gleichbedeutend. Külpe [Realis.] unterscheidet die gesetzten, 
erschlossenen (also konstituierten) Gegenstände als „real“ von den „wirklichen“ Be- 
wußtseinsvorgängen; dieser Sprachgebrauch weicht aber doch wohl zu stark von dem 
üblichen ab. 

Der zweite Begriff der Wirklichkeit (im Sinne der Unabhängigkeit 
vom erkennenden Subjekt) stellt den Punkt dar, an dem die Rich- 
tungen des Realismus, des Idealismus und des Phänomenalismus aus- 


245 


244 


einandergehen. Diese Richtungen unterscheiden sich dadurch, daß 
sie Gegenstandsgebieten verschiedenen Umfanges (innerhalb des Em- 
pirisch-Wirklichen) die Wirklichkeit im zweiten Sinne zuerkennen. 
Der Realismus lehrt, daß die konstituierten physischen und fremd- 
psychischen Gegenstände wirklich seien. Der subjektive Idealismus 
lehrt, daß zwar die fremdpsychischen, nicht aber die physischen Gegen- 
stände wirklich seien; in der radikaleren Form des Solipsismus 
leugnet er auch die Wirklichkeit der fremdpsychischen Gegenstände. 
(Der objektive Idealismus spricht die Wirklichkeit einem überindivi- 
duellen, absoluten Subjekt zu, das in unserem System nicht konsti- 
tuiert ist; diese Richtung wollen wir daher hier außer Betracht lassen.) 
Der Phänomenalismus lehrt wie der Realismus die Existenz von 
Wirklichem außerhalb des Eigenpsychischen, spricht aber wie der 
Idealismus dem Physischen diese Wirklichkeit ab ; sie kommt nach dieser 
Lehre den unerkennbaren „Dingen an sich“ zu, deren Erscheinungen 
die physischen Gegenstände sind. 

176. Der metaphysische Wirklichkeitsbegriff 

Der Begriff der Wirklichkeit (im Sinne der Unabhängig- 
keit vom erkennenden Bewußtsein) gehört nicht in die 
(rationale) Wissenschaft, sondern in die Metaphysik. Das 
soll jetzt gezeigt werden. Wir untersuchen zu dem Zwecke, ob dieser 
Begriff konstituiert werden kann, d. h. ob er sich ausdrücken läßt durch 
Gegenstände der von uns behandelten wichtigsten Arten: des Eigen- 
psychischen, des Physischen, des Fremdpsychischen, des Geistigen. 
Es könnte auf den ersten Blick scheinen, als wäre das möglich. Ein von 
mir erkannter, also auf Grund meiner Erlebnisse konstituierter Gegen- 
stand wird dann „unabhängig von meinem Bewußtsein“ genannt 
werden müssen, wenn seine Beschaffenheit nicht von meinem Willen 
abhängt, d. h. wenn ein auf eine Änderung des Gegenstandes ge- 
richtetes Willenserlebnis diese Änderung nicht zur Folge hat. Aber das 
würde nicht übereinstimmen mit dem Begriff der Wirklichkeit, wie er 
von Realismus und Idealismus übereinstimmend gemeint ist und in 
bezug auf die physischen Dinge von jenem behauptet, von diesem ge- 
leugnet wird. Denn nach der soeben versuchten Begriffsbestimmung 
würde ein in meiner Hand befindliches physisches Ding nicht wirk- 
lich genannt werden dürfen, da es sich ja (auch nach der Auffassung 
des Realismus) ändert, wenn ich ein entsprechendes Willenserlebnis 
habe; das widerspräche aber der Meinung des Realismus. Anderer- 
seits müßte nach der Begriffsbestimmung ein außerhalb meiner tech- 
nischen Reichweite gelegenes physisches Ding, etwa ein Mondkrater, 

246 



als wirklich anerkannt werden, da es sich ja (auch nach der Meinung 176 
des Idealismus) nicht ändert, wenn ich ein entsprechendes Willens- 
erlebnis habe; das widerspräche dann der Meinung des Idealismus. 

Man könnte noch auf verschiedene andere Weise versuchen, eine 
Begriffsbestimmung der Wirklichkeit (im Sinne der Unabhängigkeit 
von meinem Bewußtsein) so zu geben, daß der Begriff konstituierbar 
würde. Es läßt sich dann aber in jedem Falle nachweisen, daß der ge- 
kennzeichnete Begriff sich nicht mit dem vom Realismus und Idealis- 
mus in gleicher Weise gemeinten Begriffe deckt. Das gilt nicht etwa 
nur, wenn gerade ein Konstitutionssystem von der Systemform un- 
seres Entwurfes zugrunde gelegt wird, sondern in bezug auf jedes er- 
kenntnismäßige Konstitutionssystem und sogar in bezug auf ein System, 
das nicht von der eigenpsychischen Basis ausgehen würde, sondern 
von den Erlebnissen aller Subjekte oder auch vom Physischen. Der 
(zweite) Begriff der Wirklichkeit läßt sich nicht in einem 
erkenntnismäßigen Konstitutionssystem konstituieren; da- 
durch charakterisiert er sich als ein nicht-rationaler, meta- 
physischer Begriff. 

LITERATUR. In der dargestellten Auffassung, daß der Begriff der nicht-empiri- 
schen Wirklichkeit nicht konstituierbar sei, glauben wir mit Russell [Scientif.] I20ff. 
übereinzustimmen. Hiermit scheint es uns jedoch nicht vereinbar zu sein, daß bei 
Russell häufig Fragen der folgenden Art gestellt werden, durch die sich (unabhängig 
davon, wie sie beantwortet werden) implizit eine realistische Auffassung kundtut: 
ob die physischen Dinge, wenn sie nicht beobachtet werden, existieren; ob die anderen 
Menschen existieren; ob Klassen existieren; und dgl. ([Sdentif.] 123, [Mind] 308, 
[Extemal W.] 126, [Sense-Data] 157 u. a.). Vgl. auch Weyl [Handb.] 89. 

Die angegebene Auffassung über den Wirklichkeitsbegriff ist mit der des Positi- 
vismus verwandt, die auf Mach zurückgeht. Vgl.z. B. Ostwald {Naturphil.] xoiff.; 
der dort definierte Wirklichkeitsbegriff entspricht etwa dem konstitutionalen Wirk- 
lichkeitsbegriff. Das Gleiche gilt für den von Bavink ([Ergehn.] 26, 187) definierten 
Wirklichkeitsbegriff; B. hat daher Recht, ihn als neutral in bezug auf den Realismus- 
streit zu bezeichnen. 

Der Begriff des „Dinges an sich“ geht in seiner Definition zurück 
auf den Begriff der Wirklichkeit (im Sinne der Unabhängigkeit vom 
erkennenden Subjekt). Unsere Auffassung verweist demgemäß auch 
diesen Begriff in die Metaphysik. Denn Metaphysik ist das außer- 
wissenschaftliche Gebiet theoretischer Form (§ 182). 

LITERATUR. Werden die Dinge an sich definiert als wirkliche, nicht gegebene 
Gegenstände (wie es Schlick [Erkenntnisl.] 179 tut), so gehören sie allerdings zu den 
erkennbaren Gegenständen, also in das Gebiet der (rationalen) Wissenschaft, nicht der 
Metaphysik. Denn dann stimmen sie mit den konstituierten wirklichen Gegenständen 
überein. Doch erscheint uns diese Definition unzweckmäßig, weil sie allzusehr vom 
üblichen Sprachgebrauch abweicht (vgl. Külpe [Realis.] II 213). Dasselbe gilt auch 
für die Bezeichnung der konstituierten wirklichen Gegenstände als „transzendent“ 

247 


V 


176 ([Erkenn tnisl.] 180). Die wesentliche Grenze derTranszendenz liegt nach allgemeinem 
Sprachgebrauch zwischen den erkennbaren (in unserer Sprache: konstituierbaren) 
Gegenständen und den nicht erkennbaren (nicht konstituierbaren). Will man die 
Grenze zwischen dem Gegebenen und den konstituierten nicht-gegebenen Gegen- 
ständen durch eine besondere Bezeichnung hervorheben, so mag dafür der Terminus 
„Tr ansgression“ („transgrediente“ oder „transgressive“ Gegenstände) dienen, 
den Ziehen [Erkth.] 279 aufstellt und mit Recht scharf von derTranszendenz unter- 
scheidet. 

177. Die Konstitutions theorie steht nicht im Widerspruch 
zu Realismus, Idealismus oder Phänomenalismus 

177 Konstitutionstheorie und Realismus stimmen in den folgenden 
Punkten in bezug auf die empirisch-wirklichen Gegenstände der ver- 
schiedenen Gegenstandsarten überein (in konstitutionaler Sprache: 
die Gegenstände, die eingefugt sind in das Gesamtsystem der betreffen- 
den Gegenstands art, vgl. § 171 ; in realistischer Sprache: die als „wirk- 
lich“ „erkannten“ und „bestimmten“ Gegenstände). 1. Sie lassen sich 
von den unwirklichen Gegenständen gleicher Gegenstandsart (Traum, 
Halluzination, Erdichtetes usw.) deutlich unterscheiden; nur soweit 
sie sich deutlich unterscheiden lassen, finden sie Verwendung zum Auf- 
bau des Erkenntnissystems. 2. Sie sind intersubjektivierbar, d. h. sie 
können grundsätzlich auch in die zu den anderen Menschen gehören- 
den Konstitutionssysteme eingeordnet (§ 146fr.) und durch die Angaben 
der anderen Menschen in meinem System bestätigt oder korrigiert wer- 
den (§ 144); sie werden in das Erkenntnissystem nur insoweit auf- 
genommen, als sie intersubjektivierbar sind. 3* Sie sind vom Erkannt- 
werden insofern unabhängig, als sie auch zu den Zeiten bestehen, wo 
sie in rn e i npn Erlebnissen oder denen eines Anderen nicht vertreten 
sind. 4. Sie sind von mir insofern unabhängig, als mein Erlebnis des 
Wunsches, daß sie sich ändern möchten, keine Änderung ihres Ver- 
haltens zur Folge hat, es sei denn, daß eine physische Kausalkette 
von einer jenem Wunsche entsprechenden Bewegung meines Leibes 
bis zu dem anderen Gegenstand laufe. 5* Sie haben eine eigene Gesetz- 
mäßigkeit, die zuweilen Vorausberechnung ermöglicht : wenn ich meinen 
Leib in die entsprechende Situation bringe, so tritt ein Erlebnis be- 
stimmter, vorherzubestimmender Art ein, ob ich will oder nicht. Es 
herrscht aber nicht nur in den aufgezählten Punkten Übereinstimmung, 
sondern in allen Punkten, in denen überhaupt von beiden Theorien 
Behauptungen aufgestellt werden. Kons ti tu tio ns theorie und Rea- 
lismus widersprechen einander in keinem Punkte. 

Konstitutionstheorie und subjektiver Idealismus stimmen darin 
überein, daß alle Aussagen über Erkenntnisgegenstände sich grund- 

248 



sätzlich in Aussagen über Strukturzusammenhänge des Gegebenen um- 177 
formen lassen (unter Beibehaltung des logischen Wertes, s. § 50). Mit 
dem Solipsismus hat die Konstitutionstheorie die Auffassung ge- 
mein, daß jenes Gegebene meine Erlebnisse sind. Konstitutionstheorie 
und transzendentaler Idealismus vertreten übereinstimmend die 
Auffassung: alle Gegenstände der Erkenntnis werden konstituiert (in 
idealistischer Sprache: „imDenken erzeugt“); und zwar sind die konsti- 
tuierten Gegenstände nur als logische Formen, die in bestimmter Weise 
aufgebaut sind, Objekte der begrifflichen Erkenntnis. Das gilt schließ- 
lich auch von den Grundelementen des Konstitutionssystems. Denn sie - 
werden zwar als unzerlegbare Einheiten zugrunde gelegt, dann aber im 
Fortgang der Konstitution mit verschiedenen Eigenschaften belegt und 
in (Quasi-) Bestandteile zerlegt (§ 116); erst hierdurch, also auch erst 
als konstituierte Gegenstände, werden sie im eigentlichen Sinne Gegen- 
stände der Erkenntnis, und zwar der Psychologie. Auch hier gilt, 
daß zwischen dem Idealismus in seinen verschiedenen Arten und 
der Konstitutionstheorie in allen Punkten, in denen überhaupt 
von beiden Theorien Behauptungen aufgestellt werden, Überein- 
stimmung herrscht. Konstitutions theorie und Idealismus (ob- 
jektiver, subjektiver und solipsistischer) widersprechen einander 
in keinem Punkte. 

Für den Phänomenalismus gilt das Gleiche. Denn abgesehen von 
der Behauptung der Existenz der „Dinge an sich“ zeigt er keine Ab- 
weichungen von der Konstitutionstheorie; und über die Dinge an sich 
macht die Konstitutionstheorie weder eine positive noch eine negative 
Aussage. Also auch hier Übereinstimmung in allen Punkten, in denen 

beideThfforien Behauptungen aufstellen. Konstitutions theorie und 

Phänomenalismus widersprechen einander in keinem Punkte. 

178. Die drei Richtungen divergieren erst im 
Metaphysischen 

Daß von den Lehren des Realismus, des Idealismus (der verschie- 178 
denen Arten) und des Phänomenalismus eine jede für sich keinen Wider- 
spruch mit der Konstitutionstheorie aufweist, obwohl sie einander 
widersprechen, ist kein verwunderlicher Tatbestand. Denn die drei 
Richtungen stimmen ja in folgenden Punkten miteinander und auch 
mit der Konstitutions theorie überein: alle Erkenntnis geht schließlich, 
zurück auf meine Erlebnisse, die in Beziehung gesetzt, verknüpft und 
verarbeitet werden; so kann die Erkenntnis in logischem Fortgang zu 
den verschiedenen Gebilden meines Bewußtseins gelangen, dann zu 
den physischen Gegenständen, weiter mit deren Hilfe zu den Bewußt- 


249 


178 seinsgebilden anderer Subjekte, also zum Fremdpsychischen, und durch 
Vermittlung des Fremdpsychischen zu den geistigen Gegenständen. 
Dies aber ist die ganze Erkenntnistheorie. Was die Konsti- 
tutionstheorie weiter noch aussagt über die notwendigen oder zweck- 
mäßigen Formen und Methoden des Konstituierens, gehört zu der 
logischen, nicht zu der er kenntnis theoretischen Seite ihrer Aufgabe. 
Die Reichweite der Erkenntnistheorie geht nicht über das soeben An- 
gegebene hinaus. Wie die Erkenntnis von einem zum anderen Gegen- 
stände gelangen kann, wie sie die Stufen eines Erkenntnissystems auf- 
bauen kann, in welcher Reihenfolge und in welcher Form, das ist in 
dem Angegebenen enthalten; mehr kann die Erkenntnistheorie nicht 
fragen. 

Wohin gehören nun aber die einander widersprechenden Kompo- 
nenten der drei Richtungen des Realismus, Idealismus und Phänome- 
nalismus, wenn nicht in die Erkenntnistheorie? Die einander wider- 
sprechenden Behauptungen dieser Lehren beziehen sich auf den Wirk- 
lichkeitsbegriff zweiter Art (§ 175)» und dieser gehört, wie wir früher 
gesehen haben (§ 176), in die Metaphysik. Daraus folgt: die so- 
genannten er kenntnis theoretischen Richtungen Realismus, 
Idealismus und Phänomenalismus stimmen innerhalb des 
Gebietes der Erkenntnistheorieüberein. Die Konstitutions- 
theorie stellt das ihnen gemeinsame, neutrale Fundament 
dar. Sie divergieren erst im metaphysischen Gebiet, also 
(wenn sie erkenntnistheoretische Richtungen sein sollen) 
nur infolge einer Grenzüberschreitung. 

Es wird zuweilen gesagt, daß dem praktischen Verfahren der Real- 
wissenschaften, insbesondere der Physik, ein (meist unausgesprochener) 
Realismus zugrunde liege. Hier muß aber deutlich unterschieden werden 
zwischen der Verwendung einer gewissen Sprache und der Behauptung 
einer These. Die realistische Einstellung des Physikers äußert 
sich zunächst in der Verwendung der realistischen Sprache; diese ist 
zweckmäßig und berechtigt (vgl. § $ 2 ). Ein darüber hinausgehender 
Realismus als explizite These ist dagegen unzulässig ; er muß zu einem 
„Objektivismus“ (wenn man so sagen will) korrigiert werden: 
die gesetzmäßigen Zusammenhänge (die in den Naturgesetzen als 
Implikationen formuliert werden) sind objektiv, dem Willen des Ein- 
zelnen enthoben; dagegen würde die Zuschreibung der Eigenschaft 
„real“ an irgendeine Substanz (sei es nun Materie, Energie, elektro- 
magnetisches Feld oder was immer) aus keiner Erfahrung herzuleiten, 
also metaphysisch sein. 

LITERATUR. Die dargelegte Auffassung berührt sich nahe mit dem, was Gät- 
250 



schenberger [Symbola] 452 über die Versöhnung zwischen Idealisten und Spiri- jyg 
tualisten einerseits und Materialisten andererseits sagt: „der Materialismus ist eine 
Übersetzung des Spiritualismus“; „alle Philosophen haben recht, sie drücken sich 
nur in verschiedenem Grade ungeschickt aus und sie können nicht anders, weil sie sich 
der vorhandenen Sprache bedienen und infolgedessen in hundert Untersprachen 
reden, statt eine Pasigraphie zu erdenken.“ Diese eine neutrale Sprache ist das Ziel 
der Konstitutionstheorie. 

Camap [Realismus] enthält ausführliche Darlegungen über den Unterschied 
zwischen empirischem und metaphysischem Wirklichkeitsbegriff und eine genauere 
Begründung für die Verweisung des Realismusstreites aus der Wissenschaft 
in die Metaphysik. 


251 


E. AUFGABE UND GRENZEN DER WISSENSCHAFT 

179. Die Aufgabe der Wissenschaft 
179 Es ist schon wiederholt zur Sprache gekommen, daß die Aufstellung 
des ganzen Konstitutionssystems Aufgabe der Gesamtwissenschaft ist, 
während die Konstitutionstheorie nur die logischen Untersuchungen 
hierfür anstellen kann. Indem die Gegenstände der ^Wissenschaft in 
das eine konstitutionale Gesamtsystem eingeordnet werden, werden 
zugleich auch die verschiedenen „Wissenschaften“ als Zweige der 
einen Gesamtwissenschaft erkannt und in ein System gebracht. 

Wie bestimmt sich mm die Aufgabe der Gesamtwissenschaft 
vom Gesichtspunkt der Konstitutionstheorie aus ? Das Ziel der Wissen- 
schaft besteht darin, die wahren Aussagen über die Erkenntnisgegen- 
stände zu finden und zu ordnen. (Nicht alle wahren Aussagen, sondern 
eine nach bestimmten Prinzipien zu treffende Auswahl; das teleologische 
Problem dieser Prinzipien soll hier nicht erörtert werden.) 

Um die Aufgabe in Angriff nehmen zu können, um überhaupt Aus- 
sagen über Gegenstände machen zu können, müssen diese Gegenstände 
konstituiert sein. (Denn sonst haben ihre Namen ja keinen Sinn.) Der 
Aufbau des Konstitutionssystems ist daher die erste Aufgabe 
der Wissenschaft. Die erste nicht im zeitlichen, sondern im logischen 
Sinne. Der historische Ablauf der Wissenschaftsentwicklung braucht 
mit der Behandlung eines Gegenstandes nicht zu warten, bis dieser in 
ein Konstitutionssystem eingefügt ist; für die höheren Gegenstände, 
insbesondere die biologischen und die geistigen, darf die Wissenschaft 
hierauf nicht warten, wenn sie nicht noch für lange auf diese wesent- 
lichen und für die praktische Anwendung bedeutungsvollen Gebiete 
verzichten wollte. Im wirklichen Wissenschaftsprozeß werden viel- 
mehr die Gegenstände dem Erkenntnisbestand des alltäglichen Lebens 
entnommen und allmählich gereinigt, rationalisiert, wobei die intuitiven 
Komponenten der Gegenstandsbestimmung nicht etwa ausgeschaltet, 
sondern rational gerechtfertigt werden (vgl. § 100). Erst wenn dies ge- 
lungen ist, kann der Gegenstand konstituiert werden; und erst wenn 
dies außer für ihn selbst auch für alle seine konstitutionalen Vorfahren 
gelungen ist, kann das Konstitutionssystem bis zu ihm aufgebaut wer- 
den. Das ist der praktisch-historische Hergang. Logisch jedoch ver- 

252 



hält es sich so, daß erst dann, wenn der Gegenstand von den Grund- 179 
gegenständen her konstituiert ist, die schon vorher über ihn gemachten 
Aussagen im strengsten Sinne wissenschaftliche Aussagen werden. 
Denn erst die Konstitutionsformel des Gegenstandes — als Regel der 
Übersetzung der Aussagen über ihn in Aussagen über die Grundgegen- 
stände, nämlich Beziehungen zwischen den Elementarerlebnissen, — 
gibt solchen Aussagen einen verifizierbaren Sinn. Verifikation bedeutet 
ja: Nachprüfung an den Erlebnissen. 

An die erste Aufgabe, die der Konstitution der Gegenstände, schließt 
sich nun als zweite die Aufgabe der Untersuchung der übrigen, 
nicht konstitutionalen Eigenschaften und Beziehungen der Gegen- 
stände an. Die erste Aufgabe wird durch eine Festsetzung gelöst, diese 
zweite dagegen durch Erfahrung. (Nach Auffassung der Konstitutions- 
theorie gibt es in der Erkenntnis keine anderen Komponenten als diese 
beiden: die konventionelle und die empirische; also keine apriori- 
synthetische.) Wie schon gesagt, sind im wirklichen Wissenschafts- 
prozeß die beiden Aufgaben fast stets miteinander verbunden. Ja es ist 
meist so, daß erst dann, wenn eine größere Zahl von Eigenschaften 
eines Gegenstandes bekannt ist, die Auswahl derjenigen getroffen 
werden kann, die am zweckmäßigsten für die konstitutionale Defini- 
tion verwendet werden. Der Konstitution eines Gegenstandes ent- 
spricht gleichnisweise die Angabe der geographischen Koor- 
dinaten für eine Stelle der Erdoberfläche. Durch diese Koordinaten 
ist die Stelle eindeutig gekennzeichnet; jede Frage über die Be- 
schaffenheit dieser Stelle (etwa über Klima, Bodenbeschaffenheit 
usw.) hat min einen bestimmten Sinn. Die Beantwortung all dieser 
Fragen bleibt dann freilich eine weitere, nie vollendbare Aufgabe, die 
durch Erfahrung zu lösen ist. 

LITERATUR. Nach Auffassung der Marburger Schule (vgl. Natorp [Grund- 
lagen] i8ff.) ist der Gegenstand das ewige X, seine Bestimmung ist eine unvollendbare 
Aufgabe. Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, daß zur Konstitution des Gegen- 
standes, also zu seiner eindeutigen Kennzeichnung innerhalb der Gegenstände über- 
haupt, endlich viele Bestimmungen genügen. Ist eine solche Kennzeichnung auf- 
gestellt, so ist der Gegenstand kein X mehr, sondern etwas eindeutig Bestimmtes, 
dessen vollständige Beschreibung dann freilich noch eine unvollendbare Aufgabe bleibt. 

180. Über die Grenzen der wissenschaftlichen Erkenntnis 

Die Wissenschaft, das System begrifflicher Erkenntnis, 180 
hat keine Grenzen. Das soll nicht heißen: es gibt nichts außerhalb 
der Wissenschaft, sie ist allumfassend. Das Gesamtgebiet des Lebens 
hat noch viele Dimensionen außer der der Wissenschaft ; aber die Wissen- 
schaft stößt innerhalb ihrer Dimension an keine Schranke. Als Gleich- 


253 


180 nis diene die unendliche Ebene im Raum: sie umfaßt nicht etwa den 
ganzen Raum, aber ist doch unbegrenzt, ohne Rand, im Gegensatz etwa 
zu einem Dreieck der Ebene. Mit der Unbegrenztheit der wissenschaft- 
lichen Erkenntnis ist gemeint: es gibt keine Frage, deren Beant- 
wortung für die Wissenschaft grundsätzlich unmöglich 
wäre. Zum Ausdruck „grundsätzlich“: Ist eine Frage etwa über 
einen bestimmten Vorgang deshalb praktisch nicht beantwortbar, weil 
der Vorgang räumlich oder zeitlich zu weit entfernt ist, ist aber eine 
Frage gleicher Art über einen gegenwärtigen und erreichbaren Vorgang 
praktisch beantwortbar, so nennen wir die Frage „praktisch unbeant- 
wortbar, aber grundsätzlich beantwortbar“; die rä umli che und zeit- 
liche Entfernung bezeichnen wir hier als ein „bloß technisches Hinder- 
nis“, nicht ein „grundsätzliches Hindernis“. Ebenso heißt eine Frage 
„grundsätzlich beantwortbar“, wenn sie zwar heute praktisch nicht 
beantwortet werden kann, wenn aber ein Zustand der (im weitesten 
Sinne) technischen Hilfsmittel denkbar ist, bei dessen Verwirklichung 
die Frage beantwortbar sein würde. 

Es wird zuweilen gesagt, daß die Antwort auf manche Fragen nicht 
in Begriffe gefaßt, nicht ausgesprochen werden könne. Aber dann kann 
auch schon die Frage nicht ausgesprochen werden. Um das zu erkennen, 
wollen wir genauer untersuchen, worin die Beantwortung einer 
Frage besteht. Im streng logischen Sinne besteht eine Fragestellung 
darin, daß eine Aussage gegeben ist und die Aufgabe gestellt wird, ent- 
weder diese Aussage selbst oder ihre Negation als wahr festzustellen. 
Eine Aussage kann nur dadurch gegeben werden, daß ihr Zeichen, der 
Satz, gegeben wird, der aus Worten oder sonstigen Symbolen besteht. 
Nun kommt es, gerade in der Philosophie, sehr häufig vor, daß eine 
Wortreihe gegeben wird, die den äußeren Bau eines Satzes hat und daher 
für einen Satz gehalten wird, ohne einer zu sein. Eine Wortreihe ist 
dann kein Satz, wenn entweder ein Wort vorkommt, das keine Be- 
deutung hat, oder (und das ist der häufigere Fall) wenn zwar die ein- 
zelnen Worte eine Bedeutung haben (d. h. als Teile echter, nicht nur 
scheinbarer Sätze Vorkommen können), aber diese Bedeutung nicht 
zum Zusammenhang des Satzes paßt. In der Wortsprache ist es sehr 
schwierig, solche Scheinsätze zu vermeiden, da man, um sie zu erkennen, 
darauf achten muß, welche Bedeutung jedes einzelne Wort hat; 
bei logistischer Sprache dagegen braucht überhaupt nicht auf die Be- 
deutung, sondern nur auf den „Typ“ des Zeichens (der der Sphäre des 
Gegenstandes entspricht, § 29) geachtet zu werden; entsprechend 
würde in einer idealen, logisch einwandfreien Wortsprache nur auf 
grammatische Wortart und Flexionsform geachtet werden müssen. 


254 



Die Schwierigkeit der Erkennung von Scheinsätzen in der natürlichen 180 
Wortsprache hängt mit der früher behandelten „Sphärenvermengung“ 
der Wortsprache (§ 30) zusammen; genauer kann auf dies wichtige 
logische Problem hier nicht eingegangen werden. 

Wenn nun eine echte Fragestellung vorliegt, wie steht es dann mit 
der Beantwortbarkeit? Es ist dann also eine Aussage gegeben, aus- 
gedrückt durch Begriffszeichen in formal zulässiger Zusammenstellung. 

Nim hat jeder legitime Begriff der Wissenschaft grundsätzlich seinen 
bestimmten Ort im Konstitutionssystem („grundsätzlich“, d. h. nicht 
immer schon heute, aber doch auf einer denkbaren weiteren Stufe der 
wissenschaftlichen Erkenntnis); anderenfalls kann eben der Begriff 
nicht als legitim anerkannt werden. Da es sich hier nur um die grund- 
sätzliche Beantwortbarkeit handelt, so sehen wir von dem zufälligen 
Stand der Wissenschaft ab und denken uns auf die Stufe versetzt, wo 
die in der gegebenen Aussage vorkommenden Begriffe in das Kon- 
stitutionssystem eingeordnet sind. Für das Zeichen eines jeden dieser 
Begriffe setzen wir nun auf Grund seiner konstitutionalen Definition 
den dieses Zeichen definierenden Ausdruck in den gegebenen Satz ein 
und nehmen schrittweise die weiteren Einsetzungen konstitutionaler 
Definitionen vor. Wie wir wissen, erhalten wir hierbei für den Satz 
schließlich eine Form, in der er (außer logischen Zeichen) nur noch 
Zeichen von Grundrelationen enthält. (Diese Umformung ist in § 1 19 
erörtert und an einem Beispiel dargestellt worden.) Der in der Frage- 
stellung gegebene Satz ist also nun so umgeformt, daß er einen be- 
stimmten (und zwar formalen und extensionalen) Sachverhalt in bezug 
auf die Grundrelationen ausspricht. Wir setzen nun im Sinne der 
Konstitutionstheorie voraus, daß als grundsätzlich erkennbar gelten 
soll, ob eine bestimmte Grundrelation zwischen zwei bestimmten 
Elementarerlebnissen besteht oder nicht. Jener Sachverhalt setzt 
sich aber aus nichts Anderem als solchen Einzel-Relationsaussagen 
zusammen; und dabei ist die Anzahl der Elemente, um die es sich für 
die Grundrelationen handelt, nämlich der Elementarerlebnisse, eine 
endliche. Daraus folgt, daß das Bestehen oder Nicht- Bestehen des 
fraglichen Sachverhaltes grundsätzlich in endlich vielen Schritten fest- 
stellbar und damit die gestellte Frage grundsätzlich beant- 
wortbar ist. 

Jetzt sehen wir genauer, was es heißt, daß die Wissenschaft keine 
„Randpunkte“ hat: jede aus wissenschaftlichen Begriffen ge- 
bildete Aussage ist grundsätzlich als wahr oder falsch fest- 
stellbar. 

LITERATUR, Vgl. das Zitat von Wittgenstein in § 183. 


255 


180 Die Forderung, daß nur solche BegrifFsworte als legitim anerkannt werden sollen, 
die konstituiert sind, also in Ausdrücke der Grundgegenstände zurücktibersetzt werden 
können, ist verwandt mit der Forderung, die vom Positivismus erhoben und z. B. 
von Pe tzold [Positiv.] 7 so formuliert wird : „Wer nicht imstande ist, von den höchsten 
Begriffen sofort zu den letzten einzelnen Tatsachen hinabzusteigen, die unter sie fallen, 
der besitzt diese Begriffe gar nicht.“ Ähnlich auch Gätschenberger [Symbola]. 

In der These von der Entscheidbarkeit aller Fragen stimmen wir sowohl 
mit dem Positivismus, wie auch mit dem Idealismus überein; vgl. Becker 
[Geom.] 412; „Nach dem Prinzip des transzendentalen Idealismus hat aber eine 
prinzipiell (wesensmäßig) unentscheidbare Frage gar keinen Sinn. Ihr entspricht gar 
kein Sachverhalt, der ihr eine Antwort verschaffen könnte. Denn prinzipiell dem Be- 
wußtsein unzugängliche Sachverhalte gibt es nicht.“ 

181. Glauben und Wissen 

181 Wenn die begriffliche Erkenntnis nach der dargestellten Auffassung 
innerhalb ihres Gebietes an keine Grenze stößt, so bleibt doch noch die 
Frage offen, ob es vielleicht außerhalb des begrifflichen Erkennens noch 
eine Möglichkeit anderer Art gibt, Erkenntnisse zu finden, die dem be- 
grifflichen Denken unzugänglich sind. Eine solche Möglichkeit könnte 
etwa im Glauben, z. B. auf Grund religiöser Offenbarung, in mystischer 
Versenkung oder sonstiger Schau (Intuition) liegen. 

Es gibt zweifellos die Phänomene des Glaubens, sowohl religiöser 
als anderer Art, und der Intuition, und sie spielen nicht nur für das 
praktische Leben, sondern auch für die Erkenntnis eine wichtige Rolle. 
Auch kann zugegeben werden, daß in diesen Phänomenen irgendwie 
etwas „erfaßt“ wird. Aber dieser bildliche Ausdruck darf nicht zu der 
Annahme verführen, daß in diesen Phänomenen Erkenntnis gewonnen 
werde. Gewonnen wird eine bestimmte Einstellung, ein bestimmter 
psychischer Zustand, der allerdings unter Umständen für die Gewin- 
nung einer Erkenntnis günstig sein kann. Erkenntnis aber kann erst 
dann vorliegen, wenn bezeichnet, formuliert wird, wenn in Worten 
oder anderen Zeichen eine Aussage gegeben wird. Jene Zustände setzen 
uns freilich zuweilen in den Stand, eine Aussage zu behaupten oder als 
wahr festzustellen. Aber erst diese aussprechbare und damit begriff- 
liche Feststellung ist Erkenntnis, sie muß von jenem Zustand selbst 
deutlich unterschieden werden. Diese Auffassung hängt zusammen 
mit unserer Auffassung vom Begriff: ein Begriff ist die Bedeutung eines 
Zeichens, das in Sätzen Vorkommen kann. 

So kann z. B. der Glaube an eine bestimmte Offenbarung oder an 
die Angaben eines Menschen bei näherer Nachprüfung zu einer Er- 
kenntnis führen; denn hier ist mit Glauben Fürwahrhalten gemeint. 
Ist dagegen mit Glauben nicht etwas begrifflich Formulierbares, son- 
dern eine innere Haltung des Menschen gemeint, so handelt es sich gar 

256 



nicht um das Gebiet der Theorie, und das Ergebnis dieser Haltung kann 
nicht als Erkenntnis bezeichnet werden. Ähnlich steht es bei der 
Intuition. Entweder sie hat ein aussprechbares Ergebnis ; dann wird 
dieses Ergebnis durch die Formulierung in Begriffe gefaßt und damit 
der Gesetzlichkeit der begrifflichen Erkenntnis unterworfen. Oder 
aber es ist etwas Unaussprechbares gemeint; dann kann eine solche 
Intuition wiederum nicht Anspruch darauf erheben, als Erkenntnis 
zu gelten. Noch weniger kann behauptet werden, daß auf diesem Wege 
Fragen gelöst würden, deren Antwort die Wissenschaft schuldig bliebe. 
Denn von Frage und Antwort kann nicht die Rede sein, wenn es sich 
um Unaussprechbares handelt. 

Über Glauben und Intuition (im irrationalen Sinne) ist hiermit kein 
Werturteil ausgesprochen, weder ein negatives, noch ein positives. 
Es sind Lebensgebiete, nicht anders als etwa Lyrik und Erotik. Wie 
diese und alle anderen können sie freilich Objekt der Wissenschaft 
werden (denn es gibt nichts, was nicht Objekt der Wissenschaft werden 
könnte), inhaltlich aber sind sie von der Wissenschaft völlig getrennt. 
Jene irrationalen Gebiete einerseits und die Wissenschaft andererseits 
können einander weder bestätigen noch widerlegen. 

Zur Rechtfertigung unseres Sprachgebrauchs. Es wird zuweilen einge- 
wendet, das Wort „Erkenntnis“ dürfe nicht nur für begriffliche Erkenntnis 
verwendet werden, sondern müsse auch anderes mit einbegreifen, z, B. eine irrationale 
oder intuitive Erfassung gewisser Dinge. Diesem Einwand gegenüber wollen wir 
folgenden Modus Vorschlägen, um zu einer Einigung über die zweckmäßige Abgrenzung 
der Bedeutung des Terminus „Erkenntnis“ zu gelangen. Wir wollen von dem aus- 
gehen, was Übereinstimmend von unserer Seite und von der des Einwendenden zum 
Gebiet der „Erkenntnis“ gerechnet wird. Dann soll weiter alles, was in eine Abhängig- 
keitsbeziehung (positive oder negative, also Bestätigung oder Widerspruch) zu den In- 
halten dieses gemeinsam anerkannten Gebietes gebracht werden kann, auch zum Ge- 
biet der Erkenntnis gerechnet werden ; ferner das, was zu den Inhalten des so erwei- 
terten Gebietes in Abhängigkeitsbeziehung steht, und so fort. Nehmen wir etwa zur 
Vorsicht als gemeinsames Ausgangsgebiet nur das der empirischen Erkenntnisse (wie 
„die Eiche ist ein Baum", „ich habe drei Äpfel“) und stellen wir beispielshalber die 
Frage, ob der Inhalt der Mathematik als Erkenntnis zu bezeichnen sei, so würde das 
vorgeschlagene Kriterium in folgender Weise zur Anwendung kommen. Die arith- 
metische Aussage „3 + 2 — 5“ widerspricht folgenden etwa vermuteten Aussagen, 
die zum empirischen Erkenntnisgebiet gehören (d. h. deren Affirmationen oder Nega- 
tionen empirische Erkenntnisse sind) : „ich habe 3 Äpfel“, „du hast 2 Äpfel“, „wir 
haben zusammen 4 Äpfel“. Die Gültigkeit dieser drei Aussagen ist also abhängig von 
jener arithmetischen Aussage. Folglich gehört die Aussage zum Erkenntnisgebiet 
(d. h. entweder ihre Affirmation oder ihre Negation ist eine wahre Aussage; welches 
von beiden zutrifft, entscheidet unser Kriterium nicht, da es uns hier nicht auf diesen 
Unterschied zwischen wahr und falsch, sondern nur airf die Zugehörigkeit zum Er- 
kennmisgebiet ankommt). Ebenso ist das Kriterium auch für alle anderen Aussagen 
der Arithmetik, der Analysis, der Geometrie erfüllt. Also gehört der Inhalt der Mathe- 


257 


X 8 l matik zum Erkennmisgebiefc; er ist, soweit er als gültig festgestellt ist, gemäß dem 
Einigungsvorschlag als „Erkenntnis" zu bezeichnen. So muß also das ganze Gebiet 
der rationalen Wissenschaft, der formalen so gut wie der empirischen, als „Erkenntnis" 
bezeichnet werden. 

Wie steht es nun mit der „irrationalen Erkenntnis“, z. B. dem Inhalt einer mysti- 
schen, unaussprechbaren Gottesschau ? Sie tritt zu keiner Erkenntnis innerhalb der 
bisherigen Umgrenzung in eine Beziehung, kann von keiner bestätigt, von keiner be- 
stritten werden; es führt kein Weg vom Kontinent der rationalen Erkenntnis zur Insel 
der Intuition, während wir doch einen Weg vom Land der empirischen Erkenntnis zum 
Land der formalen Erkenntnis fanden, die dadurch beide ihre Zugehörigkeit zu dem- 
selben Kontinent erwiesen. So folgt: wird unser Einigungs vor schl ag angenommen, 
80 können irrationale Intuition und religiöser Glaube (soweit sie nicht die 
Form des Fürwahrhaltens haben, sondern unaussprechbar sind) nicht „Er kenntnis“ 
genannt werden. 

Es dürfte wohl auch für das friedliche Verhältnis zwischen den verschie- 
denen Lebenssphären günstiger sein, wenn nicht zwei so heterogene Sphären mit 
demselben Namen bezeichnet werden. Erst dadurch entstehen Widerspruch und 
Streit, die gar nicht möglich sind, solange die völlige Heterogenei tät deutlich gesehen 
und betont wird. 

182. Die intuitive Metaphysik 

182 Die Entscheidung der beiden Hauptfragen über die Metaphysik, 
nämlich ob sie überhaupt sinnvoll und daseinsberechtigt sei, und wenn 
ja, ob sie eine Wissenschaft sei, hängt offenbar davon ab, was man 
„Metaphysik“ nennt. Und hierüber herrscht ja gerade heute keine 
Einigkeit. Manche Philosophen bezeichnen ein so oder so umgrenztes 
Gebiet der (begrifflichen) Wissenschaft als Metaphysik. In Anbetracht 
dessen, daß dieses Wort durch seine geschichtliche Vergangenheit für 
viele den Nebenklang des Unstreng- Spekulativen gewonnen hat, dürfte 
es zweckmäßiger sein, solche philosophischen Gebiete, die mit streng 
wissenschaftlichen Begriffen bearbeitet werden sollen, nicht „Meta- 
physik“ zu nennen. Handelt es sich um die ersten Erkenntnisse (im 
Sinne der logischen, erkenntnismäßigen, konstitutionalen Ordnung), 
so kann statt dessen der Name „Grundwissenschaft“ genommen 
werden ; wenn es sich um die letzten, allgemeinsten Erkenntnisse han- 
delt, etwa der Name „Weltlehre“ oder ein ähnlicher. 

Andererseits wird der Name „Metaphysik“ für das Ergebnis 
eines nicht rationalen, sondern rein intuitiven Prozesses gebraucht; 
und das dürfte der zweckmäßigere Sprachgebrauch sein. 

LITERATUR. In der Verlegung der Metaphysik in das Gebiet des Nicht- 
Rationalen stimmen wir mit vielen Metaphysikem überein. Vgl. 2. B. Bergson 
([Metaphysik] 5) : „die Wissenschaft, die ohne Symbole auskommea will"; damit ist 
gesagt : die Metaphysik will ihren Gegenstand nicht auf dem Umweg über die Begriffe, 
die Symbole sind, erfassen, sondern unmittelbar durch die Intuition, Ftm» besonders 

258 


klare Darstellung des Unterschiedes zwischen Metaphysik und Erkenntnis gibt ig2 
Schlick [Metaphysik]. 

Wird der Name „Metaphysik" in diesem Sinne gebraucht, so folgt 
unmittelbar, daß die Metaphysik keine Wissenschaft (in unserem Sinne) 
ist. Wer dem widersprechen will, unterscheide wohl, ob er unsere Um- 
grenzung des Terminus „Metaphysik“ ablehnt oder aber (wie Berg- 
son) unsere Umgrenzung des Terminus „Wissenschaft“. Auf die erstere 
legen wir nicht solches Gewicht wie auf die letztere; falls man sich 
darauf einigt, „Metaphysik“ zu nennen, was man „Gnmdwissenschaft“ 
und etwa „Weltlehre“ nennen- könnte, so können wir uns auch damit 
einverstanden erklären und müßten demgemäß auch die Metaphysik 
„Wissenschaft“ nennen; dagegen scheint uns eine Abweichung von 
unserer Beschränkung der Bedeutung der Ausdrücke „Erkenntnis“ 
und „Wissenschaft" auf das Gebiet des Rationalen aus den in § 181 
angegebenen Gründen durchaus unzweckmäßig. 

D aß a uch die in tui ti ve Me tap h ys i k zu ihrer Darstellung Wor te 
benutzt, darf nicht zu der Meinung verleiten, als bewege sie sich doch 
im Gebiet der Begriffe und gehöre damit zur (rationalen) Wissenschaft. ' 
Denn wenn wir auch als begrifflich nur bezeichnen dürfen, was durch 
Worte oder sonstige Zeichen ausdrückbar ist, so ist doch nicht alles 
begrifflich, was sich der Worte bedient. Auch in anderen Lebens- 
sphären als in der der begrifflichen Erkenntnis werden Worte gebraucht, 
z. B. in der praktischen Willensübertragung von Mensch zu Mensch, 
in der Kunst, in dem zwischen Wissenschaft und Kunst stehenden 
Gebiet des Mythus (in das die intuitive Metaphysik vielleicht gehört) 
und in anderen Gebieten. Nur dann können Worte als Zeichen von Be- 
griffen angesehen werden, wenn sie entweder definiert sind oder wenig- 
stens definiert werden können; genauer: wenn sie in ein erkenntnis- 
mäßiges Konstitutionssystem entweder eingeordnet sind oder wenig- 
stens eingeordnet werden können (vgl. das Zitat von Petzold in § 180). 

183. Rationalismus? 

Die dargestellte Auffassung, daß die (rationale) Wissenschaft nicht 183 
nur jeden Gegenstand zu ihrem Objekt machen könne, sondern auch 
nirgends auf eine Grenze, auf eine grundsätzlich unbeantwortbare 
Frage stoße, wird zuweilen als „Rationalismus“ bezeichnet, jedoch 
zu Unrecht. Nehmen wir das Wort im Sinne des alten erkenntnis- 
theoretischen Gegensatzes Rationalismus — Empirismus, so trifft es 
offensichtlich für unsere Auffassung nicht zu. Da nach der Konstitu- 
tionstheorie jede Aussage der Wissenschaft im Grunde eine Aussage 
über die zwischen den Elementarerlebnissen bestehenden Beziehungen 


259 


183 ist, so geht jede inhaltliche (d. h. nicht rein formale) Erkenntnis auf Er- 
fahrung zurück. Daher ist eher die Bezeichnung „Empirismus“ berech- 
tigt. (Daß es sich nicht um einen rohen Empirismus handelt, bedarf 
kaum einer Betonung, angesichts der Bedeutung, die die Konstitutions- 
theorie den Formungskomponenten der Erkenntnis zuweist.) 

Das Wort „Rationalismus“ wird aber jetzt meist, und wohl auch 
in diesem Falle, in seinem modernen Sinne gemeint: als Gegensatz 
zum Irrationalismus. Aber auch in diesem Sinne möchten wir es 
nicht auf die Konstitutionstheorie angewandt sehen. Das Wort zielt 
ja nicht so sehr auf die Richtungen, die der Ratio, dem begrifflich ar- 
beitenden Verstand, innerhalb der Er kenn tnis die regierende Stellung 
einräumen, wie es unsere Auffassung tut, sondern vielmehr auf die Rich- 
tungen, die ihr diese Stellung im Leben geben wollen. Eine solche 
Tendenz aber liegt weder in der Konstitutionstheorie im allgemeinen, 
noch in der Auffassung der Unbegrenztheit der begrifflichen Erkenntnis. 
Die stolze These, daß für die Wissenschaft keine Frage grundsätzlich 
unlösbar sei, verträgt sich durchaus mit der demütigen Einsicht, daß 
wir auch mit der Beantwortung sämtlicher Fragen nicht etwa die vom 
Leben uns gestellte Aufgabe schon gelöst haben würden. Die Aufgabe 
des Erkennens ist eine bestimmte, wohl umrissene, wichtige Aufgabe 
im Leben ; und jedenfalls besteht für die Menschheit die Forderung, 
diejenige Seite des Lebens, die mit Hilfe der Erkenntnis gestaltet wer- 
den kann, auch nach besten Kräften der Erkenntnis, also mit den 
Mitteln der Wissenschaft, zu gestalten. Wenn auch die Bedeutung 
der Wissenschaft für das Leben in modernen Strömungen vielfach unter- 
schätzt wird, so wollen wir uns dadurch doch nicht zu dem entgegen- 
gesetzten Fehler verleiten lassen. Vielmehr wollen wir gerade uns selbst, 
den in der Wissenschaft Arbeitenden gegenüber deutlich bekennen, 
daß das Leben zu seiner Bewältigung die Anspannung aller Kräfte der 
verschiedensten Art verlangt, und uns vor dem kurzsichtigen Glauben 
hüten, die Forderung des Lebens könne allein mit Hilfe der Kraft des 
begrifflichen Denkens erfüllt werden. 

In anderer Ausdrucksweise: es gibt zwar für uns kein „Ignora- 
bimus“; trotzdem gibt es unter den Lebensrätseln vielleicht unlösbare. 
Das ist kein Widerspruch. „Ignorabimus“ würde bedeuten: es gibt 
Fragen, deren Antwort zu finden uns grundsätzlich versagt ist. Die 
„Lebensrätsel“ aber sind keine Fragen, sondern Situationen 
des praktischen Lebens. Das „Rätsel des Todes“ besteht in der 
Erschütterung durch den Tod eines Mitmenschen oder in der Angst 
vor dem eigenen Tod. Es hat nichts zu tun mit den Fragen, die sich 
über den Tod stellen lassen, wenn auch die Menschen, sich selbst miß- 


260 



verstehend, zuweilen das Rätsel durch Aussprechen solcher Fragen zu 183 
formulieren glauben. Diese Fragen können von der Biologie grundsätz- 
lich (wenn auch im heutigen Stadium nur zum geringenTeii) beantwortet 
werden. Aber diese Antworten helfen dem erschütterten Menschen 
nicht, und darin zeigt sich jenes Selbstmißverstehen. Das Rätsel be- 
steht vielmehr in der Aufgabe, mit der Lebenssituation „fertig zu wer- 
den“, die Erschütterung zu verwinden, vielleicht sogar für das weitere 
Leben fruchtbar zu machen. Unsere These von der Beantwortbarkeit 
aller Fragen hat zwar einen gewissen Zusammenhang mit dieser Über- 
windungsaufgabe, aber doch nur einen so entfernten, daß mit der These 
nichts darüber ausgesagt ist, ob solche Überwindung grundsätzlich 
immer möglich ist oder nicht. Hier haben wir dies nicht zu entscheiden. 

LITERATUR. Wittgenstein hat sowohl die stolze These von der Allmacht der 
rationalen Wissenschaft, als auch die bescheidene Einsicht in bezug auf ihre Bedeutung 
für das praktische Leben klar ausgesprochen : „Zu einer Antwort, die man nicht aus- 
sprechen kann, kann man auch die Frage nicht aussprechen. Das Rätsel gibt es 
nicht. Wenn sich eine Frage überhaupt stellen läßt, so kann sie auch beantwortet 
werden . . . Wir fühlen, daß selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen 
beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind. Freilich bleibt 
dann eben keine Frage mehr, und eben dies ist die Antwort“ fAbhandlg.} 262. Leider 
ist diese Abhandlung fast unbekannt geblieben. Sie ist zwar teilweise schwer ver- 
ständlich und ungenügend durchgeklärt, aber sehr wertvoll sowohl durch ihre logischen 
Ableitungen als auch durch die ethische Haltung, die aus ihr spricht. W. faßt den 
Sinn der Abhandlung in die Worte zusammen: „Was sich überhaupt sagen läßt, läßt 
sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muß man schweigen“ 

(S. 185). 






ZUSAMMENFASSUNG 

(Die eingeklammerten Zahlen bezeichnen die Paragraphen des Buches) 

I. EINLEITUNG 

AUFGABE UND PLAN DER UNTERSUCHUNGEN (1—9) 

A. Die Aufgabe (1—5) 

Die Konstitutionstheorie stellt formale (logische) und materiale (erkenntnis- 
theoretische) Untersuchungen an, die der Aufstellung eines Konstitutionssystems 
dienen. Ein Konstitutionssystem ist ein System, das (prinzipiell) alle Begriffe 
(oder Gegenstände) der Wissenschaft umfaßt, und zwar nicht als Einteilungs-, sondern 
als Ableitungssystem (Stammbaum): jeder Begriff wird konstituiert aus den im 
System vorhergehenden (1). Ein Begriff heißt auf andere „zurückführbar“, wenn 
alle Aussagen über ihn sich umformen lassen in Aussagen über diese anderen; die all- 
gemeine Regel dieser Aussagenumformung für einen Begriff heißt „Konstitution“ 
des Begriffes (2). Als methodische Hilfsmittel dienen: die Logistik, und besonders 
ihr wichtigster Zweig: die Relationstheorie (3). Folgerung aus der Möglichkeit 
eines Konstitutionssystems: alle Begriffe sind Glieder 6ines Gefüges, cs gibt daher 
nur rine Wissenschaft (4). Das Konstitutionssystem gilt uns zugleich als System aller 
Gegenstände; zwischen „Begriffen“ und „Gegenständen“ besteht nur ein Unter- 
schied der Sprechweise (5). 

B. Plan der Untersuchungen (6—9) 

(Vorläufige Inhaltsangabe der einzelnen Kapitel) 

II. VORBEREITENDE ERÖRTERUNGEN (10—25) 

A. Über die Form wissenschaftlicher Aussagen (10 — 16) 

Eine „Eigenschaftsbeschreibung“ eines Gebietes gibt Eigenschaften der 
einzelnen Gegenstände des Gebietes an; eine „Beziehungsbeschreibung“ dagegen 
nur Beziehungen zwischen den Gegenständen. Die letztere wird von der Konstitutions- 
theorie als grundlegender angesehen (10). Zwei Beziehungen heißen „isomorph“ oder 
„von gleicher Struktur“, wenn sie in den formalen Eigenschaften übereinstimmen; 
genauer: wenn sie eineindeutig auf einander abbildbar sind; (anschaulich: wenn sie 
dieselbe Pfeilfigur haben). Das Gemeinsame (logistisch: die Klasse) isomorpher Bezie- 
hungen heißt ihre„Struktur“(n). Eine Beziehungsbeschreibung heißt eine„Struk- 
turbeschreibung“, wenn die vorkommenden Beziehungen nicht selbst genannt wer- 
den, sondern nur ihre Struktur angegeben wird. Eine Strukturbeschreibung wird gegeben 
entweder durch eine (unbenannte) Pfeilfigur oder durch eine Nummernpaarliste. Die 
Strukturbeschreibung eines Gebietes bildet die höchste Stufe der Formalisierung der 
Darstellung. These: die Darstellung der Welt in der Wissenschaft ist im Grunde eine 
Strukturbeschreibung (12). Unter der „Kennzeichnung“ eines Gegenstandes wird 

262 



seine eindeutige Umschreibung verstanden, d. h. eine Angabe, nach der der gemeinte 
Gegenstand angesichts des betreffenden Gegenstandsgebietes eindeutig erkannt werden 
kann (13). These: jeder Gegenstand der Wissenschaft kann innerhalb seines Gebietes 
durch bloße Strukturangaben gekennzeichnet werden (14, 15). Daher ist die Um- 
formung aller wissenschaftlichen Aussagen in Strukturaussagen (prinzipiell) 
möglich; sie ist aber auch notwendig, wofern die Wissenschaft vom Subjektiven zum 
Objektiven Vordringen soll: echte Wissenschaft ist stets Strukturwissen- 
schaft (16). 

B. Überblick über die Gegenstandsarten und ihre Beziehungen (17—25) 

Um eine vorläufige, ganz grobe Unterteilung zu haben, unterscheiden wir physi- 
sche, psychische und geistige Gegenstände. Die Bezeichnungen „physisch“ und 
„psychisch“ sind hier im üblichen Sinne verstanden; mit den „geistigen“ Gegen- 
ständen sind die Objekte der Geisteswissenschaften (oder Kulturwissenschaften) ge- 
meint: die kulturellen oder soziologischen Vorgänge, Zustände, Gebilde (18, 23). Die 
„psychophysische Beziehung“ ist die zwischen einem psychischen Vorgang und 
dem parallelen Nerven Vorgang. Die „Ausdrucksbeziehung“ ist die Beziehung 
zwischen einer Bewegung, Miene, Stimmäußerung eines Menschen und dem psychi- 
schen Vorgang, der in der Äußerung kenntlich wird. Die „Zeichenbeziehung" 
ist die Beziehung zwischen einem physischen Zeichen (Schriftzcichen, Laut, Ab- 
zeichen usw.) und dem Bezeichneten (19). Jede Beziehung gibt Anlaß zu einem 
„Zuordnungsproblem“ (welche Gegenstände stehen in dieser Beziehung?) und 
einem „Wesensproblem“ (was ist das Wesen der Beziehung? was verknüpft die zu- 
geordneten Gegenstände ?) (20). Die Behandlung der Zuordnungsprobleme der drei 
vorher genannten Beziehungen gehört zur Aufgabe der Wissenschaft (nämlich der 
Psychologie und Physiologie; der Psychologie und Charakterkunde; verschiedener 
semasiologischer Gebiete). Die Lösung der Wesensprobleme jener Beziehungen da- 
gegen hat die Tatsachen nicht festzustellen, sondern zu deuten. Sie gehört nicht zur 
Aufgabe def Wissenschaft. Das zeigt sich schon dadurch, daß einander widersprechende 
Lösungsversuche vorliegen, deren Entscheidung durch keine (auch nur denkbare) 
Erfahrung möglich ist. Die Wesensprobleme sind daher aus der Wissenschaft in die 
Metaphysik zu verweisen; das zeigt eich besonders deutlich beim psychophysischen 
Problem (21, 22). 

Die psychischen Vorgänge, in denen ein geistiger Gegenstand (Kultur Vorgang) 
in Erscheinung tritt, heißen seine „Manifestationen“; die physischen Dinge, in 
denen er sich ausprägt, seine „Dokumentationen“. Das Zuordnungsproblem dieser 
beiden Beziehungen wird von den Geisteswissenschaften behandelt; das Wesens- 
problem ist auch hier der Metaphysik zuzuweisen (24). Die drei genannten Gegen- 
standsarten sind nur besonders wichtige Beispiele; es gibt eine große Zahl weiterer, 
selbständiger Gegenstands arten (25), 

III. DIE FORMPROBLEME DES KONSTITUTIONS SYST EMS 

(26—105) 

A. Diq Stufenformen (26—45) 

Wird ein Zeichen zu dem Zweck emgeführt, um über die Gegenstände einer ge- 
wissen Art kürzer sprechen zu können, ohne daß es selbst einen Gegenstand (dieser 
Art) bezeichnet, so redet man häufig von ihm (obwohl es im strengen Sinne nichts be- 

263 


zeichnet) so, als bezeichne es auch etwas, nämlich einen Gegenstand neuer Art; wir 
sagen: es bezeichne einen „Quasigegenstand“ (in bezug auf jene Gegenstandsart) 
(27). Aus einem Satz, dem Zeichen einer Aussage, entsteht durch Leersetzen oder 
Variabelsetzen eines Teilzeichens das Zeichen einer „Aussagefunktion“; in die 
„Arguments teilen“ können „Argumente“ „eingesetzt“ werden. Jede Aussagefunktion 
stellt einen Begriff dar; und zwar eine Eigenschaft, wenn sie eine Argumentstelle hat; 
eine Beziehung, wenn mehrere (28). Bei Einsetzung eines „zulässigen“ Argumentes 
entsteht ein (wahrer oder falscher) Satz; bei anderer Einsetzung ein sinnloses Zeichen. 
Sind zwei Gegenstände zulässige Argumente für dieselbe Argumentstelle irgendeiner 
Aussagefunktion, so heißen sie „sphärenverwandt“, anderenfalls „sphärenfremd“. 
Die „Gegenstands Sphäre“ (Typus) eines Gegenstandes ist die Klasse der ihm 
sphärenverwandten Gegenstände (29). Eine Gegenstandsart heißt „rein“, wenn alle 
ihre Gegenstände mit einander sphärenverwandt sind; die meisten üblichen Gegen- 
standsarten sind unrein, ihnen entsprechen keine logisch einwandfreien Begriffe. In 
der Üblichen Sprache (auch der Wissenschaft) bezeichnet fast jedes Wort mehrere Be- 
griffe verschiedener Sphären; durch diese „Sphäreavermengung“ entstehen viele 
logische und als Folge davon auch philosophische Verwirrungen (30, 31). 

Aussagefimktionen, die durch dieselben Argumente befriedigt werden, heißen 
„generell äquivalent“ oder „umfangsgleich“; solchen Funktionen ordnet man dasselbe 
„Extensionszeichen“ zu. Von diesem Zeichen sagen wir, es bezeichne die „Extension“ 
der Funktion. Die Extensionen sind somit Quasigegenstände (32). Die Extension 
einer Eigenschaft heißt eine „Klasse“, die einer Beziehung eine „Relation“. Klasse 
und Relation sind also Quasigegenstände (in bezug auf die Elemente der Klasse bzw. 
auf die Glieder der Relation) (33, 34). Ein Begriff a wird aus b, c „konstituiert“, 
indem seine „konstitutionale Definition“ angegeben wird, d. h. eine Übersetzungs- 
regel, die allgemein angibt, wie jede Aussagefunktion über a umgeformt werden kann 
in eine umfangsgleiche Aussagefunktion über b, c. Gibt es eine solche Regel, so heißt a 
„zurückführbar“ auf b, c oder ein „(logischer) Komplex“ von b, c. Klasse und 
Relation sind demnach Komplexe der Elemente bzw. der Glieder (35). Ein (exten- 
sives) Ganzes ist Sphären verwandt mit seinen Teilen, gleichgültig, ob es sich um ein 
„echtes Ganzes“ („organisches Ganzes“, „Gestalt“) handelt oder um eine bloße „Kol- 
lektion“. Da die Klasse aber sphärenfremd zu ihren Elementen ist, so ist sie nicht 
das Ganze, geschweige die bloße Kollektion ihrer Elemente; sie ist vielmehr ein Quasi- 
gegenstand zur Darstellung des den Elementen Gemeinsamen (36, 37). 

Der einfachste Fall einer konstitutionalen Definition von a aus b,'c besteht in der 
Angabe eines mit „a“ gleichbedeutenden Ausdrucks in b, c: „cxpliziteDefinition“; 
ist diese nicht möglich, so muß für die ganzen Satzformen (Aussagefunktionen), in 
denen a vorkommt, eine Übersetzungsregel in b, c gegeben werden: „Gebrauchs- 
definition“. (Beide Formen zusa m men heißen „explizite Definition im weiteren 
Sinne", zum Unterschied von den impliziten Definitionen) (38, 39). Im Aufbau des 
Konstitutionssystems sprechen wir von einer neuen „Stufe“, wenn ein zu den bis- 
herigen sphärenfremder Gegenstand konstituiert wird; dies kann nur durch eine Ge- 
brauchsdefinition geschehen. Durch eine solche wird ein Extensionszeichen eingeführt, 
also das Zeichen einer Klasse oder einer Relation. Klasse und Relation sind dem- 
nach die Stufenformen des Konstitutionssystems (40). Durch mehrmalige, auch 
abwechselnde Anwendung dieser Stufenformen werden im Konstitutionssystem alle 
Gegenstände aus den Grundgegenständen des Systems konstituiert. Daher die Einheit 
des Gegenstandsgebietes (infolge der Einheit des Systems); andererseits die Vielheit 
von (einander sphärenfremdeh) Gegenstandsarten durch die Vielzahl der Konstitutions- 



formen (41). Die Beziehung Seiendes-Geltendes besteht zwischen jeder Konstitutions- 
stufe und der nächst höheren (42). Gegen die „extensionale Methode“ der Kon- 
stitutionstheorie (jeder Begriff wird durch eine Extension dargestellt) erhebt sich das 
Bedenken, ob es nicht Aussagen über Begriffe gibt, die nicht mit Hilfe des Extensions- 
zeichens des Begriffes ausgedrückt werden können, „intensionale Aussagen“. Das 
Bedenken wird erledigt durch die „Extensionalitätsthese“: es gibt keine inten- 
sionalen, sondern nur extensionale Aussagen (d. h. solche, die in Extensionsaussagen 
umgeformt werden können) (43, 45). Die Begründung der These stützt sich auf die 
Unterscheidung zwischen „Zeichenaussagen“, „Sinnaussagen“, „Bedeutungsaus- 
sagen“; es zeigt sich nämlich, daß die extensionalen und die vermeintlich intensionalen 
Aussagen über einen Begriff gar nicht von demselben Gegenstand handeln (44). 

B. Die Systemformen (46—60) 

1. Formale Untersuchungen (46 — 53) 

Problem der Systemform: wie ist das Konstitutionssystem aufzubauen, damit alle 
wissenschaftlichen Gegenstände darin ihren Ort finden? (46). Hierfür müssen die 
Zurückführbarkeitsverhältnisse der Gegenstände untersucht werden, „a ist zurück- 
führbar auf b, c“ bedeutet in der (in den Realwissenschaften üblichen) realistischen 
oder Sachverhalts-Sprache: „für jeden Sachverhalt in bezug auf a (b, c) läßt sich eine 
notwendige und hinreichende Bedingung angeben, die nur von b, c abhängt“ (47) oder: 
„es gibt für a ein zugleich untrügliches und nie fehlendes Kennzeichen, das aus- 
drückbar ist durch b, c“. Da die Wissenschaft für jeden Begriff (grundsätzlich) ein 
solches Kennzeichen angeben kann, so ist jeder wissenschaftliche Gegenstand kon- 
stituierbar (48, 49). Die „konstitutionale Umformung“, d. h. die Umformung einer 
Aussage oder Aussagefunktion mit Hilfe einer konstitutionalen Definition, ist eine 
„logische Übersetzung“, keine „Sinnübersetzung“; das soll heißen : sie läßt den „logi- 
schen Wert“ ungeändert (nämlich den Wahrheitswert einer Aussage oder die Exten- 
sion einer Aussagefunktion), aber nicht immer den „Erkenntnis wert“ (50, 51). 

2. Materiale Untersuchungen (54—60) 

Ein Gegenstand a heißt „erkenntnismäßig primär“ in bezug auf b, der dann 
„erkenntnismäßig sekundär“ heißt, wenn die Erkennung von b die von a voraus- 
setzt. Für unseren Entwurf des Konstitutionssystems soll nun die „erkenntnis- 
mäßige Systemform" gewählt werden: jeder Gegenstand wird aus solchen kon- 
stituiert, die zu ihm erkenntnismäßig primär sind. Wir müssen daher außer der Zurück- 
führbarkeit auch die erkenntnismäßige Primarität der Gegenstandsarten untersuchen 
(54). Die geistigen Gegenstände sind auf ihre Manifestationen und Dokumentationen 
zurückführbar; auch werden sie mit deren Hilfe erkannt. Alle Dokumentationen sind 
aber zurückführbar auf Manifestationen; also sind schließlich alle geistigen Gegen- 
stände zurückführbar auf psychische Gegenstände und erkenntnismäßig sekundär zu 
diesen (55, 56). Alle physischen Gegenstände sind (unmittelbar oder vermittels 
anderer physischer Gegenstände) zurückführbar auf Sinnesqualitäten (von Wahr- 
nehmungsakten). Aber auch umgekehrt sind alle psychischen Gegenstände zurück- 
führbar auf physische (entweder durch die psychophysische Beziehung oder durch 
die Ausdrucksbeziehung) (57). Daher gibt es mehrere mögliche Systemformen: die 
„Basis“ (das Gebiet der Grundgegenstände) liegt entweder im Physischen oder im 
Psychischen. In bezug auf erkenntnismäßige Primarität müssen wir die psychischen 
Gegenstände in zwei Gebiete teilen: die „eigenpsychischen“ sind erkenntnismäßig 


primär zu den physischen, die „fremdp s ychischen“ dagegen sekundär. Bei der er- 
kenntnismäßigen Systemform treten daher die wichtigsten Gegenstandsarten 
in der folgenden Reihenfolge auf: Eigenpsychisches, Physisches, Fremd- 
psychisches, Geistiges (58). Es gibt auch eine Systemform mit Basis im Physi- 
schen („materialistische Systemform“) (59). Die Basis der erkenntnismäßigen System- 
form liegt im Eigenpsychischen ; es gibt auch eine Systemform mit Basis im Allgemein- 
Psychischen (60). 


C. Die Basis (61—83) 

1. Die Grundelemente (61 — 74) 

Die Grundgegenstände, aus denen alle übrigen konstituiert werden, sind die 
„Grundrelationen“; ihre Glieder heißen „Grundelemente“ des Systems (61). 
Bei der von uns gewählten, erkenntnismäßigen Systemform liegt die Basis im Eigen- 
psychischen G>methodischer Solipsismus“) (64). Der Begriff des „Ich“ gehört aber 
nicht zu den Ausgangssetzungen (65). Trotz der eigenpsychischen Basis kann die 
Erkenntnis zu Intersubjektivem, Objektivem gelangen (66). Als Grundelemente 
innerhalb des Eigenpsychischen sind die „Elementarerlebnisse“ zu wählen (67), 
die als unzerlegbare Einheiten genommen werden (68). Trotzdem muß die Begriffs- 
bildung zu den sog. „Bestandteilen“ von Erlebnissen kommen; die hierzu erforderliche 
Methode ist die „Qu asi analy s e“. Sie ist ein wesentlich synthetisches Verfahren, das 
sich aber in die Sprache der Analyse kleidet. Sie führt zu Gebilden, die die (im eigent- 
lichen Sinne nicht vorhandenen) Bestandteile ersetzen und daher „Quasibestandtcile“ 
genannt werden. Die Quasianalyse besteht darin, daß die (unzerlegbaren) Gegenstände 
auf Grund einer Bcziehungsbeschreibung in verschiedene Verwandtschaftszusammen- 
hänge eingeordnet werden; diese verschiedenen Zusammenhänge desselben Gegen- 
standes sind dann seine „Quasibestandteile“ (69 — 71). Die Quasianalyse hat je nach 
den formalen Eigenschaften der zugrunde liegenden Beziehung verschiedene Formen. 
Die einfachste Form wird bei transitiver Beziehung angewendet: „Abstraktions- 
prinzip“; die Quasibestandteile heißen in diesem Falle „Abstraktions kl assen“ 
(72—74). 


2 . Die Gnmdrelationen (75 — 83) 

Zwei Elementarerlebnisse heißen „teilgleich“, wenn sie in einem Bestandteil über- 
einstimmen; „teUäbnlich“, wenn sie in einem Bestandteil annähernd übereinstimmen. 
Diese beiden Beziehungen müssen für jede Wahrnehmungserkenntnis als erkennbar 
vorausgesetzt werden (76, 77). Als Grundbeziehung wird jedoch die der Teilähnlich- 
keit entsprechende asymmetrische Beziehung der „Ähnlichkeitserinnerung“ ge- 
nommen, die die Zeitrichtung noch mit enthält: diese Beziehung besteht zwischen den 
Erlebnissen x und y, wenn diese durch Vergleich einer Erinnerung an x mit y als teil- 
ähnlich erkannt sind. Aus dieser Grundbeziehung kann die Teilähnlichkeit in einfacher 
Weise abgeleitet werden (78). Durch Anwendung der Quasianalyse auf die Ähnlich- 
keitserinnerung sind die „Ähnlichkeits kreise“ ableitbar (80) und aus diesen die „Quali- 
tätsklassen“ (81); diese stellen die einzelnen Sinnesqualitäten (einschl. der Gefühle) 
dar. Aus den Qualitätsklassen ergibt sich leicht die Teilgleichheit (81). Ein Ausblick 
auf die weiteren Ableitungen führt zu der Vermutung, daß keine weitere Grund- 
relation erforderlich ist (82). Die Grundrelationen entsprechen in gewisser Hin- 
sicht den „Kategorien“ der traditionellen Philosophie (83). 



D. Die Gegenstandsformen (84—94) 

Problem der Gegenstandsformen: in welcher Form sind die einzelnen Gegenstände 
zu konstituieren? Die Gegenstandsformen werden hier nur beispielshalber behandelt; 
nicht sie, sondern nur die Wahl der Basis, der Systemform und der Stufenformen ge- 
hören zur These unserer Konstitutionstheorie (84). Die Gegenstände der untersten 
Stufen sind schon genannt und ihre Ableitbarkeit ist untersucht worden; aus ihnen 
sind weiterhin ableitbar: die Beziehung der Ähnlichkeit zwischen Qualitätsklassen; die 
Sinnesklassen als Klassen der Qualitäten der einzelnen Sinnesgebiete (85); die 
Kennzeichnung des Gesichtssinnes mit Hilfe seiner Dimensionszahl (86); die vor- 
läufige Zeitordnung (87); die Sehfeldstellen und ihre Ordnung im Sehfeld (88, 89); 
die Farben und ihre Ordnung im Farbkörper (90 — 92). Die konstitutionale Trennung 
der Sehfeldordnung und der Farbordnung von einander beruht auf einem formalen 
Unterschied beider Ordnungen: in einem Erlebnis können nicht zw« verschiedene 
Farben an derselben Sehfeldstelle, wohl aber zwei verschiedene Sehfeldstellen mit 
derselben Farbe Vorkommen. Auf diesem formalen Unterschied beruht es auch, daß 
die Sehfeldordnung und die daraus hervorgehende Raumordnung als Individuations- 
prinzip der Wirklichkeit dienen kann, nicht aber die Farbordnung (91). Weiterhin 
sind ableitbar die Empfindungen, im Sinne der einmaligen Erlebnisbestandteile (93). 
Aus den genannten Gegenständen sind die weiteren des eigenpsychischen Gebietes 
ableitbar, aus diesen die physischen und weiterhin die fremdpsychischen und die 
geistigen Gegenstände (94). 

E. Die Darstellungsformen eines Konstitutionssystems (95 ~ I 0 5 > 

Das Konstitutionssystem besteht in einem Aufbau von Kettendefinitionen. Die 
begriffliche Reinheit dieses Aufbaues ist am besten zu sichern durch Anwendung einer 
Symbolik. Als Grundsprache wird daher bei unserem beispielhaften Aufbau die 
Symbolik der Logistik verwendet; parallele Übersetzungen in drei andere Sprachen 
dienen z um leichteren Verständnis (95). Die logistischeSprache wird genommen im 
Anschluß an das System von Russell-Whitehead, da dieses als einziges eine ausgebaute 
Relationstheorie besitzt (96, 97). Als erste Übersetzung dient eine Umschreibung 
(der einzelnen konstitutionalen Definitionen und der Lehrsätze) in die gewöhnliche 
Wort Sprache; zweitens wird eine Übersetzung in die realistische Sachverhalts- 
sprache vorgenommen (98). Die vierte Sprache ist die einer fiktiven Konstruk- 
tion: hier wird jede konstitutionale Definition ausgedrückt als eine Operationsvor- 
schrift in einem konstruktiven Verfahren (99). Hierbei stellen wir uns vor, das „Ge- 
gebene“ sei gegeben in Form der „Grundrelationsliste“, einer Nummernpaarliste der 
Grundrelation; die Operationsvorschriften führen von dieser Liste zu weiteren „Be- 
standslisten“ für alle Gegenstände (102). Hier ist also das Erleben der gegebenen 
Inhalte fiktiv getrennt von ihrer Verarbeitung ; dazu muß weiter fiktiv angenommen 
werden, daß das Gegebene beliebig aufbewahrt werden kann (101). Der Aufbau des 
Konstitutionssystems soll nicht das Erleben der Erlebnismhalte selbst zur Dar- 
stellung bringen, sondern nur die darin liegenden logischen Beziehungen; das geschieht 
durch eine rationale Nachkonstruktion der im wirklichen Erleben meist intuitiv 
vollzogenen synthetischen Verarbeitung der Erlebnisinhalte (100). Sind die einzelnen 
Gegenstandskonstitutionen aufgestellt, so ersteht die (hier nicht gelöste) weitere 
Aufgabe, die Konstitutionen als Anwendungsfrille allgemeiner formaler Regeln zu er- 
kennen (103 — 105). 


266 


267 


IV. ENTWURF EINES KONSTITUTIONSSYSTEMS (106—156) 

A. Die unteren Stufen: eigenpsyehische Gegenstände (106-122) 

Erläut™? 111 ^ 68 Konstitutionss y stem s soll nur als illustrierendes Beispiel zur 
Erläuterung der Konstitutionstheorie dienen. Die unteren Stufen sollen etwas genauer 

gegeben werden, im Anschluß an die vorhergegangenen formalen und materialen 
Untersuchungen. Die weiteren Stufen sollen nur angedeutet werden. Außer den 
konstitutionaien Definitionen sollen auch einige Lehrsätze beispielshalber angegeben 
"f“ 5 diese sind entweder „analytisch-, d. h. ans den Definitionen dedüzie'ba" 
ode r empirisch Wie alle Aussagen der Wissenschaft können auch diese Lehr- 
säue übersetzt werden m Aussagen über die Grundrelation allein; ein analytischer 
Lehrsatz ergibt dann eine Tautologie, ein empirischer eine Aussage über eine empirische 
formale Eigenschaft der Grundrelation (106). 5 

Die logischen und die mathematischen Begriffe (diese bilden im Grunde einen Teil 
von jenen) sind zunächst zu definieren; sie setzen nur die logischen Grundbegriffe 

Rellh 8 ’ ^ GrandreIati0nj Sie sind nicht «gütliche Begriffe im Sinne der 

begriffe (107). Es werden die Konstitutionen der folgenden Begriffe auf 
rund der Gnindrelation (Ähnlichkeitserinnerung, 108) aufgestellt ; (die Konstitutionen 
entsprechen den Ableitungen in § 67-94 und werden dargestellt in den vorher ange- 
f. r^ 7 Che , n ’ • 95_ I03) : die EIeme ntareriebnisse (109), die Teiläbnlichkeit (110), 
Sh v , n ; iChkeitsk f eise {lIl) > die Qualitätsklassen (112), die Teilgleichheit (113), die 
Ähnlichkeit zwischen Quahtäten (114), die Sinnes klassen, der Gesichtssinn (115), die 

hf S 1CS u ngen dCr Erlebnisse in indivi duelle und in generelle Bestand- 

Ordni nl • !^ S Und lhre 0rdnun S im Sehfeld (n 7 ), die Farben und ihre 
Ordnung un Farbkörper (ir8); die vorläufige Zeitordnung (120). 

^ ieTh ^ daß )' e der wissenschaftliche Begriff eine Klasse oder eine Relation 
GrundreIati °n allein ausdrücken läßt, wird durch das 
ispie des Begriffes der Sinnesgebiete erläutert. Die These, daß jede wissen- 
schaftliche Aussage umgeformt werden kann in eine Aussage über die 
Orundrelation allein, wird dargetan am Beispiel der empirischen Aussage von der 
Dreidimensionalität des Farbkörpers (119). 

Unter der „Ableitungsrelation“ eines Gegenstandes verstehen wir einen ge- 
wissen Ausdruck, der angibt, wie der Gegenstand sieh aus der Grundrelation herleitet; 
er bezeichnet einen rein logischen Begriff. Setzen wir für jede Konstitution die ent- 
sprechende Ableitungsrela tion, so bauen wir damit das Konstitutionssystem in der 
Form eines rem logischen Systems auf; durch Einsetzung der Grundrelation wird 
dann in das eigentliche Konstitutionssystem aller Realbegriffe ver- 

B. Die mittleren Stufen: physische Gegenstände (123—138) 

Für die Konstitution des dreidimensionalen Raumes (zunächst der Sehdinge) 
aus der zweidimensionakn Ordnung des Sehfeldes gibt es verschiedene Möglichkeiten 
(124). Wir wählen diejenige Form, die nur die zeitliche Reihe der in den Erlebnissen 
auftretenden Sehfelder benutzt (aber keine kinästhetischen Empfindungen); so ergibt 
sich die (vierdimensionale) „Sehwelt“ durch Zuschreibung von Farben zu den „Welt- 
punkten (125-127). Bestimmte Teile dieser Sehwelt sind die „Sehdinge“ (128) 
Unter diesen ist eines besonders wichtig: „mein Leib“; es kann durch gewisse Sonder- 
heiten gekennzeichnet werden (129). Mit seiner Hilfe können die übrigen Sinne 

268 



gekennzeichnet werden (wozu wir auch das Gebiet der Gefühle rechnen) (130, 131). 
Nun sind die Erlebnisse in ihre qualitativen Bestandteile zerlegt; diese sind in die 
Sinnesgebiete eingeteilt und in Komponenten zerlegt worden ; mit Hilfe dieser Gebilde 
können alle Bewußtseinsvorgänge konstituiert werden. Diese werden, um eine ge- 
schlossenere Gesetzmäßigkeit darzustellen, durch die sog. „unbewußten“ Vorgänge 
ergänzt zu dem Gesamtgebiet des „Eigenpsychischen“. Die Klasse der eigenpsychi- 
schen Zustände ist das „Ich“ (132). 

Aus der Sehwelt ergibt sich die „Wahrnehmungswelt“ der „Wahmehmungs- 
dinge“ durch Zuschreibung der Qualitäten der übrigen Sinne (133, 134). Diese Zu- 
schreibung wird vervollständigt durch gewisse Analogieregeln (die der Substanz- und 
der Kausalitätskategorie entsprechen) (135). Der Wahmehmungswelt tritt die „physi- 
kalische Welt“ gegenüber, in der den Weltpunkten nicht Qualitäten, sondern Zahlen 
zugeschrieben werden, nämlich die Werte der physikalischen Zustandsgrößen. Die 
physikalische Welt hat vor der Wahrnehmungswelt den Vorzug, daß sie in eindeutiger 
Weise intersubjektivierbar ist, und daß in ihr strenge, mathematisch faßbare Gesetze 
gelten (136). In der physikalischen Welt können alle physikalisch unterscheidbaren 
Vorgänge und Dinge gekennzeichnet werden, so z. B. auch die Organismen, unter 
ihnen besonders die „anderen Menschen“, und die übrigen biologischen Begriffe 
(137). Die Ausdrucksbeziehung und die psychophysische Beziehung können mit Hilfe 
der Vorgänge „meines Leibes“ konstituiert werden (138). 

C. Die oberen Stufen: fremdpsychische und geistige Gegenstände 

(139-156) 

Die Konstitution des Fremdpsychischen besteht darin, daß dem Leib eines 
anderen Menschen mit Hilfe der Ausdrucksbeziehung psychische Vorgänge zugeordnet 
werden. Das Fremdpsychische besteht daher konstitutional in einer Umordnung des 
Eigenpsychischen. Wäre die psychophysische Beziehung schon genauer bekannt, so 
könnte sie anstatt der Ausdrucksbeziehung zu einer genaueren und vollständigeren 
Konstitution des Fremdpsychischen dienen. Das Fremdpsychische wird ebenso wie 
däs Eigenpsychische durch Hinzufügung des Unbewußten ergänzt (140). Für die 
Konstitution des Fremdpsychischen muß außer der Ausdrucksbeziehung im enge- 
ren Sinne noch die „Zeichengebung“ benutzt werden, die Sprachäußerungen des 
Anderen. Die Zeichengebungsbeziehung wird konstituiert entsprechend dem Ver- 
fahren beim Lernen einer fremden Sprache ohne Übersetzer, und zwar zunächst für 
Worte (141), dann für Sätze, „Angabebeziehung“ (142). Beim wirklichen Lernen einer 
Sprache geschieht das Verstehen meist intuitiv ; diese Intuition wird in der Konstitution 
rational nachkonstruiert (143). Die Angaben der anderen Menschen werden 
nun weiter für die Konstitution verwertet: alle Gegenstandsarten werden bereichert, 
ohne daß aber etwas prinzipiell Neues hierdurch in das System kommen kann. Die 
Verwertung der Angaben bedeutet kein Aufgeben der eigenpsychischen Basis; denn die 
Angaben sind ja auf dieser Basis konstituiert (144). 

Aus den konstituierten Erlebnissen eines anderen Menschen M kann, analog der 
Konstitution „meiner Welt“ aus „meinen Erlebnissen“, die „Welt des M“ konstituiert 
werden. Wir finden nun zwei Beziehungen zwischen Gegenständen des M und Gegen- 
ständen meiner Welt: 1. die Beziehung der analogen Konstitution, die hauptsächlich 
für die unteren Stufen in Betracht kommt (145), 2. die „intersubjektive Zuord- 
nung“ zwischen empirisch gleichen Gegenständen (z. B. zwischen meinem Berlin 
und dem des M) (146). Diese Zuordnung kann auch zur Ergänzung jedes der beiden 

269 


Systeme dienen (147)* Eine Klasse von Gegenständen, die einander intersubjektiv 
zugeordnet sind in meinem System und in denen der übrigen Menschen, heißt ein 
„intersubjektiver Gegenstand“ (z. B. die Klasse der Gegenstände „Berlin“ in den 
verschiedenen Systemen); sie bilden die „intersubjektive Welt“ (148). Diese ist 
das eigentliche Gegenstandsgebiet der Wissenschaften (149). 

Die primären geistigen Gegenstände (d. h. solche, die keine anderen konstitu- 
tional voraussetzen) werden auf Grund ihrer Manifestationen, also aus psychischen 
Gegenständen konstituiert (150). Mit ihrer Hilfe sind dann die weiteren geistigen 
Gegenstände konstituierbar. Dabei sind die soziologischen Gebilde vorwiegend in 
Form von Relationen zu konstituieren. Die Konstitution des Geistigen aus dem 
Psychischen bedeutet keine „Psychologisierung“; denn die geistigen Gegenstände 
bilden dabei neue Gegenstandssphären (151). 

Mit den Gebieten des Eigenpsychischen, Physischen, Fremdpsychischen und 
Geistigen sind die wichtigsten Gegenstandsarten konstituiert. Als Beispiel einer 
weiteren Gegenstandsart werden die Werte angeführt. Sie sind zu konstituieren auf 
Grund der „Werterlebnisse“ analog der Konstitution des Physischen auf Grund der 
Sinnesqualitäten (152). 

Alle Aussagen der Wissenschaft sind (grundsätzlich) in Aussagen über die Grund“ 
relation übersetzbar. Kann auch diese noch eliminiert werden, so daß alle Aus- 
sagen reine Strukturaussagen sind? (153). Es zeigt sich, daß dies möglich ist; aber 
nur, wenn der Begriff der „fundierten Relationen“ zu den logischen Grund- 
begriffen hinzugefügt wird. Damit sind die Relationen gemeint, die einer natürlichen, 
erlebbaren Beziehung entsprechen. Ob diese Hinzufügung statthaft ist, bleibt pro- 
blematisch (154). Die Eliminierung wird an einem Beispiel erläutert (155). 

Der gegebene Entwurf eines Konstitutionssystems soll nur die Theorie illustrieren. 
Was dagegen als gültig behauptet werden soll, wird in einigen Thesen ausgesprochen. 
Die formalen Thesen besagen: die Grundelemente sind gleichstufig, die Grund- 
relationen sind von erster S tufe, von kleiner Zahl, vielleicht nur 6ine. Diematerialen 
Thesen besagen: die Grundelemente sind „meine Erlebnisse“ als unzerlegbare Ein- 
heiten; vielleicht genügt die Ähnlichkeitserinnenmg als Grundrelation; es können 
nacheinander konstituiert werden : Qualitäten, Sinne, Gesichtssinn, Sehfeld, Farben, 
Raum- und Zeitordnung, Sehdinge, mein Leib, die übrigen eigenpsychischen Gegen- 
stände; die physischen Gegenstände, darunter die anderen Menschen; die fremd- 
psychischen, die geistigen Gegenstände; Gegenstände aller Arten als intersubjektive 
Gegenstände ; die Konstitution der physikalischen Welt ist eine Ordnung von Zahlen 
auf Grund der Qualitäten Verteilung ; die Konstitution des Fremdpsychischen beruht 
auf Ausdrucks- und Angabebeziehung oder auf psychophysischer Beziehung; die 
Konstitution des Geistigen beruht auf der Manifestationsbeziehung (156). 

V. KLÄRUNG EINIGER PHILOSOPHISCHER PROBLEME 
AUF GRUND DER KONSTITUTIONSTHEORIE (157—183) 

Einige Beispiele sollen erörtert werden, um zu zeigen, daß die durch die Konstitu- 
tionstheorie vorgenommene Ordnung der Begriffe eine schärfere Fassung der Probleme 
ermöglicht (157). 

A. Eirige Wesensprobleme (158—165) 

Die Untersuchung der traditionellen Unterscheidung zwischen Individual- und 
Allgemeinbegriffen ergibt, daß es sich hier nicht tim zwei wesentlich getrennte 
Arten handelt. Auch die sog. Individualbegriffe sind als Klassen oder Relationen zu 







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konstituieren. Ein Unterschied besteht nur insofern, als einem Individualbegriff ein 
zusammenhängendes Gebiet in der Raum-Zeit-Ordnung entspricht, einem Allgemein- 
begriff dagegen nur in bezug auf eine andere (qualitative) Ordnung. Vom logischen 
Gesichtspunkt aus sind die ersteren nicht einfacher oder einheitlicher als die letzteren 
(158). — Identität: zwei Zeichen sind „gleichbedeutend“, bezeichnen „dasselbe“, 
wenn sie überall vertauschbar sind. Im üblichen Sprachgebrauch wird auch nicht- 
streng-Identisches häufig als „dasselbe“ bezeichnet. Bei dieser „uneigentlichen 
Identifizierung“ liegt eine strenge Identität zwar nicht der betreffenden Gegenstände 
selbst vor, aber gewisser Gegenstände höherer Stufe (z. B. Klassen, zu denen jene ge- 
hören); zwischen den Gegenständen selbst besteht eine andere Beziehung, z. B. häufig 
Genidentität oder Gleichheit in bezug auf irgendeine Ordnung oder die intersubjektive 
Zuordnung (159). — Was ist das Wesen des Physischen, des Psychischen, des 
Geistigen? Die Gegenstände dieser Arten sind Quasigegenstände, sprachliche Hilfs- 
mittel zur Darstellung gewisser Zusammenhänge zwischen den Erlebnissen (160). Das 
ist ihr konstitutionales W esen. Die Angabe.des wissenschaftlichen oder konstitu- 
tionalen Wesens eines Gegenstandes kann nur in der Angabe von Kriterien für die 
Wahrheit derjenigen Sätze liegen, in denen der Gegenstandsname vorkommt. Das 
geschieht etwa durch Angabe der konstitutionalen Kettendefinitionen. Die darüber 
hinausgehenden Fragen sind nicht in konstituierbaren Begriffen beantwortbar; sie 
betreffen das metaphysische Wesen der Gegenstände und liegen außerhalb des 
Rahmens der Wissenschaft (161). — Problem des Leib-Seele-Dualismus : gibt es 
zwei wesentlich getrennte Gegenstands arten ? Antwort: Physisches und Psychisches, 
sind verschiedene Ordnungsformen (Gleichnis: Sternbilder) der Grundelemente. 
Grundelemente gibt es nur von £iner Art; Ordnungsfonnen aber nicht nur zwei, sondern 
beliebig viele. Das aber ist keine Besonderheit der empirischen Welt, sondern gilt 
analytisch in jedem geordneten Gebiet (162). — Das Ich ist die Klasse (nicht die 
Kollektion) der Erlebnisse (oder eigenp9ychischen Zustände). Das Ich gehört nicht 
2um Ausdruck des Grunderlebnisses, sondern wird erst auf hoher Stufe konstituiert 
(163). — Die intentionale Beziehung zwischen einem psychischen Vorgang und 
dem in ihm Gemeinten ist keine eigenartige, unzurückführbare Beziehung. Sondern 
sic ist ein Fall der Beziehung zwischen einem Erlebnis und einem dieses Erlebnis um- 
fassenden Erlebnisgefüge von wirklichkeitsartiger Struktur (164). — In der Wissen- 
schaft bedeutetKausalität nur funktionale Abhängigkeit. Diese gibt es im strengen 
Sinne nicht in der Wahmehmungswelt, sondern nur in der physikalischen Welt. Die 
Abhängigkeit besteht hier zwischen einem Zustand und einem gewissen Grenzwert der 
Zustandsgrößenzuschreibung, also nicht zwischen zwei Vorgängen. Daher verlieren 
die Begriffe „Ursache“ und „Wirkung“, die schon in den unstrengen Gesetzen der 
Wahmehmungswelt ihre anthropomorphe „Wirkens“-Bedeutung verloren haben, hier 
ia der physikalischen Welt überhaupt jede Bedeutung (165). 

B. Das psychophysische Problem (166—169) 

Das psychophysische Problem der traditionellen Philosophie fragt nach der Er- 
klärung der psychophysischen Parallelität (166). Diese Parallelität kann sich 
ursprünglich nicht auf das Fremdpsychische beziehen (167), sondern sie kann nur 
empirisch festgestellt werden als Parallelität zwischen einer eigenpsychischen Erlebnis- 
reihe und den beobachteten Vorgängen des eigenen Gehirns. Bei dieser Feststellung 
treten aber diese Vorgänge als Inhalte von eigenen Erlebnissen auf. Es handelt sich 
also nicht um eine Parallelität zwischen grundsätzlich Verschiedenem, sondern zwischen 


Reihen von Erlebnisbestandteilen ; eine solche Parallelität kommt auch sonst häufig 
vor (168). In der Wissenschaft kann nur der Befund dieser Parallelität festgestellt 
werden. Die Deutung dieses Befundes gehört 2ur Metaphysik; in der Wissenschaft 
kann nicht einmal die Frage dieses metaphysischen Problems ausgesprochen wer- 
den (169). 

C. Das konsti nationale oder empirische Wirklichkeitsproblem 

(170 -174) 

Die Unterscheidung zwischen einem „wirklichen“ Ding und einem „unwirklichen“, 
z. B. einem nur erdachten, erlogenen oder irrtümlich angenommenen, kann nach empiri- 
schen Kriterien geschehen: „empirischer“ oder „konstitutionaler“ Wirklich- 
keitsbegriff. Dieser Wirklichkeitsbegriff behält seine Gültigkeit auch in einem 
Konstitutionssystem mit eigenpsychischer Basis (170). Eine entsprechende Unter- 
scheidung wie im Physischen gibt es auch im Psychischen und im Geistigen. Die 
übereinstimmenden empirischen Kenneeichen des Wirklichen in den verschiedenen 
Gegenstandsgebieten sind: Zugehörigkeit zu einem umfassenden, gesetzmäßigen 
System und Stellung in einer Zeitordnung (171). Die Gegenstände, die entweder 
wirklich oder unwirklich sind, nennen wir „wir klichkeits artig“; für die übrigen 
Gegenstände hat die Frage, ob wirklich oder unwirklich, keinen Sinn (172). Die vom 
Üblichen Sprachgebrauch gezogene Grenze des Wirklichkeitsartigen in den verschie- 
denen Gegenstandsgebieten zeigt einen uneinheitlichen, willkürlichen und schwanken- 
den Verlauf (173, 174). 

D. Das metaphysische Wirklichkeitsproblem (175—178) 

Es gibt noch einen anderen WirklichkeitsbegrifF, der gewöhnlich als „Unabhängig- 
keit vom erkennenden Bewußtsein“ formuliert wird. Dieser Begriff ist es, der vom 
Realismus und vom Idealismus übereinstimmend gemeint ist, wenn der Außenwelt 
die Wirklichkeit zugesprochen bzw. abgesprochen wird (175). Wir nennen diesen 
Wirklichkeitsbegriff „metaphysisch“, weil er nicht durch wissenschaftliche, d. h. 
konstituierbare Begriffe definiert werden kann; das Gleiche gilt vom Begriff des 
„Dinges an sich“ (176). Jede Frage, die sowohl von der Konstitutionstheorie als auch 
von den Richtungen des Realismus, des Idealismus und des Phänomenalismus 
beantwortet wird, wird übereinstimmend beantwortet (177). Die Divergenzen zwischen 
den drei Richtungen treten erst auf, wo diese das Gebiet des Konstituierbaren, also das 
Gebiet der Wissenschaft verlassen; dann aber handelt es sich nicht mehr um Erkennt- 
nistheorie, sondern um Metaphysik. Das praktische Verfahren der Realwissenschaften 
ist „realistisch“ nur in der Sprache, nicht im metaphysischen Sinne; für die Real- 
wissenschaften ist der eigentliche Realismus bedeutungslos, er ist durch einen „Ob- 
jektivismus“ der gesetzmäßigen Zusammenhänge zu ersetzen (178). 

E. Aufgabe und Grenzen der Wissenschaft (179—183) 

Die Aufgabe der Wissenschaft besteht darin, die wahren Aussagen zu finden 
und zu ordnen; das geschieht erstens durch den Aufbau des Konstitutionssystems, 
d. h. die Einführung der Begriffe, und zweitens durch die Feststellung der empirischen 
Zusammenhänge zwischen diesen Begriffen (179). Es gibt in der Wissens chaft keine 
grundsätzlich unbeantwortbare Frage. Denn jede Frage besteht in der Auf- 
stellung einer (als wahr oder falsch festzustellenden) Aussage. Jede Aussage ist aber 


272 


grundsätzlich übersetzbar in eine Aussage über die Grandrelation. Und jede solche 
Aussage ist grundsätzlich am Gegebenen verifizierbar (180). Glaube und Intuition 
im irrationalen (z. B. religiösen) Sinne haben es nicht mit dem Unterschied wahr-falsch 
zu tun, gehören also nicht zum theoretischen Gebiet, zu dem der Erkenntnis (181). 
Verstehen wir (wie auch viele Metaphysiker) unter „Metaphysik“ nicht die L ehr e 
von den logisch untersten oder von den höchsten wissenschaftlichen Erkenntnissen 
GjGrundwissenschaft“ bzw. „Weltlehre“), sondern ein Gebiet reiner Intuition, 
so hat Metaphysik mit Wissenschaft, mit dem Gebiet des Rationalen, nicht? mehr zu 
tun; es k ann zwischen beiden weder Bestätigung .noch Widerspruch geben (182). Die 
dargelegte Auffassung ist kein Rationalismus, da sie reine Rationalität nur für 
die Wissenschaft fordert; für das praktische Leben dagegen werden Existenz und Be- 
deutsamkeit der übrigen, der irrationalen Sphären anerkannt (183). 



273 


LITERATUR- UND NAMENREGISTER 

Die Zahlen hinter den Namen verweisen auf die Paragraphen des Buches. 
Die Bezeichnungen in eckiger Klammer geben die Abkürzungen an, unter denen 
die Bücher im Text zitiert werden. (Zitiert wird nach der Ausgabe, deren Jahres- 
zahl nicht eingeklammert ist.) 

(Nachtr.) bezeichnet die Bücher, die nachträglich in dies Register aufge- 
nommen, im Text aber nicht mehr berücksichtigt sind. 

Die Bücher, die zum Studium der Probleme, die mit der Konstitutionstheorie 
Zusammenhängen, besonders geeignet sind, sind in folgender Weise gekenn- 
zeichnet : 

1. geeignet zum Studium der erkenntnistheoretischen Probleme (Analysis 
der Wirklichkeit; die Gegenstands arten und ihre Beziehungen; Eigen- und 
Fremdpsychisches; Verhältnis zwischen Physischem und Psychischem; 
u. dgl.): 

E I erste Stufe (zur Einführung geeignet) 

Eli zw' eite Stufe (schwieriger). 

2. geeignet zum Studium der logischen Probleme (z. B. über Aussage, Aus- 
sagefunktion; Klasse, Relation, Struktur; Definition; Extensionalität; 
Typen): 

L I erste Stufe 
L II zweite Stufe. 

AHLMANN 65, 94 

[Opt. Vorst.] Zur Analysis des optischen Vorstellungslebens. Ein Beitrag zur 
Blindenpsychologie. Arch. f. d. ges. Psych. 46 (Martius-Festschr.), 193 — 261, 
1924. 

ARISTOTELES 156 
v. ASTER 65 

[Erkenntnis!.] Prinzipien einer Erkenntnislehre. Leipzig 1913. 

AVENARIUS 3, 64, 159, 163 

[Kritik] Kritik der reinen Erfahrung. Leipzig (1888), 2. A. I 1907, II 1908. 
[Weltbegriff] Der menschliche Weltbegriff. Leipzig (1891), 3. A. 1912. E I 
BAUCH 75 

[Wahrheit] Wahrheit, Wert und Wirklichkeit. Leipzig 1923. 

BAVINK 176 

[Ergebn.] Allgemeine Ergebnisse und Probleme der Naturwissenschaft. Leipzig 
(1914), 3- A. 1924. 

BECHER 57, 58, 140, 143 

[Gehirn] Gehirn und Seele. Heidelberg 1911. 

[Geisteswiss.] Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften. München u. 
Leipzig 1921. 



BECKER 124, 180 

[Geom.) Beiträge zur phänomenologischen Begründung der Geometrie und 
ihrer physikalischen Anwendungen. Jahrb. f. Phil. u. phänom. F. VI , 385 — 
560, 1923. 

BEHMANN 3 

[Math.] Mathematik und Logik. Leipzig u. Berlin 1927. 

BERGSON 57» 182 

[Metaphysik] Einführung in die Metaphysik. (Übers.) Jena 1916. 

[Materie] Materie und Gedächtnis. (Übers.) Jena 1919. 

BRENTANO 164 

[Klassifikation] Psychologie vom empirischen Standpunkt. (Wien 1874.) II. Von 
der Klassifikation der psychischen Phänomene. Leipzig (1911) 1925. 
BURKAMP 

(Nachtr.) Eegriff und Beziehung. Studien zur Grundlegung der Logik. Leipzig 
1927. 

BUSSE 57, 166 

[Geist] Geist und Körper, Seele und Leib. Leipzig (1903)» 2 * A. m. Anh. v. 
Dürr, 1913. 

CANTOR 37 
CARNAP 

[Raum] Der Raum. Erg.-H. 56 d. Kantstudien, Berlin 1922. 

[Aufg. d. Phys.] Über die Aufgabe der Physik. Kantstud. XXVIII, 90 — 
107, 1923. 

[Dreidimens.] Dreidimensionalität des Raumes und Kausalität. Ann. d. Philos. 
IV, 105— 130» 1924- 

[Abhäng.] Über die Abhängigkeit der Eigenschaften des Raumes von denen 
der Zeit. Kantstud. XXX, 331—345» I9 2 5- 
[Phys. Begr.] Physikalische Begriffsbildung. Karlsruhe 1926. 

[Uneigentl.] Eigentliche und uneigentliche Begriffe. Symposion 1,355 — 374» I9 2 7- 
[Realismus] Scheinprobleme in der Philosophie. Das Fremdpsychische und 
der Realismusstreit. Berlin 1928. EI 

[Logistik] Abriß der Logistik, mit besonderer Berücksichtigung dar Relations- 
theorie und ihrer Anwendungen. Wien I92 ; 9 L I 

CASSIRER 12, 64, 75 

[Substanzbegr.] Substanzbegriff und Funktionsbegriff, Berlin 1910 (2. A. 1923). 
CHRISTIANSEN 148, 172 

[Kantkritik] Kritik der Katttischen Erkenntnislehre. Hanau 1911. 
CLAUBERG u. DUBISLAV 3 

[Wörterbuch] Systematisches Wörterbuch der Philosophie. Leipzig I9 2 3* 
CORNELIUS 64, 67, 74, 159 

[Einleitg.] Einleitung in die Philosophie. Leipzig u. Berlin (1911), 2. A. 1919. 
COUTURAT 73, 107 

[Prinz.] Die philosophischen Prinzipien der Mathematik. (1906); (Übers.) 
Leipzig 1908. 

DESCARTES 163 
DEWEY 59 
DILTHEY 12, 23 

[Einl. Geistesw.] Einleitung in die Geisteswissenschaften. I., Leipzig (1883) 1922. 

275 


274 


DINGLER 58, 64, 65, 140, 169 

[Naturphil.] Die Grundlagen der Naturphilosophie. Leipzig 1913. 

DRIESCH 3, 36, 64, 65, 67, 89, 129, 140, 151, 156, 163 
[Ordnungsl.] Ordnungslehre. Jena (1912), 2, A. 1923. 

[Wirklich!?.] Wirklichkeitslehre. Leipzig (1916), 2. A. 1922. 

[Ganze] Das Ganze und die Summe. Leipzig 1921, 

DUBISLAV, s. CLAUBERG 
DU BOIS-REYMOND 166, 167 

[Grenzen] Über die Grenzen des Naturerkennens. Berlin u. Leipzig (1872), 
5- A. 1882 (1916). 

DÜRR, s. BUSSE 
ERDMANN, B. 143, 166 

[Leib] Wissenschaftliche Hypothesen über Leib und Seele. Köln 1907 
ERDMANN, K. O. 30 

[Bedeutung] Die Bedeutung des Wortes. Leipzig (1900), 3. A. 1922. 
FRAENKEL 40 

[Mengenl.J Einleitung in die Mengenlehre. 2. A. Berlin 1923 (3. A. 1928). 
FREGE 3, 27, 33, 38, 40, 44, 45, 69, 73 

[Grundig.] Die Grundlagen der Arithmetik. Breslau 1884. 

[Funktion] Funktion und Begriff. Jena 1891. 

[Gegenst.] Über Begriff und Gegenstand. Viert, f. wiss. Phil. XVI, 192—205, 
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[Sinn] Über Sinn und Bedeutung. Zeitschr. f. Phil. u. phil. Krit. 100, 25— eo 
1892. 3 * 

[Grundges.] Grundgesetze der Arithmetik. I, II. Jena 1893, 1903. 

[Krit.] Kritische Beleuchtung einiger Punkte in E. Schröders Vorlesungen 
über die Algebra der Logik. Arch. f. syst. Phil. I, 433—456, 1895. 
FREYER 12, 19, 56 

[Obj. Geist] Theorie des objektiven Geistes. Leipzig u. Berlin 1923 (2 A 1928] 
FRISCHEISEN-KÖHLER 64, 65 

[Wissensch.] Wissenschaft und Wirklichkeit. Leipzig u. Berlin 1912 
GÄTSCHENBERGER 60, 65, 95, 178, 180 

[Symbola] Symbola. Anfangsgründe einer Erkenntnistheorie. Karlsruhe 1020. 
GERHARDS 124 

[Außenwelthyp.] Der mathematische Kern der Außenwelthypothese. Natur- 
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GOETHE 136 

GOMPERZ, H. 64, 65, 67, 159 

[Ereignis] Die Welt als geordnetes Ereignis. Bern, zu R. Wahles „Definitiver 
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[Weltansch.] Weltanschauungslehre. I. Methodologie. Jena iqos. 

HAGEN, F. W. 67 
HAMILTON, W. 67 
HARTMANN, N. 163 

[Metaphysik] Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis. Berlin u. Leipzig 
1921 (2. A. 1925). 

HAUSDORFF 40 

[Mengenl.] Grundzüge der Mengenlehre. Leipzig 1914. (2. A. „Mengenlehre“, 
Berlin u. Leipzig 1927.) 


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[Einleitg.] Einleitung zu „Die Prinzipien der Mechanik“, in: Vorn u. Ein- 
leitgn. z. klass. Werken d. Mech., hsg. v. d. Philos. Ges. Wien (A. Höfler), 
Leipzig 1899, S. 121 — 164. 

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[Grundlagen] Grundlagen der Geometrie. Leipzig u. Berlin (1899), 5. A. 1922 
(6. A. 1923). 

(Nachtr.) H. u. ACKERMANN, Grundzüge der theoretischen Logik. Berlin 

1928, T T 

HUME 165 
HUNTINGTON 107 
HUSSERL 3, 64, 65, 124, 164 

[Phänomenol.] Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen 
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[Log. Unt.] Logische Untersuchungen. Halle I (1900) 2. A. 1913; II (1901Y 
2. A. 1913, 1921. ^ 

JACOBY, G. 64, 65, 124, 130, 140, 164 

[Ontol.] Allgemeine Ontologie der Wirklichkeit. I., Halle 1925. 

JAMES 162 

KANT 67, 106, 162, 172 
KAUFFMANN 124, 129, 140 

[Imraan.] Immanente Philosophie. Leipzig 1893. 

KEYSER, C. J. 33, 107 

[Math. Phil.] Mathematical Philosophy. New York (1922) 1924. 

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[Gestaltprobl.] Gestaltprobleme und Anfänge einer Gestalttheorie. Übersieh ts- 
referat. Jber. üb. d. ges. Physiol. III (üb. 1922), 1. Hälfte, 512— 539, 1925. 
KLEIN, F. 159 
KÖNIG, J. 40 

[Logik] Neue Grundlagen der Logik, Arithmetik und Mengenlehre. Leipzig 

1914. 

KRONECKER 42 
KÜLPE 3, 53 , 175, 176 

[Realis.] Die Realisierung. Leipzig 1 , 1912. II, III aus d. Nachl. hsg. v. Messer, 
1920, 1923. 

LEIBNIZ 3, 51, 52 
LEWIN 128 

[Zeit!.] Die zeitliche Öeneseordnung. Zeitschr. f. Phys. XIII, 62—81, IQ23 
LEWIS, C. I. 3 

[Survey] A Survey of Symbolic Logic. Berkeley 1918. 

LICHTENBERG 163 

MACH 3, 64, 65, 67, 162, 165, 169, 176 

[Anal.] Die Analyse der Empfindungen. Jena (1886), 8. A. 1919. E I 

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[Stellung] Über die Stellung der Gegenstands theorie im System der Wissen- 
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277 


NATORP 5, 64, 65, 16z, 163, 179 

[Grundlagen] Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften. Leipzig 
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[Psychol.] Allgemeine Psychologie nach kritischer Methode. Tübingen 1912. 
NEWTON 136 
NIETZSCHE 65, 67, 163 

[Wille] Der Wille zur Macht. Leipzig 1887. 

OSTWALD 3, 59, 176 

[Werte] Die Philosophie der Werte. Leipzig 1913. 

[Naturphil.] Moderne Naturphilosophie. Leipzig 1914. 

PEANO 3, 107 

[Notations] Notations de Logique Mathematique. Torino 1894. 

[Formulaire] Fonnulaire de Mathdmatiques. Torino (189s) 1908. 

PETZOLD 64, 180, 182 

[Weltprobl.] Das Weltproblem vom Standpunkte des relativistischen Positivis- 
mus aus, historisch-kritisch dargestellt. Leipzig u. Berlin (1906), 4. A. 1924* 
[Positiv.] Positivistische Philosophie. Zeitschr. f. pos, Phil. I, x — 16, 1913* 
PIERI 107 

POINCARE 3, 16, 124, 130 

[Wiss.] Wissenschaft und Hypothese. (Übers.) Leipzig u. Berlin (1906), 3. A. 
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[Wert] Der Wert der Wissenschaft. (Übers.) Leipzig u. Berlin (1906), 2. A. 1910. 
[Letzte Ged.] Letzte Gedanken. (Übers.) Leipzig 1913. 

REHMKE 64 

[Grundwiss.] Philosophie als Grundwissenschaft. Frankfurt 1910. 
REICHENBACH 15, 62 

[Erk.] Relativitätstheorie und Erkenntnis apriori. Berlin 1920. 

[Asdomatik] Axiomatik der relativistischen Raum-Zeit-Lehre. Braunschweig 
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RUSSELL 3, 12, 13, 16, 27, 30, 33, 35« 38, 40, 43, SO, 59, 64, «S, «9, 73, 107, 124, 
128, 140, 162—165, 176 

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SCHLICK 15, 65, 67, 130, 136, 163, 176, 182 

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[Algebra] Vorlesungen über die Algebra der Logik. I — III, Leipzig 1890 — 1895* 
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[Erkth.] Grundlagen einer Erkenntnistheorie. Leipzig 1884. 

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WERTHEIMER 36, 67 

[Gestaltth.] Über Gestalttheorie. Berlin 1925. Sonderdruck aus Symposion I, 
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279 


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[Handb.] Philosophie der Mathematik und Naturwissenschaft. In- Handbuch 
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(Auch gesondert erschienen.) . TT _ __ 

WHITEHEAD 3, 12,13, 27» 3°, 33, 35, 40, 43, 50, 73, 107, 124 

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WINDELBAND 12 ^ 11 

T Naa,rwi “ emchaft - SttaBb ^ ö. a. X904). 

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Ann. d. Nat. u. K. Phil., XIV, 185—262, 1921. (Auch als Buch: „Tractatus 
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WITTMANN 6j, 67 

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WUNDT 3, 57 

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ZIEHEN 3, 64, 65, 89, 129, 140, 162, 176 

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naive Realismus. Zeitschr. f. Psych. u. Phys. d. Sinnesorg., XXXIIL 91— 
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Jena 1913. 0 ‘ 

[Gegenw. Stand] Zum gegenwärtigen Stand der Erkenntnistheorie. Wies- 
baden 1914. 


280 



SACHREGISTER 



Die Zahlen bezeichnen die Paragraphen des Buches; die wichtigeren Stellen 
sind durch fette Ziffern hervorgehoben. 

Def. Definition (oder andeutende Erläuterung) des Ausdrucks 
Abi. Ableitung des Begriffs (vgl. § 84) 


Konst. Konstitution des Begriffs 

(B) Beispiel 

(L) Literaturangabe 

Ablaufgesetz: 165 
Ableitung: 2, 84 

Ableitungsrelation eines Gegenstandes: 
Def. 121 

Abstraktion: 67, 74 
Abstraktionsklassen: Def. 73, 88, 90, 
97, 104, 148 

Abstraktionsprinzip; 73 (L) 
Ähnlichkeit (s. a. Teilähnlichkeit): 

1. allg.: Def. 11, 71. 

2. zwischen Qualitäten: Def. 77, Abi. 
85 , 9 °, 91, Konst. 114 

Ähnlichkeitserinnerung (s. a. 

Grundrelation): Def. 78, 106, 108 
Ähnlichkeitskreis : z. allg.: Def. 70, 
71 — 73, 80, 97, 104. 2. von Erleb- 
nissen: Def. Abi. 80, 81, Konst, in. 
äquivalent, s. umfangsgleich 
ästhetischer Gehalt: 55 (B) 
ästhetischer Wert, s. Wert 
allgemein, s. generell 
Allgemeinbegriff: 5, 27, 158 
Analyse (s. a. Quasianalyse): 67 — 70 , 71, 
74 

analytische Aussagen (a. Lehrsätze): 
Def. 106, 110 

analytische Urteile apriori, s. syntheti- 
sche U. 

Anderen (die a. Menschen): 65, Konst. 

137, 140—145—148, 167, 176 
Angabe, A.-Beziehung : Def. 57, 140, 
Konst. 142, 143, 144 
Antwort, s. Frage 


Anzahl, s. Kardinalzahl 
apriori (s. a. synthet. Urteile a.): 103, 279 
Argument, A.-Stelle: Def. 28, 29, 34 
arithmetische Gegenstände; Konst. 107 
Aspekt; 124, Konst. 128 
Aufgabe der Wissenschaft, A. d. Erkennt- 
nis: 179 , 183 
Aufweisung: Def. 13 
Ausblickpunkt: Def. Konst. 126 
Ausdehnungsabstraktion (Whitehead): 
124 

Ausdrucksbeziehung, A.-bewegusg: 
Def. 19 , 21, 52, 57 f., 131, Konst. 138 , 
140, 143, I ö7 

Aussage (s. a. Lehrsatz; vgl. Satz): 2, 
12, 13, 16 , 27, 44 f., 52, 97, 107, 119 , 
153 , 155, 161 , 179, 180 
Aussagefunktion: Def. 28 , 29, 32 , 
33 (L)— 45, 48 ff., 97, 107 
Außenwelt, s. Wahmehmungswelt, 
physikal. Welt 

aussprechbar, s. unaussprechbar 
autonome Gegenstandsart: 162 
Axiomatik: 2, 15, 121 
Axiome der Logik: 106. 

Basis (s. a. : eigenpsychisch, psychisch, 
physisch, geistig; Grundbegriff) : Def. 
2, 26, 59 fo 61 , 75 
beantwortbar, s. unbeantwortbar 
bedeuten, Bedeutung: 19L, 27, 32, 
44 , 141, 143, 159 , 161, 180 
Bedeutungsaussage: Def. 44, 45 


281 



Bedingung (notwendige, hinreichende B.) : 
47 — 49 j 53 

befriedigen: Def. 28, 32 
Begleiter: s. systematische Bindung 
Begriff (s. a. : Allgemeinb., Individualb., 
Gegenstand): 1, 2, 5 , Def. 28 , 119, 
158 , 180—182 
begrifflich, s. rational 
Behaviorismus: 59 , 140, 162 
Berechenbarkeit: 136 
Beschreibung (s. a. : Beziehungsb., Eigen- 
schaftsb., Smikturb.,Gegenstandsb., 
Kennzeichnung): ro 

Bestandsliste (s. a.; Paarliste): 99, Def. 
102, 108 — 117 

Bestandteil, s. Analyse, Erlebnisb. 
bestehen aus, s. Ganzes 
Bestimmung, s. Kennzeichnung 
Bewegung: 127 
bewirken, s. Kausalität 
bewußt, s. unbewußt 

Bewußtsein, B.-Vorgänge, s. Erlebnis 
Bewußtsein überhaupt: 66 
Bezeichnung, s. Gegenstandsname, Kenn- 
zeichnung, Zeichen 

Beziehung (vgl. Relation): 10, 11 — 24, 
Def, 28 , 34, 162 

Beziehungsbeschreibung, Rela- 
tionsb.: Def. 10 , 69 — 75, 102 
Beziehungsgefüge : 7, 61, r64 
binokulares Sehen: 127 
biologische Gegenstände: 25, Konst. 137, 
179 

Blicklinie: Def. Konst. 126 
Blinde: 94 

Deduktion der Lehrsätze: 106 
Deduktion der Konstitutionsregeln : 
105 

Definition (s. a.: Gebrauchsd., kon- 
stitutionale D., explizite D., impli- 
zite D.): 24, 38 !., 51 , 102, 119 
denken, Denkakte: 85, 101, 163 
derselbe, s. Identität 
Deutung eines Befundes: 169 
Dialektik: 42, 56 

Dimensionszahl (s. a. : vier dimensional, 
Farbkörper): 80, 86, 92, 97, 104, 
115, 117 , 118, 124, 125 , 155 


Ding (s. a.: physisches D.): 18 
Ding an sich; 164, 169, 175, 176 f. 
Disposition (psychische D.): 24, 150 
Dokumentation, D.-Beziehung: Def, 
24 , 55 f. 

Dreidimensionalität, s. Dimensionszahl 
Drucksinn: Konst. 129 
Du, s. fremdpsychisch. Andere 
Dualismus (Leib-Seele-D.): 162 
Durchschnitt: Def. 33 

Eigenbewußtes: Konst. 132 
Eigenname, s. Gegenstandsname 
eigenpsychisch: Def. 58 , 60 — 65, 94, 
132 , 138, 140, 160 , 168, 171 
Basis im Eigenpsychischen (sol- 
ipsistische B.): 60,63,64 — 66, 106, 
124, I44f., 170 
Eigenschaft: 10, Def. 28 , 3 
Eigenschaftsbeschreibung: Def. 10 , 69 
eindeutig (einmehrdeutig, mehreind., ein- 
eind. Relationen; s. a. : Mehrdeutig- 
keit): 11, Def. 34 

Einfachstheit, Grundsatz der E.: 136 
Einfühlung, s. Intuition 
Einheit des Gegenstandsgebietes, E. der 
Wissenschaft: 4, 41, 162 
Einheit, unzerlegbare E., s. d. 
Element (einer Klasse) (s. a.: Grund- 
elemente): Def. 33 

Elementarerlebnisse, „meine“ Er- 
lebnisse : 65, Def. 67 , 68, 69, 74 — 82, 
93, io6, Konst. 109 , 126, 132, 140, 
i 47 j 163, I 77 f* 

Eliminierung eines Gegenstandszeichens: 

38, 50 

Eliminierung der Grundrelation: 153 — 
155 

Empfindung: 67^, 76, 80, Abi. 93 , Konst. 

116 

Empfindungsqualität, s. Qualität 
empirisch: 15, 21 f., 103—106, 136, 155, 
179 , 181 

empirische Aussagen (e. Lehrsätze): 
Def. 106 , 108, 119 
Empirismus: 183 

Enthaltung (methodische, phänomeno- 
logische E.): 53, 64 
Entscheidbarkeit: 180 



Erfahrung, s. empirisch 
Erinnerung (s. a. : Ähnlichkeitserinne- j 
rung): 78, 101 

Erkenntnis, erkennen, Erkennung: 15, 
24, 49, 54, 64, 66, 76, 92, 94 , 100 , • 
105, 133 , 143 , 158, 178 , 179 f., 181 , ; 
183 

erkenntnismäßige Primarität: 
Def. 54 , 56, 58 

erkenntnismäßige Systemform: 
53, Def. 54 , 56, 58, 60, 64 , 67, 156, 
176 

Erkenntnistheorie: 52, 59, 64, 106, 178 
erkenntnistheoret. Subjekt: 64 — 66 

Erkenntniswert: Def. 50 , 51 , 75, 
86, 95, 119, 159 
erlebbare Beziehung, s. fundiert 
Erlebnis (s. a. Elementareriebnis) : 16, 
64 f., 163 f-, 174 

Erlebnisse des anderen Menschen : 
Konst. 140, 145 

Erlebnisbest and teil: 67, 68,71, 74 — 
77 , 93 , Konst. 116 , 140, 168, 174 , 177 
euklidische, nichteuklid. Metrik: 125, 136 
Existenz (logische) (vgl.: Wirklichkeit): 
96, Konst. 107 

explizite Definition: Def. 35, 39 
Extension, extensional : Def. 32 , 33 (L), 
34, 40 , 43 , 45 , 48, 50, 95, 99, 102 

Extensionalitätsthese: Def. 43 , 
45 , 50 

extensiv, s. Ganzes 
falsch: 28, 161 

Farbe (Farbempfindung, Farbart): 76, 
88 f., Abi. 90 , 91 , 115, Konst. 118 , 
125 — 127 , 134 

Farbkörper (Nachbarfarben): 77, 80 f., 
88, Abi. 90 , 91 , 115, Konst. 118 , 158, 
164 

Dreidimensionalität des Farbkörpers: 
90, 115, 118 !,, 155 

Farbpunkte: Konst. 126 , 130, 135 
Feld: Def. 34 

Festhaltbarkeit des Gegebenen: 101 
Festsetzung: 103, 107, 174, 179 
Fiktion (s. a. : Sprache der fiktiven Kon- 
struktion): 27, 33 f.» 99 , 102, 148, 
167, 170 


Form, s. Gegenstandsform, Stufenform, 
Systemform 

formal: llf., 16, 106, 119, 153 — 155 

Formprobleme: 7, Def. 26 
Frage, Fragestellung: 22, 159 , 166, 169, 
179, Def. 180 , 183 

Fremdpsychisches: 52, 57 , Def. 58 , 
63 f., Abi. 94 , 138, Konst. 140 , 160 , 
167, 171, 175 

fundamentale Aussagefunktion: Def. 48 
fundierte Relation: Def. 154, 155 
Funktion, funktionale Abhängigkeit: 143, 
165, 169 

Ganzes (extensives G.,Teil, zusammen- 
gesetzt, bestehen aus): 33, Def. 36 , 
37 , 40 , 56 , 173 

Gebrauchsdefinition: Def. 39 , 40, 48 
Gedächtnis, s. Erinnerung 
Gedanken, s. Denkakte 
Gefühle: 76 , 82, 85, Konst. 131 , 133 
Gegebene (das G.) : 3, 64 f 67, 75, 100 f., 
144, 163, 169, 1761 . 

Gegenstand: Def. 1 , 5 , 12, 19, 48L, 
74 f-, 107 , 119, 121, 155, 158 , 159, 
161 , 177, 179 

Gegenstandsart: 17, 25 , 29, 31, 39, 

151, 159» 100, 162 

Gegenstandsbeschreibung: Def. 102 
108 — 114 

Gegenstandsform: 26 

Gegenstandsname: 27 f., 39, 5®, 159 , 
160, 161 , 179 

Gegenstandssphäre, s. Sphäre 

Gegenstandstheorie: 93 
Gehirn (Zentralnervensystem): 19, 21 f., 
57 f., 138, 140, 166—168 
Gehör: Konst. 131, 133 
geistige (kulturelle, soziologische, histo- 
rische) Gegenstände: Def. 23, 24 , 
55 f., 59f., Abi. 94 , 149, Konst, isof., 
160, 171, 174, 179 

Geisteswissenschaften: 12, 23 f„ 49, 
55 U 150 

Basis im Geistigen: 59 
Geltendes ( — Seiendes): 42 
Gemeinsames, s. Klasse 
Gemeinte, das, s. intentionale Beziehung 

283 


282 


generell, s. Allgemeinbegriff, individueller 
Sachverhalt, umfangsgleich 
genidentisch: Def. Konst. 128, 159 
Geometrie: 12, 107 , 121 , 159 
geometrische Gegenstände : Konst. 107, 

125 

Geruchsinn: Konst. 13t, X33, 134 
Gesamtwissenschaft, s. Wissenschaft 
Geschichte, s. Geis teswissenschaf ten, 
geistige Gegenstände 
Geschmacksinn: Konst. 131, 133 
gesehene Farbpunkte: Konst. 126, 127 f. 
Gesetzmäßigkeit (s. a. Kausalität): 59, 
132, 136, 140, 162, 165 , 178 
Gesicht sinn (Gesichtsempfindungen): 
65, 80 f., Abi. 86, 9of,, 94, Konst. 
115, 117, 126 

Gestalt (echtes Ganzes, organisches G.): 
3 « (L) 

Gestalttheorie: 36, 67 , 71 
Glaube: 181 

Gleichheit (s. a. Teilgleichheit): Def. 11, 
73, 159 

gleichbedeutend: Def. 159 
gleichfarbig: Def. 88, Abi. 90, 91, 
Konst. 118, 158 
gleichmächtig: Def. 40 (B) 
gleichstellig (gl. Geaichtsqualitäten) : 
Def. Abi. 88 f., 91, Konst. 117, 158 
gleichzeitig: 1. für Empfindungen: 
Abi. 93, Konst. 116 
2. im physikalischen 
Sinne: Konst. 125 
Glied, Gliederpaar: nf., Def. 34, 61 
Graphologie: 19, 21 
Grenzen der Wissenschaft: 180 , 183 
Grundbegriff, Grundgegenstand (Un- 
definiert): x, 7, 36, 38, 41, 61 , 75 , 
96, 107, X2i, 179 
Grundbeziehung, s. Grundrelation 
Grundelemente (s.a. Elementarerleb- 
nisse): Def. 2, 61 , 65, 67 74 — 76, 

io6, Konst. 109, .177 
Grundgegenstand, s. Grundbegriff 
Grundrelation (Grundbeziehung) (s. 
a. Ähnlichkeitserinnerung) : 61 , 69, 
75 f., 78 , 82 f., gl, 94, 102 , 106, 108 , 
X19, 121, i44f., 153 — 155 , 156, 161, 
180 


Gnmdsach verhalt : Def. 48, 49, 53 
Grundwissenschaft: Def. 182 

Halluzination, s. Traum 
Handeln, s. praktisches Leben 
Hautsinne: 86, Konst. 13 1 
Hinterglied: Def. 34 
Hirn, s. Gehirn 
Himspiegel: 167 f. 

Historie, historische Gegenstände, 8. 

Geisteswissenschaften, geistige G. 
homogene Relation: Def. 34, 104 

Ich (s. a. eigenpsychisch): 64, 65 , Konst. 
132, 163 

ich-bezogen: 65, 163 
Idealismus (s. a. Sprache, idealisti- 
sche): 52, 75, Def. 17$, 176 — 178 , 180 
Identität: 15, 34, 44, 51 f., 101, Konst. 
107, 146, 159 

Identität zw. Gegenstand u. Begriff: 5 
Identitätsphilosophie: 22 
Ignorabimus, s. unbeantwortbare Fragen 
Implikation: Def. 32, 47, 165 
implizite Definition: Def. 15 
Individualbegriff: 12, 27, 75, 158 
Individuation (I.-Prinzip) : 91, 118 , 158 
individueller — genereller Erlebnis- 
bestandteil: Def. 93, 94, Konst, 116 
individueller — genereller Sachverhalt: 
47 

Inhalt (einer Vorstellung), s. intentionale 
Beziehung 

Inhaltslogik — Umfangslogik : 43 
intensionale Aussage: Def. 43 
Intensität (einer Sinnesempfindung) : 76 f., 
86, 94, Konst. 131 
intentionale Beziehung: 164 
intersubjektiv (int. Gegenstand, int. 
Welt; Intersubjektivierung) : 2, 64, 
661 133, 136, Def. 148 , 149 , 159, 
17 1, 177 

intersubjektive Zuordnung: Def. 146 , 
147 t., 159 

I n tuition (intuitiv, Einf ühl u ng ) : 21, 49, 
54f., 92, 100 , 133, 143 , 179, 1811 . 
irrational, s. rational, Intuition, Glaube 
Irrationalismus: 183 
isomorph: Def. 11, 34 



Kältesinn: Konst. 131 
Kardinalzahl (Mächtigkeit, Anzahl): 37, 
Def. 40 (B), 42, Konst. 107 
Kategorie (s. a. Kausalitätskat,, Sub- 
stanzkat.): 83 , 156 

Kausalität (Ursache — Wirkung; Natur- 
gesetz; (s. a. Gesetzmäßigkeit) : 20 (B) 
22, 47, 124, 136 , 165 , 178 
Kausalitätskategorie: 105, 132, 135 
Kennzeichen: Def. 49, 50—57, 100 
Kennzeichnung : Def. 13 , 14 !,, 50, 102, 
153 — 155 » 159 > *79 
Kette, s. Potenzrelation 
kinästhe rischer Sinn, kin. Empfindungen: 
92, 94, Konst. 129, 131, 133 
Klasse: 27, Def. 33 , 36, 37 , 40 — 42, 48, 
68, 70, 75, 97, 102, Konst. 107, 121, 
158, 173, 176 

Klasse ist nicht Ganzes oder Kollek- 
tion, sondern das Gemeinsame 
ihrer Elemente: 33, 36, 37 , 40, 42, 
7of., 76, 112, 132, 163, 173 
Kollektion (Summe) (s. a.: Klasse ist 
nicht Kollektion): Def. 36, 40 
Komplex, logischer: 4, 27, Def. 36 
Konstante (s. a.: logische K., nichtlog. 
K.): Def. 107 

Konstitution, konstituieren: Def. 2 , 
5, Def. 35 , 38!., 46, 49, 58, 74 » 109— 
156, 176 

konstitutionale Definition: 2, 

Def. 35 , 38 !., 40, 48—52, 95—105, 
109—119—122, 145, 153» 161, 180 
konstitutionale Sprache, s. Sprache 
Konstitutionsregel, s. Regel 
Konstitutionsstufe, s. Stufe 
Konstitutionssystem (s.a. System- 
form): Def. 1 , 2 , 4 , 8, 26, 46, 68, 82, 
95 f., 103— 105, 106 , 119, I2if., 144» 
156 , 179 f. 

Entwurf des Konstitutionssystems: 
8, 106 — 152 

Konstitutionstheorie: 1 , 2 , 26, 106 , 
156, 177 !., 183 

Thesen der Konstitutionstheorie : 
84, 112, 11 9, 12 if., 144» r 53» 156 
Konstruktion, s. Sprache der fiktiven K., 
rationale Nachkonstruktion 


Konstruktionsprinzip (Russell) : 1, 3, 
140 

konstruktive Definition: Def. 95, 96, 
102 

konstruktive Operation, s. Sprache 
d. fiktiven Konstruktion 
Konvention, s. Festsetzung 
Konverse: 11, Def. 34 
Koordinaten : Def. Konst. 125 
Koordinaten-Gleichnis : 179 
kulturelle Gegenstände, s. geistige G. 
Kulturwissenschaften, s. Geistes- 
wissenschaften 

Leben, s. praktisches L. 

Lebensrätsel: 183 
Leerstelle, s. Argumentstelle 
Lehrsätze des Konstitutionssystems: 106 , 
108, 110, 1x4 

Leib, s. mein Leib, andere Menschen 
Leib-Seele-Dualismus : 162 
Logik: 107 , 150 
logisch geformt: Def. 46 
logische Gegenstände: 25, Konst. 107, 
121 

logische Konstante : Def. 107, 119, 153 
logisches Skelett: Def. 46 
logische Übersetzung : Def. 51 
logischer Wert: Def. 50 , 51 , 75, 86, 
95 » ii 9 » 159 

Logistik: 3 (L), nf., 43, 46 
reine, angewandte Logistik: 107 
logistisch gefaßt: Def. 46 , 96 
logistische Zeichen: 32 — 34, 76, 97 
Lokalzeichen: 76 f., 80, 86, 88, 9if., 94, 
129, 130, Konst. 131 

Mächtigkeit, s. Kardinalzahl 
Manifestation, M.- Beziehung: Def. 

24 , 55 !., 150, 171 
Materialismus: 59 , 178 
materialistische Basis, s. physische 
Basis 

Mathematik: 12, 16, 42, 106, 107 , 181 
mathematische Gegenstände: 25, 35» 
Konst. 107 

Mehrdeutigkeit: 30, 96 
mehreindeutig, s. eindeutig 
mein Bewußtsein, s. Eigenbewußtes 


mein Leib: Abi. 94 , Konst. 129 , 130, 
I 37 > r 46 

meine Seele, s. Ich 
Menge (s. a. Klasse): 37 
Menschen (s. a.: die anderen Menschen): 
Konst. 137 

Merkmal (s. a. Quasimerkmal): 69, 102 
Metaphysik (s. a. Wesen, Wirklich- 
keit): 20, 22, 24, 52, 59f., 132* * 44 » 
160 — 162, 165, 169 , 170 f„ 176 , Def. 
182 

Miene, s. Ausdrucksbeziehung 
Monismus: 162 

Muskelempfindung, s. {unästhetische E. 
Mystik: 181 
Mythus: 182 

Nachbarfarben, s. Farbkörper 
Nachbarstellen, s. Sehfeld 
Nachbereich: Def. 34 
Nachkonstruktion, s. rationale N. 

Natur, s. physikalische Welt, Wahr- 
nehmung swelt 
Naturgesetz, s. Kausalität 
Naturwissenschaften, s. Physik, Real- 
wissenschaften 

natürliche Beziehung, s. fundiert 
nichteuklidisch, s. euklidisch 
Nichtgesehenes : 124, Konst. 126, 127, 
176 f. 

nichtlogische Konstante: Def. 107, 119, 
121 

Nominalisraus : 27 
Nummernpaarliste, s. Paarliste 

objektiv: 2, 16, 66, 178 
Objektivismus: 178 

ökonomischer Wert einer Definition: 98 
Offenbarung, s. Glaube 
Ordenbarkeit des Gegebenen: 162, 169 
Ordinalzahlen: Konst. 107 
Ordnungsformen: 162 

Ordnungslehre, s. Relationstheorie 
organisches Ganze, s. Gestalt 
Organismus: Konst. 137 

Paarliste: Def. 12 

Parallelismus (psychophysischer P.): 22 
Parallelität, psychophysische, s. d. 


Parallelverlauf von Bestand teilen: Def. 

* 168, 169 

Pfeilfigur: Def. 11, 12 
Phänomenalismus: 169, Def. 175 , 
177 f. 

Phänomenologie: 93, 106, 150, 152 
philosophische Probleme: 9, 17, 22, 
157 , (158 — 183), 180 
Physik: 16, 20, 136 , 165 , 178 
physikalische Welt: 133, Konst. 
136 , 137, 140, 146 f., 165, 170, 173 

physikalisch-qualitative Zuordnung : 
Def. 136 

Physiologie, s. Gehirn 
physisch: Def. 18 , 22, 57 — 60, 7 Sf-» 94 , 
Konst. 136 , 137f., 160 , 162 , 166 — 176 
physisches Ding: Abi. 94, 136 f., 17°» 
173 

Basis im Physischen (materialisti- 
sche Basis): 59, 62 
Pluralismus: 162 
Positivismus: 60, 74 f., 176, 180 
Potenz (Relationspotenz, Potenzrela- 
tion): Def. 34, 104 
praktisches Leben: 179 — 181 — 183 
primär, s. erkenntnismäßig 
Prinzip, oberstes P. der Konstitution: 
Def. 105 

principium individuationis, s. Ind.-Pr. 
psychisch (s. a. eigenpsychisch, fremd- 
psychisch): Def. 18, 19 — 24, 55 — 
58—60—64, 85, 150, 152, 160, 162, 
164, I7L 174 

Basis im Psychischen (s, a.: B. i. 
Eigenpsychischen): 60, 63 f. 
Psychologie: 21, 52, 67 , 74f., 106, 132, 
150, 177 

Psychologismus, psychologisieren : I 5 lf* 
psychophysische Beziehung, pS. 
Parallelität: Def. 19 , 2lf., 57 (L), 
Konst. 138, 140, 166 
psychophysisches Problem: Det. 
22, 166—169 

Qualität (Sinnesqu., Empfindungsqu.). 

1. im weiteren Sinne: 18, 25, 57, 76, 
80, 125, 173 

2. im engeren Sinne (im Unterschied 



zu Intensität, Lokalzeichen): 76 f., 
86, 94, Konst. 131, 133— !35 
Qualitätsklasse: 75, Def. 76 , Abi. 

801 ., 82,93, Konst. 112, 131 — 135 , 174 
qualitative, quantitative Methode : 136 , 
165 

quantitativ, s. qualitativ 
Quasianalyse: 69 , Def. 71 , 72 — 74 , 76, 
8of., 85, 97, 104, *”» **5» 148 
Quasibestandteil: Def. 71 , 72 — 74 , 76, 
8o, 104, 140, 168, 177 
QuasigegenstandiDef. 27 , 32—42, 52, 
107, 112, 160 

Rätsel, s. philosophische Probleme, 
Lebensrätsel 

rational, begrifflich (s. a. : intuitiv, 
Wissenschaft) : 15, 22, 49, 177, 179 — 
183 

rationale Nachkonstruktion (rat. 
Rechtfertigung) : 49 » 54 ) 81, 93 f., 98 f- 
100 , 102, 143 , 179 
Rationalismus: 183 

Raum, Raumordnung: 18, 25, 91 f., Abi. 
94, 107, 118, 124 , Konst. 125 , 158 
Raumklasse: Def, Konst. 125, *26 
Raum-Zeit-Weit: 124, Konst. 125 — 
127 , 133, 134, 136 , 170 
real, Realität, s. Wirklichkeit 

Realgegenstände (Realbegriffe) : Def. 
107, 121 

Realismus (s. a.: Sprache, realisti- 
sche): 5, 52, 169, Def. 175 , 176 — 178 
Realwissenschaft: 12, 52, 59 , 106, 122, 
144, 156, 162, 170, 178 
Rechtfertigung, s. rationale Nachkon- 
struktion 
reflexiv: Def. 11 

Regel, alig. R. der Konstitution: Def. 103, 
104L 

Reihe: Def. 11, Konst. 107, 120 
rein (logisch rein, unrein): 18 Def. 29 , 3 1 
Reinheit der Ableitung: 96 
Relation (s. a. Grundrelation): Def. 34 , 
36, 40 , 42, 48, 68, 75, 97 » 10z > io 4 » 
Konst. 107, 121, 158, 173 
Relationsbeschreibung, s. Beziehungs- 
bescbreibimg 

Relationspotenz, s. Potenz 


Relationsprodukt, s. Verkettung 
Relationstheorie: 3, II, 12, 34 , 96, 104, 
107 

Relationszahl, s. Struktur 
Religion: 181 

Rückübertragung: Def. 102, 109 — 114 

Sachverhalt: 47 , 48f., 75, 98, 106, 142 , 
167, 180 

S atz (vgl. Aussage) : Def. 27, 28, 44 , 141, 
142 , 161 , 180 
Schmerzsinn: Konst. 13t 
Seele 1. s. Ich 

2. Seele des Anderen: Konst. 140 
Sehding: Abi. 94, 124, Konst. 128, 129, 
133* 170 

Sehfeld (S.-stelle, Nachbarstelle): 
76 f., 8of., Abi. 88 f. u. 92» 91 — 94 » 
115, Konst. 117, U8, 124— 127, 158 
Sehraum: 124 
Sehwelt: 124 

Seiendes ( — Geltendes): 42 
Seinsart: 42 

sekundär, s. erkenntnismäßig 
selbständige Gegenstandsart: 23, 25, 56, 
162 

selbständiger Komplex: Def. 36, 37, 40 
Sensualismus; 60 
Sinn: Def. 44» 5 *» 95 » 159 
Sinnaussagen: Def. 44, 45 
sinnlos, sinnvoll: 28, 30f. 
Sinnübersetzung : Def. 51 
Sinne (s. a. die einzelnen Sinne : Gesichts- 
sinn u§w.): 7öf., 8o, Abi. 85 u. 94 » 
86, Konst. 115 u. 131, 119» »i, 133, 
135 » 174 

Sinnesfeld (s. a. Sehfeld): 77 
Sinnesorgane: 129, Konst. 13 1, 137 
Sinnesqualitäten s. Qualitäten 
Sinnesräume (s. auch Sehraum): 130 
Solipsismus: 1. methodischer S., s. eigen- 
psychische Basis 

2. metaphysischer (sog. erkenntnis- 
theoret.) S.: 52, 64» Def. 175 , 177 

Soziologie s. Geisteswissenschaften 

soziologische Gegenstände s. geistige G, 
Sphäre (Gegenstandssphäre): 23, Def. 
29 , 30 — 33 , 151» * 73 » *80 

287 


286 


sphärenverwandt, sphären&emd; Def. 

29, 30!., 37 , 75 - 

Sphären vermengung: Def. 30, 3 , i 

Spiritualismus: 178 

Sprache (Sprachgebrauch): 2 °> 6 5’ 

134, 141, *59, 172— * 74 , I 78 > ISO 

geometrische S.: 125 
idealistische S.: 5» *77 
konstitutionale S.: 5»'47j S2f » 75, 

167 , 169 , 177 „ 

Konstruktions -S., S. der 

Konstruktion: 95, Def * 99, 1W11 ” 

106, 109 — i *7 _ , 

logistische S.: 46, 95, 96 > * 02 ’ 1 5 

109 — 122, 180 
neutrale S. : 5, 5 2 ^, * 7 ® 
psychologische S.: 75 
realistische S.: 5, 47, 52f., 95, » 

102, 106, 109-120, 125, 127 , 129, 
135 , 140 , 143 , 147, *52, l6 7, *77, 

vier ^Sprachen der Konstitutionstheo- 
rie: Def. 95, 96-98, Io6 > Io8 " 122 

Wortsprache (s. a.: Umschreibung m 

W.): 30 , 46 , 9 ß , l8 °, 182 I 

Staat: 151 ( B ) (P 
S tamm baum der Begriffe: I 
starrer Körper: Konst. 128 
Stelle s. Sehfeld 
Stembilder-Gleicbnis : 162 
Struktur (Relationszahl) : Def . 1 * u. 34, 
12 , Konst. 107 , 125 
Strukturaussagen: 16,66, 153, , 

177 

Strukturbeschreibung: Def. n, * 2 »*5' 
strukturelle Kennzeichnung: 14, D«* 

15, 16 . 

strukturgleich s. isomorph. 

Stufe (Konstitutionsstufe): 2 , 40, Def. 
41, 42 , 68, 74f-, *5* , 

Stufenform: 2 Öf., Def. 40, 68 f., 106 
Subjekt (s. a. erkenntnistheor. S.): 64f. 

subjektiv: 2 , 16 , 66 , 148 
Substanz, S .-Kategorie: 1 O 5 , 132 , 1 > 

162, 169, 178 

Substituierbarkeit: 159 
Subsumption: Def. 32 , 43 
Summe s. Kollektion 


Symbolik: 96 

symbolische Logik, s. Logistik 
symmetrisch: Def. ix 
Synthese: 68 f., 74, 83 , 100 

synthetische Urteile apnon (Kant): 

106 (L), 179 

System: 1. S. der Begriffe, s. Konstitu- 
tionssystem 

2 . S. der Wissenschaften: 3 , *79 
Systemform: 26 , Def. 46 , 53^*> 

60 , 65 , 106 , I 2 B 

I systematische Bindung (Begleiter): 70 

Tastpunkte: Konst. 130 

Tast-Seh-Ding: Konst. 130, 133 
Tastsinn (Tastempfindungen): 94 , 

Konst. 129, 130, *33 

Tautologie: 5°, 106 f* 

Teil, s. Ganzes 

Teilähnlichkeit, 1. allgemein: 72, 77 * j» 

2 . zwischen Erlebnissen: Def. 77, AW * 

78 , 79 f*, 87 , Konst. 110 
Teilgleichheit, 1 . allgemein: 70-73, 7& 

2 . zwischen Erlebnissen: Def. 7*>, 

77 , 79, Abi. 82, Konst. 113 
teleologisches Problem. 105» *79 
l Telepathie: 140 

Thesen, s. Konstitutionstheorie 

Topologie: 97 , *59 
Transgression, transgressiv: 176 
transitiv: Def. n 

transzendent, s.Ding an sich _ 

transzendental (t. Idealismus, t. Subjekt) . 

66 , 75 , * 76 f., *80 

Traum (Halluzination u. dgl.): 164, 170 *‘> 

177 

trivial: 5°, *° 6 * *59 .. a 

Typus, Typentheorie (s. a. Sphäre). 9 , 

30 (L), 33 , *80 

, überbestimmung: 93 f* . . 

Obodeckung (von AhnUchkembe>*») 
(wesentliche u. zufällige Ü.): 80 f„ 

Übereinstimmung (in einem Bestandteil), 
s. Teilgleichheit; annähernde u., 
s. Teilähnlichkeit 

Übersetzung, s. Umformung (*. «*• Um- 
schreibung in Wortsprache) 



288 


Umfang s. Extension 

umfangsgleich (generell äquivalent) : 
Def. 32 , 33 — 35 , 4 °, 43 , 45 , 47 f- 
Umfangslogik ( — Inhaltslogik) : 43 
Umformung von Aussagen: 2, 16, 
27, 32, 35 , 38 f., 46 f-, 50 , s 6 f., 86 , 96, 
10)5, 119 , 122, 148, 16 1, 180 
Umgebungsrelation: 97, 115 
Umschreibung in Wortsprache: 95, Def, 
98, 106, 108 — 120, 123 
Unabhängigkeit vom erkennenden Be- 
wußtsein, 1. metaphysisch: s. Wirk- 
lichkeit, metaphysische 
2. empirisch: 177 
unaussprechbar: i8of. 
unbeantwortbare Fragen: 180 f., 183 
unbewußt, bewußt: 18, 64, Konst. 132, 
140 

Undefiniert, s. Grundbegriff 
unentscheidbar, s. unbeantwortbar 
ungesättigtes Zeichen: Def. 27, 28, 33 (L), 
36 

Unvereinbarkeit von Aussagen: 107 
unwirklich, s. Wirklichkeit, empirische; 
Traum 

unzerlegbare Einheit: 67, 68f., 71, 
74 , 93 , 164, 177 
Ursache, s. Kausalität 
Ur-S ach verhalt, s. Gegebenes 
Urteil, s. synthetisch 

Variable: Def. 28, 39, 97, 107 , 12 1 
Vereinigung: Def. 33 
verifizierbar: 16 1, 179 
Verkettung (Relationsprodukt): Def. 34 
verstehen, 1. s. Intuition 
. 2. von Worten u. Sätzen: 141 — 143 
Vielheit der Gegenstandsarten: 25, 41 
vierdimensionale Welt, s. Raum-Zcit-Welt 
Vorbereich: Def. 34 
Vorderglied : Def. 34 
Vorgang, 1 . physisch: 94, 137, 165 , 173 
2. psychisch, s. Erlebnis 

Wärmesinn: Körnt. 131 
wahr, Wahrheit: 28, 161, 179 
Wahrheitswert: (Def.) 43, 44, 50 
Wahrnehmung: 57, 67f-, 164 

Wahrnehmungsding: Konst. 134, 159 


Wahrnehmungswelt (s. auch Seh- 
welt, physikalische Welt): Konst. 

133 f-, 135 f-, 165, 170 

Wechselwirkung: 22 
Welt, s. physikalische W., Sehwelt, Wahr- 
nehmungswelt 

Welt des anderen Menschen : Konst. 145 
Weltlehre: 182 

Weltlinie: 94, Def. Konst. 126, I27f., 
130, 133 , 170 

Weltpunkt: Def. Konst. 125, 126 f., 
133 , 136, 165, 170 

Welträtsel, s. philosophische Probleme, 
Lebensrätsel 
Wert: 59, Konst. 152 
Wesen, 1. konstitutionales oder empiri- 
sches W.: 160, Def. i6x 
2. metaphysisches W.: 20, 59, Def. 
161 

Wesensbeziehung : Def. 20, 21, 161, 
165, 169 

Wesensproblem: Def. 20, 2if., 24, 
132, 158 — 166, 169 
wesentliche Überdeckung, s. Ü. 
Widerspruchslosigkeit: 15 
Wille, s. Wollung 

Wirklichkeit, I. empirische (kon- 
stitutionale) W.: 52f., 64, 66, 158, 
164, Def. 170 f., 172 — 174 , 175, 177 
2. metaphysische W.: 52f., Def. 
175 L, 177 f. 

Wirklichkeitsanalyse: 3 
wirklichkeitsartig : 158, 164, Def. 
172 , 173 f. 

Wirkung, s. Kausalität 
Wissenschaft, Gesamtwiss.: 2, 4 , 16 , 
20, 22, 27, 52, 66 , 149 , 169, 176, Def. 
179 , 180—183 

Wollungen: 85, Konst. 13t, 133 , i76f. 
Worte (s. a. Sprache, Umschreibung in 
Wortsprache): 141 — 143 

Zahl (s. a. Kardinalzahl): Konst. 107 
Zahlenraum: 125, 136 
Zeichen (s. a. logistische Z.): 27, 44 , i8if. 
Zeichenaussage : Def. 44, 45 
Zeichenbeziehung : Def. 19, 20 f., 141 
Zeichengebung des anderen Menschen: 
140, Konst. 141 f., 143 


289 


Zeit, Zeitordnung (s. a. Raum-Zeit- zurückführbar : Def. 2 u. 33 , 46, 47 , 
Welt); 18,78, Abi. 87, 94, Konst. 120, 53 f., 50 — 59 » 96 » H 9 

158, 171 zusammengesetzt, s. Ganzes 

Zentralnervensystem, s. Gehirn Zusammenhang der Worte: 14t» 142 

Zerlegung eines Elementarerlebnisses: zusammenhängend. Def. 11 

Komt. 116 Zuschreibung, 1. zu Weltpunkten: 125, 

Zerschneidung, s. Überdeckung 126 , 127, 130, 133 f., 135 , 165 

zulässige Argumente: Def. 28, 29, 33 2. Z. des Fremdpsychischen: 140,167 

Zuordnung, s. Relation, psychophysische Zustand, I. physikalisch: Konst. 128, 173 
Beziehung, physikalisch-qualitative 2. psychisch: Konst. 132 u. 140 

Zuordnung Zustandsgesetz: 165 

Zuordnungsproblem: Def. 20, 21, Zustandsgrößen: Konst. 136, 165 
24, 166, 169 Zweckt, s. teleologisches Problem